Überfall

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kristina

Mitglied
Bitte nicht wundern, dass ihr wahrscheinlich wenig Sinn hinter dem Geschehen finden werdet, es ist ein Teilstück aus einem langen Ganzen.

Als sich die Bäume lichteten, entdeckten wir die Männer.
Sie hatten auf der Wiese vor einem weißgetünchten Bauernhaus halt gemacht und waren, bis auf den Anführer, im Inneren verschwunden. Friedlich glotzten ein paar Kühe über ein Gatter, bewegungslos abwartend starrte der Anführer zurück. Es dauerte nicht lange und ich stellte erschrocken fest, dass zwei von ihnen einen älteren Mann aus dem Haus schleiften, der schlaff in ihren Armen hing. Seine Füße zog er einer Ohnmacht nahe hinter sich her, auf seinem Gesicht war die blutige Spur schwerer Hiebe zu erkennen. Seine Frau, wie ich annahm, lief händeringend neben den Männern.
„Harry, oh Harry – bitte tut ihm nichts! Wir können euch nicht viel geben, wir haben doch nichts!“
Ein etwas schmächtig geratener Bandit streckte blitzschnell seinen Fuß aus, so das die Frau ins stolpern geriet und zu Boden stürzte. Auf dem Bauch liegend flehte sie den Anführer um Gnade, kroch bis vor seine schweren Stiefel, heißer erklang ihre Stimme.
„Manro!“, rief der große Dunkle und wies mit dem Kinn auf den Schuppen, hinter dem ein junges Mädchen hervorkam, angelockt von dem Lärm auf der Wiese. Der Angesprochene ließ von der älteren Frau ab, um sich um die jüngere zu kümmern. Flink wie ein Wiesel bewegte er sich auf das Mädchen zu, packte sie an den Haaren und zerrte sie mit einem höhnischen Grinsen in den Mundwinkeln hinter das Holzhaus.
Leise war das Geräusch zerreißenden Stoffes zu vernehmen, darauf folgten gellende Schreie, die in unterdrücktes Wimmern endeten, und es mir eiskalt den Rücken entlang laufen ließen.
Ich fühlte mich unfähig zu reagieren, wollte mich verkriechen, diesen Schauplatz niemals besucht haben, doch plötzlich sprengte ein Pferd aus dem Wald.
Ich hatte es, in meiner Starre gefangen, nicht kommen hören und blickte gebannt zu dem jungen Mann, der im Sattel saß und mit wutverzerrtem Gesicht, laut brüllend einen Speer schwang.
Ein kurzes Aufblitzen in der Sonne und bis mir Zeit blieb zu überlegen, was dies gewesen sein könnte, bohrte sich ein langes Messer in den Hals des Jungen.
Zielsicher und ohne jegliche Regung hatte der Anführer es geworfen, so als hätte er diesen Angriff erwartet.
Der Blick des Jungen drückte pures Erstaunen aus und wandelte sich jäh in Entsetzten, als er begriff was mit ihm geschah. Langsam rutschte er aus dem Sattel und schlug hart auf die Erde. Sein Blut spritzte aus der Wunde und tränkte das frische Gras.
„Du Schwein!“, schrie die ältere Frau aus Leibeskräften. „Du elendes Nazalschwein!“
Der Anführer hob die Hand, ein Zeichen, und einer seiner Männer hieb ihr mit der Faust auf den Mund, so fest, dass sie mit einem leisen Würgen nach hinten kippte.
Erfreut über seine gelungene Tat, wandte er sich seinem Anführer zu.
„Na, wie habe ich ihr das Maul gestopft, Nauro? Glatt abgekippt ist die Alte – !“ Doch der mächtige Mann schnitt mit einer ungeduldigen Handbewegung die Lobhudelei ab und machte ein paar Schritte auf den jungen Mann zu, der nach Atem ringend vor ihm lag. Grimmig lächelnd beugte er sich über ihn, berührte ihn beinahe zärtlich an der Schulter und flüsterte einige Worte, die, wenn sein Ausdruck nicht so abscheulich gewesen wäre, von tröstender Natur hätten sein können. Dann zog er ihm eiskalt das Messer aus der Wunde, schritt zu dem alten Mann und sprach auf ihn ein.
Ich konnte das Murmeln seiner tiefen Stimme hören, sah wie er den Männern einen energischen Wink zum Aufbruch gab. Kichernd schwangen sie sich in die Sättel, wendeten die Pferde und warfen keinen Blick zurück, auf das Elend, welches sie in nur wenigen Minuten angerichtet hatten.
Als sie aus meinem Blickfeld verschwunden waren, war mir, als würde ich erwachen. Suchend blickte ich nach Anna und fand sie zusammengerollt unter einem der Brombeersträucher liegen. Ihre Schultern bebten unter lautlosen Schluchzern, ihre Augen hielt sie fest geschlossen. Ich robbte langsam zu ihr und legte meine Arme um sie, ohne einen Blick von dem Verbrechen abwenden zu können.
Das Pferd, das verwundert stehen geblieben war ob seiner abgeworfenen Last, graste friedlich die Wiese ab. Der rasselnde Atem des Jungen stockte und wich letztendlich einer willkommenen Stille.
Mit Leichtigkeit hätte ich mir nun einreden können, dass der Ort den Eindruck hinterließ, seine Bewohner würden sich nach einem ausgiebigen Mittagsmahl in der Sonne ausruhen. Doch dieser verflüchtigte sich schneller als mir recht war. Stöhnend wischte sich der alte Mann über sein Gesicht, das Blut, das ihm aus der Nase tropfte, verschmierte er auf seinem Leinenhemd. Vorsichtig tastete er nach der Hand seines Jungen und bettete den Kopf liebevoll in seinen Schoß.
Ich schloss meine Augen, und vermochte sie auch nicht zu öffnen, als ich das Mädchen weinend hinter dem Schuppen hervor stolpern hörte. Ein unmenschlicher, jaulender Ton entwich ihrer Kehle, als sie den jungen Mann tot auf der Wiese liegen sah.
„Ich habe es gewusst, ich habe es gewusst!“, rief sie laut und schlug die Hände vor ihr Gesicht. „Er hat nicht auf mich hören wollen!“
Martin flüsterte dicht neben mir, nur langsam gelangten seine Worte zu meinem Bewusstsein.
„Lisa – ! Die Männer, sie sind in ihre Richtung geritten!“, stotterte er und lief Stephan nach, der sich einen Weg durch dorniges Gestrüpp bahnte. Ich sah ihm nach, doch richtete dann meine Aufmerksamkeit auf Anna, die sich an mir festhaltend mühsam erhob.
„Wir hätten ihnen helfen müssen!“, sagte sie. Ohne nachzudenken bog sie die Zweige der Brombeersträucher auseinander, mit dem festen Vorsatz, der Familie in ihrer Trauer beizustehen. Ich hielt sie zurück.
„Anna!“, rief ich leise. „Was hättest du machen können?“
Sie zuckte ungeduldig mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht, vielleicht versucht, mit den Männern zu sprechen, sie abzulenken und den Grund ihres Kommens erfragt!“, erklärte sie mir, ohne den Blick von dem Geschehen abzuwenden.
„Nein, Anna!“, gab ich zurück. „Sie hätten dir die Kehle durchgeschnitten, ohne dass du auch nur ein Wort hättest sagen können. Sie sind nicht gekommen, um einen Kaffee zu trinken, zu stehlen oder alte Gelder einzutreiben, nein, sie sind gekommen, um zu prügeln, zu vergewaltigen und zu töten! Nur deshalb, und davon hättest auch du sie nicht abhalten können!“
„Verflixt!“, sagte sie und wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Dann wandte sie sich um und folgte den anderen zurück in den Wald, betäubt und hilflos.
Ich bliebe noch einen Augenblick stehen und warf einen Blick zurück, ein Blick, der mich im Inneren beinahe zerriss. Ich wusste, dieses Bild würde ich nie wieder aus meinem Kopf verbannen können, es würde sich einnisten und es sich bequem machen. Ich strich mir über die Augen und stolperte hinter Anna her.
 

Gilmon

Mitglied
Hallo kristina,

besonders aufgefallen ist mir an deinen Text, dass es in deiner Geschichte (zumindest im Auszug) keinen Helden bzw. Retter für die Familie gibt. Wir haben nur hilflose Beobachter, die nicht eingreifen können. Auch der Junge mit der Waffe ist keine Rettung, wie ich zuerst erwartet habe.

Dies ist mir deshalb besonders aufgefallen, weil ich früher viel Abenteuerliteratur gelesen habe, wo es ständig zu so einer Situation kommt. Im Regelfall wird da eine Farmerfamilie von Räubern angegriffen und der Held (oft der Überheld) greift ein, bevor etwas Schlimmes passiert. Es ist interessant, so eine Geschichte mal ohne Held, nur mit Opfern zu lesen.

Auffällig sind auch die Namen der Beobachter am Ende. Sie stammen offenbar nicht aus dieser Welt und sind in diese "Fantasy-Welt" irgendwie reingeraten.

Grüße, Gilmon
 



 
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