Verschlossene Schatten

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Höldereden

Mitglied
Verschlossene Schatten

Tot die Häuser, einsam der Wind.
Kein Sein, kein Tun, wohin ich auch seh´,
nur starre, grelle Elektrizität
fließt unsichtbar von Mast zu Mast
ununterbrochen und gerichtet,
den Schienen gleich mit ekeligem Naß.

Hör ich die Schritte, unter mir, über mir, neben mir,
das Echo ist Laut in den nächtlichen Gassen,
und dröhnt empor zu dunsten Gewölk, sich wandelnd in dunkle Fensternis,
Verkrieche ich unter dem Matsch die Straßen entlang,
umgeben von Rissen spür ich den Drang, verfolgt von den eigenen Sohlen,
fühl ich die Fenster johlen,
schmeck ich sie weinen ganze Pfützen,
die frech mir ins Gesichte spritzen,
--AUS
nur ein einziger Ton kommt näher und näher,
bald hat er mich schon –
und hat mich - und läßt mich wieder.
WARUM ? Warum ?! – zu stark sind die Glieder,
die Beine die Feinde,
führen mich an betonierten Bäumen vorbei
Schritt – aus, Schritt – ein, wie ein Schalter – es ist einerlei,
denn die Zeit, die Zeit geht vorbei !
Geh Ich ? , Gehst Du ? Wer Geht ? Man Steht !
Vor Verschlossenen Schatten.
 

Höldereden

Mitglied
Hi meine lieben literarischen Freundinnen und Freunde,;)

kann bitte mal jemand seine meinung zu diesem gedicht sagen bezüglich sprache, form,ideen etc.
denn es stellt für mich wirklich so eine art experiment dar, und mir gefällt die art irgendwie. Und nun möchte ich wissen ob und wie ich es ausbauen kann. oder ob ich es lieber lassen sollte und es einfach nur schwachsinn ist.

Danke!
Höldereden
 
D

dockanay

Gast
lieber höldereden,

deinen text habe ich schon einige male gelesen, hätte dir sicher auch ohne aufforderung geantwortet, verstehe aber deine ungeduld sehr gut, deinen drang, das macht dich mir sympathischer, jedoch brauchte ich genau diese zeit, um mich auf deine worte einlassen zu können.

das material, das du hier teils sehr mystisch verklärt offenbarst, ist verdreckt, kontaminiert (mit ekeligem Naß [...] / und dröhnt empor zu dunsten Gewölk, [...] / Verkrieche ich unter dem Matsch die Straßen entlang, [...] schmeck ich sie weinen ganze Pfützen), aber immerhin auch greifbar, die wirklichkeit die wir haben, die uns hat und uns vorliegt als unser direkter befund (wohin ich auch seh' [...] / Hör ich die schritte [...] / Fühl ich die fenster)
ich stelle eine diagnose, nachdem uns der befund nunmehr vorliegt: bitter, aufgeladen mit sinn, verklärung, maskierung, teilweise überladen sogar, dennoch am ende der bilder immer wehmut und wehleid. hier sehe ich eine innere reise, die sich einen dunklen schauplatz gesucht hat, eine ausgestorbene stadt, in der die türen, die sich nicht öffnen zu verschlossenen schatten werden, gleichzeitig jedoch auch für menschen stehen könnten, diese verschlossenen schatten, die dein lyrisches ich zu suchen scheint. es ist nicht wirklich eine reise, eher eine seelische tortur und ihrer jetzigen heimholung, wie du es darstellst, sehe ich überformte homunkuli, untotes kratzen und kleinere ausbrüche an der gefäßwand, im genlab, im spacelab unseres seins, denn wie wir wissen erlaubt nur das kosmische licht den blick zurück, in seiner absoluten langsamkeit, in seiner krümmung auf das geschehende, das totalitäre system einer gegenwart hin, in der wir irgendwie stehen, verpeilt, mit pumpenden lungen, herzmuskeln und großen plänen (Geh Ich ? , Gehst Du ? Wer Geht ? Man Steht ! / Vor Verschlossenen Schatten). du bist auf der richtigen fährte, suche weiter.

zu deiner sprache muss ich wieder das gleiche bemerken: du darfst einen text nicht überladen, da er irgendwann in seinem fortschreiten an kraft verliert. doch kenne ich das sehr gut: in meinen früheren jahren habe ich so viele wörter wie ich nur konnte versucht in ein gedicht hineinzuzwängen. heute lösche ich sie in langen sitzungen wieder aus meinen texten heraus, um das eigentliche herauszuholen. gerade bei der vergabe von adjektiven solltest du immer wieder überprüfend sein.

insgesamt ein von dunkelheit und depressiver stimmung lebender text, also etwas, was dem schwingen meiner seele sehr entgegenkommt. weiter so.
 
P

Prosaiker

Gast
mich würde interessieren, wo du hier das experiment siehst?
vg,
Prosa.
 

Höldereden

Mitglied
@ Dockanay,

Ganz lieben Dank für deine intensive auseinandersetzung mit meinem gedicht! Jetz weiß ichs endlich konkret, dass ich auf die adjektive acht geben muss. Das werde ich sehr beherzigen, und du hast den jugendhaften drang dazu gut beschrieben ;)

@ prosaiker,

das experiment sehe ich zum einen in der sprache in den fünf zeilen:

Verkrieche ich unter dem Matsch die Straßen entlang,
umgeben von Rissen spür ich den Drang,
verfolgt von den eigenen Sohlen,
fühl ich die Fenster johlen,
schmeck ich sie weinen ganze Pfützen

da hier unmögliches geschildert wird. Aber vielmehr interessiert mich was diese zeilen beim leser für ein gefühl auslösen!
Natürlich kann das für dich alles alte kamelle sein und wirklich neu ist es ja nun auch nicht, aber für mich ist es neu, ich versuch eben dies und das zu probieren. Und da ist es für mich ein experiment. Das ist wie mit der musik, manche mögen moderne klassik oder free jazz als schrecklich empfinden, andere haben ihr ohr an diese art musik schon "angepasst", für sie stellt alles ein durchaus gewohntes klangbild dar.
 
C

casy01

Gast
ich habe dieses kleine WERK meinem Mann zugesandt.


Ich empfinde es als männlich und markannt und sinn-bildvoll geladen


"die Strasse hört sich mehr nach einen alten Flussbett an"

seine erste spontane Antwort....

interesannt zu erleben wie unterschiedlich und schnell

Empfindungen einwirken .. das macht es dann lebendig

gefällt mir sehr gut sehe Bilder dazu
 
D

druckfehler

Gast
endlich mal wieder nach längerer Zeit ein ergreifendes Gedicht gelesen. Danke :)

die 5 Zeilen auf die du hinweist (für mich das Kernstück deines Gedichts) lösen bei mir durch ihre Schilderung des Unmöglichen das Gefühl einer gewissen Glaubhaftigkeit deines Gedichts an. Denn in "normalen" Worten hättest du eine solche Situaton wohl nicht so wahrheits- oder eher noch gefühlsgetreu schildern können.
 



 
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