Tarzan und der Affe

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knychen

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Tarzan und der Affel

Der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, heißt Wildau. Er liegt an der behäbig auf Berlin zufließenden Dahme, hat einen Ortsteil namens Hoherlehme und als Äquivalent auf der anderen Seite des Flusses die Gemeinde Niederlehme. Diese Informationen sollten ausreichen, sich ein Bild von der umgebenden Landschaft zu machen – grüne Wiesen, erlengesäumte manchmal sumpfige Ufer mit dahinter ansteigendem Gelände und lehmigen Böden. Ein Produkt der letzten Eiszeit und für uns damals als Kinder ein Traum von Abenteuerspielplatz.
Ich war ungefähr acht Jahre alt und es war in den zweimonatigen Sommerferien, als ich einen heißen Tag allein spielend an einer der alten und winzigen Tongruben verbrachte. Dieses Wasserloch heißt Rötepuhl und befindet sich auf einem Acker in leichter Hanglage; hat also ein flaches und ein steiles Ufer.
In der Nacht zuvor hatte es kräftig geregnet. Auf dem schmalen Weg rund um den Puhl stand in den Schatten der Weiden noch hier und da ein Rest des Niederschlages in kleinen Pfützen und das Ufer war rutschig.
Ich war barfuß unterwegs, hatte mein Turnhemd an irgendeinen Uferbaum gehängt und trug nur noch eine für die damalige Zeit übliche flattrige Turnhose.
Vermutlich bestand mein Zeitvertreib aus dem Fangen von Stichlingen und Wasserläufern; aus dem Bauen von schmalen Lehmwällen im flachen Wasser, um meinen Fang längere Zeit beobachten zu können; aus dem faszinierenden Erleben am eigenen Leib, wenn ein Blutegel die Beute wittert, sich am Spann des Fußes festsaugt, langsam aufquillt und sich schließlich satt und rund löst und auf den Grund des Tümpels zum Verdauen zurück sinkt. Mitunter beobachtete ich auch aus allernächster Nähe eine Mücke, die an meinem Arm durch die gebräunte Haut stach, sich ebenfalls ihren Anteil Blut holte und nicht ganz so leichtfüßig von dannen flog wie sie gekommen war. Meist jedoch störten die Mücken und ich wischte sie mit kurzen Handbewegungen davon.
Da das Ufer nur auf der steilen Seite aus dem namensgebenden roten Lehm, auf der anderen Seite jedoch aus grauem bis grünlichem Ton bestand, hatte mein Körper – speziell das Gesicht – durch diese viele Wischerei eine vermutlich perfekte Tarnfarbe angenommen. Wie perfekt, erkannte ich erst, als ich auf einer der alten über das Wasser geneigten Trauerweiden saß und mein eigenes Spiegelbild unter mir suchte.
Die Weide stand so schräg, dass ich den Stamm hätte hinauf rennen können. Das Sich-Fortbewegen in und an und auf Bäumen war für mich eine völlig normale Art der Fortbewegung. Meine Zehen und Hände und Finger funktionierten dabei in vollendeter Harmonie, ich war durchtrainiert wie Tarzan und in meiner kindlichen Welt WAR ich Tarzan.
Wie gesagt, die Weide stand schräg genug für einen Spaziergang den Stamm hinauf und deshalb hatte ich natürlich einen anderen Weg gewählt.
Mit einem langen Stock hatte ich mir eine gute Handvoll der lang herabhängenden Zweige eingefangen, dieses Bündel soweit oben wie möglich gegriffen, mich auf den Stamm des Baumes gestellt und schließlich mit viel Schwung seitlich abgestoßen. In kühnem Bogen wollte ich übers Wasser schwingen und einen der dickeren Äste erreichen, die weiter oben aus dem Stamm ragten und durch die allmähliche Neigung sozusagen nach unten wuchsen.
Es gelang nicht ganz. Ich pendelte ein wenig über dem Wasser und musste noch zwei, drei Armlängen wie an einem Seil nach oben klettern, bevor ich zwischen mehreren fast parallel verlaufenden Ästen wie auf einem Liegestuhl einen bequemen Platz fand und irgendwann mein Spiegelbild suchte. Das Bündel Weidenzweige zog ich zu mir herauf und schlang es lose um den Rest eines abgebrochenen Astes.
Plötzlich erklang ein fernes blechernes Klappern, das allmählich näherkam.
Reglos lag ich in meinem Baumlager und erkannte bald einen Mann – etwa so alt wie mein Vater – der ein altes Fahrrad neben sich her schiebend mit einem Rucksack auf dem Rücken genau auf meinen Baum zu gelaufen kam. An die Stange des Rades hatte er ein Futteral aus grünem Stoff gebunden, in dem sich zweifelsohne Angelruten befinden würden.
Der Mann trug einen verwaschenen blauen Arbeitsanzug mit offener Jacke. Darunter erkannte ich ein fleckiges weißes Unterhemd. Auf dem Kopf saß ein schwarzglänzender Hut mit schmaler Krempe, wie ihn damals jeder zweite erwachsene Mann beim Arbeiten im Garten, beim Angeln oder beim abendlichen gemeinsamen Biertrinken trug. Unter dem Hut hervor sträubten sich schwarze struppige Haare, die an den Koteletten in einen Vollbart übergingen, der noch zu kurz war, um schon struppig zu sein. Seine Kinnpartie war enorm breit, was durch den Bart noch verstärkt wurde und das Kinn selbst hatte er irgendwie ständig ein wenig nach vorn gereckt.
‚Wie ein Affe! ‘ schoss es mir durch den Kopf, als ich den Mann von Nahem sah.
Der Mann lehnte sein Rad an meine Weide und ließ den Rucksack ins Gras plumpsen. Es klirrte leicht. Dann zog er seine Jacke aus und warf sie lose über den Sattel des Rades. Er knüpperte das Rutenfutteral ab und ließ zwei zusammensteckbare Stippruten herausrutschen. Aus dem Rucksack nahm er einen Klapphocker, stöhnte leise beim Setzen und holte weiterhin eine große weiße Plastebüchse und eine kleine Grüne hervor.
, Material zum Anfüttern in der Großen und Regenwürmer oder Maden in der Kleinen‘ , dachte ich mir. Der Mann öffnete die weiße Büchse und warf mit zwei drei Schwüngen irgendein Futtergemisch etwa fünf Meter in den Teich hinein.
, Ruten zusammen stecken, Tiefe loten, Köder ran, Ruhe und warten! ‘ gab ich in Gedanken meine Anweisungen an diesen fremden Mann und war somit schon wieder in einem völlig neuen und sehr aufregenden Spiel gefangen. Der Angler gehorchte auf das gedachte Wort, was aber kein Wunder war. Schließlich ging in unserer Familie jeder angeln und die üblichen Tätigkeiten bei Ankunft am Wasser waren nicht sehr zu variieren.
Bevor der Mann seine erste Rute beködert auswarf, schaute er sich etwas am Boden suchend um.
, Rutenhalter schnitzen! ‘ funkte ich in seinen Kopf. Sein Blick erhellte sich, als er den Stock entdeckte, mit dem ich mir das Bündel Weidenzweige geangelt hatte. Er zerschnitt den Stock, stach ein ypsilonförmiges Stück einen halben Meter vom Ufer entfernt in den Teichgrund und ein Stück, das aussah wie eine Eins direkt in den weichen Boden am Ufer. Dann platzierte er die Angel, setzte sich auf seinen Hocker, griff in eine Seitentasche des Rucksackes und holte eine Flasche Bier heraus. Er legte seinen Hut ab und der Ring ganz glatt am Kopf anliegender Haare oberhalb der verstrubbelten Haare, die unter dem Hut hervorgeschaut hatten, ließen mich wieder nur denken:
, wie ein Affe! ‘
Nun griff er in die Hosentasche und holte ein Schlüsselbund heraus, an dem sich ein einfacher Flaschenöffner befand. Er stieß ein wohliges „Aaahh!“ aus, entkorkte die Flasche mit links, schob das Kinn noch ein wenig vor, hob den Blick zum Himmel, setzte die Flasche an und stutze.
Dies war der Moment, in dem er mich in meinem Versteck im Baum entdeckte. Wahrscheinlich aber noch nicht mich selbst, sondern nur ein paar Augen, die ihn beobachteten. Ich sah seine Augenbrauen miteinander verschmelzen, hörte ein selbstzweifelndes fragendes „Hm?“ und beschloss, mein Versteck zu verlassen.
Der Weg über den Stamm hätte über das Fahrrad und die Jacke des Mannes geführt und so wie die Jacke da hingeworfen halb auf dem Stamm und halb über den Sattel gebreitet lag, wär ich mit den Füßen darüber gelatscht und das hätte Ärger bedeuten können. Also wählte ich den Tarzanweg.
Ich griff mir meine Liane vom Aststubben, ließ mich aus meiner Liegeposition in den Raum darunter gleiten und nutzte den Schwung in Richtung Ufer. Dort warf ich meine modderbeschmierten Beine weit nach vorn, ließ meine Liane los und flog das letzte Stück mit durchgebogenem Rücken und flatternder Turnhose durch die Luft.
Vom Augenblick des Herabgleitens aus meinem Baumlager bis zum Flug ans Ufer hatte der Mann den rechten Arm samt Bierflasche ein wenig vom Gesicht entfernt, sich dafür mit der linken an die Brust gegriffen und mehrmals kurz hintereinander ein „hu….hu…hu!“ ausgestoßen, das den Affeneindruck noch verstärkte.
Ich landete passgenau in einer der wenigen noch vorhandenen Pfützen. Passgenau deshalb, weil sie wirklich nicht größer war als die Standfläche meiner Füße. Beim Landen entfuhr mir ein angestrengtes „Uff!“, unter meinen Füßen machte es „Zwtsch!“ oder so und der Mann zuckte getroffen zusammen. Sein linker Arm schoss zum Gesicht und mit dem Daumenballen begann er hektisch das rechte Auge auszuwischen.
Jetzt rächte sich auch das Plumpsenlassen des Rucksackes. Aus seiner Bierflasche begann es stetig zu schäumen.
Mir war klar, dass er das nicht sehen konnte – er war ja auch mit seinem rechten Auge beschäftigt und so krähte ich hilfsbereit ein „Det Bier schäumt üba!“ zu ihm.
Reflexartig riss er die Flasche zum Mund, kreuzte dabei den das Gesicht bearbeitende linken Arm und verfehlte schwungvoll den richtigen Ansatzpunkt zum Trinken. Es klirrte wieder leicht, als er die Flaschenöffnung irgendwo im mit Schaum verschmierten Bart gegen die Zähne und wohl auch auf die Lippe knallte. Bestimmt tat es auch weh, denn mit noch mehr Schwung riss er die Flasche wieder vom Gesicht und begeistert folgte mein Blick dem Bogen der weißen Schaumflöckchen.
„Hier schäumt gleich noch wat andret üba!...duuu…duuu….“kam es erst grollend, dann immer lauter werdend von dem Mann und wie zur Unterstreichung dieser Aussage spritzte auch aus seinem Mund oder Bart der weiße Schaum.
Das „duu…“ von ihm klang irgendwie fragend, als wüßte er noch nicht recht, wie er mich bezeichnen sollte, als suchte er ein passendes Wort, aber am Tonfall hatte ich schon erkannt, dass es nichts Nettes werden würde. Ich zeigte dem Mann meine nackten Hacken, rannte die zehn Schritte zum Maisfeld hinauf und dort konnte ich nicht anders. Ich drehte mich zu ihm um, nahm eine leicht gebückte Haltung ein, krümmte meine Arme seitlich wie ein Eimerträger am Körper entlang, bewegte die gekrümmten Hände rauf und runter und stieß wie er vorhin in der mir möglichsten Tontiefe ein „hu…hu…hu“ aus.
Er hatte endlich ein passendes Wort gefunden.
„Duu…Rotzlöffel…duuu!!“ brüllte er mit beachtlicher Lautstärke. Ich sah, wie der Arm mit der Bierflasche in der Hand ausholte und schon war ich im Dschungel des Maisfeldes verschwunden.
Ein „ffft…ffft…ffft“ erklang in der Luft, ein Geräusch von Glas auf Erde folgte weit vor mir und ein Tröpfchen Bier traf mich auf der Schulter – das war’s.
‚So ein Affe‘ dachte ich ein letztes Mal.
 

knychen

Mitglied
Tarzan und der Affe

Der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, heißt Wildau. Er liegt an der behäbig auf Berlin zufließenden Dahme, hat einen Ortsteil namens Hoherlehme und als Äquivalent auf der anderen Seite des Flusses die Gemeinde Niederlehme. Diese Informationen sollten ausreichen, sich ein Bild von der umgebenden Landschaft zu machen – grüne Wiesen, erlengesäumte manchmal sumpfige Ufer mit dahinter ansteigendem Gelände und lehmigen Böden. Ein Produkt der letzten Eiszeit und für uns damals als Kinder ein Traum von Abenteuerspielplatz.
Ich war ungefähr acht Jahre alt und es war in den zweimonatigen Sommerferien, als ich einen heißen Tag allein spielend an einer der alten und winzigen Tongruben verbrachte. Dieses Wasserloch heißt Rötepuhl und befindet sich auf einem Acker in leichter Hanglage; hat also ein flaches und ein steiles Ufer.
In der Nacht zuvor hatte es kräftig geregnet. Auf dem schmalen Weg rund um den Puhl stand in den Schatten der Weiden noch hier und da ein Rest des Niederschlages in kleinen Pfützen und das Ufer war rutschig.
Ich war barfuß unterwegs, hatte mein Turnhemd an irgendeinen Uferbaum gehängt und trug nur noch eine für die damalige Zeit übliche flattrige Turnhose.
Vermutlich bestand mein Zeitvertreib aus dem Fangen von Stichlingen und Wasserläufern; aus dem Bauen von schmalen Lehmwällen im flachen Wasser, um meinen Fang längere Zeit beobachten zu können; aus dem faszinierenden Erleben am eigenen Leib, wenn ein Blutegel die Beute wittert, sich am Spann des Fußes festsaugt, langsam aufquillt und sich schließlich satt und rund löst und auf den Grund des Tümpels zum Verdauen zurück sinkt. Mitunter beobachtete ich auch aus allernächster Nähe eine Mücke, die an meinem Arm durch die gebräunte Haut stach, sich ebenfalls ihren Anteil Blut holte und nicht ganz so leichtfüßig von dannen flog wie sie gekommen war. Meist jedoch störten die Mücken und ich wischte sie mit kurzen Handbewegungen davon.
Da das Ufer nur auf der steilen Seite aus dem namensgebenden roten Lehm, auf der anderen Seite jedoch aus grauem bis grünlichem Ton bestand, hatte mein Körper – speziell das Gesicht – durch diese viele Wischerei eine vermutlich perfekte Tarnfarbe angenommen. Wie perfekt, erkannte ich erst, als ich auf einer der alten über das Wasser geneigten Trauerweiden saß und mein eigenes Spiegelbild unter mir suchte.
Die Weide stand so schräg, dass ich den Stamm hätte hinauf rennen können. Das Sich-Fortbewegen in und an und auf Bäumen war für mich eine völlig normale Art der Fortbewegung. Meine Zehen und Hände und Finger funktionierten dabei in vollendeter Harmonie, ich war durchtrainiert wie Tarzan und in meiner kindlichen Welt WAR ich Tarzan.
Wie gesagt, die Weide stand schräg genug für einen Spaziergang den Stamm hinauf und deshalb hatte ich natürlich einen anderen Weg gewählt.
Mit einem langen Stock hatte ich mir eine gute Handvoll der lang herabhängenden Zweige eingefangen, dieses Bündel soweit oben wie möglich gegriffen, mich auf den Stamm des Baumes gestellt und schließlich mit viel Schwung seitlich abgestoßen. In kühnem Bogen wollte ich übers Wasser schwingen und einen der dickeren Äste erreichen, die weiter oben aus dem Stamm ragten und durch die allmähliche Neigung sozusagen nach unten wuchsen.
Es gelang nicht ganz. Ich pendelte ein wenig über dem Wasser und musste noch zwei, drei Armlängen wie an einem Seil nach oben klettern, bevor ich zwischen mehreren fast parallel verlaufenden Ästen wie auf einem Liegestuhl einen bequemen Platz fand und irgendwann mein Spiegelbild suchte. Das Bündel Weidenzweige zog ich zu mir herauf und schlang es lose um den Rest eines abgebrochenen Astes.
Plötzlich erklang ein fernes blechernes Klappern, das allmählich näherkam.
Reglos lag ich in meinem Baumlager und erkannte bald einen Mann – etwa so alt wie mein Vater – der ein altes Fahrrad neben sich her schiebend mit einem Rucksack auf dem Rücken genau auf meinen Baum zu gelaufen kam. An die Stange des Rades hatte er ein Futteral aus grünem Stoff gebunden, in dem sich zweifelsohne Angelruten befinden würden.
Der Mann trug einen verwaschenen blauen Arbeitsanzug mit offener Jacke. Darunter erkannte ich ein fleckiges weißes Unterhemd. Auf dem Kopf saß ein schwarzglänzender Hut mit schmaler Krempe, wie ihn damals jeder zweite erwachsene Mann beim Arbeiten im Garten, beim Angeln oder beim abendlichen gemeinsamen Biertrinken trug. Unter dem Hut hervor sträubten sich schwarze struppige Haare, die an den Koteletten in einen Vollbart übergingen, der noch zu kurz war, um schon struppig zu sein. Seine Kinnpartie war enorm breit, was durch den Bart noch verstärkt wurde und das Kinn selbst hatte er irgendwie ständig ein wenig nach vorn gereckt.
‚Wie ein Affe! ‘ schoss es mir durch den Kopf, als ich den Mann von Nahem sah.
Der Mann lehnte sein Rad an meine Weide und ließ den Rucksack ins Gras plumpsen. Es klirrte leicht. Dann zog er seine Jacke aus und warf sie lose über den Sattel des Rades. Er knüpperte das Rutenfutteral ab und ließ zwei zusammensteckbare Stippruten herausrutschen. Aus dem Rucksack nahm er einen Klapphocker, stöhnte leise beim Setzen und holte weiterhin eine große weiße Plastebüchse und eine kleine Grüne hervor.
, Material zum Anfüttern in der Großen und Regenwürmer oder Maden in der Kleinen‘ , dachte ich mir. Der Mann öffnete die weiße Büchse und warf mit zwei drei Schwüngen irgendein Futtergemisch etwa fünf Meter in den Teich hinein.
, Ruten zusammen stecken, Tiefe loten, Köder ran, Ruhe und warten! ‘ gab ich in Gedanken meine Anweisungen an diesen fremden Mann und war somit schon wieder in einem völlig neuen und sehr aufregenden Spiel gefangen. Der Angler gehorchte auf das gedachte Wort, was aber kein Wunder war. Schließlich ging in unserer Familie jeder angeln und die üblichen Tätigkeiten bei Ankunft am Wasser waren nicht sehr zu variieren.
Bevor der Mann seine erste Rute beködert auswarf, schaute er sich etwas am Boden suchend um.
, Rutenhalter schnitzen! ‘ funkte ich in seinen Kopf. Sein Blick erhellte sich, als er den Stock entdeckte, mit dem ich mir das Bündel Weidenzweige geangelt hatte. Er zerschnitt den Stock, stach ein ypsilonförmiges Stück einen halben Meter vom Ufer entfernt in den Teichgrund und ein Stück, das aussah wie eine Eins direkt in den weichen Boden am Ufer. Dann platzierte er die Angel, setzte sich auf seinen Hocker, griff in eine Seitentasche des Rucksackes und holte eine Flasche Bier heraus. Er legte seinen Hut ab und der Ring ganz glatt am Kopf anliegender Haare oberhalb der verstrubbelten Haare, die unter dem Hut hervorgeschaut hatten, ließen mich wieder nur denken:
, wie ein Affe! ‘
Nun griff er in die Hosentasche und holte ein Schlüsselbund heraus, an dem sich ein einfacher Flaschenöffner befand. Er stieß ein wohliges „Aaahh!“ aus, entkorkte die Flasche mit links, schob das Kinn noch ein wenig vor, hob den Blick zum Himmel, setzte die Flasche an und stutzte.
Dies war der Moment, in dem er mich in meinem Versteck im Baum entdeckte. Wahrscheinlich aber noch nicht mich selbst, sondern nur ein paar Augen, die ihn beobachteten. Ich sah seine Augenbrauen miteinander verschmelzen, hörte ein selbstzweifelndes fragendes „Hm?“ und beschloss, mein Versteck zu verlassen.
Der Weg über den Stamm hätte über das Fahrrad und die Jacke des Mannes geführt und so wie die Jacke da hingeworfen halb auf dem Stamm und halb über den Sattel gebreitet lag, wär ich mit den Füßen darüber gelatscht und das hätte Ärger bedeuten können. Also wählte ich den Tarzanweg.
Ich griff mir meine Liane vom Aststubben, ließ mich aus meiner Liegeposition in den Raum darunter gleiten und nutzte den Schwung in Richtung Ufer. Dort warf ich meine modderbeschmierten Beine weit nach vorn, ließ meine Liane los und flog das letzte Stück mit durchgebogenem Rücken und flatternder Turnhose durch die Luft.
Vom Augenblick des Herabgleitens aus meinem Baumlager bis zum Flug ans Ufer hatte der Mann den rechten Arm samt Bierflasche ein wenig vom Gesicht entfernt, sich dafür mit der linken an die Brust gegriffen und mehrmals kurz hintereinander ein „hu….hu…hu!“ ausgestoßen, das den Affeneindruck noch verstärkte.
Ich landete passgenau in einer der wenigen noch vorhandenen Pfützen. Passgenau deshalb, weil sie wirklich nicht größer war als die Standfläche meiner Füße. Beim Landen entfuhr mir ein angestrengtes „Uff!“, unter meinen Füßen machte es „Zwtsch!“ oder so und der Mann zuckte getroffen zusammen. Sein linker Arm schoss zum Gesicht und mit dem Daumenballen begann er hektisch das rechte Auge auszuwischen.
Jetzt rächte sich auch das Plumpsenlassen des Rucksackes. Aus seiner Bierflasche begann es stetig zu schäumen.
Mir war klar, dass er das nicht sehen konnte – er war ja auch mit seinem rechten Auge beschäftigt und so krähte ich hilfsbereit ein „Det Bier schäumt üba!“ zu ihm.
Reflexartig riss er die Flasche zum Mund, kreuzte dabei den das Gesicht bearbeitenden linken Arm und verfehlte schwungvoll den richtigen Ansatzpunkt zum Trinken. Es klirrte wieder leicht, als er die Flaschenöffnung irgendwo im mit Schaum verschmierten Bart gegen die Zähne und wohl auch auf die Lippe knallte. Bestimmt tat es auch weh, denn mit noch mehr Schwung riss er die Flasche wieder vom Gesicht und begeistert folgte mein Blick dem Bogen der weißen Schaumflöckchen.
„Hier schäumt gleich noch wat andret üba!...duuu…duuu….“kam es erst grollend, dann immer lauter werdend von dem Mann und wie zur Unterstreichung dieser Aussage spritzte auch aus seinem Mund oder Bart der weiße Schaum.
Das „duu…“ von ihm klang irgendwie fragend, als wüßte er noch nicht recht, wie er mich bezeichnen sollte, als suchte er ein passendes Wort, aber am Tonfall hatte ich schon erkannt, dass es nichts Nettes werden würde. Ich zeigte dem Mann meine nackten Hacken, rannte die zehn Schritte zum Maisfeld hinauf und dort konnte ich nicht anders. Ich drehte mich zu ihm um, nahm eine leicht gebückte Haltung ein, krümmte meine Arme seitlich wie ein Eimerträger am Körper entlang, bewegte die gekrümmten Hände rauf und runter und stieß wie er vorhin in der mir möglichsten Tontiefe ein „hu…hu…hu“ aus.
Er hatte endlich ein passendes Wort gefunden.
„Duu…Rotzlöffel…duuu!!“ brüllte er mit beachtlicher Lautstärke. Ich sah, wie der Arm mit der Bierflasche in der Hand ausholte und schon war ich im Dschungel des Maisfeldes verschwunden.
Ein „ffft…ffft…ffft“ erklang in der Luft, ein Geräusch von Glas auf Erde folgte weit vor mir und ein Tröpfchen Bier traf mich auf der Schulter – das war’s.
‚So ein Affe‘ dachte ich ein letztes Mal.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Knychen,

eine wunderschöne Kindheitsgeschichte hast Du da bis in alle Einzelheiten sehr malerisch geschildert.
Was mich stutzig macht: Hattet Ihr wirklich zwei Monate Sommerferien? Beneidenswert, ich hatte, soweit ich mich erinnere, nur sechs Wochen.

Das Lesen hat Spaß gemacht!

Gruß Ciconia
 

knychen

Mitglied
Also zwei Kalendermonate waren es nicht, aber acht Wochen am Stück immer im Sommer. Ob das nun beneidenswert war - hm? Ich fand es immer extrem zu kurz.
Vor allem zum Ende hin.
Schön, wenn die Geschichte gefallen hat.
Gruß aus Berlin.
knychen
 

knychen

Mitglied
Tarzan und der Affe

Der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, heißt Wildau. Er liegt an der behäbig auf Berlin zufließenden Dahme, hat einen Ortsteil namens Hoherlehme und als Äquivalent auf der anderen Seite des Flusses die Gemeinde Niederlehme. Diese Informationen sollten ausreichen, sich ein Bild von der umgebenden Landschaft zu machen – grüne Wiesen, erlengesäumte manchmal sumpfige Ufer mit dahinter ansteigendem Gelände und lehmigen Böden. Ein Produkt der letzten Eiszeit und für uns damals als Kinder ein Traum von Abenteuerspielplatz.
Ich war ungefähr acht Jahre alt und es war in den zweimonatigen Sommerferien, als ich einen heißen Tag allein spielend an einer der alten und winzigen Tongruben verbrachte. Dieses Wasserloch heißt Rötepuhl und befindet sich auf einem Acker in leichter Hanglage; hat also ein flaches und ein steiles Ufer.
In der Nacht zuvor hatte es kräftig geregnet. Auf dem schmalen Weg rund um den Puhl stand in den Schatten der Weiden noch hier und da ein Rest des Niederschlages in kleinen Pfützen und das Ufer war rutschig.
Ich war barfuß unterwegs, hatte mein Turnhemd an irgendeinen Uferbaum gehängt und trug nur noch eine für die damalige Zeit übliche flattrige Turnhose.
Vermutlich bestand mein Zeitvertreib aus dem Fangen von Stichlingen und Wasserläufern; aus dem Bauen von schmalen Lehmwällen im flachen Wasser, um meinen Fang längere Zeit beobachten zu können; aus dem faszinierenden Erleben am eigenen Leib, wenn ein Blutegel die Beute wittert, sich am Spann des Fußes festsaugt, langsam aufquillt und sich schließlich satt und rund löst und auf den Grund des Tümpels zum Verdauen zurück sinkt. Mitunter beobachtete ich auch aus allernächster Nähe eine Mücke, die an meinem Arm durch die gebräunte Haut stach, sich ebenfalls ihren Anteil Blut holte und nicht ganz so leichtfüßig von dannen flog wie sie gekommen war. Meist jedoch störten die Mücken und ich wischte sie mit kurzen Handbewegungen davon.
Da das Ufer nur auf der steilen Seite aus dem namensgebenden roten Lehm, auf der anderen Seite jedoch aus grauem bis grünlichem Ton bestand, hatte mein Körper – speziell das Gesicht – durch diese viele Wischerei eine vermutlich perfekte Tarnfarbe angenommen. Wie perfekt, erkannte ich erst, als ich auf einer der alten über das Wasser geneigten Trauerweiden saß und mein eigenes Spiegelbild unter mir suchte.
Die Weide stand so schräg, dass ich den Stamm hätte hinauf rennen können. Das Sich-Fortbewegen in und an und auf Bäumen war für mich eine völlig normale Art der Fortbewegung. Meine Zehen und Hände und Finger funktionierten dabei in vollendeter Harmonie, ich war durchtrainiert wie Tarzan und in meiner kindlichen Welt WAR ich Tarzan.
Wie gesagt, die Weide stand schräg genug für einen Spaziergang den Stamm hinauf und deshalb hatte ich natürlich einen anderen Weg gewählt.
Mit einem langen Stock hatte ich mir eine gute Handvoll der lang herabhängenden Zweige eingefangen, dieses Bündel soweit oben wie möglich gegriffen, mich auf den Stamm des Baumes gestellt und schließlich mit viel Schwung seitlich abgestoßen. In kühnem Bogen wollte ich übers Wasser schwingen und einen der dickeren Äste erreichen, die weiter oben aus dem Stamm ragten und durch die allmähliche Neigung sozusagen nach unten wuchsen.
Es gelang nicht ganz. Ich pendelte ein wenig über dem Wasser und musste noch zwei, drei Armlängen wie an einem Seil nach oben klettern, bevor ich zwischen mehreren fast parallel verlaufenden Ästen wie auf einem Liegestuhl einen bequemen Platz fand und irgendwann mein Spiegelbild suchte. Das Bündel Weidenzweige zog ich zu mir herauf und schlang es lose um den Rest eines abgebrochenen Astes.
Plötzlich erklang ein fernes blechernes Klappern, das allmählich näherkam.
Reglos lag ich in meinem Baumlager und erkannte bald einen Mann – etwa so alt wie mein Vater – der ein altes Fahrrad neben sich her schiebend mit einem Rucksack auf dem Rücken genau auf meinen Baum zu gelaufen kam. An die Stange des Rades hatte er ein Futteral aus grünem Stoff gebunden, in dem sich zweifelsohne Angelruten befinden würden.
Der Mann trug einen verwaschenen blauen Arbeitsanzug mit offener Jacke. Darunter erkannte ich ein fleckiges weißes Unterhemd. Auf dem Kopf saß ein schwarzglänzender Hut mit schmaler Krempe, wie ihn damals jeder zweite erwachsene Mann beim Arbeiten im Garten, beim Angeln oder beim abendlichen gemeinsamen Biertrinken trug. Unter dem Hut hervor sträubten sich schwarze struppige Haare, die an den Koteletten in einen Vollbart übergingen, der noch zu kurz war, um schon struppig zu sein. Seine Kinnpartie war enorm breit, was durch den Bart noch verstärkt wurde und das Kinn selbst hatte er irgendwie ständig ein wenig nach vorn gereckt.
‚Wie ein Affe! ‘ schoss es mir durch den Kopf, als ich den Mann von Nahem sah.
Der Mann lehnte sein Rad an meine Weide und ließ den Rucksack ins Gras plumpsen. Es klirrte leicht. Dann zog er seine Jacke aus und warf sie lose über den Sattel des Rades. Er knüpperte das Rutenfutteral ab und ließ zwei zusammensteckbare Stippruten herausrutschen. Aus dem Rucksack nahm er einen Klapphocker, stöhnte leise beim Setzen und holte weiterhin eine große weiße Plastebüchse und eine kleine Grüne hervor.
, Material zum Anfüttern in der Großen und Regenwürmer oder Maden in der Kleinen‘ , dachte ich mir. Der Mann öffnete die weiße Büchse und warf mit zwei drei Schwüngen irgendein Futtergemisch etwa fünf Meter in den Teich hinein.
, Ruten zusammen stecken, Tiefe loten, Köder ran, Ruhe und warten! ‘ gab ich in Gedanken meine Anweisungen an diesen fremden Mann und war somit schon wieder in einem völlig neuen und sehr aufregenden Spiel gefangen. Der Angler gehorchte auf das gedachte Wort, was aber kein Wunder war. Schließlich ging in unserer Familie jeder angeln und die üblichen Tätigkeiten bei Ankunft am Wasser waren nicht sehr zu variieren.
Bevor der Mann seine erste Rute beködert auswarf, schaute er sich etwas am Boden suchend um.
, Rutenhalter schnitzen! ‘ funkte ich in seinen Kopf. Sein Blick erhellte sich, als er den Stock entdeckte, mit dem ich mir das Bündel Weidenzweige geangelt hatte. Er zerschnitt den Stock, stach ein ypsilonförmiges Stück einen halben Meter vom Ufer entfernt in den Teichgrund und ein Stück, das aussah wie eine Eins direkt in den weichen Boden am Ufer. Dann platzierte er die Angel, setzte sich auf seinen Hocker, griff in eine Seitentasche des Rucksackes und holte eine Flasche Bier heraus. Er legte seinen Hut ab und der Ring ganz glatt am Kopf anliegender Haare oberhalb der verstrubbelten Haare, die unter dem Hut hervorgeschaut hatten, ließen mich wieder nur denken:
, wie ein Affe! ‘
Nun griff er in die Hosentasche und holte ein Schlüsselbund heraus, an dem sich ein einfacher Flaschenöffner befand. Er stieß ein wohliges „Aaahh!“ aus, entkorkte die Flasche mit links, schob das Kinn noch ein wenig vor, hob den Blick zum Himmel, setzte die Flasche an und stutzte.
Dies war der Moment, in dem er mich in meinem Versteck im Baum entdeckte. Wahrscheinlich aber noch nicht mich selbst, sondern nur ein paar Augen, die ihn beobachteten. Ich sah seine Augenbrauen miteinander verschmelzen, hörte ein selbstzweifelndes fragendes „Hm?“ und beschloss, mein Versteck zu verlassen.
Der Weg über den Stamm hätte über das Fahrrad und die Jacke des Mannes geführt und so wie die Jacke da hingeworfen halb auf dem Stamm und halb über den Sattel gebreitet lag, wär ich mit den Füßen darüber gelatscht und das hätte Ärger bedeuten können. Also wählte ich den Tarzanweg.
Ich griff mir meine Liane vom Aststubben, ließ mich aus meiner Liegeposition in den Raum darunter gleiten und nutzte den Schwung in Richtung Ufer. Dort warf ich meine modderbeschmierten Beine weit nach vorn, ließ meine Liane los und flog das letzte Stück mit durchgebogenem Rücken und flatternder Turnhose durch die Luft.
Vom Augenblick des Herabgleitens aus meinem Baumlager bis zum Flug ans Ufer hatte der Mann den rechten Arm samt Bierflasche ein wenig vom Gesicht entfernt, sich dafür mit der linken an die Brust gegriffen und mehrmals kurz hintereinander ein „hu….hu…hu!“ ausgestoßen, das den Affeneindruck noch verstärkte.
Ich landete passgenau in einer der wenigen noch vorhandenen Pfützen. Passgenau deshalb, weil sie wirklich nicht größer war als die Standfläche meiner Füße. Beim Landen entfuhr mir ein angestrengtes „Uff!“, unter meinen Füßen machte es „Zwtsch!“ oder so und der Mann zuckte getroffen zusammen. Sein linker Arm schoss zum Gesicht und mit dem Daumenballen begann er hektisch das rechte Auge auszuwischen.
Jetzt rächte sich auch das Plumpsenlassen des Rucksackes. Aus seiner Bierflasche begann es stetig zu schäumen.
Mir war klar, dass er das nicht sehen konnte – er war ja auch mit seinem rechten Auge beschäftigt und so krähte ich hilfsbereit ein „Det Bier schäumt üba!“ zu ihm.
Reflexartig riss er die Flasche zum Mund, kreuzte dabei den das Gesicht bearbeitenden linken Arm und verfehlte schwungvoll den richtigen Ansatzpunkt zum Trinken. Es klirrte wieder leicht, als er die Flaschenöffnung irgendwo im mit Schaum verschmierten Bart gegen die Zähne und wohl auch auf die Lippe knallte. Bestimmt tat es auch weh, denn mit noch mehr Schwung riss er die Flasche wieder vom Gesicht und begeistert folgte mein Blick dem Bogen der weißen Schaumflöckchen.
„Hier schäumt gleich noch wat andret üba!...duuu…duuu….“kam es erst grollend, dann immer lauter werdend von dem Mann und wie zur Unterstreichung dieser Aussage spritzte auch aus seinem Mund oder Bart der weiße Schaum.
Das „duu…“ von ihm klang irgendwie fragend, als wüßte er noch nicht recht, wie er mich bezeichnen sollte, als suchte er ein passendes Wort, aber am Tonfall hatte ich schon erkannt, dass es nichts Nettes werden würde. Ich zeigte dem Mann meine nackten Hacken, rannte die zehn Schritte zum Maisfeld hinauf und dort konnte ich nicht anders. Ich drehte mich zu ihm um, nahm eine leicht gebückte Haltung ein, krümmte meine Arme seitlich wie ein Eimerträger am Körper entlang, bewegte die gekrümmten Hände rauf und runter und stieß wie er vorhin mit den tiefsten mir möglichen Tönen ein „hu…hu…hu“ aus.
Er hatte endlich ein passendes Wort gefunden.
„Duu…Rotzlöffel…duuu!!“ brüllte er mit beachtlicher Lautstärke. Ich sah, wie der Arm mit der Bierflasche in der Hand ausholte und schon war ich im Dschungel des Maisfeldes verschwunden.
Ein „ffft…ffft…ffft“ erklang in der Luft, ein Geräusch von Glas auf Erde folgte weit vor mir und ein Tröpfchen Bier traf mich auf der Schulter – das war’s.
‚So ein Affe‘ dachte ich ein letztes Mal.
 

molly

Mitglied
Hallo knychen,
Ferien auf dem Lande habe ich mit meinen Kindern erlebt. Es gab im Dorf keinen Spielplatz, aber wir hatten Bäume, eine Schaukel und einen Bach im Garten. Jeder Tag war viel zu kurz. Wenn ich an die Sommerzeit meiner Kinder denke, waren die Tage laut, voller Dreck und sehr spannend. Deine Geschichte hat mich daran erinnert.
:) Gern gelesen!
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo knychen,

ich kann einfach nur staunen, mit welcher Genauigkeit und Anschaulichkeit du Vorgänge, selbst Kleinigkeiten beschreiben kannst. Ich habe die Geschichte mit Interesse und gern gelesen.
Minimale Änderungsvorschläge
Ruten zusammenstecken
das aussah wie eine Eins,(Komma)
"Wie (W) ein Affe."
"So ein Affe", (",) dachte ich ein letztes Mal.
Deine Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede ist für mich etwas ungewohnt.

Liebe Grüße
HelenaSofie
 

knychen

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Tarzan und der Affe

Der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, heißt Wildau. Er liegt an der behäbig auf Berlin zufließenden Dahme, hat einen Ortsteil namens Hoherlehme und als Äquivalent auf der anderen Seite des Flusses die Gemeinde Niederlehme. Diese Informationen sollten ausreichen, sich ein Bild von der umgebenden Landschaft zu machen – grüne Wiesen, erlengesäumte manchmal sumpfige Ufer mit dahinter ansteigendem Gelände und lehmigen Böden. Ein Produkt der letzten Eiszeit und für uns damals als Kinder ein Traum von Abenteuerspielplatz.
Ich war ungefähr acht Jahre alt und es war in den zweimonatigen Sommerferien, als ich einen heißen Tag allein spielend an einer der alten und winzigen Tongruben verbrachte. Dieses Wasserloch heißt Rötepuhl und befindet sich auf einem Acker in leichter Hanglage; hat also ein flaches und ein steiles Ufer.
In der Nacht zuvor hatte es kräftig geregnet. Auf dem schmalen Weg rund um den Puhl stand in den Schatten der Weiden noch hier und da ein Rest des Niederschlages in kleinen Pfützen und das Ufer war rutschig.
Ich war barfuß unterwegs, hatte mein Turnhemd an irgendeinen Uferbaum gehängt und trug nur noch eine für die damalige Zeit übliche flattrige Turnhose.
Vermutlich bestand mein Zeitvertreib aus dem Fangen von Stichlingen und Wasserläufern; aus dem Bauen von schmalen Lehmwällen im flachen Wasser, um meinen Fang längere Zeit beobachten zu können; aus dem faszinierenden Erleben am eigenen Leib, wenn ein Blutegel die Beute wittert, sich am Spann des Fußes festsaugt, langsam aufquillt und sich schließlich satt und rund löst und auf den Grund des Tümpels zum Verdauen zurück sinkt. Mitunter beobachtete ich auch aus allernächster Nähe eine Mücke, die an meinem Arm durch die gebräunte Haut stach, sich ebenfalls ihren Anteil Blut holte und nicht ganz so leichtfüßig von dannen flog wie sie gekommen war. Meist jedoch störten die Mücken und ich wischte sie mit kurzen Handbewegungen davon.
Da das Ufer nur auf der steilen Seite aus dem namensgebenden roten Lehm, auf der anderen Seite jedoch aus grauem bis grünlichem Ton bestand, hatte mein Körper – speziell das Gesicht – durch diese viele Wischerei eine vermutlich perfekte Tarnfarbe angenommen. Wie perfekt, erkannte ich erst, als ich auf einer der alten über das Wasser geneigten Trauerweiden saß und mein eigenes Spiegelbild unter mir suchte.
Die Weide stand so schräg, dass ich den Stamm hätte hinauf rennen können. Das Sich-Fortbewegen in und an und auf Bäumen war für mich eine völlig normale Art der Fortbewegung. Meine Zehen und Hände und Finger funktionierten dabei in vollendeter Harmonie, ich war durchtrainiert wie Tarzan und in meiner kindlichen Welt WAR ich Tarzan.
Wie gesagt, die Weide stand schräg genug für einen Spaziergang den Stamm hinauf und deshalb hatte ich natürlich einen anderen Weg gewählt.
Mit einem langen Stock hatte ich mir eine gute Handvoll der lang herabhängenden Zweige eingefangen, dieses Bündel soweit oben wie möglich gegriffen, mich auf den Stamm des Baumes gestellt und schließlich mit viel Schwung seitlich abgestoßen. In kühnem Bogen wollte ich übers Wasser schwingen und einen der dickeren Äste erreichen, die weiter oben aus dem Stamm ragten und durch die allmähliche Neigung sozusagen nach unten wuchsen.
Es gelang nicht ganz. Ich pendelte ein wenig über dem Wasser und musste noch zwei, drei Armlängen wie an einem Seil nach oben klettern, bevor ich zwischen mehreren fast parallel verlaufenden Ästen wie auf einem Liegestuhl einen bequemen Platz fand und irgendwann mein Spiegelbild suchte. Das Bündel Weidenzweige zog ich zu mir herauf und schlang es lose um den Rest eines abgebrochenen Astes.
Plötzlich erklang ein fernes blechernes Klappern, das allmählich näherkam.
Reglos lag ich in meinem Baumlager und erkannte bald einen Mann – etwa so alt wie mein Vater – der ein altes Fahrrad neben sich her schiebend mit einem Rucksack auf dem Rücken genau auf meinen Baum zu gelaufen kam. An die Stange des Rades hatte er ein Futteral aus grünem Stoff gebunden, in dem sich zweifelsohne Angelruten befinden würden.
Der Mann trug einen verwaschenen blauen Arbeitsanzug mit offener Jacke. Darunter erkannte ich ein fleckiges weißes Unterhemd. Auf dem Kopf saß ein schwarzglänzender Hut mit schmaler Krempe, wie ihn damals jeder zweite erwachsene Mann beim Arbeiten im Garten, beim Angeln oder beim abendlichen gemeinsamen Biertrinken trug. Unter dem Hut hervor sträubten sich schwarze struppige Haare, die an den Koteletten in einen Vollbart übergingen, der noch zu kurz war, um schon struppig zu sein. Seine Kinnpartie war enorm breit, was durch den Bart noch verstärkt wurde und das Kinn selbst hatte er irgendwie ständig ein wenig nach vorn gereckt.
‚Wie ein Affe! ‘ schoss es mir durch den Kopf, als ich den Mann von Nahem sah.
Der Mann lehnte sein Rad an meine Weide und ließ den Rucksack ins Gras plumpsen. Es klirrte leicht. Dann zog er seine Jacke aus und warf sie lose über den Sattel des Rades. Er knüpperte das Rutenfutteral ab und ließ zwei zusammensteckbare Stippruten herausrutschen. Aus dem Rucksack nahm er einen Klapphocker, stöhnte leise beim Setzen und holte weiterhin eine große weiße Plastebüchse und eine kleine Grüne hervor.
, Material zum Anfüttern in der Großen und Regenwürmer oder Maden in der Kleinen‘ , dachte ich mir. Der Mann öffnete die weiße Büchse und warf mit zwei drei Schwüngen irgendein Futtergemisch etwa fünf Meter in den Teich hinein.
, Ruten zusammen stecken, Tiefe loten, Köder ran, Ruhe und warten! ‘ gab ich in Gedanken meine Anweisungen an diesen fremden Mann und war somit schon wieder in einem völlig neuen und sehr aufregenden Spiel gefangen. Der Angler gehorchte auf das gedachte Wort, was aber kein Wunder war. Schließlich ging in unserer Familie jeder angeln und die üblichen Tätigkeiten bei Ankunft am Wasser waren nicht sehr zu variieren.
Bevor der Mann seine erste Rute beködert auswarf, schaute er sich etwas am Boden suchend um.
, Rutenhalter schnitzen! ‘ funkte ich in seinen Kopf. Sein Blick erhellte sich, als er den Stock entdeckte, mit dem ich mir das Bündel Weidenzweige geangelt hatte. Er zerschnitt den Stock, stach ein ypsilonförmiges Stück einen halben Meter vom Ufer entfernt in den Teichgrund und ein Stück, das aussah wie eine Eins direkt in den weichen Boden am Ufer. Dann platzierte er die Angel, setzte sich auf seinen Hocker, griff in eine Seitentasche des Rucksackes und holte eine Flasche Bier heraus. Er legte seinen Hut ab und der Ring ganz glatt am Kopf anliegender Haare oberhalb der verstrubbelten Haare, die unter dem Hut hervorgeschaut hatten, ließen mich wieder nur denken:
, Wie ein Affe! ‘
Nun griff er in die Hosentasche und holte ein Schlüsselbund heraus, an dem sich ein einfacher Flaschenöffner befand. Er stieß ein wohliges „Aaahh!“ aus, entkorkte die Flasche mit links, schob das Kinn noch ein wenig vor, hob den Blick zum Himmel, setzte die Flasche an und stutzte.
Dies war der Moment, in dem er mich in meinem Versteck im Baum entdeckte. Wahrscheinlich aber noch nicht mich selbst, sondern nur ein paar Augen, die ihn beobachteten. Ich sah seine Augenbrauen miteinander verschmelzen, hörte ein selbstzweifelndes fragendes „Hm?“ und beschloss, mein Versteck zu verlassen.
Der Weg über den Stamm hätte über das Fahrrad und die Jacke des Mannes geführt und so wie die Jacke da hingeworfen halb auf dem Stamm und halb über den Sattel gebreitet lag, wär ich mit den Füßen darüber gelatscht und das hätte Ärger bedeuten können. Also wählte ich den Tarzanweg.
Ich griff mir meine Liane vom Aststubben, ließ mich aus meiner Liegeposition in den Raum darunter gleiten und nutzte den Schwung in Richtung Ufer. Dort warf ich meine modderbeschmierten Beine weit nach vorn, ließ meine Liane los und flog das letzte Stück mit durchgebogenem Rücken und flatternder Turnhose durch die Luft.
Vom Augenblick des Herabgleitens aus meinem Baumlager bis zum Flug ans Ufer hatte der Mann den rechten Arm samt Bierflasche ein wenig vom Gesicht entfernt, sich dafür mit der linken an die Brust gegriffen und mehrmals kurz hintereinander ein „hu….hu…hu!“ ausgestoßen, das den Affeneindruck noch verstärkte.
Ich landete passgenau in einer der wenigen noch vorhandenen Pfützen. Passgenau deshalb, weil sie wirklich nicht größer war als die Standfläche meiner Füße. Beim Landen entfuhr mir ein angestrengtes „Uff!“, unter meinen Füßen machte es „Zwtsch!“ oder so und der Mann zuckte getroffen zusammen. Sein linker Arm schoss zum Gesicht und mit dem Daumenballen begann er hektisch das rechte Auge auszuwischen.
Jetzt rächte sich auch das Plumpsenlassen des Rucksackes. Aus seiner Bierflasche begann es stetig zu schäumen.
Mir war klar, dass er das nicht sehen konnte – er war ja auch mit seinem rechten Auge beschäftigt und so krähte ich hilfsbereit ein „Det Bier schäumt üba!“ zu ihm.
Reflexartig riss er die Flasche zum Mund, kreuzte dabei den das Gesicht bearbeitenden linken Arm und verfehlte schwungvoll den richtigen Ansatzpunkt zum Trinken. Es klirrte wieder leicht, als er die Flaschenöffnung irgendwo im mit Schaum verschmierten Bart gegen die Zähne und wohl auch auf die Lippe knallte. Bestimmt tat es auch weh, denn mit noch mehr Schwung riss er die Flasche wieder vom Gesicht und begeistert folgte mein Blick dem Bogen der weißen Schaumflöckchen.
„Hier schäumt gleich noch wat andret üba!...duuu…duuu….“kam es erst grollend, dann immer lauter werdend von dem Mann und wie zur Unterstreichung dieser Aussage spritzte auch aus seinem Mund oder Bart der weiße Schaum.
Das „duu…“ von ihm klang irgendwie fragend, als wüßte er noch nicht recht, wie er mich bezeichnen sollte, als suchte er ein passendes Wort, aber am Tonfall hatte ich schon erkannt, dass es nichts Nettes werden würde. Ich zeigte dem Mann meine nackten Hacken, rannte die zehn Schritte zum Maisfeld hinauf und dort konnte ich nicht anders. Ich drehte mich zu ihm um, nahm eine leicht gebückte Haltung ein, krümmte meine Arme seitlich wie ein Eimerträger am Körper entlang, bewegte die gekrümmten Hände rauf und runter und stieß wie er vorhin mit den tiefsten mir möglichen Tönen ein „hu…hu…hu“ aus.
Er hatte endlich ein passendes Wort gefunden.
„Duu…Rotzlöffel…duuu!!“ brüllte er mit beachtlicher Lautstärke. Ich sah, wie der Arm mit der Bierflasche in der Hand ausholte und schon war ich im Dschungel des Maisfeldes verschwunden.
Ein „ffft…ffft…ffft“ erklang in der Luft, ein Geräusch von Glas auf Erde folgte weit vor mir und ein Tröpfchen Bier traf mich auf der Schulter – das war’s.
‚So ein Affe‘ dachte ich ein letztes Mal.
 

knychen

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Danke...

...für's Feedback.
Mit der Genauigkeit bei der Beschreibung von Erinnerungen ist das so eine Sache - nach meinem Empfinden müsste da nämlich noch viel mehr stehen. Aber ein bisschen Raum für eigene Bilder will ich den Lesern natürlich auch zugestehen.
Wer ähnliche Erinnerungen an die Kindheit hat, hört beim Lesen die fehlenden Geräusche und riecht die Landschaft.
Das will ich erreichen.
Thema Zeichensetzung: ich mach da viel aus dem Bauch heraus bzw so, wie ich "denke", es mal gelernt zu haben.
Man kann solche Geschichten sowieso viel besser in einer vertrauten Runde erzählen und dann betont man an den Stellen, wo Zeichensetzung hingehört und gestikuliert, wo Gestik besser beschreibt als geschriebene Worte.
Ich hoffe, meine ganz persönliche "Zeichensetzung" liegt noch im Rahmen.
Gruß aus Berlin.
knychen
 



 
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