Sterben fürs Vaterland - Fatras

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Anni123

Mitglied
Sterben fürs Vaterland- Fatras



Ich sah den Regenbogen -

ein prächtiges Geschmeide


Ich sah den Regenbogen,

den sie zur Erde zogen

von seiner Himmelsweide.

Ich sah wie Blumen gierig sogen

den Duft von Kampfesdrogen.

Mein Opa sagte: Meide

beim Mahl das Eingeweide,

als sich die Fahnen bogen.

Sie warn aus rosa Seide


und flatterten wie hingelogen -

ein prächtiges Geschmeide.
 
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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Anni,

Ich habe nach Fatras gesucht.

Hiernach erfüllt es nicht ganz die Anforderungen an die Form, aber die Form ist alt und könnte sich entwickelt haben:

Fatrasien und Fatras | SpringerLink


Fatrasien und Fatras
  • ...

Fatrasien und Fatras sind Gattungen der mittelalterlichen französischen Nonsens-Dichtung; die überlieferten Gedichte stammen aus den Jahren 1250 bis 1290 (Fatrasie) und 1325 bis 1433 (Fatras). Die Fatrasie ist ein elfzeiliges Gedicht mit fester Form und dem Reimschema aabaab/babab. Die Zahl Elf ist konstitutiv, galt als ‚närrische Zahl‘, die mit dem Beginn der Karnevalsperiode am Martinsfest verknüpft wurde (11. 11., 11 Uhr 11).
Hiernach richtet sich die Form.
...
Inhalt
Die Farce, eine komische Einlage in den religiösen Mirakel- und Mysterienspielen des 14./15. Jh.s, ist etymologisch damit verwandt. Eine andere Herleitung sieht in der Fatrasie eine Verballhornung der ‚Fantasie‘.
Dein Gedicht erfüllt leider nicht ganz die Anforderungen an die Form. Aber der absurd-groteske Inhalt in schönem Dada-Stil reißt es meiner Meinung nach wieder heraus.



Verszahl: 13 statt 11


AB/Aabaabbab/aB
statt
aabaab/babab

Prinzipiell ist diese Form aber vorhanden, sehr ähnlich.

Kannst Du mir bitte etwas mehr zur Form schreiben? Eventuell hast Du andere Quellen.

Mir gefällt es. Du hast die Symmetrie geändert, es ist jetzt 13 Verse. Das passt. Die Unglückszahl, hinter der sich durch Symmetrie zwei Narren verstecken.

Mir gefällt die Referenz zur Antikriegslyrik von Dada und die Einführung einer mir neuen Form, die da doch sehr alt ist.

Die Kritik am Krieg ist heute eher selten. Eher wird "Kriegsmüdigkeit" kritisiert.
Hier kommt sie in absurd erhabenem Tonfall bei gleichzeitigem Zeigen der närrischen Absurdität.

Die Änderung 13 statt 11 macht es drohender, eindringlicher, auch durch die Symmetrie und den Tonfall, wo zwei Reime sich bekämpfen. Es ist eine Art subversiver Kommentar zum Thema Krieg.

Herzlich willkommen in der Leselupe
 
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Didi Costaire

Mitglied
Hallo Anni,

das sieht prinzipiell so aus wie die Fatras, die ich kenne und in einem anderen Forum von einem zeitgenössischen Meister dieser Zunft seit einiger Zeit mehrmals wöchentlich zu lesen bekomme.

Mich stören höchstens die beiden zu langen Verse. Daher würde ich als Übergang vom 5. zum 6. Vers ein Komma empfehlen und anschließend die Worte "Ich sah" weglassen. Die stehen ja schon in V3 und können auch als Einleitung von V6 gedacht werden. In V11 würde ich etwas schreiben wie:

So wehte rosa Seide
im Wind wie hingelogen

Zwischen dem 11. und 12. Vers befindet sich normalerweise keine Leerzeile.

Schöne Grüße,
Dirk
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe etwas recherchiert. Wie ich vermutet hatte, gab es weiterentwickelte Fatras.


Im ersten Drittel des 14. Jh.s wurde das Genre weiterentwickelt durch Watriquet Brassenel de Couvin (um 1325), von dem 30, zum Teil obszön-skatologische Motive häufende Fatras erhalten sind (Bibliothèque Nationale, Paris, f. fr. 14968).
Quelle: Fatrasien und Fatras, Ralph Dutli, erhältlich in https://link.springer.com/referenceworkentry/10.1007/978-3-476-05728-0_23069-1, kostenlos über angeschlossene Institutionen, z.B SLUB und andere Bibliotheken

Er beschreibt auch die hier angegebene Form.

Die Form ist erweitert, nun erscheint zu Beginn ein Zweizeiler von konventioneller Machart, dessen erster Vers gleich darauf wiederholt wird und den eigentlichen Fatras eröffnet, dessen zweiter Vers jedoch erst am Schluss wiederkehrt und ihn beschließt. Das Reimschema lautet: AB AabaabbabaB, die Verslänge ist variabel. ...
(ebenda)

Das entspricht dem, was Didi Costaire beschrieb: AB/Aabaabbab/aB vs. AB/AabaabbabaB
 
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Anni123

Mitglied
Lieber Bernd, lieber Didi,
ich habe die Anleitung aus dem internet und bisher ist sie nicht beanstandet worden. ;)Auch die Fatren von Prevert waren so geschrieben und hatten 13 Zeilen. Das "Ich sah" in der Wiederholung macht für mich eine Verstärkung aus. Auch die unterschiedlichen Zeilenlängen sind bei Prevert vorhanden, der ein ganzes Buch , nur Fatren, geschrieben hat.Ich würde mir dies also gern als Vorbild nehmen.
Für eure netten Einlassungen habt Dank. Anni
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Anni,

erst einmal herzlich willkommen im Forum.

Mir persönlich ist es ziemlich egal, ob eine feste Form nun eingehalten ist oder nicht.
Für mich zählt, ob ein Gedicht mich anspricht und das tut deines. Mich spricht der tiefe Schmerz und die zarte Melancholie in deinen Zeilen an.
Das genügt mir vollauf.

Liebe Grüße
Manfred
 

Anni123

Mitglied
das hast du richtig erspürt, Franke und dein Kommentar freut mich. Ich bedanke mich. auch fürs Willkommen. LG von Anni
 

Perry

Mitglied
Hallo Anni,
Fatras kannte ich bisher nicht, lediglich sind mir "Elfchen" hin und wieder schon untergekommen.
Inhaltlivch kann ich nur beipflichten, nicht allen Trugbildern sollte man trauen, das gleiche gilt für zu eifrige Fahnenschwenker. ;)
LG
Manfred
 

Anni123

Mitglied
ja, da hast du Recht. Bernd. Ich finde, die Absurdität richtig eingesetzt kann Tiefe geben und das reizte mich immer an Prevert und dieser Form. Deine Worte freuen mich. Lieben Dank von Anni
PS hat ja gleich jemanden ermutigt, auch ein Ghasal einzustellen:)
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Je länger ich es lese, desto besser gefällt es mir. Je nach Literatur gibt es auch unterschiedliche Beschreibungen.
Es macht Lust, auch so etwas zu schreiben.

Dein Werk weist durch den Anti-Kriegscharakter zugleich auf Dada hin, das auch (scheinbar sinnlose) Beschreibungen verwendet, um den Krieg zu bekämpfen.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 16600

Gast
Feine, teilweise unverbrauchte Bilder, Anni.
Für mich eine perfekte Mischung aus sachlicher Prägnanz und dichter Sensibilität.
Gruß Hans

PS. Der große Zeilenabstand stört ein bisserl.
 
liebe Anni,
ich finde das auch außergewöhnlich gelungen. und das war sehr lehrreich zu lesen,
was sich unter deinem gedicht gesammelt hat. vielen dank.

eine frage - sind die zeilenabstände absicht. es wirkt irritierend.
liebe grüße
charlotte
 

Anni123

Mitglied
vielen Dank, lieber Manne und liebe Charlotte. Euer Lob freut mich. Die Zeilenstruktur ist beim Fatras so vorgegeben. LG von Anni
 



 
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