An jenem Tag hatte er beschlossen, nie wieder zu fotografieren. Mühsam und penibel reinigte er das Objektiv und gab das Zubehör in die große Fototasche. Er hatte Kaffee getrunken und wollte zahlen, sobald der Kellner kam.
„Würdest du Bilder von mir machen?“
Er hörte die Worte, den Klang der Stimme, noch bevor er das Wesen vor sich wahrnahm. Die junge Frau setzte sich nieder und blickte ihn an. Er war verwirrt ob der Direktheit und der Nähe der Fremden. Er wollte sich in Oberflächlichkeit flüchten, in Belanglosigkeit, von Aufträgen sprechen, die es nicht gab, von der Zeit, die er nicht hätte.
„Ich fotografiere eigentlich zurzeit nicht.“
„Eigentlich?“
Sie hatte ein hübsches Gesicht und schöne dunkle Augen. Nichts sonst sah er. Sie saß dicht neben ihm und er war voll von ihrem Duft und ihrem Dasein.
„Welche Fotos stellst du dir denn vor?“
„Portraits – nur das Gesicht oder vielleicht auch ein wenig von meinem Körper, wenn ich liege - am Ende.“
Sie sagte dies mit großer Bedachtsamkeit. Das beunruhigte ihn. So wie ihn alles verwirrte, was sie umgab. Er betrachtete ihre schmalen Hände, ihre Haut, die ihm wie Porzellan erschien.
„Könntest du die Bilder auch in einer ganz normalen Wohnung machen?“
„Nun, das ist schwierig, wegen dem Licht.“
„Man muss nicht alles sehen.“
Er wollte aufstehen und gehen. Sie bemerkte sein Unbehagen.
„Hab keine Angst.“ flüsterte sie.
Wie ein gezähmter Vogel, der den Eisenring stolz trägt wie ein Schmuckstück. So ruhig sah sie aus. So wohlerzogen. Und doch war in ihren Bewegungen etwas Eigenes, nicht wild, nicht ungehalten, sondern nur fern.
Sie sprach sehr offen mit ihm. Vom Jetzt. Aber nicht davon, was kommen würde. Er zahlte schließlich und er wusste, es war zu spät. Er ging neben ihr. Sie plauderte. Von der Stadt. Von der Sonne. Von den Schneekristallen. Sie wirkte fast unbeschwert. Sie fragte, welche Fotoprojekte er gemacht hatte. Er erzählte von seinen Reisen, in denen er festhielt was ihn umgab, Landschaft, Architektur – aber keine Menschen. In diesem Moment fragte er sich, warum sie ihn ausgewählt hatte.
Sie standen in diesem Zimmer. Es war ganz still. Samtvorhänge verdunkelten den Raum und wärmten vermummend das Innen vom Außen. Ein runder alter Tisch, zwei Stühle. Eine große, weiche Couch mit Plüschpolstern. Er bemerkte das dunkle Rot.
Sie kochte Tee, sie stellte Kekse hin – das wunderte ihn- sie zündete eine Kerze an. Sie stand auf. Sie ging umher. Sie sah ihn an.
„ Ich möchte schlafen. Ich möchte Frieden. Bevor alles weh tut.“
Er stand hilflos da.
„Ich habe gesehen wie es ist, wenn die Schmerzen kommen. Ich fürchte mich. Der Körper wird eine Hülle. Er wird ein aufgefressenes Gefängnis.“
„Bist du krank?“
Sie setzte sich und trank den Tee. Im heißen Dampf sah er ihre Augen nicht.
„Ich möchte entscheiden, solange ich noch kann. Irgendwann hilft auch das Morphium nicht mehr. Ich möchte, dass ich mich selbst nicht so sehen muss, mich die anderen nicht so sehen müssen ... wie es sein wird. Und ich möchte, dass etwas festgehalten wird von mir, dass etwas Bestand hat, etwas das bleibt.“
„Wer sagt dir, dass du nicht wieder gesund wirst?“
Er sprach mit ihr, wie mit einem Kind, das sich verbrennt, da es nicht weiß, wie heiß es ist.
Sie wirkte ruhig, fast gelassen.
„Du kannst danach eine große Ausstellung machen. Du wirst berühmt werden. Du hast Bilder von einer Frau, die stirbt. Die Menschen mögen das.“
Er lachte.
„Das glaube ich nicht. Sie werden mich eher einsperren. Sie werden sagen, du hättest sie aufhalten müssen.“
„Dann sag, dass ich nur schlief. Dass du es nicht gewusst hast. Und erst als du gegangen bist...“
„Du weißt, ich werde es nicht zulassen können.“
Gleichzeitig packte er die Kamera aus. Umständlich überprüfte er sie. Er blickte sich um.
„Es ist sehr dunkel – kann ich den Vorhang wegziehen?“
Aber die Dunkelheit war auch draußen in den Straßen.
Als Antwort stellte sie viele Kerzen auf. Sie verteilte Teelichter im Raum. Auf dem Tisch. Am Regal. Auf dem Boden. Es war wie ein Ritual.
Der Tod, dachte er, war ihm so fremd.
„Es wird alles geschehen, wie es geschah. Die Schmerzen werden kommen. Die Angst wird meine Seele quälen und mein Körper wird von den wuchernden Zellen zerstört und von all dem, was mich nicht mehr will. Nächste Woche wollen sie mich operieren. Vielleicht schneiden sie mir auch den Bauch auf – meinem Papa haben sie den Bauch aufgeschnitten von – hier bis hier.“
Sie strich mit dem Finger über ihren Körper.
„Ich habe immer geglaubt dass es eine Heilung gibt. Ich habe immer so sehr gehofft. Der Chirurg sagte damals, er wird in einem halben Jahr sterben. Wie konnte er das nur sagen – wie konnte er das nur wissen - er sagte: “Sie können an ein Wunder glauben, wir nicht.“
Der Tod, dachte er, war ihm so fremd.
Jetzt da er nicht mehr war. Dieses Lächeln verfolgte sie. So lang, dass sie nicht mehr wusste, wie lange noch. Er hat sie gehalten, rote Spuren auf der Haut. Sie wollte alles sein. Damals ist sie aufgewacht, in angstfeuchtem Nachthemd, ohne Atem. Sie hat geglaubt, es sei alles nur ein Traum. Doch es war immer wahr. Sich einzureden, versuchen zu existieren, irgendwie. Das Lachen nicht wagen. Sich jede Nacht betäuben. Auf ein Zeichen warten. Rosen, die nicht verblühen... Es kann so friedlich sein, einen Schmerz zu spüren, den der Körper trägt.
Sie zog ihr Kleid aus.
„Ich möchte, dass du meine Brüste fotografierst, bevor sie sie wegschneiden und ich nur mehr Narben habe, überall“ sie schüttelte den Kopf. „Bevor alles nicht mehr ist, wie es war. Sie sollen gehen die Dämonen, warum gehen sie nicht.,,,“
Sie trug ein dünnes, schwarzes Unterkleid. Sie öffnete die kleinen Knöpfe.
„Bitte warte.“
Er hielt die Kamera hoch. Er sah sie an im Schutz der Kamera. Dies gab ihm Distanz. Dadurch war es ihm möglich, sie zu betrachten. Nichts wünschte er sich mehr.
Ihre weiße Haut leuchtete im halbdunklen Zimmer.
Sie hatte die Augen geschlossen und lag vor ihm wie eine Frau in Erwartung ihres Geliebten. Aber ihr Geliebter war nur mehr der Tod. Die Schmerzen begannen langsam. Durch die Linse bemerkte er wie ihre Lider zuckten. Er umklammerte die Kamera, als wollte er sich festhalten.
Sie öffnet die Augen und blickt ihn an. Er drückt ab. Sie hebt ihre Arme. Er drückt ab. Langsam lässt sie die Träger des Kleides über ihre Schultern fallen. Er drückt ab.
Er wollte sie umarmen. Mit seinem Körper und mit seiner Seele.
Ihre Stimme war im Zimmer, weich und warm.
Er kam näher zu ihr. Vorsichtig. Er hatte Angst sie zu erschrecken. Sie saß so versunken da.
Eine Kerze war erloschen.
Er legte die Kamera auf den Tisch. Sie sah ihn nicht an, als er ihre Hand berührte. Sie war kühl. Sie bewegte sich nicht, als er eine Strähne aus ihrem Gesicht strich. Zaghaft wollte er ihre Haut berühren. Da richtete sie sich auf.
„Noch einen Tee?“
„Nein,“ Er war nun zu nah, er wollte ihre Lippen, ihren Körper spüren.
„Bitte lass mich.“
„Ich werde dich retten. Ich werde dich heilen. Alles wird gut.“
Sie sah in ihm nur die Unwissenheit, die Abwesenheit von Krankheit, die Abwesenheit von Gewissheit, dass alle unbeschwerte Leichtigkeit des Lebens verschwand.
Sterben ist friedlich und leicht. Leben ist schwerer.
Sie schmiegte sich in das weiche Sofa. Die zarte Haut am Ansatz ihrer Brüste war sichtbar. Er wollte sie berühren, wusste aber, dass sie es nicht zulassen würde. Es lag eine Widersprüchlichkeit in ihr. Eine tiefe Traurigkeit legte sich auf ihn. Er atmete schwer. Als er die Fotos machte, wusste er, dass sie sehr gut sein würden. All die Wahrheit war in ihnen sein. Im Licht der Kerzen würden sie unscharf sein, doch sehr schön, da all ihre Seele, ihr Sein sich auf dem Bild widerspiegelten. Seine Hände zitterten. Sie wollte, sie konnte nicht mehr an eine Heilung glauben.
Aber er konnte es - er musste es - für sie.
„Ich habe ein Blatt Papier meines Vaters gefunden. Er schrieb, wenn da nicht immer die Hoffnung wäre, dass er vielleicht doch wieder gesund werden würde. Er wollte nicht, dass seine Kinder denken müssten, sagen müssten, dass sich ihr Vater selbst das Leben nahm. Das hielt ihn zurück. Ich aber habe keine Kinder, ich habe keinen Mann, ich habe nicht einmal mehr eine Mutter. Er fragte, am Tag zuvor, muss ich jetzt sterben? Ich möchte diese Frage nicht stellen müssen. Ich möchte nur eine Chance – vielleicht war meine Sehnsucht zu groß – meine Unfähigkeit zu sein. Glaubst du, kann es einen Gott geben, der mich verurteilt?“
„Ich glaube, es gibt keine Sünden, es gibt nur ein Gewissen. Aber ich finde es trotz allem nicht richtig. Ich dachte immer, man braucht den Tod nicht zu suchen, er findet dich von selbst und wahrscheinlich zu früh. Kennst du die Worte Epikurs? Der Tod geht uns nichts an, solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr.“
Sie sah ihn an und fast war es ihm, als würde sie ihn verachten.
Aber sie sprach kein Wort.
Nun weinte sie.
Sie war zu schwach geworden, um sich rechtfertigen zu können. Ihre Tränen verwischten die Wimperntusche. Sie rannen als schwarze Spuren über ihre Wangen, über ihre Lippen.
Der Tee war kalt geworden.
„Morgen gehe ich mit dir zu einem guten Arzt, du wirst sehen ...“
Sie sah ihn fast mitleidig an. Sie glaubte nicht an ein Morgen.
Sie suchte ein du - und dieses du war nicht mehr. Es hat sie verlassen, dieses du – das sie glücklich machen sollte. Sie hatte es verloren, dieses Du... jedes Du.
Ihre Krankheit ist ein Trost – Wie der schöne Jüngling Thanatos, der Bruder des Schlafes, der nichts Schreckliches in sich trägt, der sie aufheben und fort tragen würde, ganz geborgen.
Vielleicht ist alles nur Illusion. Vielleicht ist der Tod das Leben.
Er trat einen Schritt zurück.
Er stieß sich am Tisch, ein Glas viel zu Boden und zerbrach.
Dabei hätte er sie lieben können
und sie schön finden
und ihr Leben wollte er spüren, mit all ihrer Angst und ihrem Glück
sie auffangen,
bevor sie in Scherben zerfällt.
Er wollte sie beschützen,
doch er konnte sich selbst nicht beschützten vor ihr.
Die Fotos wird er verbrennen müssen,
damit nichts mehr bleibt, das real ist,
um es ertragen zu können,
das Erinnern.
„Würdest du Bilder von mir machen?“
Er hörte die Worte, den Klang der Stimme, noch bevor er das Wesen vor sich wahrnahm. Die junge Frau setzte sich nieder und blickte ihn an. Er war verwirrt ob der Direktheit und der Nähe der Fremden. Er wollte sich in Oberflächlichkeit flüchten, in Belanglosigkeit, von Aufträgen sprechen, die es nicht gab, von der Zeit, die er nicht hätte.
„Ich fotografiere eigentlich zurzeit nicht.“
„Eigentlich?“
Sie hatte ein hübsches Gesicht und schöne dunkle Augen. Nichts sonst sah er. Sie saß dicht neben ihm und er war voll von ihrem Duft und ihrem Dasein.
„Welche Fotos stellst du dir denn vor?“
„Portraits – nur das Gesicht oder vielleicht auch ein wenig von meinem Körper, wenn ich liege - am Ende.“
Sie sagte dies mit großer Bedachtsamkeit. Das beunruhigte ihn. So wie ihn alles verwirrte, was sie umgab. Er betrachtete ihre schmalen Hände, ihre Haut, die ihm wie Porzellan erschien.
„Könntest du die Bilder auch in einer ganz normalen Wohnung machen?“
„Nun, das ist schwierig, wegen dem Licht.“
„Man muss nicht alles sehen.“
Er wollte aufstehen und gehen. Sie bemerkte sein Unbehagen.
„Hab keine Angst.“ flüsterte sie.
Wie ein gezähmter Vogel, der den Eisenring stolz trägt wie ein Schmuckstück. So ruhig sah sie aus. So wohlerzogen. Und doch war in ihren Bewegungen etwas Eigenes, nicht wild, nicht ungehalten, sondern nur fern.
Sie sprach sehr offen mit ihm. Vom Jetzt. Aber nicht davon, was kommen würde. Er zahlte schließlich und er wusste, es war zu spät. Er ging neben ihr. Sie plauderte. Von der Stadt. Von der Sonne. Von den Schneekristallen. Sie wirkte fast unbeschwert. Sie fragte, welche Fotoprojekte er gemacht hatte. Er erzählte von seinen Reisen, in denen er festhielt was ihn umgab, Landschaft, Architektur – aber keine Menschen. In diesem Moment fragte er sich, warum sie ihn ausgewählt hatte.
Sie standen in diesem Zimmer. Es war ganz still. Samtvorhänge verdunkelten den Raum und wärmten vermummend das Innen vom Außen. Ein runder alter Tisch, zwei Stühle. Eine große, weiche Couch mit Plüschpolstern. Er bemerkte das dunkle Rot.
Sie kochte Tee, sie stellte Kekse hin – das wunderte ihn- sie zündete eine Kerze an. Sie stand auf. Sie ging umher. Sie sah ihn an.
„ Ich möchte schlafen. Ich möchte Frieden. Bevor alles weh tut.“
Er stand hilflos da.
„Ich habe gesehen wie es ist, wenn die Schmerzen kommen. Ich fürchte mich. Der Körper wird eine Hülle. Er wird ein aufgefressenes Gefängnis.“
„Bist du krank?“
Sie setzte sich und trank den Tee. Im heißen Dampf sah er ihre Augen nicht.
„Ich möchte entscheiden, solange ich noch kann. Irgendwann hilft auch das Morphium nicht mehr. Ich möchte, dass ich mich selbst nicht so sehen muss, mich die anderen nicht so sehen müssen ... wie es sein wird. Und ich möchte, dass etwas festgehalten wird von mir, dass etwas Bestand hat, etwas das bleibt.“
„Wer sagt dir, dass du nicht wieder gesund wirst?“
Er sprach mit ihr, wie mit einem Kind, das sich verbrennt, da es nicht weiß, wie heiß es ist.
Sie wirkte ruhig, fast gelassen.
„Du kannst danach eine große Ausstellung machen. Du wirst berühmt werden. Du hast Bilder von einer Frau, die stirbt. Die Menschen mögen das.“
Er lachte.
„Das glaube ich nicht. Sie werden mich eher einsperren. Sie werden sagen, du hättest sie aufhalten müssen.“
„Dann sag, dass ich nur schlief. Dass du es nicht gewusst hast. Und erst als du gegangen bist...“
„Du weißt, ich werde es nicht zulassen können.“
Gleichzeitig packte er die Kamera aus. Umständlich überprüfte er sie. Er blickte sich um.
„Es ist sehr dunkel – kann ich den Vorhang wegziehen?“
Aber die Dunkelheit war auch draußen in den Straßen.
Als Antwort stellte sie viele Kerzen auf. Sie verteilte Teelichter im Raum. Auf dem Tisch. Am Regal. Auf dem Boden. Es war wie ein Ritual.
Der Tod, dachte er, war ihm so fremd.
„Es wird alles geschehen, wie es geschah. Die Schmerzen werden kommen. Die Angst wird meine Seele quälen und mein Körper wird von den wuchernden Zellen zerstört und von all dem, was mich nicht mehr will. Nächste Woche wollen sie mich operieren. Vielleicht schneiden sie mir auch den Bauch auf – meinem Papa haben sie den Bauch aufgeschnitten von – hier bis hier.“
Sie strich mit dem Finger über ihren Körper.
„Ich habe immer geglaubt dass es eine Heilung gibt. Ich habe immer so sehr gehofft. Der Chirurg sagte damals, er wird in einem halben Jahr sterben. Wie konnte er das nur sagen – wie konnte er das nur wissen - er sagte: “Sie können an ein Wunder glauben, wir nicht.“
Der Tod, dachte er, war ihm so fremd.
Jetzt da er nicht mehr war. Dieses Lächeln verfolgte sie. So lang, dass sie nicht mehr wusste, wie lange noch. Er hat sie gehalten, rote Spuren auf der Haut. Sie wollte alles sein. Damals ist sie aufgewacht, in angstfeuchtem Nachthemd, ohne Atem. Sie hat geglaubt, es sei alles nur ein Traum. Doch es war immer wahr. Sich einzureden, versuchen zu existieren, irgendwie. Das Lachen nicht wagen. Sich jede Nacht betäuben. Auf ein Zeichen warten. Rosen, die nicht verblühen... Es kann so friedlich sein, einen Schmerz zu spüren, den der Körper trägt.
Sie zog ihr Kleid aus.
„Ich möchte, dass du meine Brüste fotografierst, bevor sie sie wegschneiden und ich nur mehr Narben habe, überall“ sie schüttelte den Kopf. „Bevor alles nicht mehr ist, wie es war. Sie sollen gehen die Dämonen, warum gehen sie nicht.,,,“
Sie trug ein dünnes, schwarzes Unterkleid. Sie öffnete die kleinen Knöpfe.
„Bitte warte.“
Er hielt die Kamera hoch. Er sah sie an im Schutz der Kamera. Dies gab ihm Distanz. Dadurch war es ihm möglich, sie zu betrachten. Nichts wünschte er sich mehr.
Ihre weiße Haut leuchtete im halbdunklen Zimmer.
Sie hatte die Augen geschlossen und lag vor ihm wie eine Frau in Erwartung ihres Geliebten. Aber ihr Geliebter war nur mehr der Tod. Die Schmerzen begannen langsam. Durch die Linse bemerkte er wie ihre Lider zuckten. Er umklammerte die Kamera, als wollte er sich festhalten.
Sie öffnet die Augen und blickt ihn an. Er drückt ab. Sie hebt ihre Arme. Er drückt ab. Langsam lässt sie die Träger des Kleides über ihre Schultern fallen. Er drückt ab.
Er wollte sie umarmen. Mit seinem Körper und mit seiner Seele.
Ihre Stimme war im Zimmer, weich und warm.
Er kam näher zu ihr. Vorsichtig. Er hatte Angst sie zu erschrecken. Sie saß so versunken da.
Eine Kerze war erloschen.
Er legte die Kamera auf den Tisch. Sie sah ihn nicht an, als er ihre Hand berührte. Sie war kühl. Sie bewegte sich nicht, als er eine Strähne aus ihrem Gesicht strich. Zaghaft wollte er ihre Haut berühren. Da richtete sie sich auf.
„Noch einen Tee?“
„Nein,“ Er war nun zu nah, er wollte ihre Lippen, ihren Körper spüren.
„Bitte lass mich.“
„Ich werde dich retten. Ich werde dich heilen. Alles wird gut.“
Sie sah in ihm nur die Unwissenheit, die Abwesenheit von Krankheit, die Abwesenheit von Gewissheit, dass alle unbeschwerte Leichtigkeit des Lebens verschwand.
Sterben ist friedlich und leicht. Leben ist schwerer.
Sie schmiegte sich in das weiche Sofa. Die zarte Haut am Ansatz ihrer Brüste war sichtbar. Er wollte sie berühren, wusste aber, dass sie es nicht zulassen würde. Es lag eine Widersprüchlichkeit in ihr. Eine tiefe Traurigkeit legte sich auf ihn. Er atmete schwer. Als er die Fotos machte, wusste er, dass sie sehr gut sein würden. All die Wahrheit war in ihnen sein. Im Licht der Kerzen würden sie unscharf sein, doch sehr schön, da all ihre Seele, ihr Sein sich auf dem Bild widerspiegelten. Seine Hände zitterten. Sie wollte, sie konnte nicht mehr an eine Heilung glauben.
Aber er konnte es - er musste es - für sie.
„Ich habe ein Blatt Papier meines Vaters gefunden. Er schrieb, wenn da nicht immer die Hoffnung wäre, dass er vielleicht doch wieder gesund werden würde. Er wollte nicht, dass seine Kinder denken müssten, sagen müssten, dass sich ihr Vater selbst das Leben nahm. Das hielt ihn zurück. Ich aber habe keine Kinder, ich habe keinen Mann, ich habe nicht einmal mehr eine Mutter. Er fragte, am Tag zuvor, muss ich jetzt sterben? Ich möchte diese Frage nicht stellen müssen. Ich möchte nur eine Chance – vielleicht war meine Sehnsucht zu groß – meine Unfähigkeit zu sein. Glaubst du, kann es einen Gott geben, der mich verurteilt?“
„Ich glaube, es gibt keine Sünden, es gibt nur ein Gewissen. Aber ich finde es trotz allem nicht richtig. Ich dachte immer, man braucht den Tod nicht zu suchen, er findet dich von selbst und wahrscheinlich zu früh. Kennst du die Worte Epikurs? Der Tod geht uns nichts an, solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr.“
Sie sah ihn an und fast war es ihm, als würde sie ihn verachten.
Aber sie sprach kein Wort.
Nun weinte sie.
Sie war zu schwach geworden, um sich rechtfertigen zu können. Ihre Tränen verwischten die Wimperntusche. Sie rannen als schwarze Spuren über ihre Wangen, über ihre Lippen.
Der Tee war kalt geworden.
„Morgen gehe ich mit dir zu einem guten Arzt, du wirst sehen ...“
Sie sah ihn fast mitleidig an. Sie glaubte nicht an ein Morgen.
Sie suchte ein du - und dieses du war nicht mehr. Es hat sie verlassen, dieses du – das sie glücklich machen sollte. Sie hatte es verloren, dieses Du... jedes Du.
Ihre Krankheit ist ein Trost – Wie der schöne Jüngling Thanatos, der Bruder des Schlafes, der nichts Schreckliches in sich trägt, der sie aufheben und fort tragen würde, ganz geborgen.
Vielleicht ist alles nur Illusion. Vielleicht ist der Tod das Leben.
Er trat einen Schritt zurück.
Er stieß sich am Tisch, ein Glas viel zu Boden und zerbrach.
Dabei hätte er sie lieben können
und sie schön finden
und ihr Leben wollte er spüren, mit all ihrer Angst und ihrem Glück
sie auffangen,
bevor sie in Scherben zerfällt.
Er wollte sie beschützen,
doch er konnte sich selbst nicht beschützten vor ihr.
Die Fotos wird er verbrennen müssen,
damit nichts mehr bleibt, das real ist,
um es ertragen zu können,
das Erinnern.