„Noch ein Brötchen?“
„Erstmal ein halbes.“
„Du die obere, ich die untere?“
„Gut.“
„Gut.“
„Das ist eine win- win- Situation, Papa.“
Thomas isst lieber die unteren, Arne lieber die oberen Brötchenhälften; und er kommt anscheinend immer noch seiner Aufgabe nach, an Wochenenden dafür zu sorgen, dass sie morgens auf dem Tisch stehen - zwar liegen sie nicht mehr im Brotkorb, sondern werden direkt aus der Tüte gegessen, aber dass scheint niemanden zu stören.
Sophie hat die Angewohnheit ihres Vaters übernommen, sich hinter der Tageszeitung zu verschanzen, hinter der ihr zur Zeit blauer Haarschopf hervorschaut.
Mein Stuhl am Küchentisch ist leer. Und im Radio singt Michael- Jackson:
..there are ways to get there if you care enough for the living...
Würden die Beiden ihrer Mutter übelnehmen, was sie hier von ihnen erzählt?
Wie sie am Sonntagmorgen mit ihrem Vater am Frühstückstisch sitzen? Und dass es in der Küche ein bisschen stinkt, weil niemand den Müll rausbringt?
Okay, es riecht mehr nach frischem Kaffee als nach Müll.
Ich wollte immer einen Roman schreiben. Und mit einem Satz wie etwa: "Sex habe ich momentan nur mit Biogemüse", sollte der beginnen.
Aber dafür ist es zu spät – mich gibt es nämlich nicht mehr. Und dass ich zu Lebzeiten keinen Roman geschrieben habe, liegt daran, dass mir, immer, wenn ich es drauf anlegte, zwar sehr schöne erste Sätze, aber keine passenden Geschichten zu ihnen eingefallen sind. Und schon gar keine überzeugenden Personen, die Sätze hätten sagen können, wie:
„Sex habe ich momentan nur mit Biogemüse.“
Das klingt nach Abenteuern einer attraktiven Dreißigjährigen, - nach ATEM-beraubenden Designerschuhen, - nach ein klein bisschen Torschlusspanik.
Tss, sss...
Nein, es war alles ganz anders. Und es hilft nichts, ich muss hier die Wahrheit sagen. Und die Wahrheit ist die: Ich war in den letzten fast zwanzig Jahren meines Lebens eine verheiratete Frau.
Ja, eine Hausfrau.
Mein Mann Thomas und ich hatten zwei Kinder, wir lebten auf dem Land, wo wir uns ein schnuckliges Eigenheim zugelegt hatten. Einen Hund hatten wir auch. Ein ganz normales Leben, eben.
Bis ich mit achtundvierzig Jahren an Brustkrebs gestorben bin. Und auch das ist eigentlich nichts besonderes: Brustkrebs.
Ja, ich bin tot, und meine Eitelkeit auch. Von mir wird es keinen Roman geben, in dem irgend jemand veganen Sex hat, den man in den Buchläden dann in den Regalen mit der Aufschrift 'Freche Frauen' einordnen wird. Das war mein Hausfrauentraum, und der ist ausgeträumt. Und die Hoffnung stirbt tatsächlich zuletzt, das sei an dieser Stelle gesagt. Solange man die Möglichkeit zu auch nur einem ganz klein bisschen Selbstbetrug hat, macht man hemmungslos davon Gebrauch. Schon, um nicht verrückt zu werden. Aber auch damit ist es nun vorbei.
Ich hatte allerdings keine Ahnung, dass es auf der Welt, die ich vor kurzem verlassen habe, so etwas wie Untote gibt; Geister, die aus irgendeinem Grund an etwas Irdischem festhalten müssen.
- Genau.
Bitte, stellen Sie sich jetzt nicht vor, wie meine Haare aussehen, mein Gesicht, oder meine Kleidung.
Mein Äußeres wäre vielleicht weniger ein Problem (für Sie, nicht für mich), wenn ich behaupten könnte, mein Mann wäre meinem ausdrücklichen Wunsch nach einer Feuerbestattung nachgekommen. Bei den Verhandlungsgesprächen war ich allerdings nicht zugegen, so kann ich nur annehmen, dass es schlicht seine Trauer war, die ihn keinen vernünftigen Gedanken hat fassen lassen. Oder das berufliche Geschick des Bestatters. Auf diese Weise kam ihn die Sache jedenfalls wesentlich teurer. Und "teuer" konnten wir uns nun wirklich nie leisten. Eine Untote wäre ich jetzt allerdings auch im Falle einer Einäscherung.
Ein paar von diesen Feuergeistern sind mir bereits begegnet. Man kann sie schon am Geruch erkennen. Bitte, stellen Sie sich jetzt nicht vor, wie ich rieche. Aber nein, die Lebenden können mich weder hören, sehen oder riechen, deswegen kann ich mich auch unbemerkt in meiner Küche aufhalten - meiner ehemaligen Küche.
Einer von den beiden Wünschen, die ich noch habe, ist der, dass es tatsächlich vorbei wäre. Ich hatte mich doch wirklich schon damit abgefunden. Und eigentlich war es auch gar nicht schlecht, mit fast fünfzig das Zeitliche zu segnen, wie man so sagt. In diesem Alter ist doch das Beste längst vorbei.
Je mehr ich mich von dem Gedanken verabschieden musste, jemals eine monatliche Altersrente zu bekommen, desto absurder erschien mir diese Möglichkeit irgendwann. Na gut, ich hatte umsonst bei der BFA eingezahlt. Aber als Mutter und Hausfrau zum Glück nicht sehr viel.
Als unsere Kinder im Vorschulalter waren, durchlebte ich eine Phase, in der ich Angst davor hatte, an Krebs zu sterben. Nachts lag ich wach und stellte mir vor, wie sie ohne mich aufwachsen müssten. Ich hatte geraucht, bis zu dem Tag, als ich erfuhr, dass ich schwanger war. Dafür würde ich büßen müssen, dachte ich plötzlich. Mit LUNGENKREGS. Ich hatte auch oft und gern in der Sonne gelegen und auf der Sonnenbank. Hautkrebs war also auch möglich. Der Gedanke an meine jugendlichen Verfehlungen wurde zu dieser Zeit so quälend, dass ich mir wünschte, keine Kinder bekommen zu haben. Warum hatte mich vorher niemand gewarnt, was man ihretwegen durchmacht?
Um Thomas hatte ich nie diese Angst wie um mich selbst. Es wäre sicher nicht schön gewesen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre, aber in so einem Fall hätte ich es eben allein schaffen müssen mit den Kindern. Auf mich selbst musste ich mich verlassen können, das war es, was mir durch diese Angst klar wurde. Wenn mir nur bloß nichts passierte...dachte ich damals.
Als unsere Kinder begannen, eigene Wege zu gehen, verlagerte sich die Angst. Ein Verkehrsunfall auf ihrem Schulweg oder ein Fahrradunfall konnte ihnen passieren. Und auch sie konnten krank werden und unter den fürsorglichsten Händen sterben.
Warum hatte mir das niemand gesagt?
Dann hätten wir uns vielleicht nicht für Kinder, sondern nur für den Hund entschieden.
Glücklicherweise aber sind beide gesund und munter, achtzehn und sechzehn Jahre alt. Sophie und Arne haben wir sie genannt.
Ob Sophie immer noch zu den Punks in einen Bauwagen am Flussufer ziehen will, wenn sie in ein paar Monaten mit der Schule fertig ist?
So lange wie möglich haben wir ihnen nichts von meiner Krankheit gesagt.
Zuerst habe ich auch Thomas nichts davon gesagt. So lange, bis er meine Entscheidung akzeptieren musste: Nichts zu tun. Aber dazu hatte ich mich inzwischen durchgerungen: Dass ich in so einem Fall nichts unternehmen würde. Brustkrebs gibt es häufig in meiner Familie. Alle, die ihn bekommen haben, sind auch daran gestorben. Ich kenne ihre Geschichten, Operationen, Therapien.
Nein danke, das wollte ich nicht.
An einem Sonntag vor etwa einem Jahr war es, als Sophie Thomas und mir eröffnete, sie hätte beschlossen, nach der Schule eine Zeitlang in einer Bauwagenkolonie zu leben.
Das war der Moment, als ich damit herausplatzte:
„Gut. Mach das, mein Kind. Ich habe übrigens auch eine Neuigkeit für dich: ich werde an Krebs sterben, und das schon ziemlich bald!“
Das war brutal. Dabei hätte ihr Plan dreißig Jahre früher mein eigener sein können.
Das sagte ich ihr nicht. Ich hatte Angst um die Zukunft meiner Tochter. Und es ging mir weniger darum, dass sie nicht erfolgreich sein würde, sondern nicht glücklich werden würde in ihrem Leben.
Und - um ehrlich zu sein - war ich froh, mich verpissen zu können, genau dann, wenn es schwierig werden würde.
Thomas hatte nur dagesessen und nichts gesagt.
„Erstmal ein halbes.“
„Du die obere, ich die untere?“
„Gut.“
„Gut.“
„Das ist eine win- win- Situation, Papa.“
Thomas isst lieber die unteren, Arne lieber die oberen Brötchenhälften; und er kommt anscheinend immer noch seiner Aufgabe nach, an Wochenenden dafür zu sorgen, dass sie morgens auf dem Tisch stehen - zwar liegen sie nicht mehr im Brotkorb, sondern werden direkt aus der Tüte gegessen, aber dass scheint niemanden zu stören.
Sophie hat die Angewohnheit ihres Vaters übernommen, sich hinter der Tageszeitung zu verschanzen, hinter der ihr zur Zeit blauer Haarschopf hervorschaut.
Mein Stuhl am Küchentisch ist leer. Und im Radio singt Michael- Jackson:
..there are ways to get there if you care enough for the living...
Würden die Beiden ihrer Mutter übelnehmen, was sie hier von ihnen erzählt?
Wie sie am Sonntagmorgen mit ihrem Vater am Frühstückstisch sitzen? Und dass es in der Küche ein bisschen stinkt, weil niemand den Müll rausbringt?
Okay, es riecht mehr nach frischem Kaffee als nach Müll.
Ich wollte immer einen Roman schreiben. Und mit einem Satz wie etwa: "Sex habe ich momentan nur mit Biogemüse", sollte der beginnen.
Aber dafür ist es zu spät – mich gibt es nämlich nicht mehr. Und dass ich zu Lebzeiten keinen Roman geschrieben habe, liegt daran, dass mir, immer, wenn ich es drauf anlegte, zwar sehr schöne erste Sätze, aber keine passenden Geschichten zu ihnen eingefallen sind. Und schon gar keine überzeugenden Personen, die Sätze hätten sagen können, wie:
„Sex habe ich momentan nur mit Biogemüse.“
Das klingt nach Abenteuern einer attraktiven Dreißigjährigen, - nach ATEM-beraubenden Designerschuhen, - nach ein klein bisschen Torschlusspanik.
Tss, sss...
Nein, es war alles ganz anders. Und es hilft nichts, ich muss hier die Wahrheit sagen. Und die Wahrheit ist die: Ich war in den letzten fast zwanzig Jahren meines Lebens eine verheiratete Frau.
Ja, eine Hausfrau.
Mein Mann Thomas und ich hatten zwei Kinder, wir lebten auf dem Land, wo wir uns ein schnuckliges Eigenheim zugelegt hatten. Einen Hund hatten wir auch. Ein ganz normales Leben, eben.
Bis ich mit achtundvierzig Jahren an Brustkrebs gestorben bin. Und auch das ist eigentlich nichts besonderes: Brustkrebs.
Ja, ich bin tot, und meine Eitelkeit auch. Von mir wird es keinen Roman geben, in dem irgend jemand veganen Sex hat, den man in den Buchläden dann in den Regalen mit der Aufschrift 'Freche Frauen' einordnen wird. Das war mein Hausfrauentraum, und der ist ausgeträumt. Und die Hoffnung stirbt tatsächlich zuletzt, das sei an dieser Stelle gesagt. Solange man die Möglichkeit zu auch nur einem ganz klein bisschen Selbstbetrug hat, macht man hemmungslos davon Gebrauch. Schon, um nicht verrückt zu werden. Aber auch damit ist es nun vorbei.
Ich hatte allerdings keine Ahnung, dass es auf der Welt, die ich vor kurzem verlassen habe, so etwas wie Untote gibt; Geister, die aus irgendeinem Grund an etwas Irdischem festhalten müssen.
- Genau.
Bitte, stellen Sie sich jetzt nicht vor, wie meine Haare aussehen, mein Gesicht, oder meine Kleidung.
Mein Äußeres wäre vielleicht weniger ein Problem (für Sie, nicht für mich), wenn ich behaupten könnte, mein Mann wäre meinem ausdrücklichen Wunsch nach einer Feuerbestattung nachgekommen. Bei den Verhandlungsgesprächen war ich allerdings nicht zugegen, so kann ich nur annehmen, dass es schlicht seine Trauer war, die ihn keinen vernünftigen Gedanken hat fassen lassen. Oder das berufliche Geschick des Bestatters. Auf diese Weise kam ihn die Sache jedenfalls wesentlich teurer. Und "teuer" konnten wir uns nun wirklich nie leisten. Eine Untote wäre ich jetzt allerdings auch im Falle einer Einäscherung.
Ein paar von diesen Feuergeistern sind mir bereits begegnet. Man kann sie schon am Geruch erkennen. Bitte, stellen Sie sich jetzt nicht vor, wie ich rieche. Aber nein, die Lebenden können mich weder hören, sehen oder riechen, deswegen kann ich mich auch unbemerkt in meiner Küche aufhalten - meiner ehemaligen Küche.
Einer von den beiden Wünschen, die ich noch habe, ist der, dass es tatsächlich vorbei wäre. Ich hatte mich doch wirklich schon damit abgefunden. Und eigentlich war es auch gar nicht schlecht, mit fast fünfzig das Zeitliche zu segnen, wie man so sagt. In diesem Alter ist doch das Beste längst vorbei.
Je mehr ich mich von dem Gedanken verabschieden musste, jemals eine monatliche Altersrente zu bekommen, desto absurder erschien mir diese Möglichkeit irgendwann. Na gut, ich hatte umsonst bei der BFA eingezahlt. Aber als Mutter und Hausfrau zum Glück nicht sehr viel.
Als unsere Kinder im Vorschulalter waren, durchlebte ich eine Phase, in der ich Angst davor hatte, an Krebs zu sterben. Nachts lag ich wach und stellte mir vor, wie sie ohne mich aufwachsen müssten. Ich hatte geraucht, bis zu dem Tag, als ich erfuhr, dass ich schwanger war. Dafür würde ich büßen müssen, dachte ich plötzlich. Mit LUNGENKREGS. Ich hatte auch oft und gern in der Sonne gelegen und auf der Sonnenbank. Hautkrebs war also auch möglich. Der Gedanke an meine jugendlichen Verfehlungen wurde zu dieser Zeit so quälend, dass ich mir wünschte, keine Kinder bekommen zu haben. Warum hatte mich vorher niemand gewarnt, was man ihretwegen durchmacht?
Um Thomas hatte ich nie diese Angst wie um mich selbst. Es wäre sicher nicht schön gewesen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre, aber in so einem Fall hätte ich es eben allein schaffen müssen mit den Kindern. Auf mich selbst musste ich mich verlassen können, das war es, was mir durch diese Angst klar wurde. Wenn mir nur bloß nichts passierte...dachte ich damals.
Als unsere Kinder begannen, eigene Wege zu gehen, verlagerte sich die Angst. Ein Verkehrsunfall auf ihrem Schulweg oder ein Fahrradunfall konnte ihnen passieren. Und auch sie konnten krank werden und unter den fürsorglichsten Händen sterben.
Warum hatte mir das niemand gesagt?
Dann hätten wir uns vielleicht nicht für Kinder, sondern nur für den Hund entschieden.
Glücklicherweise aber sind beide gesund und munter, achtzehn und sechzehn Jahre alt. Sophie und Arne haben wir sie genannt.
Ob Sophie immer noch zu den Punks in einen Bauwagen am Flussufer ziehen will, wenn sie in ein paar Monaten mit der Schule fertig ist?
So lange wie möglich haben wir ihnen nichts von meiner Krankheit gesagt.
Zuerst habe ich auch Thomas nichts davon gesagt. So lange, bis er meine Entscheidung akzeptieren musste: Nichts zu tun. Aber dazu hatte ich mich inzwischen durchgerungen: Dass ich in so einem Fall nichts unternehmen würde. Brustkrebs gibt es häufig in meiner Familie. Alle, die ihn bekommen haben, sind auch daran gestorben. Ich kenne ihre Geschichten, Operationen, Therapien.
Nein danke, das wollte ich nicht.
An einem Sonntag vor etwa einem Jahr war es, als Sophie Thomas und mir eröffnete, sie hätte beschlossen, nach der Schule eine Zeitlang in einer Bauwagenkolonie zu leben.
Das war der Moment, als ich damit herausplatzte:
„Gut. Mach das, mein Kind. Ich habe übrigens auch eine Neuigkeit für dich: ich werde an Krebs sterben, und das schon ziemlich bald!“
Das war brutal. Dabei hätte ihr Plan dreißig Jahre früher mein eigener sein können.
Das sagte ich ihr nicht. Ich hatte Angst um die Zukunft meiner Tochter. Und es ging mir weniger darum, dass sie nicht erfolgreich sein würde, sondern nicht glücklich werden würde in ihrem Leben.
Und - um ehrlich zu sein - war ich froh, mich verpissen zu können, genau dann, wenn es schwierig werden würde.
Thomas hatte nur dagesessen und nichts gesagt.