Tagediebgleiche

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Alessa

Mitglied
Tagediebgleiche


Noch immer
sperre ich unsere Ewigkeit
in den Märchenschrank.

Wie spöttisches Licht
lacht der König,
während der Wacholder
aus seinen Poren flieht
wie dickes Blut.

Wir werfen uns
und liegen
wie Hänschens
Brotkrumen im Wald.
Im Wegsein sind wir
Rosenrot.

Als ich ihre Schürze
kommen rieche,
die Hand im Gesicht,
ist unsere Abwesenheit
leer wie der Kohleneimer.

Die Augen meiner Großmutter
sind russische Natur.
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Alessa,
Gedichte sollen nicht erklärt werden. Sagt man. In dem Fall bitte ich darum, da ich mit dem Text andauernd aus der Kurve fliege. Ich komm nicht zurecht damit. Es sei denn, es genügt, die Stimmungen, die Bilder, deren Farben wahrzunehmen, soll heißen, der schön klingende Text genügt sich selbst.
Wäre mir in dem Fall dann aber zu wenig, da im Widerspruch zum echten Leben, das malt und klingt und zeichnet. Unablässig neu. An uns Menschen liegt es zu zeigen: Da! Schau!

Der Text hier, so erscheint es mir, beschäftigt sich mit sich selbst und ist sehr zufrieden damit. Da geht dann aber nix weiter. Oder?

lg
die dohle
 

Alessa

Mitglied
Hallo,

ich danke allen für die Bewertungen und Kommentare.

Hallo Die Dohle:

Ich würde mich gern an die allgemeine Sitte halten, dass der Autor sein Gedicht nicht erklärt. Nur soviel: Der Text genügt auf keinen Fall nur sich selbst und will schön sein. Vielleicht kann ich Andeutungen machen, interpretieren musst Du dann selbst, es sei denn, Du findest für Dich immer noch keinen Zugang. Dann ist das eben so und ich als Autor muss damit leben. Ebenso kann ich auf keinen Fall die Verschleierung lüften, das Thema was darin steckt, musste auf jeden Fall doppelt versteckt werden. Das war mein Anspruch.

Die Hilfsanstubser würde ich dann auch gern nur Dir über PN mitteilen. Was ich jetzt mal eben versuche.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich sehe viele Schichten, die wichtigste für mich ist die Märchenhaftigkeit. Märchenbücher füllten unsere Tage, waren Tagediebe, wir kennen sie alle, die russischen und die deutschen und viele andere. Nicht wirklich alle, aber viele.
Brotkrumen wurden von den Vögeln gefressen und der Weg war fort.
Aus dem Märchenschrank schaute die Märchenerzählerin und das Tintenfass hopste - und freute sich, als die Schneekönigin besiegt war.
Der König sprach: Wer mir meine Tochter wiederbringt, bekommt mein halbes Königreich.
Die Hexe Baba Jaga begrüßte Iwan in ihrem Häuschen auf dem Hühnerbein: Häuschen, dreh dich mit dem Gesicht zum Wald, mit der Rückseite zu Wanja.

Ich habe das große russische Märchenbuch von meinem Opa geerbt.

Und am Ende leierte sich das Haus mit der Tür zu mir und ich betrat die Märchenwelt und hörte den Klang der Stimme meiner Mutter, die mir Hänsel und Gretel vorlas, bis ich einschlief.
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Alessa,
danke dir für deine nachhilfe. es wird licht...
eine düstere vergangenheit voller gewalt lese ich, von unsäglicher einsamkeit, alleine die gütige großmutter versteht, kann aber nicht wirklich eingreifen und die dinge zum besseren wenden.

dass da mit dem könig etwas nicht stimmt, ahnte ich bereits. allerdings, der wachholder lockte mich nicht hin zu der fährte, sondern weg, da diese pflanze eine sehr respektable ist, ein ausgezeichnetes gewürz dessen nadeln, das holz, zudem ein hervorragender werkstoff in der schreinerwerkstatt. die beeren beste medizin und gewürz, sofern respektvoll verwendet. die pflanze trägt für mich etwas edles.

ich finde deinen text gut, die idee, deine absicht derart in märchenbilder zu verpacken, ausgesprochen interessant. schade nur, dass der text aus meiner sicht ziemlich schwierig zu erschließen ist. aber, vielleicht war ich einfach nur ein bisschen zu faul & bequem, das halte ich für möglich ;-)

lg
die dohle
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Man kann es wahrscheinlich auch politisch lesen.
Ich habe gerade letzte Woche трудно быть богом (Ein Gott zu sein ist schwer) von A. German (dem bekannten russischen Regisseur, der voriges Jahr verstarb) nach dem Buch der Strugazkis gesehen. Grausliche Bilder.
Und es gibt Parallelen zur Geschichte.
 

Alessa

Mitglied
Hallo an alle Leser,

Hallo besonders an die Dohle,

danke Dir, das freut mich, dass Du den Text gut findest. Mir geht es auch oft so, dass ich hier ein Gedicht lese und keinen Zugang finde. Aber andere schon. Und ich bin da sicherlich nicht faul, nur ich komm da irgendwie nicht rein. Ob es an der Thematik liegt oder an der Form oder am Stil, ich weiß es nicht. Ist aber normal. Von daher, würde ich Dich nicht als faul und bequem bezeichnen. :)

Eigentlich möchte ich ja nicht, dass der Leser "der Lösung" auf die Spur kommt, weil ich "dieses Thema" gern und bewusst mit Märchenelementen schmücke.

Man muss da nur an die "wahren" Hintergründe von z.B. Grimms Märchen denken. Soweit ich weiß, steckt hinter jedem "typischen" Märchen eine dunkle Geschichte.

Oh und ich wollte noch etwas zu dem Wacholder sagen. Meine Großeltern haben aus Wacholderbeeren Selbstgebrannten gemacht. Dieser Geruch hielt sich hartnäckig in der Wohnung auf, klebte in den Vorhängen, dünstete sich aus den Polstern heraus und war besonders extrem intensiv, wenn er "frisch" aus den Poren kam. Ich meine, habt Ihr das mal gerochen?
*lach* Würde mich wirklich mal interessieren ...

Aber ich finde das sehr interessant, wie unterschiedlich Erfahrungen sind, so wie bei Dir, der Du etwas Edles mit der Wacholderpflanze verbindest. Genau diese eigenen Erfahrungen fließen beim Leser in die Interpretation hinein und deswegen kann ein kryptisch verkleidetes Gedicht wie meins, nicht so ohne weiteres zur wirklichen Geschichte des Autors führen. Das finde ich herrlich, dass jeder etwas anderes hineinlesen kann. So soll es sein, ja?

Wobei ja der rote Faden "Märchen" hier einiges vorgibt.

Dankeschön und
LG
Alessa
 

Alessa

Mitglied
Hallo Bernd,

Deine Kommentare zu meinem Gedicht finde ich sehr interessant und herrrrrrlich.

Märchen werden grundsätzlich mit der eigenen Kindheit verbunden und die Mama die die Märchen vorliest. Ein Kind konnte sich behütet fühlen, weil es die "grausamen" Märchen hörte.

Geht gleich weiter ...


Zum zweiten Kommentar von Dir:

Man kann es wahrscheinlich auch politisch lesen.
Das glaube ich auch. :)

Vielen Dank für den Einblick Deiner Assoziationen und Gedanken.

LG
Alessa
 
D

Die Dohle

Gast
Wachholder

Hallo Alessa,
respektvoller gebrauch ... ;-)
thymian schmeckt auch nicht, wenn man den löffelweise futtert.

lg
die dohle
 



 
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