Vernetzter Wahnsinn
"Aufstehn!" rief der Wecker, nun zum dritten Mal und mittlerweile unangenehm laut. Das Bett unterstützte ihn mit Wellenbewegungen und Vibrationen, und die Bettdecke versuchte, sich mit sachten Kriechbewegungen davon zu machen. Mark sah ein, daß es keinen Zweck mehr hatte, weiterschlafen zu wollen. Beim nächsten Weckruf würden ihm die Trommelfelle platzen und ihn das Bett einfach auf den Boden kippen.
Hustend, schniefend und sich den Bauch kratzend setzte er sich auf die Bettkante und wartetete darauf, daß auch sein Kreislauf wach wurde.
"Halt dich nicht auf!" mahnten die Hausschuhe. "Du bist verdammt spät dran! Das sieht nicht gut aus!""
Der Duschkopf konnte natürlich auch nicht die Klappe halten:
"Wo bleibst du - ich wär' nämlich so weit!" blubberte er aus dem Badezimmer. Nur Marks Blase trieb ihn weiter ohne viel Worte zu machen.
Gähnend schlurfte er ins Bad, stellte sich vor die Toilettenschüssel und begann zu pinkeln.
"He Mann - was soll die Schweinerei? Setz dich gefälligst hin!" schimpfte die Schüssel, ihre Stimme klirrte schmerzhaft in seinen Ohren. Mark drehte sich seufzend um und setzte sich. Er würde es nie lernen... nicht mal lernen wollen!
"Da ist ein bißchen Aceton in deinem Urin", sagte die Toilettenschüssel, nun schon versöhnlicher und ein bißchen besorgt. "Du solltest mal zum Arzt gehen. Vielleicht ist es eine verschleppte Erkältung."
"Jaja, ich geh diese Woche mal hin", brummte er.
"Dann vergiß nicht mich mitzunehmen!" quiekte die Gesundheits-Card aus dem Arbeitszimmer. "Ich bin dir letztens hinter den Schreibtisch gefallen."
Mark vollzog sein morgendliches Putzritual: duschen, rasieren, Zähne putzen. Andächtig tat er es, zelebrierte es gewissermaßen, den es schenkte ihm die Gelassenheit, die er brauchte, bis er das Haus verlassen hatte. Er hatte keine Lust mehr, sich aufzuregen. Jeden Morgen das gleiche Theater, seit es nur noch dieses netzwerkfähige Zeug gab, das immer mitdachte und auf sich selbst aufpaßte. Mit dem Kühlschrank und seinen schwachsinnigen Einkaufszetteln hatte es angefangen. Dann die Mikrowelle, mit ihren Rezeptvorschlägen... Aber mittlerweile gelang es ihm recht gut, das Gezeter der Geräte und Möbel zu ignorieren. Auch wenn er in letzter Zeit schlecht träumte und oft Sodbrennen hatte. Es ging ihm wahrscheinlich schlechter als er es sich eingestehen wollte. Auch das verdrängte er. Es war lange her, daß er sich richtig wohlgefühlt hatte, zu lange um noch vergleichen zu können.
"Du solltest mich bald mal austauschen", schlug die Zahnbürste vor.
Mark warf sie in den Mülleimer.
"He, die Bürste war doch noch völlig in Ordnung", beschwerte sich der Mülleimer. "Die hättest du gut und gerne noch vier Wochen benutzen können."
Mark hörte nicht hin. Der Mülleimer war ein No-Name-Produkt. Seine Künstliche Intelligenz enthielt offenbar noch jede Menge Programmierfehler. Er hatte auch schon versucht, Mark davon zu überzeugen, daß Exkremente nicht in die Toilette sondern in die Bio-Tonne gehörten. Einfach nicht drauf eingehn...
In der Küche empfing ihn ein aufgeregtes Durcheinander. So spät war er noch nie dran gewesen. Von allen Seiten wurde er angetrieben, ermahnt und gewarnt. Überdies hatte sich wohl das Betriebssystem des Eierkochers aufgehängt. Marks Frühstücksei war steinhart und hatte einen grünlich-schwarzen Dotter.
"Du mußt mal nach dem Eierkocher sehen!" rief der Toaster besorgt.
"Dem Eierkocher geht's nicht gut!" bestätigte der Rührfix.
"Mir geht's auch nicht besonders!" knurrte Mark und knallte den Eierkocher ein paarmal hart auf die Arbeitsplatte.
"Ich krieg kein Response mehr vom Eierkocher! Das sieht nicht gut aus", die Kaffeemaschine klang ein wenig hysterisch.
Er würgte in aller Hast das Ei und den Toast hinunter, den der Toaster vor lauter Aufregung um den Eierkocher hatte verbrennen lassen.
Derweil druckte ihm der Kühlschrank einen langen Einkaufszettel aus - lauter Sachen, die Mark nicht mochte, die aber entweder sehr trendy oder sehr gesund waren.
"Wenn du wieder die Hälfte nicht kaufst, bestell ich die Sachen einfach online", warnte ihn der Kühlschrank. Mark hörte es nicht mehr, er war längst draußen. Sein Bus stand bereits an der Haltestelle. Wenn er den auch noch verpaßte, hatte er keine Chance mehr, noch vor Mittag ins Büro zu kommen. Dann war eine Abmahnung fällig.
Er arbeitete in der Innenstadt, in einem modernen neuen Bürogebäude mit ergonomischer Architektur. Superergonomisch. Sich sanft anpassende Formen, leise meditative Musik, unaufdringliche, sedierende Gerüche. Man hätte geradezu eine Erektion kriegen können, wenn man nur den Türgriff anfaßte, so gut und angenehm lag alles in der Hand. In seinem Arbeitsvertrag stand zwar Datenverarbeitungsfachmann, aber in Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, was er da eigentlich machte. Genau genommen stellte er nur sein Gehirn als Datenverarbeitungsgerät zur Verfügung. Das war für die Arbeitgeber billiger, als jedes halbe Jahr neue Neuro-PCs zu kaufen.
Was da in seinem Kopf verarbeitet wurde, entzog sich völlig seiner Kenntnis. Alle Arbeitsdaten, die er tagsüber geschickt bekam, wurden abends sorgfältig wieder gelöscht. Er machte sich auch wenig Gedanken darüber. Die Benutzung menschlicher Gehirne als Arbeitsgeräte unterlag sehr strengen Datenschutzrichtlinien. Er hatte kaum Bedenken, daß man ihn irgendwie mißbrauchen würde. Die Datenströme kamen von mächtigen anonymen Servern irgendwo auf der Welt und kehrten bearbeitet dorthin zurück. Aber er war sich auch nicht hundertprozentig sicher... manchmal hatte er das Gefühl, er müsse sich eigentlich besser an seine eigene Vergangenheit erinnern können... vor der Vernetzung.
Er schloß sich morgens ans Interface an und sein Bewußtsein wurde ausgeblendet. Wenn sich das Interface abends wieder abschaltete, war für ihn praktisch keine bewußte Zeit vergangen und er erinnerte sich auch an nichts, was während des Tages in seinem Kopf geschehen war. Nicht einmal Träume gab es während dieser Phasen. Aber daran, daß er abends erschöpft und müde war spürte er, daß sein Organismus etwas geleistet hatte. Der Tag selbst wurde zu einem winzigen dunklen Loch.
Mark betrat sein sparsam eingerichtetes Büro. Außer einem Sessel und einem kleinen Schreibtisch war absolut nichts darin. Keine Schränke, keine Regale, keine überquellenden Ablagekästen. Selbst der Schreibtisch war eigentlich überflüssig. Er brauchte ihn nur um die Füße hochzulegen. Dafür war der Sessel allererste Wahl. Mit Polstern die sich jeglicher Körperform perfekt anpaßten und jede Sitzstellung sanft unterstützten.
"Hallo Mark!" rief das kleine schwarze Interface, das auf dem Tisch lag. Es ähnelte ein wenig einem Kopfhörer. "Du bist spät. Sehr spät. Da müssen wir heute abend schon ein bißchen länger machen - was?"
Mark knurrte etwas unverständliches aber es klang eher nach einem Fluch, als nach Zustimmung.
"Schalt mich ein, schalt mich aus...." summte das Interface gutgelaunt, als Mark die beiden runden Konnektoren an seine Schläfen setzte. Sie saugten sich augenblicklich fest und es wurde dunkel....
....und es wurde hell. Aber jetzt kam das Licht von den flimmernden Deckenlampen, denn draußen war es längst Nacht geworden. Die Konnektoren hatten sich gelöst und lagen auf seinem Schoß.
"He, du hast mich mindestens drei Stunden länger arbeiten lassen!" schimpfte er mit dem Interface. "Nur wegen ein paar Minuten Verspätung."
"Es war viel zu tun", sagte das Interface unbeteiligt. "Sieh zu, daß du nach Hause kommst und leg dich auf's Ohr... sonst verschläftst du morgen wieder."
Er fluchte wieder. Ein Fluch morgens und einer kurz vor Feierabend, das war in der Regel seine gesamte Konversation. Der ganze Abend war im Eimer. Die Geschäfte hatten längst geschlossen, eine Verabredung war geplatzt und er fühlte sich so erschossen wie schon lange nicht mehr. Also nach Hause, was essen und noch ein wenig fernsehen, mehr war für heute nicht mehr drin.
"Hallo Mark!" begrüßte ihn die Fußmatte vor seiner Haustür. "Vergiß nicht die Schuhe auszuziehen." Mark kickte sie verdrossen die Treppe hinunter.
"Hey, habt ihr das gesehen? Mark ist schlecht drauf!" quäkte die Deckenlampe im Flur. "Das sieht nicht gut aus."
"Wenn er erst in die Küche kommt wird er noch viel schlechter drauf sein!" schwang da so etwas wie klammheimliche Freude in der gurgelnden Stimme der Spülmaschine?
"Was ist denn los? Ist was passiert?" fragte Mark als er in die Küche kam aber alles ganz in Ordnung fand. Nichts lag auf dem Boden, alles war aufgeräumt, sauber und adrett.
"Das darf nicht wahr sein", entsetzte sich der Kühlschrank, "Du hast ja gar nichts eingekauft!"
"Mach ich morgen", brummelte Mark und wollte sich ins Wohnzimmer verdrücken. Aber er wurde aufgehalten.
"Ich muß dir was beichten", summte die Mikrowelle bekümmert. "Ein Rasierapparat aus der Nachbarschaft hat mich gehackt. Das ganze Viertel weiß jetzt alles über dich.... eigentlich sogar die ganze Welt...dein Gehalt, deinen Kontostand, deine letzte Spermienzählung... tut mir echt leid."
Marks Augen bekamen einen wilden, fiebrigen Glanz. Sein Unterkiefer mahlte konvulsivisch.
"Ich schmeiß das ganze Geraffel auf den Müll!" fauchte er und riß den Stecker der Mikrowelle aus der Dose.
"Ich krieg kein Response mehr von der Mikrowelle!" meldete der Elektroherd. "Das sieht nicht gut aus. Ich übernehm mal ihre Kommunikationsfunktionen, bis sie wieder da ist."
Mark stützte sich schwer atmend auf den Küchentisch, richtete sich mit einem Ruck wieder auf und holte sich eine Flasche Aquavit aus dem Kühlschrank.
"Du solltest nicht trinken, wenn du dich aufregst", mahnte die Flasche. "Es ist erst Mittwoch und ich bin schon halb leer. Ich bin ein Genuß- und kein Beruhigungsmittel."
"Wie wär's stattdessen mit uns?" rief aus irgendeiner Schublade eine halbvergessene, angebrochene Schachtel mit Baldrianperlen. "Du brauchst unbedingt ein wenig Ruhe und erholsamen Schlaf."
"Ist es schlimm? Wollen wir gemeinsam deinen Therapeuthen anrufen?" erbot sich das Telefon.
Er blieb stehen. Die Flasche rutschte ihm aus der Hand und zersprang auf dem Fliesenboden. Aus irgendeiner Kammer meldete sich ein Wischmop und wollte behilflich sein. Mark hörte ihn nicht. Mit einem Mal war er ruhig. Sehr ruhig. Sein Blick war stumpf und in die Ferne gerichtet, als er sich langsam umwandte und die Stufen der Kellertreppe hinabging. Es wurde still im Haus. So lange, bis man ihn vermißte.
"Wir kriegen kein Response mehr von Mark!" riefen die Vernetzten wild durcheinander. "Sieht es nicht gut aus?"
"Er schien ein bißchen hysterisch vorhin."
"War auch ein blödes Pech mit der Mikrowelle."
"War sicher kein guter Tag für ihn."
"Er ist bei mir!" rief der Strick aus dem Keller. "Also ich finde, er hat Glück gehabt. Wenn er in den letzten Wochen nicht so abgenommen hätte, wär' ich sicher längst gerissen."
"Aufstehn!" rief der Wecker, nun zum dritten Mal und mittlerweile unangenehm laut. Das Bett unterstützte ihn mit Wellenbewegungen und Vibrationen, und die Bettdecke versuchte, sich mit sachten Kriechbewegungen davon zu machen. Mark sah ein, daß es keinen Zweck mehr hatte, weiterschlafen zu wollen. Beim nächsten Weckruf würden ihm die Trommelfelle platzen und ihn das Bett einfach auf den Boden kippen.
Hustend, schniefend und sich den Bauch kratzend setzte er sich auf die Bettkante und wartetete darauf, daß auch sein Kreislauf wach wurde.
"Halt dich nicht auf!" mahnten die Hausschuhe. "Du bist verdammt spät dran! Das sieht nicht gut aus!""
Der Duschkopf konnte natürlich auch nicht die Klappe halten:
"Wo bleibst du - ich wär' nämlich so weit!" blubberte er aus dem Badezimmer. Nur Marks Blase trieb ihn weiter ohne viel Worte zu machen.
Gähnend schlurfte er ins Bad, stellte sich vor die Toilettenschüssel und begann zu pinkeln.
"He Mann - was soll die Schweinerei? Setz dich gefälligst hin!" schimpfte die Schüssel, ihre Stimme klirrte schmerzhaft in seinen Ohren. Mark drehte sich seufzend um und setzte sich. Er würde es nie lernen... nicht mal lernen wollen!
"Da ist ein bißchen Aceton in deinem Urin", sagte die Toilettenschüssel, nun schon versöhnlicher und ein bißchen besorgt. "Du solltest mal zum Arzt gehen. Vielleicht ist es eine verschleppte Erkältung."
"Jaja, ich geh diese Woche mal hin", brummte er.
"Dann vergiß nicht mich mitzunehmen!" quiekte die Gesundheits-Card aus dem Arbeitszimmer. "Ich bin dir letztens hinter den Schreibtisch gefallen."
Mark vollzog sein morgendliches Putzritual: duschen, rasieren, Zähne putzen. Andächtig tat er es, zelebrierte es gewissermaßen, den es schenkte ihm die Gelassenheit, die er brauchte, bis er das Haus verlassen hatte. Er hatte keine Lust mehr, sich aufzuregen. Jeden Morgen das gleiche Theater, seit es nur noch dieses netzwerkfähige Zeug gab, das immer mitdachte und auf sich selbst aufpaßte. Mit dem Kühlschrank und seinen schwachsinnigen Einkaufszetteln hatte es angefangen. Dann die Mikrowelle, mit ihren Rezeptvorschlägen... Aber mittlerweile gelang es ihm recht gut, das Gezeter der Geräte und Möbel zu ignorieren. Auch wenn er in letzter Zeit schlecht träumte und oft Sodbrennen hatte. Es ging ihm wahrscheinlich schlechter als er es sich eingestehen wollte. Auch das verdrängte er. Es war lange her, daß er sich richtig wohlgefühlt hatte, zu lange um noch vergleichen zu können.
"Du solltest mich bald mal austauschen", schlug die Zahnbürste vor.
Mark warf sie in den Mülleimer.
"He, die Bürste war doch noch völlig in Ordnung", beschwerte sich der Mülleimer. "Die hättest du gut und gerne noch vier Wochen benutzen können."
Mark hörte nicht hin. Der Mülleimer war ein No-Name-Produkt. Seine Künstliche Intelligenz enthielt offenbar noch jede Menge Programmierfehler. Er hatte auch schon versucht, Mark davon zu überzeugen, daß Exkremente nicht in die Toilette sondern in die Bio-Tonne gehörten. Einfach nicht drauf eingehn...
In der Küche empfing ihn ein aufgeregtes Durcheinander. So spät war er noch nie dran gewesen. Von allen Seiten wurde er angetrieben, ermahnt und gewarnt. Überdies hatte sich wohl das Betriebssystem des Eierkochers aufgehängt. Marks Frühstücksei war steinhart und hatte einen grünlich-schwarzen Dotter.
"Du mußt mal nach dem Eierkocher sehen!" rief der Toaster besorgt.
"Dem Eierkocher geht's nicht gut!" bestätigte der Rührfix.
"Mir geht's auch nicht besonders!" knurrte Mark und knallte den Eierkocher ein paarmal hart auf die Arbeitsplatte.
"Ich krieg kein Response mehr vom Eierkocher! Das sieht nicht gut aus", die Kaffeemaschine klang ein wenig hysterisch.
Er würgte in aller Hast das Ei und den Toast hinunter, den der Toaster vor lauter Aufregung um den Eierkocher hatte verbrennen lassen.
Derweil druckte ihm der Kühlschrank einen langen Einkaufszettel aus - lauter Sachen, die Mark nicht mochte, die aber entweder sehr trendy oder sehr gesund waren.
"Wenn du wieder die Hälfte nicht kaufst, bestell ich die Sachen einfach online", warnte ihn der Kühlschrank. Mark hörte es nicht mehr, er war längst draußen. Sein Bus stand bereits an der Haltestelle. Wenn er den auch noch verpaßte, hatte er keine Chance mehr, noch vor Mittag ins Büro zu kommen. Dann war eine Abmahnung fällig.
Er arbeitete in der Innenstadt, in einem modernen neuen Bürogebäude mit ergonomischer Architektur. Superergonomisch. Sich sanft anpassende Formen, leise meditative Musik, unaufdringliche, sedierende Gerüche. Man hätte geradezu eine Erektion kriegen können, wenn man nur den Türgriff anfaßte, so gut und angenehm lag alles in der Hand. In seinem Arbeitsvertrag stand zwar Datenverarbeitungsfachmann, aber in Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, was er da eigentlich machte. Genau genommen stellte er nur sein Gehirn als Datenverarbeitungsgerät zur Verfügung. Das war für die Arbeitgeber billiger, als jedes halbe Jahr neue Neuro-PCs zu kaufen.
Was da in seinem Kopf verarbeitet wurde, entzog sich völlig seiner Kenntnis. Alle Arbeitsdaten, die er tagsüber geschickt bekam, wurden abends sorgfältig wieder gelöscht. Er machte sich auch wenig Gedanken darüber. Die Benutzung menschlicher Gehirne als Arbeitsgeräte unterlag sehr strengen Datenschutzrichtlinien. Er hatte kaum Bedenken, daß man ihn irgendwie mißbrauchen würde. Die Datenströme kamen von mächtigen anonymen Servern irgendwo auf der Welt und kehrten bearbeitet dorthin zurück. Aber er war sich auch nicht hundertprozentig sicher... manchmal hatte er das Gefühl, er müsse sich eigentlich besser an seine eigene Vergangenheit erinnern können... vor der Vernetzung.
Er schloß sich morgens ans Interface an und sein Bewußtsein wurde ausgeblendet. Wenn sich das Interface abends wieder abschaltete, war für ihn praktisch keine bewußte Zeit vergangen und er erinnerte sich auch an nichts, was während des Tages in seinem Kopf geschehen war. Nicht einmal Träume gab es während dieser Phasen. Aber daran, daß er abends erschöpft und müde war spürte er, daß sein Organismus etwas geleistet hatte. Der Tag selbst wurde zu einem winzigen dunklen Loch.
Mark betrat sein sparsam eingerichtetes Büro. Außer einem Sessel und einem kleinen Schreibtisch war absolut nichts darin. Keine Schränke, keine Regale, keine überquellenden Ablagekästen. Selbst der Schreibtisch war eigentlich überflüssig. Er brauchte ihn nur um die Füße hochzulegen. Dafür war der Sessel allererste Wahl. Mit Polstern die sich jeglicher Körperform perfekt anpaßten und jede Sitzstellung sanft unterstützten.
"Hallo Mark!" rief das kleine schwarze Interface, das auf dem Tisch lag. Es ähnelte ein wenig einem Kopfhörer. "Du bist spät. Sehr spät. Da müssen wir heute abend schon ein bißchen länger machen - was?"
Mark knurrte etwas unverständliches aber es klang eher nach einem Fluch, als nach Zustimmung.
"Schalt mich ein, schalt mich aus...." summte das Interface gutgelaunt, als Mark die beiden runden Konnektoren an seine Schläfen setzte. Sie saugten sich augenblicklich fest und es wurde dunkel....
....und es wurde hell. Aber jetzt kam das Licht von den flimmernden Deckenlampen, denn draußen war es längst Nacht geworden. Die Konnektoren hatten sich gelöst und lagen auf seinem Schoß.
"He, du hast mich mindestens drei Stunden länger arbeiten lassen!" schimpfte er mit dem Interface. "Nur wegen ein paar Minuten Verspätung."
"Es war viel zu tun", sagte das Interface unbeteiligt. "Sieh zu, daß du nach Hause kommst und leg dich auf's Ohr... sonst verschläftst du morgen wieder."
Er fluchte wieder. Ein Fluch morgens und einer kurz vor Feierabend, das war in der Regel seine gesamte Konversation. Der ganze Abend war im Eimer. Die Geschäfte hatten längst geschlossen, eine Verabredung war geplatzt und er fühlte sich so erschossen wie schon lange nicht mehr. Also nach Hause, was essen und noch ein wenig fernsehen, mehr war für heute nicht mehr drin.
"Hallo Mark!" begrüßte ihn die Fußmatte vor seiner Haustür. "Vergiß nicht die Schuhe auszuziehen." Mark kickte sie verdrossen die Treppe hinunter.
"Hey, habt ihr das gesehen? Mark ist schlecht drauf!" quäkte die Deckenlampe im Flur. "Das sieht nicht gut aus."
"Wenn er erst in die Küche kommt wird er noch viel schlechter drauf sein!" schwang da so etwas wie klammheimliche Freude in der gurgelnden Stimme der Spülmaschine?
"Was ist denn los? Ist was passiert?" fragte Mark als er in die Küche kam aber alles ganz in Ordnung fand. Nichts lag auf dem Boden, alles war aufgeräumt, sauber und adrett.
"Das darf nicht wahr sein", entsetzte sich der Kühlschrank, "Du hast ja gar nichts eingekauft!"
"Mach ich morgen", brummelte Mark und wollte sich ins Wohnzimmer verdrücken. Aber er wurde aufgehalten.
"Ich muß dir was beichten", summte die Mikrowelle bekümmert. "Ein Rasierapparat aus der Nachbarschaft hat mich gehackt. Das ganze Viertel weiß jetzt alles über dich.... eigentlich sogar die ganze Welt...dein Gehalt, deinen Kontostand, deine letzte Spermienzählung... tut mir echt leid."
Marks Augen bekamen einen wilden, fiebrigen Glanz. Sein Unterkiefer mahlte konvulsivisch.
"Ich schmeiß das ganze Geraffel auf den Müll!" fauchte er und riß den Stecker der Mikrowelle aus der Dose.
"Ich krieg kein Response mehr von der Mikrowelle!" meldete der Elektroherd. "Das sieht nicht gut aus. Ich übernehm mal ihre Kommunikationsfunktionen, bis sie wieder da ist."
Mark stützte sich schwer atmend auf den Küchentisch, richtete sich mit einem Ruck wieder auf und holte sich eine Flasche Aquavit aus dem Kühlschrank.
"Du solltest nicht trinken, wenn du dich aufregst", mahnte die Flasche. "Es ist erst Mittwoch und ich bin schon halb leer. Ich bin ein Genuß- und kein Beruhigungsmittel."
"Wie wär's stattdessen mit uns?" rief aus irgendeiner Schublade eine halbvergessene, angebrochene Schachtel mit Baldrianperlen. "Du brauchst unbedingt ein wenig Ruhe und erholsamen Schlaf."
"Ist es schlimm? Wollen wir gemeinsam deinen Therapeuthen anrufen?" erbot sich das Telefon.
Er blieb stehen. Die Flasche rutschte ihm aus der Hand und zersprang auf dem Fliesenboden. Aus irgendeiner Kammer meldete sich ein Wischmop und wollte behilflich sein. Mark hörte ihn nicht. Mit einem Mal war er ruhig. Sehr ruhig. Sein Blick war stumpf und in die Ferne gerichtet, als er sich langsam umwandte und die Stufen der Kellertreppe hinabging. Es wurde still im Haus. So lange, bis man ihn vermißte.
"Wir kriegen kein Response mehr von Mark!" riefen die Vernetzten wild durcheinander. "Sieht es nicht gut aus?"
"Er schien ein bißchen hysterisch vorhin."
"War auch ein blödes Pech mit der Mikrowelle."
"War sicher kein guter Tag für ihn."
"Er ist bei mir!" rief der Strick aus dem Keller. "Also ich finde, er hat Glück gehabt. Wenn er in den letzten Wochen nicht so abgenommen hätte, wär' ich sicher längst gerissen."