Es ist früh am Morgen, ich höre ihren Wecker klingeln. Lange Zeit keine Reaktion, erst nach einer Ewigkeit stellt sie das Klingeln ab.
Früher ist sie immer gleich aus dem Bett gesprungen, quasi direkt in ihre Sportschuhe, um vor dem Frühstück erst mal eine halbe Stunde zu laufen. Nach und nach lief sie länger, aß weniger, nur ein paar Bissen schnell im Stehen. Jetzt frühstückt sie schon lange nicht mehr, seit sie so schwach geworden ist, geht sie auch nicht mehr laufen.
Steht sie denn heute gar nicht auf? Hin und wieder kommt es vor, dass sie einfach liegen bleibt... und irgendwann zum Telefon auf dem Nachtkästchen greift und mit einer fadenscheinigen Ausrede Termine absagt. Mit einem schiefen Lächeln nimmt sie dann die vermutlich ebenso halbherzigen Genesungswünsche entgegen - schließlich ist sie ja nicht krank, nicht wahr? - und fällt ins Bett zurück, um den Rest des Tages Löcher in die Decke zu starren.
Aber heute ist keiner dieser Tage. Sie setzt sich auf, lange sitzt sie auf der Bettkante, betrachtet ihre Füße, sammelt sich, sammelt ihre Kräfte, wappnet sich für den Gang ins Badezimmer... wo sie wartet, die strenge Richterin, die jedes Gramm ihres Körpers in 0,1 % Schritten aufschlüsselt: in Wasser- und Fettanteil, Muskelmasse. Letztendlich war es sinnlos, so viel Geld auszugeben, sie traut der Waage ja doch weniger als mir. Leider.
Die vertrauten Geräusche aus dem Bad, wie vorsichtig sie ihre Zähne jetzt putzt... und trotzdem das Würgen, ein Andenken an früher.
Toilette, Waage, ein leichtes Kratzen des Bleistifts, als sie ihr Gewicht notiert. Keine Selbstbezichtigungen heute, sie scheint zufrieden mit sich.
Vielleicht ist heute ein guter Tag. Vielleicht ist heute DER Tag… soll ich hoffen?
Nackt kommt sie zurück.
Im Zimmer ist es noch dämmrig, sie hat die Vorhänge nicht zurückgezogen. Ich erahne ihre knochigen Umrisse mehr als dass ich sie sehe, vor allem aber spüre ich diese immer gleiche Mischung aus Hoffung und Angst, die Nervosität, die sie ausströmt, wenn sie zu mir kommt: Was werde ich ihr heute wohl zeigen? Sie war ein braves Mädchen, sie hat sich so beherrscht - wird sie dafür auch von mir belohnt werden, so wie die strenge Richterin Waage sie belohnt hat?
Und ich, ich weiß was jetzt kommt, sie wird das Licht anmachen, hell, so hell, und sie wird nackt vor mir stehen und ihr Anblick schmerzt, ich will nicht und kann doch nichts anderes als spiegeln, ihre Magerkeit spiegeln, den Verfall spiegeln, und ich möchte sie zwingen ihre Augen zu öffnen… Schau mich an! Schau DICH an! Erkennst du dich denn überhaupt noch?
... Ach, sie hört mich nicht.
Da steht sie und mir wird kalt unter ihrem sezierenden Blick, dem Abscheu, mit dem sie die wenigen Erhebungen ihres Körpers betrachtet. Sie berührt sich nicht, streicht mit den Fingern sacht über meine kühle glatte Fläche.
Sie hebt den Blick und sekundenlang scheint es, als starrten wir uns an. Ich sehe die Enttäuschung in ihren Augen und ich weiß, dass ich ihr das angetan habe, aber es ist nicht meine Schuld. Es ist ihr Bild, das ich zurückwerfe, unverzerrt, aber zu lang schon hat sie die Perspektive verloren.
Früher ist sie immer gleich aus dem Bett gesprungen, quasi direkt in ihre Sportschuhe, um vor dem Frühstück erst mal eine halbe Stunde zu laufen. Nach und nach lief sie länger, aß weniger, nur ein paar Bissen schnell im Stehen. Jetzt frühstückt sie schon lange nicht mehr, seit sie so schwach geworden ist, geht sie auch nicht mehr laufen.
Steht sie denn heute gar nicht auf? Hin und wieder kommt es vor, dass sie einfach liegen bleibt... und irgendwann zum Telefon auf dem Nachtkästchen greift und mit einer fadenscheinigen Ausrede Termine absagt. Mit einem schiefen Lächeln nimmt sie dann die vermutlich ebenso halbherzigen Genesungswünsche entgegen - schließlich ist sie ja nicht krank, nicht wahr? - und fällt ins Bett zurück, um den Rest des Tages Löcher in die Decke zu starren.
Aber heute ist keiner dieser Tage. Sie setzt sich auf, lange sitzt sie auf der Bettkante, betrachtet ihre Füße, sammelt sich, sammelt ihre Kräfte, wappnet sich für den Gang ins Badezimmer... wo sie wartet, die strenge Richterin, die jedes Gramm ihres Körpers in 0,1 % Schritten aufschlüsselt: in Wasser- und Fettanteil, Muskelmasse. Letztendlich war es sinnlos, so viel Geld auszugeben, sie traut der Waage ja doch weniger als mir. Leider.
Die vertrauten Geräusche aus dem Bad, wie vorsichtig sie ihre Zähne jetzt putzt... und trotzdem das Würgen, ein Andenken an früher.
Toilette, Waage, ein leichtes Kratzen des Bleistifts, als sie ihr Gewicht notiert. Keine Selbstbezichtigungen heute, sie scheint zufrieden mit sich.
Vielleicht ist heute ein guter Tag. Vielleicht ist heute DER Tag… soll ich hoffen?
Nackt kommt sie zurück.
Im Zimmer ist es noch dämmrig, sie hat die Vorhänge nicht zurückgezogen. Ich erahne ihre knochigen Umrisse mehr als dass ich sie sehe, vor allem aber spüre ich diese immer gleiche Mischung aus Hoffung und Angst, die Nervosität, die sie ausströmt, wenn sie zu mir kommt: Was werde ich ihr heute wohl zeigen? Sie war ein braves Mädchen, sie hat sich so beherrscht - wird sie dafür auch von mir belohnt werden, so wie die strenge Richterin Waage sie belohnt hat?
Und ich, ich weiß was jetzt kommt, sie wird das Licht anmachen, hell, so hell, und sie wird nackt vor mir stehen und ihr Anblick schmerzt, ich will nicht und kann doch nichts anderes als spiegeln, ihre Magerkeit spiegeln, den Verfall spiegeln, und ich möchte sie zwingen ihre Augen zu öffnen… Schau mich an! Schau DICH an! Erkennst du dich denn überhaupt noch?
... Ach, sie hört mich nicht.
Da steht sie und mir wird kalt unter ihrem sezierenden Blick, dem Abscheu, mit dem sie die wenigen Erhebungen ihres Körpers betrachtet. Sie berührt sich nicht, streicht mit den Fingern sacht über meine kühle glatte Fläche.
Sie hebt den Blick und sekundenlang scheint es, als starrten wir uns an. Ich sehe die Enttäuschung in ihren Augen und ich weiß, dass ich ihr das angetan habe, aber es ist nicht meine Schuld. Es ist ihr Bild, das ich zurückwerfe, unverzerrt, aber zu lang schon hat sie die Perspektive verloren.