Spielball der Macht

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M

Mitternachtszugnachparis

Gast
Sie sagte: „ich liebe dich nicht mehr – ich bin frei, glücklich und ich geh meinen eigenen Weg“

Dann brach der Kontakt ab – sie versuchte alles, was an diese Beziehung erinnerte, zu verdrängen – er ertrug ihre Selbstlügen und ihren Egoismus – bis zu diesem einen Tag als sie im Büro saß und das Telefon klingelte.

Sie ging ran – er sagte ganz ruhig „Hallo – zieh dir heute abend etwas Nettes an – sei pünktlich um 20 Uhr in „unserer Bar“ stelle dich an den Flügel – du darfst dich weder setzen noch darfst du dir etwas bestellen – und du wirst dort warten bis du eine neue Anweisung erhältst – und lasse dein Handy zuhause“ – dann legte er auf.

Sie tobte - sie schäumte vor Wut – sie rief ihn an – er ging nicht an sein Telefon – am Handy drückte er sie weg – SMS und Mails blieben unbeantwortet. Es wurde 17 Uhr, Feierabend, sie fuhr nach Hause und legte sich ins Bett, sie sprang auf und beschloss in die Bar zu gehen – elegant, aufreizend, übertrieben gut gekleidet – um an seinen Tisch zu kommen, ihm sein Getränk über den Kopf zu schütten – und ihm eine zu knallen – um ihm dann zu sagen:

„ich liebe dich nicht mehr – ich bin frei, glücklich und ich geh meinen eigenen Weg“

Sie zog dieses Abendkleid an – schwarze halterlose Strümpfe – und die klassischen Pumps – die wirklich hohen – sie steckte ihre Haare hoch und beschloss, da es unaufhörlich regnete, einen Halbschleier zu tragen. Die Haustür fiel hinter ihr ins Schloss, sie verharrte – das Handy lag innen auf dem Tisch. Sie dachte sich: „ich habe es nur vergessen – ich habe es nicht absichtlich liegen lassen, weil er es sagte...“

...Sie kam am Parkplatz an – sie ging elegant – langsam - machte kleine Schritte - er hatte ihr das eimal beigebracht - sie bereitete sich auf ihren ganz großen Auftritt vor – ihr Gesicht war angespannt – sie spürte wie sie durch Arroganz ihre Unsicherheit überspielte...

Sie ging durch die Tür es war Punkt 20 Uhr – und es war bereits gut besucht – sie schaute sich um, alle Augen gingen in ihre Richtung, aber „er“ war nicht da. Sie beschloss, sich an den Flügel zu stellen, nicht weil er es ihr gesagt hatte, sondern weil sie ihn dann gleich sehen würde, wenn er gleich kommen würde...

...die Bedienung kam und fragte, ob sie sich nicht irgendwo hinsetzen wollte. Sie antwortete, dass sie warten würde und sie nichts trinken möchte im Moment – die Bedienung nickte.

...die große Uhr an der Wand war nun das bevorzugte Ziel ihrer Blicke. Der Minutenzeiger kämpfte mit dem Sekundenzeiger, es wurde später, immer später. Die Bedienung kam öfter, ob sie noch weiter wartete, sie wartete...

...sie wusste nicht, ob sie vor Wut Tränen in den Augen spürte oder vor Enttäuschung und Erniedrigung, dass sie da stand „wie bestellt und nicht abgeholt“ – völlig übertrieben angezogen und sich sicherlich gerade völlig zum Idioten machend. Sie rang um Fassung und so wurde es 1 Uhr. Die Bedienung kam erneut und sagte ihr, dass sie nun leider nicht mehr warten könne da man nun schließen werde...

...sie nickte stumm und ging sehr schnell Richtung Auto. Sie spürte, dass die Wut nicht gegen den Schmerz gewinnen könnte. Er sagte ihr ja: „du wirst so lange da stehen bleiben, bis du eine neue Anweisung erhalten wirst“ Und sie hatte sich manipulieren lassen. Sie war gar nicht mehr so frei, so glücklich. Aber sie fühlte, dass den Hals zwar kein Band mehr zierte - aber dass das Band, dieses unsichtbare magische Band, viel stärker war als sie es wahr haben wollte...

...zuhause angekommen erblickte sie auf ihrem Handy eine sms von ihm:

„Ich liebe dich nicht mehr – ich bin frei, glücklich und ich geh meinen eigenen Weg.“
 
L

Law

Gast
Hallo Mitternachtszug,

Klasse Geschichte! gefällt mir sehr gut nur in der Falschen Rubrik, nach meiner Meinung. Das sollte evt. unter Kurzprosa stehen. Hier geht es doch um dieses Thema Lieb und Macht und Ohnmacht, worüber ich auch hier laufend schon schrieb.

LG
Law
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo MZP,

Ja, langsam scheint der Mitternachtszug an Tempo zu gewinnen. Der Text hat mir gefallen.
Ich fand - trotz oder gerade wegen ? des mir nicht so zusagenden Telegrammstiles - die Kurzgeschichte (ich behaupte, es ist eine) recht unterhaltsam. Von der Idee ganz zu schweigen - die find ich klasse.
Die vielen Gedankenstriche verleihen dem Text zwar Tempo, aber sind nicht alle nötig. Hin und wieder eine kleine Pause, das tut dem Leser gut.
Der Titel - hm - mir ein wenig zu pathetisch. Aber das ist Geschmackssache.
Hier und da könnte noch etwas gefeilt werden. Nachfolgend ein paar Beispiele:


Dann brach der Kontakt ab – sie versuchte alles, was [blue]sie[/blue] an diese Beziehung erinnerte, zu verdrängen – [strike]er ertrug ihre Selbstlügen und ihren Egoismus –[/strike] [blue]( dieser Einschub, der obendrein mit einem unnötigen Perspektivwechsel verbundene ist, stört meines Erachtens nur. Bleibe, so wie im restlichen Text ja auch, einfach nur bei der Protagonistin. Was er erträgt und was nicht, das löst du doch wunderschön in der Pointe auf)[/blue] bis zu diesem einen Tag als sie im Büro saß und das Telefon klingelte.

Sie ging ran – er sagte ganz ruhig „Hallo – zieh dir heute abend etwas Nettes an – sei pünktlich um 20 Uhr in „unserer Bar“ [red]-[/red] stelle dich an den Flügel – du darfst dich weder setzen[red],[/red] noch darfst du dir etwas bestellen – und du wirst dort warten[red],[/red] bis du eine neue Anweisung erhältst – und lasse dein Handy zuhause“ – dann legte er auf.

Sie tobte - sie schäumte vor Wut – sie rief ihn an – er ging nicht an sein Telefon – am Handy drückte er sie weg – SMS und Mails blieben unbeantwortet. Es wurde 17 Uhr, Feierabend, sie fuhr nach Hause und legte sich ins Bett, sie sprang auf und beschloss in die Bar zu gehen – elegant, aufreizend, übertrieben gut gekleidet – um an seinen Tisch zu kommen, ihm sein Getränk über den Kopf zu schütten – und ihm eine zu knallen – um ihm dann zu sagen:

„ich liebe dich nicht mehr – ich bin frei, glücklich und ich geh meinen eigenen Weg“

Sie zog dieses Abendkleid an – [blue]dazu[/blue] schwarze halterlose Strümpfe [strike]–[/strike] und die klassischen Pumps – die wirklich hohen[blue]. Sie [/blue]steckte ihre Haare hoch und beschloss, da es unaufhörlich regnete, einen Halbschleier zu tragen. Die Haustür fiel hinter ihr ins Schloss, sie verharrte – das Handy lag innen auf dem Tisch. Sie dachte sich: „[red]I[/red]ch habe es nur vergessen – ich habe es nicht absichtlich liegen lassen, weil er es sagte...“

...Sie kam am Parkplatz an – sie ging elegant – langsam - machte kleine Schritte - er hatte ihr das eimal beigebracht - sie bereitete sich auf ihren ganz großen Auftritt vor – ihr Gesicht war angespannt – sie spürte wie sie durch Arroganz ihre Unsicherheit überspielte... ([blue]Nur ein Vorschlag: Hier würde ich die vielen Bindestriche hin und wieder durch Punkte ersetzen)[/blue]
Sie ging durch die Tür [blue](Punkt oder Komma)[/blue] es war Punkt 20 Uhr – und es [blue](die Bar)[/blue] war bereits gut besucht ([blue]Hier täte nicht nur ein Punkt, sondern sogar ein Absatz ganz gut)[/blue] – sie schaute sich um, alle Augen gingen in ihre Richtung, aber „er“ war nicht da. Sie beschloss, sich an den Flügel zu stellen, nicht weil er es ihr gesagt hatte, sondern weil sie ihn dann gleich sehen würde, wenn er gleich [blue](jeden Moment auftauchen[/blue]) kommen würde...

...die Bedienung kam und fragte, ob sie sich nicht irgendwo hinsetzen woll[strike]t[/strike]e. Sie antwortete, dass sie warten würde und sie nichts trinken möchte im Moment [blue]("im Moment nichts trinken möchte" wäre eleganter)[/blue] – die Bedienung nickte.

...die große Uhr an der Wand war nun das bevorzugte Ziel ihrer Blicke. [strike]Der Minutenzeiger kämpfte mit dem Sekundenzeiger[/strike], es wurde später, immer später. Die Bedienung kam öfter, [blue]fragte[/blue], ob sie noch weiter wartete, sie wartete...

...sie wusste nicht, ob sie vor Wut Tränen in den Augen spürte oder vor Enttäuschung und Erniedrigung, dass(weil) sie da stand „wie bestellt und nicht abgeholt“ – völlig übertrieben angezogen und sich sicherlich [blue](wahrscheinlich[/blue])gerade völlig zum Idioten machend. Sie rang um Fassung und so wurde es 1 Uhr. Die Bedienung kam erneut und sagte ihr, dass sie nun leider nicht mehr warten könne[red],[/red] da man nun schließen werde...

...sie nickte stumm und ging sehr schnell [strike]Richtung[/strike] [blue]zum[/blue] Auto. Sie spürte, dass die Wut nicht gegen den Schmerz gewinnen könnte. Er sagte ihr ja [blue](Er hatte ihr ja gesagt:[/blue]): „[red]D[/red]u wirst so lange da stehen bleiben, bis du eine neue Anweisung erhalten wirst“ [blue](Neue Zeile )[/blue]Und sie hatte sich manipulieren lassen. Sie war gar nicht mehr so frei, so glücklich. Aber sie fühlte, dass den Hals zwar kein Band mehr zierte - aber dass das Band, dieses unsichtbare magische Band, viel stärker war als sie es wahr haben wollte...

...zuhause angekommen, erblickte sie auf ihrem Handy eine sms von ihm:

„Ich liebe dich nicht mehr – ich bin frei, glücklich und ich geh meinen eigenen Weg.“



So - und nun schiebe ich dich mal hinüber zu den Kurzgeschichten-Kollegen.

Gruß Ralph
 
D

Denschie

Gast
hallo mitternachtszugnachparis,
es gibt wenig, was ich ralphs ausführungen noch
hinzufügen könnte.
vielleicht, dass mir die atmosphäre deiner geschichte
sehr gefällt. sie ist einfach spannend geschrieben
und hat eine klasse pointe.
die gedankenstriche und ein paar kleinigkeiten sind
das einzige, was noch zu ändern wäre. ich sagte schon,
dass ich mich da ralph anschließen würde.
mehr davon!
lg, denschie
edit: einzig der titel "spielball der macht" ruft
seltsame assoziationen in mir hervor. klingt etwas
nach diesen einseitigen romanen in frauenzeitschriften.
d.
 



 
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