veicolo rotando - die autostrada bei Genua

Rainer Heiß

Mitglied
Veicolo rotando - die Autostrada bei Genua

Man kombiniere die italienische Kunst der Spagettiherstellung mit dem dortigen Straßenbau, heraus kommt der Beton gewordene Alptraum bei Genua. Da wünscht sich der braungebrannteste Ferraristo heim zur Mama.
Genua hat dort, wo es sich befindet, absolut nichts zu suchen. Hier machen die italienischen Alpen einen Knick nach Osten, um dann mit dem nordwestlichsten Teil des Apennin die Po-Ebene im Süden an der ligurischen Küste abzuschließen; sprich: gebirgig geht`s zu rund um Genua. Diesen Voraussetzungen zum Trotz musste sich natürlich ausgerechnet hier der größte Hafen Italiens entwickeln, wo nun wirklich kein Platz dafür da ist. Keine Frage, so ein Hafen braucht eine Stadt außenrum, die Stadt eine Stadtautobahn und spätestens hier beginnen essenzielle Probleme. Bereits die Stadt selbst wirkt wie von Kinderhand errichtet, da statische Probleme bei der Expansion der Armenviertel hangwärts völlig ausgeblendet wurden. Die Häuser stehen zehnstöckig und verrostet - ja, hier rosten gegen alle Vernunft sogar die Häuser - im Steilhang, um, so denkt man beim ersten Anblick, im nächsten Moment ins Meer hinab zu purzeln. Was hier so niedlich klingt ist in Wahrheit natürlich eine Katastrophe. Vorher aber ist`s moderner Städtebau, der die Topografie verspottet. So weit, so irreal, so italienisch (oder welche Nation schafft es noch, für eine simple Kreuzung zweier Landstraßen mehrere Hektar Landes zuzuasphaltieren? Bewerbungen an mich).
Der Gipfel der Ignoranz ist dann aber die Stadtautobahn. Im Nordwesten geht sie ohne irgendeine Lärmschutzmaßnahme mitten durch ein Wohngebiet, hier zollt wohl die vor allem akustische Gestaltung des italienischen Familienlebens der Infrastruktur ihren Tribut; (wer eh schon ständig plärrt, kann auch gegen eine autostrada vor der Haustür nichts haben). Folgt man dieser Stadtautobahn ostwärts - wichtige Verkehrsverbindung Turin (Fiat) - Süditalien (Fiatfahrer) - so liegt sie nun weiter von der Küste entfernt, oberhalb der Stadt, über den zahlreichen Armenvierteln (besteht ganz Genua nur aus dem Hafen und Armenvierteln?). Der Blick rechterhand geht hinaus aufs azurblaue Meer; herrlich, würde uns nicht die Tatsache ablenken, dass man sich auf einer schmalen, bröseligen Straße mit Stelzenpfeilern, die seltsamerweise auch überall Rostspuren aufweisen, in Schwindel erregender Höhe befindet. Die Küstenlinie hat hier sehr viele Ausbuchtungen, sodass die Autobahn entweder durch Tunnels oder auf Stelzen über die Dächer der dem Einsturz geweihten Wohnviertel führen muss. Mama mia!
Doch damit ist`s den Genuesern noch nicht genug. Wir bewegen uns immer noch in östlicher Richtung, das Meer und die Stadt auf der Beifahrerseite. Jetzt macht so eine Straße aber nur dann Sinn, wenn man sie beizeiten verlassen kann. Zu diesem Zweck baut auch der Südländer Autobahnausfahrten, die sich für gewöhnlich rechts befinden. Hier gähnt jedoch die Stadt, was also tun? Die Ausfahrt, die jetzt beschrieben werden soll, kann eigentlich gar nicht wirklich beschrieben werden. Einspurig, auf zwanzig Zentimeter "dicken", über hundert Meter hohen Stelzen wagt sich hier eine Mutprobe, den Namen Autobahnausfahrt zu tragen. Deutlich schwankt der Magen im Gleichklang mit der Baukunst, direkt neben dem Fahrzeug bedenklicher Weise nichts mehr. So tastet man sich, immer ganz vorsichtig einen Reifen vor den anderen setzend, in einer ewigen Rechtsschleife, die sich in unangemessener Steigung, schließlich muss die Autobahn, die man eben verlassen hat, überquert werden, über die zerbröckelnde strada (veicolo rotando). Einspurig bedeutet, dass man reichlich Gelegenheit hat, zu sehen, wo die Reise für die Unglückseligen Nachfolger endet, die hier einst mit allem anderen in die Tiefe krachen werden. Denn zusammenbrechen, einstürzen wird`s, ins Meer hinab geht`s hier mit Sicherheit in naher Zukunft.
Was dieser Bericht mit einem normalen Reisebericht gemein hat? Gar nichts. Denn in der Regel folgt am Ende stets eine Beschreibung, wie und wo das besagte Objekt zu finden ist nebst einer Empfehlung, sich das Ganze doch dringlichst anzuschauen. Ich rate unbedingt davon ab, nur in die Nähe von Genua zu fahren, da die einheimische Beschilderung jeden Unkundigen sicher auf die zahlungspflichtige Autobahn führen wird, wo der Tod lauert. Also: umfahren sie Genua großräumig, am besten über die Route Mailand - Piacenza - Parma - La Spezia. Zwischen Parma und La Spezia erwartet sie dann zwar der Cisapass, aber erstens ist der nicht auf hauchdünnen Stelzen errichtet und zweitens bringt ein jeder, der sich mit dem Auto auf italiens Straßen (Neapel!) wagt, von Haus aus eine gesunde Portion Selbstvertauen mit. Schmalstmäandernde italienische Gebirgspässe wird er daher schon schaffen, die Stadtautobahn von Genua auf keinen Fall!
 

flammarion

Foren-Redakteur
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vielen

dank für die freundliche aufklärung. ich bin sowieso nicht der typ, der sich hinters steuer setzt, aber jetzt krieg ich schon das zittern beim gedanken an eine straße! lg
 

Rainer Heiß

Mitglied
nur Österreich ist noch krimineller!

Hallo oldicke,

mir ist bisher nur eine Autobahn begegnet, die noch krimineller ist: In Kärnten (wo genau ist mir leider entfallen) gibt es eine Autobahn, die mangels Platz die Ausfahrt links hat! Ohne Witz!
Ich wünsche dir, dort nie hin zu müssen -
Grüße Rainer
 
Hallo Reiner

hab noch mal in den alten Sachen geblättert und deinen Text gefunden. Sehr anschaulich geschrieben!
Lange nichts mehr von dir gehört. Sonst noch alles klar?
Liebe Grüße senet
Willi
 

Rainer Heiß

Mitglied
jetzt schon wieder!

Hallo Willi,

danke der Nachfrage, ich war arbeitsbedingt etwas lupen-untätig. Wird sich aber voraussichtlich demnächst ändern; am Sonntag geht`s nämlich los, Stoff für neue Berichte ala veicolo rotando zu recherchieren.
Grüße, Rainer
 



 
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