Hatte diese Erzählung 2 Tage in der Rubrik Kurzgeschichten, aber ich glaube, in der Schreibwerkstatt ist sie doch erstmal besser aufgehoben! Habe aber auch schon einige Sachen verändert...
Verdrängt
Er stand vor einem Spielwarengeschäft und musste plötzlich an seine Kinder denken. Um ihn herum eilten Menschen auf der Suche nach den letzten Weihnachtsgeschenken. Warum er gerade in diesem Moment an seine Kinder denken musste war ihm nicht bewusst. Sie waren lange erwachsen und gingen ihre eigenen Wege. Sein Sohn stand kurz vor dem Abitur und seine Tochter studierte in einer dieser großen Universitätsstädte.
Ihm wurde bewusst, wie wenig er wirklich von seinen Kindern wusste. Vielleicht war dies der Grund, warum er gerade in diesem Moment vor dem Spielwarengeschäft an sie denken musste. Er kannte sie nur aus der Zeit, in der er selber mit ihnen in dieses Geschäft ging und an dem Glitzern in ihren Augen sah, was sie sich wünschten. Noch schöner fand er das Gefühl, Weihnachten oder an ihren Geburtstagen zu sehen, dass er ihre Wünsche erfüllt hatte. Das Strahlen in ihren Augen oder eine zärtliche Umarmung der Kleinen war ihm oft mehr wert, als ein ,Danke’ aus ihren kleinen Mündern, die oft unentwegt plapperten.
Diese Momente hatten ihm so viel bedeutet und doch hatte er sie jahrelang aus seinen Erinnerungen, ja sogar aus seinem Leben verdrängt.
Immer noch stand er vor dem Spielwarengeschäft. Durch das Schaufenster konnte er drinnen Kinder sehen, die mit großen, glänzenden Augen auf eine Puppe oder ein Spielzeugauto zeigten. Daneben eine Mutter oder einen Vater, wie er einer war, die die Wünsche ihrer Kinder von deren Augen ablesen konnten.
Als er und seine Frau sich damals scheiden ließen, trennte er sich auch von seinen Kindern. Er war bereit, mit seinem alten Leben abschließen, wollte dabei konsequent sein.
Wieder ging sein Blick zu den Kindern drinnen. Draußen eilten Menschen an ihm vorbei.
Er versuchte sich an die schönen Momente mit seinem Sohn und seiner Tochter zu erinnern, doch sie kamen ihm nicht in den Sinn. Zeitweise hatte er nach der Trennung den Kontakt zu ihnen gesucht, war sich aber dabei stets bewusst, dass er nicht wirklich eine väterliche Beziehung suchte. Er wollte seine Kinder nicht zu nah an sich herankommen lassen.
Wenn sie sich bei ihm meldeten, was mit den Jahren immer seltener wurde, glänzte er durch Kälte und Desinteresse. Er führte Gespräche mit ihnen auf einer Ebene, auf der er sich mit flüchtigen Bekannten oder seinem Steuerberater unterhielt. Er tat dies sehr sachlich und distanziert, was er bei sich selbst immer mit der räumlichen Distanz von 500 km entschuldigte, die zwischen ihnen lag.
Seine geschiedene Frau hatte nach der Trennung den Entschluss gefasst, zum Wohl der Kinder und zu ihrem eigenen, wieder in ihre Heimat zurückzugehen. Da er nicht wirklich wusste, wie sich seine Kinder dadurch entwickelt hatten, konnte er jetzt noch nicht mal sagen, dass dieser Schritt von ihr falsch war.
Anfangs nach der Trennung vermisste er das Glänzen in den Augen seiner Kinder. Am Telefon konnte er nur ihre Stimmen hören, und obwohl ihm das nicht langte, unternahm er nichts, um sie öfters sehen zu können. Er wollte sich nicht dazu verpflichtet fühlen, sie regelmäßig besuchen zu müssen.
Später vermisste er seine Kinder gar nicht mehr.
Er erinnerte sich an eine Situation vor ein paar Jahren, als er seinen Sohn nach einem Wochenendaufenthalt in der Nähe besuchte. Seine Tochter wollte ihn schon damals nicht mehr sehen. Er hatte geplant, auf der Rückfahrt bei ihm anzuhalten und mit ihm ein Eis essen zu gehen. Er hatte seinem Sohn von vornherein nicht viel Zeit eingeräumt. Als seine damalige Lebensgefährtin darum bat, an dem Tag der Abreise wenigstens ausschlafen zu können, gab er nach. Für den Sohn blieben zehn Minuten, die er mit ihm vor der Tür des Hauses, in dem seine geschiedene Frau jetzt mit den Kindern lebte, verbrachte. Es wurde nicht viel geredet. Ein kühles, sachliches Gespräch eben, bei dem er zeigte, dass er noch eine lange Fahrt vor sich hatte und es deswegen kurz machen wollte.
Abends musste er sich die Vorwürfe seiner geschiedenen Frau am Telefon anhören, am Abend darauf die seiner Tochter, die in einem Weinkrampf und mit einem abrupten Abbruch des Gesprächs endeten. Er konnte sie beide nicht verstehen. Wie sollte er auch, wenn er sich damals nicht bewusst war, etwas falsch gemacht zu haben. Er hatte alles ihm erdenkliche getan, und den Besuch bei seinem Sohn als erledigt abgehakt.
Wieder blickte er durch das Schaufenster des Spielwarengeschäfts. Er spürte eine Träne, die bei der eisigen Kälte warm über seine Wange lief. Die eilige Menschenmenge um sich herum nahm er nicht mehr wahr. Ihm wurde plötzlich bewusst, wie oft er seine eigenen Kinder in den letzten Jahren unbewusst verletzt hatte. Dadurch, dass er nie den Kontakt zu ihnen suchte, aber auch dadurch, dass er jahrelang probiert hatte, ihre Existenz zu verdrängen um sich selber zu schützen.
Selbst als seine Tochter, zu der er auf ihren Wunsch hin drei Jahre lang keinen Kontakt hatte, plötzlich wieder versuchte eine Beziehung zu ihm aufzubauen, blieb er kühl.
Er erinnerte sich an ein Telefonat mit ihr, bei dem sie ihm freudig berichtete, dass sie vorhätte ihn zu besuchen. Er war damals gerade mit dem Bau seines neuen Hauses fertig geworden und mit seiner Lebensgefährtin und deren drei Kindern dort eingezogen. Er fühlte sich von der Tochter überrumpelt und wollte sich nicht festlegen müssen. So sagte er ihr, dass er keinen Platz für sie habe, da seine Modelleisenbahn und Umzugskisten noch in dem eigentlichen Gästezimmer stehen würden und er keine Lust habe, dort jetzt Platz für Besuch zu machen. Ihre Wut, ihr Entsetzen darüber und den darauf folgenden Weinkrampf konnte er nicht verstehen. Es folgten noch zwei oder drei Anrufe seiner Tochter, bei denen sie probierte zu verstehen, wie er sagen konnte, dass er keinen Platz für seine eigene Tochter habe. Sie versuchte ihm die Gefühle zu erklären, die er dadurch, wie schon oft zuvor, in ihr ausgelöst hatte. Er verstand sie nicht, das alles war viel zu weit von ihm weg.
Immer noch stand er vor dem Spielwarengeschäft. Draußen hatte es angefangen zu schneien. Er fühlte die kalten Schneeflocken und die warmen Tränen auf seinen Wangen. In diesem Moment vor dem Spielwarengeschäft hatte er das Gefühl, alles zu verstehen. In diesem Moment war ihm das alles so nah, dass er das Gefühl hatte, er müsste jedem sagen, dass er jetzt verstanden hatte.
Eilig gingen die Menschen an ihm vorbei. Er rannte los, getrieben von einem sonderbaren Gefühl. Einem Gefühl, das er jahrelang nicht hatte und welches ihm jetzt sagte, dass er sich beeilen musste. Vielleicht war es noch nicht zu spät.
Verdrängt
Er stand vor einem Spielwarengeschäft und musste plötzlich an seine Kinder denken. Um ihn herum eilten Menschen auf der Suche nach den letzten Weihnachtsgeschenken. Warum er gerade in diesem Moment an seine Kinder denken musste war ihm nicht bewusst. Sie waren lange erwachsen und gingen ihre eigenen Wege. Sein Sohn stand kurz vor dem Abitur und seine Tochter studierte in einer dieser großen Universitätsstädte.
Ihm wurde bewusst, wie wenig er wirklich von seinen Kindern wusste. Vielleicht war dies der Grund, warum er gerade in diesem Moment vor dem Spielwarengeschäft an sie denken musste. Er kannte sie nur aus der Zeit, in der er selber mit ihnen in dieses Geschäft ging und an dem Glitzern in ihren Augen sah, was sie sich wünschten. Noch schöner fand er das Gefühl, Weihnachten oder an ihren Geburtstagen zu sehen, dass er ihre Wünsche erfüllt hatte. Das Strahlen in ihren Augen oder eine zärtliche Umarmung der Kleinen war ihm oft mehr wert, als ein ,Danke’ aus ihren kleinen Mündern, die oft unentwegt plapperten.
Diese Momente hatten ihm so viel bedeutet und doch hatte er sie jahrelang aus seinen Erinnerungen, ja sogar aus seinem Leben verdrängt.
Immer noch stand er vor dem Spielwarengeschäft. Durch das Schaufenster konnte er drinnen Kinder sehen, die mit großen, glänzenden Augen auf eine Puppe oder ein Spielzeugauto zeigten. Daneben eine Mutter oder einen Vater, wie er einer war, die die Wünsche ihrer Kinder von deren Augen ablesen konnten.
Als er und seine Frau sich damals scheiden ließen, trennte er sich auch von seinen Kindern. Er war bereit, mit seinem alten Leben abschließen, wollte dabei konsequent sein.
Wieder ging sein Blick zu den Kindern drinnen. Draußen eilten Menschen an ihm vorbei.
Er versuchte sich an die schönen Momente mit seinem Sohn und seiner Tochter zu erinnern, doch sie kamen ihm nicht in den Sinn. Zeitweise hatte er nach der Trennung den Kontakt zu ihnen gesucht, war sich aber dabei stets bewusst, dass er nicht wirklich eine väterliche Beziehung suchte. Er wollte seine Kinder nicht zu nah an sich herankommen lassen.
Wenn sie sich bei ihm meldeten, was mit den Jahren immer seltener wurde, glänzte er durch Kälte und Desinteresse. Er führte Gespräche mit ihnen auf einer Ebene, auf der er sich mit flüchtigen Bekannten oder seinem Steuerberater unterhielt. Er tat dies sehr sachlich und distanziert, was er bei sich selbst immer mit der räumlichen Distanz von 500 km entschuldigte, die zwischen ihnen lag.
Seine geschiedene Frau hatte nach der Trennung den Entschluss gefasst, zum Wohl der Kinder und zu ihrem eigenen, wieder in ihre Heimat zurückzugehen. Da er nicht wirklich wusste, wie sich seine Kinder dadurch entwickelt hatten, konnte er jetzt noch nicht mal sagen, dass dieser Schritt von ihr falsch war.
Anfangs nach der Trennung vermisste er das Glänzen in den Augen seiner Kinder. Am Telefon konnte er nur ihre Stimmen hören, und obwohl ihm das nicht langte, unternahm er nichts, um sie öfters sehen zu können. Er wollte sich nicht dazu verpflichtet fühlen, sie regelmäßig besuchen zu müssen.
Später vermisste er seine Kinder gar nicht mehr.
Er erinnerte sich an eine Situation vor ein paar Jahren, als er seinen Sohn nach einem Wochenendaufenthalt in der Nähe besuchte. Seine Tochter wollte ihn schon damals nicht mehr sehen. Er hatte geplant, auf der Rückfahrt bei ihm anzuhalten und mit ihm ein Eis essen zu gehen. Er hatte seinem Sohn von vornherein nicht viel Zeit eingeräumt. Als seine damalige Lebensgefährtin darum bat, an dem Tag der Abreise wenigstens ausschlafen zu können, gab er nach. Für den Sohn blieben zehn Minuten, die er mit ihm vor der Tür des Hauses, in dem seine geschiedene Frau jetzt mit den Kindern lebte, verbrachte. Es wurde nicht viel geredet. Ein kühles, sachliches Gespräch eben, bei dem er zeigte, dass er noch eine lange Fahrt vor sich hatte und es deswegen kurz machen wollte.
Abends musste er sich die Vorwürfe seiner geschiedenen Frau am Telefon anhören, am Abend darauf die seiner Tochter, die in einem Weinkrampf und mit einem abrupten Abbruch des Gesprächs endeten. Er konnte sie beide nicht verstehen. Wie sollte er auch, wenn er sich damals nicht bewusst war, etwas falsch gemacht zu haben. Er hatte alles ihm erdenkliche getan, und den Besuch bei seinem Sohn als erledigt abgehakt.
Wieder blickte er durch das Schaufenster des Spielwarengeschäfts. Er spürte eine Träne, die bei der eisigen Kälte warm über seine Wange lief. Die eilige Menschenmenge um sich herum nahm er nicht mehr wahr. Ihm wurde plötzlich bewusst, wie oft er seine eigenen Kinder in den letzten Jahren unbewusst verletzt hatte. Dadurch, dass er nie den Kontakt zu ihnen suchte, aber auch dadurch, dass er jahrelang probiert hatte, ihre Existenz zu verdrängen um sich selber zu schützen.
Selbst als seine Tochter, zu der er auf ihren Wunsch hin drei Jahre lang keinen Kontakt hatte, plötzlich wieder versuchte eine Beziehung zu ihm aufzubauen, blieb er kühl.
Er erinnerte sich an ein Telefonat mit ihr, bei dem sie ihm freudig berichtete, dass sie vorhätte ihn zu besuchen. Er war damals gerade mit dem Bau seines neuen Hauses fertig geworden und mit seiner Lebensgefährtin und deren drei Kindern dort eingezogen. Er fühlte sich von der Tochter überrumpelt und wollte sich nicht festlegen müssen. So sagte er ihr, dass er keinen Platz für sie habe, da seine Modelleisenbahn und Umzugskisten noch in dem eigentlichen Gästezimmer stehen würden und er keine Lust habe, dort jetzt Platz für Besuch zu machen. Ihre Wut, ihr Entsetzen darüber und den darauf folgenden Weinkrampf konnte er nicht verstehen. Es folgten noch zwei oder drei Anrufe seiner Tochter, bei denen sie probierte zu verstehen, wie er sagen konnte, dass er keinen Platz für seine eigene Tochter habe. Sie versuchte ihm die Gefühle zu erklären, die er dadurch, wie schon oft zuvor, in ihr ausgelöst hatte. Er verstand sie nicht, das alles war viel zu weit von ihm weg.
Immer noch stand er vor dem Spielwarengeschäft. Draußen hatte es angefangen zu schneien. Er fühlte die kalten Schneeflocken und die warmen Tränen auf seinen Wangen. In diesem Moment vor dem Spielwarengeschäft hatte er das Gefühl, alles zu verstehen. In diesem Moment war ihm das alles so nah, dass er das Gefühl hatte, er müsste jedem sagen, dass er jetzt verstanden hatte.
Eilig gingen die Menschen an ihm vorbei. Er rannte los, getrieben von einem sonderbaren Gefühl. Einem Gefühl, das er jahrelang nicht hatte und welches ihm jetzt sagte, dass er sich beeilen musste. Vielleicht war es noch nicht zu spät.