Verfall

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es gibt zwei Lesarten für "du".
Eine faszinierende entsteht durch den Spiegel.
Es ist das Du wie in "Thou art the man" (Du bist der Mann).

Das Gedicht zeigt dann Selbstschutz.
Ich suche nicht nach Gründen
ich stutz die scheuen Flügel
und falle aus der Pflicht
Es wird zur Selbstbetrachtung. Unzufriedenheit? Oder - (Flügel, Prometheus) Selbstüberschätzung? Das Fallen? Aufhören, die Kugel den Berg hochzurollen, so dass sie nicht mehr nach unten rollt?

Verfall den alten Sünden
schau nicht mehr in den Spiegel
schau dir nicht ins Gesicht
Das lyrische Ich legt einen Panzer an, eine Schutzhaut, eine Uniform, um sich zu schützen - vor sich selbst, um sich auszuweichen.

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Eine völlig andere Lesart ist die "normale" mit einem realen Gegenüber, von dem man sich abgrenzen will.

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Ist der Schatten geopfert? Wartet die Erlösung oder Verdammnis?

Es gabelt sich wiederum, einerseits die Imperativform ist es andererseits Erzählform, mit implizitem Subjekt: mich.
Und hier taucht er auf, der Spiegel. Zugleich in der Mitte des Gedichtes spoiegelt er auch dieses in gewisser Weise.

In mir sollst du nichts finden
im Schutz der blanken Riegel
bleibt dir nur das Gerücht
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Dir und mir verschmelzen, die verschiedenen Welten - Lesarten -wirbeln ineinander, hinterlassen Trauer, Schwermut.
 

mara

Mitglied
Lieber Bernd,

vielen Dank für deine intensive Beschäftigung mit meinem Gedicht. Du hast in der Tat sehr viel aufgedeckt und gefunden. Ja, es geht um Auseinandersetzung, "Selbstreflexion", Rückfall, Selbstschutz - "du und ich" verschmelzen. Wer etwas verbirgt, zu täuschen versucht, täuscht immer auch sich selbst. Und die Riegel bieten nicht nur Schutz, sie nehmen auch gefangen.

Dabei ist dieses Gedicht eine meiner "Schnellgeburten" - in knapp 10 Minuten entstanden. In einem Moment, der Erinnerungen aufwarf...

Liebe Grüße!

mara
 



 
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