Veränderung

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du knalltest in mein Leben, ohne Vorwarnung, plötzlich von einem Tag auf den anderen, ich war nicht vorgewarnt, oder doch, hab aber alle Anzeichen ignoriert, dann warst du da und nicht mehr wegzudenken. Du machtest dich ungeniert breit, noch breiter und du schienst zu sagen, ich verlass dich nicht mehr, nie mehr. Erst mochte ich dich gar nicht, aber dann hab ich's aufgegeben, mich zu wehren, jetzt lieb ich dich sogar und immerzu trage ich dich nun bei mir, immerzu, und wenn ich dich vergesse, werde ich sofort schmerzhaft an dich erinnert und meine Umgebung findet das alles normal, wo doch nichts mehr normal ist, seitdem es dich gibt. Äußerlich sieht man es nicht sofort, dass du immer bei mir bist, ich erwähne dich ja auch nicht, aber einen - den konnte ich nicht täuschen, dass sich bei mir etwas gravierend verändert hat, obwohl ich dich gar nicht bei mir hatte.

Den Hausarzt.

Der schaute mich an, so von Kopf bis Fuß, hatte mich lange nicht gesehen, und ich dachte, was kommt jetzt, habe ich mich so verändert, ich sah doch fast noch immer so aus wie vor zwei Jahren, wirklich, aber er fragte sanft:



Haben Sie eine Lesebrille?




Ja!
 
A

aligaga

Gast
Die Idee, eine Lesebrille sei etwas anderes als nur ein Gebrauchsgegenstand, hat etwas für sich. Auch der Gedanke, dass sich deren Nutzer durch ihr Dasein in einen Zwiespalt gestürzt sieht, ist gut.

Leider gelingt es dir in der gewählten Kürze nicht so recht, @Doc, ein lustiges Küchenlied darüber zu singen. Es fehlt noch ein wenig an der Intonation!

Eine gläserne (meinethalben auch kunststoffene) Lesehilfe „knallt“ nicht, denn sonst geht sie kaputt. Wenn sie kommt, kommt sie unweigerlich, mag man ihre Notwendigkeit auch noch so lang ignorieren. Sie schleicht sich geräuschlos heran, sie mahnt und macht sich irgendwann so unentbehrlich, dass man aufgibt. Bedingungslose Kapitulation, nichts anderes! Vor der Bresthaftigkeit, vor dem Alter und dem Eulenblick. Am Ende ist es kein passives Geschehen mehr, sondern eine aktive Entscheidung: Wir heiraten! Ab morgen sind wir ein Paar!

Von Liebe würde ich bei einer Brille allerdings niemals sprechen. Sie ist und bleibt ein notwendiges Übel, das man verflucht, wenn man es nicht findet oder vergessen hat, wie du ja selber schon sagtest. Eine Hassliebe?

Gar nicht geht die Coda mit dem Hausarzt. Ein Hausarzt ist heute zeitlich so überfordert, dass er sich zwei Jahre nach dem letzten Besuch einer PatientIn bestenfalls dann noch erinnert, dass sie schon mal da war, wenn er etwas mit ihr hatte, entweder im Bett oder vor Gericht. Keinesfalls aber fiele ihm auf, dass sie neuerdings eine Lesebrille trüge. Wieso trägt sie die überhaupt, wenn sie in den Behandlungsraum kommt? Hat sie im Warteraum die „Super Illu“ geschmökert und war so gefesselt von deren Inhalt, dass sie vergaß, die Brille abzunehmen, als sie vor den weißen Halbgott trat? Und wenn ja – woraus schloss dieser, dass es eine Lesebrille sei?

Hier gebricht‘s ein wenig an der Logik, @Doc. Ich empfehle einen anderen Schluss. Wie wäre ein blind date in einem Lokal, in dem das lyrische Ich eine halbe Stunde auf den Partner warten musste und dort in der besagten Illu blätterte? Die Frage: „Trägst du (tragen Sie) eine Lesebrille?“ wäre dann schlüssig. „Haben“ sollte es auf keinen Fall weiter heißen. Denn das implizerte, dass der Hausarzt oder der Date-Partner keine Lesebrille da hat, aber selber eine bräuchte.

Tipp: Denn Stoff ein wenig ruhen lassen und dann einen neuen Ansatz wagen. Die Idee an sich hat, wie schon gesagt, Potential!

Gruß

aligaga

p. s.: Bitte sag jetzt nicht, dass dein Hausarzt dich das wirklich gefragt hat, als du nach zwei Jahren wieder in seine Praxis kamst. Wenn doch, dann unbedingt das Sujet wechseln und über den Hausarzt schreiben! Der gäbe viel mehr her als eine doofe Brille …
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo aligaga,

vielen Dank für Deinen Kommentar, der ja länger als der Text ist. :)

Der Text steht unter Humor und Satire und sollte nicht so streng mit dem Zentimetermaß des geübten Verstandes gelesen werden. Es gibt eine Frau, die ein Buch geheiratet hat. Hier ist es die Brille - verrückter Ansatz. Natürlich knallte sie unvorgesehen in das Leben, wenn man sie zum ersten Mal trägt. Das ist gemeint. Der Verlust der Lesefähigkeit ist natürlich schleichend, bis dann der Satz kommt: "Du brauchst eine Brille!" Ah ja. Und dann trägt man sie zum ersten Mal und erlebt ein völlig neues Lese(Lebens-)gefühl. Auch so an Reaktionen. Die sind zum Teil zum Kaputtlachen.
:)

Der Text sagt klar aus, dass der Prot die Brille beim Hausarzt nicht dabei hat:

Äußerlich sieht man es nicht sofort, dass du immer bei mir bist, ich erwähne dich ja auch nicht, aber einen - den konnte ich nicht täuschen, dass sich bei mir etwas gravierend verändert hat, obwohl ich dich gar nicht bei mir hatte.
Wenn ein Hausarzt einen Checkup macht und alles geklärt ist, kann er durchaus die Frage stellen, weil sie "altersgerecht" ist.

Wenn eine Geschichte sich tatsächlich so abgespielt hat, muss sie deshalb noch nicht gut sein, das weiß ich. Es ist auch unerheblich, ob sie wahr ist oder nicht. Sie zielt nur auf die Überraschung des Prot ab, weil er nach einer Lesebrille gefragt wird. Der Hausarzt weiß ganz genau, dass er eine haben wird, weil er das entsprechende Alter hat.

Das Lächeln nicht vergessen, auch nicht beim Lesen des Kommentars. :)

Vielleicht kann ich aber noch mehr rausholen, ich denke drüber nach.

LG DS
 
A

aligaga

Gast
Die richtige (und richtig zu verstehende) Frage des Hausarztes wäre gewesen: "Brauchen sie (schon) eine Lesebrille?" und hätte einen Grund vorausgesetzt. Ich tipp mal auf einen erhöhten Blutzuckerspiegel. Oder eine erkennbare Augenverletzung.

Auch in lustig gemeinten Texten sollte Logik herrschen, sonst bleiben sie unverständlich. Absichtliche Verstöße gegen sie sind erlaubt, müssen aber als solche erkennbar sein, sonst verpufft dieses Stilmittel.

Gruß

aligaga
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich werde einen Satz einfügen, der das Ganze logischer erscheinen lässt. Nach Durchsicht aller Laborwerte und nach allen Untersuchungen fiel ihm das noch ein. Wobei er dann richtig lag.
;-)
 
A

aligaga

Gast
Wo du doch schon bereit bist, auf Tipps zu hören, @Doc: Mach aus der Lesehilfe ein Wesen! So etwas wie eine Bewährungshelferin oder eine BetreuerIn, die dem Lyrich zugeordnet wird und ihm Sichten erklärt, die es vordem von allein nicht (mehr) auf die Reihe bekam. Die man so lange nicht mag, bis man sich an sie gewöhnt hat und zwar nicht liebt, aber vermisst, wenn sie im richtigen Moment nicht dabei ist.

Den Frauenarzt ließe ich bei der auflösenden Pointe am Ende wirklich nur mit dem richtigen Wort nach ihr fragen. Die Fantasie, warum der Mediziner das wissen möchte, würde ich dem reifen Leser lassen. Der weiß das zu schätzen!

Gruß

aligaga
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo Doc,

ich sehe die Situation am Schluss so vor mir:

...wirklich. Aber es würde nicht schaden, ein paar Medikamente für den Notfall im Haus zu haben, überlegte ich. Ich versuchte, das Rezept auf Vollständigkeit zu überprüfen. So schnell wollte ich nicht wiederkommen. Meine Arme wurden lang und länger. Wissend meinte er sanft:" Ja, es ist nur selten eine Liebe auf den ersten Blick. Aber dann will man sie nicht mehr missen, die Lesebrille."

Liebe Grüße
HelenaSofie
 

Rudolph

Mitglied
Hallo DocSchneider,

lass dir von aligaga nichts einreden. Du hast von einer Lesebrille geschrieben und dabei bleib! Das ist ja der Reiz an der Geschichte, dass der Leser erst an eine Person denkt, aber erst am Ende erfährt, dass es keine ist. Schließlich ist es dein Werk, das du zwar noch verbessern kannst, aber in den Grundzügen beibehalten solltest.

Was die Pointe mit dem Hausarzt betrifft, kann dieser gar wohl erkennen, ob du häufig eine Brille trägst, nämlich an den Druckstellen an der Nasenwurzel. Da du sie beim Arzt nicht getragen hast, schließt er wohl darauf, dass es sich um eine Lesebrille handeln müsse. Daher auch die Frage nach dieser.
Damit das auch so zum Leser rüberkommt, solltest du vielleicht auch erzählen, wie dir der Hausarzt am Ende ins Gesicht blickt und die Druckstellen bemerkt ...

LG Rudolph
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du knalltest in mein Leben, ohne Vorwarnung, plötzlich von einem Tag auf den anderen, ich war nicht vorgewarnt, oder doch, hab aber alle Anzeichen ignoriert, dann warst du da und nicht mehr wegzudenken. Du machtest dich ungeniert breit, noch breiter und du schienst zu sagen, ich verlass dich nicht mehr, nie mehr. Erst mochte ich dich gar nicht, aber dann hab ich's aufgegeben, mich zu wehren, jetzt lieb ich dich sogar und immerzu trage ich dich nun bei mir, immerzu, und wenn ich dich vergesse, werde ich sofort schmerzhaft an dich erinnert und meine Umgebung findet das alles normal, wo doch nichts mehr normal ist, seitdem es dich gibt. Äußerlich sieht man es nicht sofort, dass du immer bei mir bist, ich erwähne dich ja auch nicht, aber einer - der ahnte, dass sich bei mir etwas gravierend verändert hat, obwohl ich dich gar nicht bei mir hatte.

Der Hausarzt.

Nachdem er alle Untersuchtungsergebnisse gelesen und ein längeres Gespräch mit mir geführt hatte, schaute er mich nachdenklich an, so von Kopf bis Fuß, ich dachte, was stimmt denn nicht, und dann fragte er sanft:


Haben Sie eine Lesebrille?




Ja!


;-)
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Rudolph, die Geschichte bleibt jetzt so. ;-)
Es waren keine Druckstellen, der Arzt hat einfach eine "altersgerechte" Frage gestellt, mit der der/die Prot nicht gerechnet hat. ;-))

LG DS
 
A

aligaga

Gast
lass dir von aligaga nichts einreden. Du hast von einer Lesebrille geschrieben und dabei bleib! Das ist ja der Reiz an der Geschichte, dass der Leser erst an eine Person denkt, aber erst am Ende erfährt, dass es keine ist. Schließlich ist es dein Werk, das du zwar noch verbessern kannst, aber in den Grundzügen beibehalten solltest.
Lass dir von Rudolph nichts einreden, Doc - der hat @alis Empfehlungen nur nicht genau genug gelesen. Ich riet nicht zu einer Änderung des Plots, sondern zu einer schleichenderen und damit irreführenderen Annäherung an die Schlusspointe.

Sonderbar, was manche "Überflieger" immer wieder aus Zuschriften glauben, machen zu müssen. Sie zeigen uns, wie wichtig nicht nur Sorgfalt beim Schreiben, sondern auch beim Lesen ist.

Ich halte die Ursache der meisten Glaubenskriege für schlichte Missverständnisse.

Gruß

aligaga
 

Rudolph

Mitglied
Hallo aligaga,

vielleicht drückst du dich nächstens weniger missverständlich aus?
Mach aus der Lesehilfe ein Wesen! So etwas wie eine Bewährungshelferin oder eine BetreuerIn
Wundert es dich, wenn da jemand meint, du möchtest die Brille durch ein menschliches Wesen ersetzt wissen?

Kannst du nicht einfach nur feststellen, dass ich dich missverstanden habe?
Solche bissigen Bemerkungen
Sonderbar, was manche "Überflieger" immer wieder aus Zuschriften glauben, machen zu müssen. Sie zeigen uns, wie wichtig nicht nur Sorgfalt beim Schreiben, sondern auch beim Lesen ist.
kannst du dir sparen. Auch wenn du "manche" schreibst, erkennt man aus dem Zusammenhang, dass du mich persönlich meinst. Damit verletzt du die Forenregeln.

Rudolph
 
A

aligaga

Gast
Damit wir alle miteinander wieder klar sehen, mit oder ohne Lesebrille: Es ging und geht in Docs Stückerl darum, erst am Ende herauskommen zu lassen, dass es sich um eine Brille und nicht etwas anderes, z. B. ein menschliches Wesen, handelt. Auch der Titel will insoweit ein wenig in die Irre führen. Mein Vorschlag war, dieses Wesen nicht "hereinknallen", sondern sachter ankommen zu lassen und ein paar sprachliche Ungeschicklichkeiten zu vermeiden. Dein
Wundert es dich, wenn da jemand meint, du möchtest die Brille durch ein menschliches Wesen ersetzt wissen?
geht deshalb völlig an der Sache vorbei. Deine Aufforderung an die Autorin, meinem Kommentar keine Beachtung zu schenken, war völlig unangebracht.

Sich jetzt über die Replik künstlich aufzuregen, führt zu nichts. Ich wiederhole:
Sonderbar, was manche "Überflieger" immer wieder aus Zuschriften glauben, machen zu müssen. Sie zeigen uns, wie wichtig nicht nur Sorgfalt beim Schreiben, sondern auch beim Lesen ist.

Ich halte die Ursache der meisten Glaubenskriege für schlichte Missverständnisse.
Damit hätte schon vorher alles gesagt sein sollen, @Rudolph. Der Fehler, Texte nicht genau genug zu lesen und nicht hinzuhören, was wirklich gesagt wird, ist ein sehr weit verbreiteter. Ich selbst bin auch nicht frei davon.

Gruß

aligaga
 

Rudolph

Mitglied
Hallo aligaga!

Kannst du nicht einfach nur feststellen, dass ich dich missverstanden habe?
Das hatte ich dich gebeten.
Warum ist das für dich nicht akzeptabel? Warum drehst du wieder an deiner Gebetsmühle?

Mittlerweile wissen alle, was wir gemeint haben.
Jetzt muss Schluss sein. (Ich möchte endlich die Häuser am Fluss weiterlesen. Bei Teil 10 bin ich schon. ;))

LG Rudolph
 

molly

Mitglied
Hallo Doc,

Deine kleine Geschichte habe ich mit Vergnügen gelesen. Auch mir ist diese erste "Hilfe" zunächst auf den Tisch geknallt.
Sie hat mir schließlich gezeigt, dass ich von Tag zu Tag älter werde. Aber inzwischen möchte ich sie nicht mehr missen.

Liebe Grüße

molly
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Liebe molly, freut mich, dass Dir die Geschichte gefällt. Die Brille möchte man irgendwann tatsächlich nicht mehr missen. Man KANN es gar nicht mehr.
:)

LG DS
 
Hallo DocSchneider,

Der Witz deiner Geschichte ist: Man erwartet, dass die Erzählerin eine neue Liebe gefunden hat. Denn das lässt der Anfangssatz „Du knalltest in mein Leben“ vermuten. Es gibt ja auch den fast gleichnamigen Love-Song von Udo Lindenberg, mit dem Refrain: Doch jetzt knallst du in mein Leben, und ich kann mich nur ergeben …

Ebenfalls die weiteren Äußerungen wie „Du machtest dich ungeniert breit, noch breiter und schienst zu sagen, ich verlasse dich nicht mehr, nie mehr“, lassen an einen neuen Partner denken. Zwar kommen erste Zweifel, wenn du schreibst: „Immerzu trage ich dich nun bei mir“ – man fragt sich: ist gemeint „im Herzen tragen“?

Doch erst zum Schluss kommt die ganze Auflösung und die Überraschung: Ach, es ist gar kein neuer Freund, es ist nur eine Brille!

Ich finde es amüsant, wie du den Leser in die Irre führst. Und indem du der Lesebrille die Attribute eines Partners verleihst, bereitest du uns Lesern einen Aha-Effekt: Tatsächlich, die Beziehung zu einer Brille kann der Beziehung zu einem geliebten Menschen ähnlich sein, einschließlich des Konfliktes von Freiheit und Abhängigkeit.

Also, mir hat es Spaß gemacht, den Text zu lesen.

P.S. Habe erst jetzt die anderen Kommentare gelesen und festgestellt, dass einige Ähnliches wie ich geschrieben haben. Aber deswegen möchte ich meinen Kommentar nicht noch umschreiben.

LG Stefan Sternau
 



 
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