Najitzabeth
Mitglied
So, mal wieder was kurzes...
Könnte aber auch der Prolog von ner längeren Geschichte sein... *grübl*
Wie ein Fingerzeig der Götter bohrte sich der gewaltige Wirbelsturm seinen Weg durch den Wald und hinterließ dabei nur eine Schneise der Zerstörung. Alles Leben wurde von den ungebändigten Winden einfach davon geblasen. Jedes Geschöpf, das zu fliehen versuchte, bezahlte das mit einem hohen Preis, denn der Sturm war schneller. Selbst Bäume, die schon Jahrhunderte an ihrem Platz verbracht hatten und Tausenden von Unwettern Jahr für Jahr trotzten, starben noch während sie aus der Erde gehoben wurden, genauso wie die kleinen Wesen, die seit Generationen in ihren Wipfeln hausten. Erbarmungslos pflügte der Wind sich seinen Weg durch das nächtliche Tal.
Als die ersten Regentropfen auf die mit Stroh bedeckten Dächer des kleinen Dorfes fielen, schliefen die Bewohner noch tief und fest. Sie ahnten nichts von der Gefahr, die unaufhaltsam auf sie zu jagte. Still und unbeweglich wie ein neugeborenes Reh lagen sie im Dickicht und warteten auf das, was kommen mochte. Selbst als einige der Bewohner von dem Heulen des herannahenden Unheils aufwachten, ahnte keiner von ihnen, was für ein Schicksal sie erwartete. Erst, als es schon zu spät war, dachten einige noch an Flucht. Doch keiner konnte der Naturgewalt entrinnen. Nur ein kahler Fleck blieb zurück an dem Ort, wo so viel Leben gewesen war...
Najra erwachte schweißgebadet. Sie zitterte am ganzen Leib. „War das wirklich nur ein Traum?“, fragte sie laut, nur um irgendetwas in der Stille der Nacht zu hören und um sich zu vergewissern, dass sie es noch sagen konnte, dass sie noch lebte. Mit wackligen Knien trat sie ans Fenster und blickte in die Dunkelheit. Am Himmel konnte sie Abertausende von Sternen sehen und einer strahlte heller als der andere. Das beruhigte sie ein wenig. Keine Wolken, die einen Sturm ankündigten. Sie setzte sich an den Rand ihres Bettes und zog die Beine ganz eng an den Körper, ihr war immer noch kalt. Irgendwie wollte das ungute Gefühl nicht weichen. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn.
Ihrer inneren Unruhe folgend zog sie sich an und ging hinunter in die kleine Wohnküche.
Dort saß bereits ihr Vater und trank eine Tasse Tee. Er sah sie verdutzt an: „Najra, wieso bist du denn um diese Zeit noch wach?“
„Es ist nichts, Papi“. Sie ging zu ihm und küsste ihn auf die Wange: „Ich hab nur schlecht geträumt!“
Er nickte verstehend und deutete auf den Platz gegenüber. Dann nahm er eine zweite Tasse und goss ihr vom dem dampfenden Tee ein.
„Möchtest du mir deinen Traum erzählen?“
„Hmm... er hat mich ziemlich aufgewühlt. Ich habe von einem Sturm geträumt, der unser Tal verwüstet und nichts als Ruinen zurücklässt. Dann bin ich aufgewacht...“
Zuerst sah er sie völlig verwirrt an, doch dieser Blick währte nicht lange und wich so etwas wie Resignation. Najras Vater stöhnte und wandte sich wieder dem Tee zu. Ohne sie anzusehen, sprach er weiter: „Ein Sturm, der nichts als Ruinen zurück lässt...“
Najra konnte Kummer aus seinen Worten heraus hören: „Stimmt etwas nicht Papi?“
Sie sah ihren Vater das erste mal in ihrem Leben so bedrückt. Er wirkte, als hätte sie ihm eine Todesnachricht überbracht.
„Pa, was...“ .
Er unterbrach sie, indem er die Hand hob: „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich es dir schon viel früher erzählt hätte...“. Er legte die Hand über die Augen, als würde er sich schämen.
Najra wollte ihn am liebsten trösten und umarmen, ihm sagen, dass es nicht so schlimm sein konnte. Doch irgendetwas tief in ihr sagte, dass es das doch war. Wie gebannt lauschte sie seinen Worten und bemerkte dabei nicht einmal das Pfeifen, das der Wind verursachte, der um das kleine Holzhaus brauste.
„Seit Generationen taucht dieses Phänomen in meiner Familie auf. Deine Mutter weiß nichts davon, sie würde es nicht verstehen... Ich habe so gehofft, dass du verschont wirst...“,
„Wovon sprichst du?“ Wieder begannen ihre Knie zu zittern
„Es ist wie ein Fluch... !“ Er sah einen Moment lang aus als wäre er nahe daran, in Tränen aus zu brechen. Dann blickte er plötzlich auf und sah zum Fenster.
„Hörst du das?“ Er stand auf und trat ganz an das Fenster heran, um hinaus zu sehen. Tatsächlich war da ein Geräusch, noch sehr leise, aber es schwoll immer mehr an. Es hörte sich an wie...
Najra sprang auf und rannte zur Tür.
„Das kann doch nicht sein!“ Sie riss die Tür auf und im selben Moment hätte ihr der Wind beinahe den Griff aus der Hand gerissen. Das Mädchen trat einen Schritt aus dem Haus und blickte hinauf zum Himmel. Dichte Wolken türmten sich dort auf und verdeckten die Sterne. Am Horizont sah sie die ersten Blitze zucken.
„Der Sturm, wir müssen die Leute warnen!“, schrie sie ihrem Vater zu, ohne den Blick von dem heran nahenden Unheil zu wenden. Doch er hatte bereits zu handeln begonnen. Ohne lange zu überlegen nahm er sich eine Fackel aus dem Schrank und entzündete diese in dem knisternden Feuer, auf dem er zuvor das Wasser für den Tee erhitzt hatte.
„Ich warne die anderen, du holst deine Mutter und kommst dann so schnell wie möglich zu den Höhlen.“
Das war keine Bitte gewesen. Najra sprang die Treppe zu den Schlafräumen hinauf, während ihr Vater bereits durch den kleinen Vorgarten, Richtung Dorfplatz, hastete und dabei lauthals schrie.
Najra stürmte ohne an zu klopfen in das Schlafzimmer. Ihre Mutter lag dort und schlief tief und fest. Nicht einmal der heulende Wind oder die Blätter und Zweige, die er durch das offenen Fenster in den Raum wehte, weckten sie auf.
Sie stürzte auf die schlafende Frau zu und rüttelte sie an den Schultern wach. Zuerst war ihre Mutter noch verwirrt, wer sie um diese späte Stunde weckte und vor allem warum, aber als sie in das besorgte Gesicht ihrer Tochter sah, wusste sie, dass etwas geschehen war.
„Najra, was ist los?“ Sie bemerkte das Brausen des Windes und sah zum Fenster.
„Ein Sturm, wir müssen sofort in die Höhlen!“ ihre Mutter verstand und stürzte aus dem Bett. Najra ließ ihr noch nicht einmal Zeit sich Schuhe an zu ziehen.
Hand in Hand liefen sie durch das Dorf, immer in der Nähe einer schützenden Hauswand, in Richtung Wald. Viele andere waren ebenfalls dorthin unterwegs. Najras Vater hatte bereits einen großen Teil der Menschen warnen können, aber wo war er selbst? Wenn er nicht bald auftauchen würde, wäre es zu spät. Der Sturm war schon ganz nah, das wusste Najra, obwohl sie fühlte, dass der Wind geringfügig nachließ. Sie machte sich erhebliche Sorgen, ob sie das überleben würden und vor allem, ob ihr Vater es schaffte, noch rechtzeitig in die schützenden Höhle zu kommen.
„Beeilt euch, sonst schaffen wir es nicht mehr!“, rief sie so laut sie konnte, damit wenigstens ein paar Leute sie hörten und ihre Schritte beschleunigten. Sobald sie die ersten Bäume erreichten, hatte Najra keine Zeit mehr, um sich Sorgen zu machen. Der sonst so vertraute Weg durch den Wald wurde nun zu einer Mutprobe. Najra rannte, ihre Mutter hinter sich herziehend, durch das dichte Gehölz. Sie konnte das Knarren des Holzes ganz deutlich hören. Die Bäume stöhnten auf unter der Kraft, die unbarmherzig an ihnen zerrte. Immer wieder mussten sie herabfallenden Ästen ausweichen, die dem Wind nicht mehr standhielten. Wäre sie alleine gewesen, hätte sie in diesem Chaos die Orientierung verloren, da es zum Eingang der Höhle keinen Weg gab, aber so folgte sie einfach den anderen.
Sie erreichten unverletzt den engen Spalt zwischen zwei Felsen und betraten die geschützte Höhle. Najra suchte einen Platz in einer ruhigen Ecke mit Blick zum Eingang, wo nun immer mehr Menschen herein strömten. Irgendjemand machte ein Feuer, während das Mädchen mit ihrer Mutter darauf bangte, dass ihr Vater kam.
Binnen weniger Sekunden wandelte sich diese Sorge in Panik. Hätte ihre Mutter sie nicht fest in ihren Armen gehalten, wäre sie sicher aufgesprungen und nach draußen gelaufen, in den tosenden Sturm. Sie konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, dass ihr geliebter Vater tot sein könnte. Die Umarmung ihrer Mutter wurde immer fester, auch sie sah ständig zum Eingang. Auf einmal glaubte Najra, einen Schatten zwischen den beiden Felsen erkannt zu haben. Tatsächlich, zwei Männer betraten die Höhle. Der eine war der Dorfvorsteher und er war verletzt, das konnte sie an der Art, wie er ging, erkennen. Als sie den anderen Mann erkannte, sprang sie auf und rannte quer durch die verschreckten Menschen auf ihn zu: „Papa!!!“
Najra sprang ihrem noch keuchenden Vater in die Arme. Tränen rannen über ihr Gesicht. Auch ihre Mutter kam hinzu und küsste ihren Mann, nachdem er von seiner Tochter freigegeben wurde. Sie konnten ihr Glück kaum fassen, alle waren wieder vereint und niemandem aus dem Dorf war etwas Ernsthaftes geschehen! Es glich einem Wunder, dass alle diesen Sturm überlebten.
Ihr Vater sah sie ernst an. Aus seinem Blick konnte sie lesen, was er dachte: „Das haben wir nur dir zu verdanken!“ Najra wusste aber auch, dass niemals jemand davon erfahren durfte. Man würde sie davonjagen wie eine Geächtete oder schlimmer, die königliche Garde würde sie abholen und dann vor dem Schloss des Königs hinrichten lassen, als Mahnmahl für alle magiebegabten Menschen, die noch frei waren.
Niemand in der Höhle, die normal als Versteck vor desertierten Soldaten oder Söldnern auf Beutezug diente, wagte es in dieser Nacht noch, nach draußen zu gehen, aus Angst davor, was sie dort zu sehen bekommen würden. Najra ruhte dicht an dicht mit ihren Eltern. Trotz der Ereignisse der Nacht schlief sie gut und traumlos.
Irgendwann in den frühen Morgenstunden erwachte sie mit einem eigenartigen Gefühl. Eine Stimme, die tief aus ihrem Innersten kam, flüsterte ihr zu, dass gerade etwas geschah, das sie betraf. Behutsam, um ihre Eltern nicht auf zu wecken, stand sie auf. Alles um sie herum war still und strahlte einen gewissen Frieden aus, so dass man beinahe vergessen konnte, was sich nur Stunden zuvor ereignet hatte. Sie schlich, vorbei an den schlafenden Gestalten ihrer Nachbarn, immer tiefer in die Höhle hinein. Aus den Tagen ihrer Kindheit wusste sie, dass sich dort hinten ein kleiner See, versteckt zwischen einigen Felsen, befand. Langsam ließ sie die Schlafstätte hinter sich und musste nun im völlig Dunkeln weitergehen. Najra wunderte sich selbst, dass sie sich nicht verlief oder gegen einen Stein lief und sich verletzte, aber das Gefühl, das sie auch geweckt hatte, wies ihr nun sicher den Weg durch das unterirdische Labyrinth. Nach einiger Zeit konnte sie in einiger Entfernung das warme Licht einer Fackel erkennen. Als sie dem Ort, zu dem sie geführt wurde, näher kam, konnte sie auch immer deutlicher Stimmen hören. Sie waren zu zweit, zwei Männer. Najra versteckte sich hinter einem Felsen. Ihr Herz raste vor Aufregung, noch nie hatte sie heimlich einen Mensch beobacht. Es kam ihr einfach verboten vor. Nach einer Weile fühlte sie sich sicher genug, um auf den Felsen zu steigen und nach den Unbekannten Ausschau zu halten. Zuerst konnte sie niemanden entdecken, aber dann sah sie plötzlich, dass sie direkt unter ihrem Versteck saßen. Vor Schreck wollte Najra schon aufschreien, beherrschte sich aber im letzten Augenblick. Auf allen Vieren kroch sie wieder an den Rand und spähte hinab. Dort unten steckte nur eine kleine Fackel im sandigen Boden, was es schwer machte, die Männer zu identifizieren. Als sich ihre Augen an das flackernde Licht gewöhnt hatten, konnte sie aber wenigstens einen der Beiden erkennen. Es war der Dorfvorsteher. Sie wurde neugierig und konzentrierte sich darauf, was die Männer dort unten sprachen, doch als sie hörte, was der Mann, den sie kannte, seit sie denken konnte, erzählte, wurde ihr übel.
„Sie hat davon geträumt, verstehst du! Sie hatte eine Vision!... Das hat mir ihr Vater erzählt, als er mich aus den Trümmern gezogen hat. Dieser Dummkopf glaubt wirklich, dass ich sie verschone, nur weil sie seine Tochter ist!“
Najra konnte gar nicht glauben, was sie da hörte. Ihr Vater hatte sie verraten! Sie fühlte, wie ihre Augen feucht wurden, aber sie unterdrückte den Impuls zu weinen und lauschte weiter.
„Es bleibt mir gar keine andere Wahl, als das der Garde zu melden!...Hmm... wahrscheinlich war sie es sogar, die das Unglück erst über uns gebracht hat! Sie steckt mit den Sturmreitern unter einer Decke, das sag´ ich dir!...“
Das reichte Najra. So leise, wie sie jetzt noch konnte, kroch sie von dem Felsen und lief zurück zum Eingang der Höhle. In ihr war alles kalt, zu Eis erstarrt. Sie spürte nichts, keinen Schmerz, keine Angst, obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätte. Ihr Entschluss stand fest, sie musste nicht einmal lange darüber nachdenken. Wieder folgte sie nur ihrer inneren Stimme, als sie aus der Höhle trat und auf das, was von ihrer Heimat noch übrig war, starrte. Ein letztes Mal schlug sie den Weg zu ihrem Elternhaus ein, um zu drehen, einfach verschwinden. Es war völlig egal wohin, Hauptsache, die Garde konnte sie nicht finden! Sie dachte an ihre Mutter und ihren Vater. Was sie wohl ohne sie tun? Najra schüttelte den Kopf, es war egal, es war ihre Schuld, nein, die Schuld ihres Vaters, dass sie fliehen musste. Sie schritt entschlossener voran, als plötzlich jemand nach ihr rief. Najra drehte sich um und sah den Mann, der sie an den Feind verraten hatte, auf sich zulaufen.
„Najra! Wohin willst du?!“
„Ich muss gehen...weil du...“ Sie konnte nur mit Mühe die Tränen zurück halten.
Ihr Vater stöhnte auf und sah beschämt auf den Boden: „Ich habe ihm vertraut, das war ein Fehler, aber ich habe gewusst, dass es so weit kommen musste. Verstehst du mich, Kind?... Es ist ein Fluch, der auf unserer Familie liegt und genauso wie ich damals von meiner Familie fortgehen musste, musst du jetzt gehen. Es ist dein Schicksal, wie es meins war! Deshalb werde ich dich nicht aufhalten...“ Er war auf die Knie gefallen und hielt seine Tochter an den Händen fest. „Du wirst es schaffen, das weiß ich. Najra, aber eins muss ich dir noch mit auf den Weg geben...“
Najra kniete sich zu ihm und umarmte ihn. Sie weinte: „Ich weiß, Papa! Ich darf nie mehr zurück kommen, wir werden uns nie wieder sehen!“ Mit all der Kraft, die sie noch aufbringen konnte, stand sie auf und löste sich aus der Umarmung ihres Vaters.
„Ich muss jetzt gehen!“, flüsterte sie und wandte sich um. Dann ging sie in die Richtung, aus der, der Sturm gekommen war.
„Du wirst noch viel Schlechtes erleben, aber du wirst auch Glück und Liebe erfahren. Das sehe ich in meinen Träumen.“, rief er ihr noch hinterher, als sie schon lang in der Dunkelheit verschwunden war.
Könnte aber auch der Prolog von ner längeren Geschichte sein... *grübl*
Vision
Wie ein Fingerzeig der Götter bohrte sich der gewaltige Wirbelsturm seinen Weg durch den Wald und hinterließ dabei nur eine Schneise der Zerstörung. Alles Leben wurde von den ungebändigten Winden einfach davon geblasen. Jedes Geschöpf, das zu fliehen versuchte, bezahlte das mit einem hohen Preis, denn der Sturm war schneller. Selbst Bäume, die schon Jahrhunderte an ihrem Platz verbracht hatten und Tausenden von Unwettern Jahr für Jahr trotzten, starben noch während sie aus der Erde gehoben wurden, genauso wie die kleinen Wesen, die seit Generationen in ihren Wipfeln hausten. Erbarmungslos pflügte der Wind sich seinen Weg durch das nächtliche Tal.
Als die ersten Regentropfen auf die mit Stroh bedeckten Dächer des kleinen Dorfes fielen, schliefen die Bewohner noch tief und fest. Sie ahnten nichts von der Gefahr, die unaufhaltsam auf sie zu jagte. Still und unbeweglich wie ein neugeborenes Reh lagen sie im Dickicht und warteten auf das, was kommen mochte. Selbst als einige der Bewohner von dem Heulen des herannahenden Unheils aufwachten, ahnte keiner von ihnen, was für ein Schicksal sie erwartete. Erst, als es schon zu spät war, dachten einige noch an Flucht. Doch keiner konnte der Naturgewalt entrinnen. Nur ein kahler Fleck blieb zurück an dem Ort, wo so viel Leben gewesen war...
Najra erwachte schweißgebadet. Sie zitterte am ganzen Leib. „War das wirklich nur ein Traum?“, fragte sie laut, nur um irgendetwas in der Stille der Nacht zu hören und um sich zu vergewissern, dass sie es noch sagen konnte, dass sie noch lebte. Mit wackligen Knien trat sie ans Fenster und blickte in die Dunkelheit. Am Himmel konnte sie Abertausende von Sternen sehen und einer strahlte heller als der andere. Das beruhigte sie ein wenig. Keine Wolken, die einen Sturm ankündigten. Sie setzte sich an den Rand ihres Bettes und zog die Beine ganz eng an den Körper, ihr war immer noch kalt. Irgendwie wollte das ungute Gefühl nicht weichen. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn.
Ihrer inneren Unruhe folgend zog sie sich an und ging hinunter in die kleine Wohnküche.
Dort saß bereits ihr Vater und trank eine Tasse Tee. Er sah sie verdutzt an: „Najra, wieso bist du denn um diese Zeit noch wach?“
„Es ist nichts, Papi“. Sie ging zu ihm und küsste ihn auf die Wange: „Ich hab nur schlecht geträumt!“
Er nickte verstehend und deutete auf den Platz gegenüber. Dann nahm er eine zweite Tasse und goss ihr vom dem dampfenden Tee ein.
„Möchtest du mir deinen Traum erzählen?“
„Hmm... er hat mich ziemlich aufgewühlt. Ich habe von einem Sturm geträumt, der unser Tal verwüstet und nichts als Ruinen zurücklässt. Dann bin ich aufgewacht...“
Zuerst sah er sie völlig verwirrt an, doch dieser Blick währte nicht lange und wich so etwas wie Resignation. Najras Vater stöhnte und wandte sich wieder dem Tee zu. Ohne sie anzusehen, sprach er weiter: „Ein Sturm, der nichts als Ruinen zurück lässt...“
Najra konnte Kummer aus seinen Worten heraus hören: „Stimmt etwas nicht Papi?“
Sie sah ihren Vater das erste mal in ihrem Leben so bedrückt. Er wirkte, als hätte sie ihm eine Todesnachricht überbracht.
„Pa, was...“ .
Er unterbrach sie, indem er die Hand hob: „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich es dir schon viel früher erzählt hätte...“. Er legte die Hand über die Augen, als würde er sich schämen.
Najra wollte ihn am liebsten trösten und umarmen, ihm sagen, dass es nicht so schlimm sein konnte. Doch irgendetwas tief in ihr sagte, dass es das doch war. Wie gebannt lauschte sie seinen Worten und bemerkte dabei nicht einmal das Pfeifen, das der Wind verursachte, der um das kleine Holzhaus brauste.
„Seit Generationen taucht dieses Phänomen in meiner Familie auf. Deine Mutter weiß nichts davon, sie würde es nicht verstehen... Ich habe so gehofft, dass du verschont wirst...“,
„Wovon sprichst du?“ Wieder begannen ihre Knie zu zittern
„Es ist wie ein Fluch... !“ Er sah einen Moment lang aus als wäre er nahe daran, in Tränen aus zu brechen. Dann blickte er plötzlich auf und sah zum Fenster.
„Hörst du das?“ Er stand auf und trat ganz an das Fenster heran, um hinaus zu sehen. Tatsächlich war da ein Geräusch, noch sehr leise, aber es schwoll immer mehr an. Es hörte sich an wie...
Najra sprang auf und rannte zur Tür.
„Das kann doch nicht sein!“ Sie riss die Tür auf und im selben Moment hätte ihr der Wind beinahe den Griff aus der Hand gerissen. Das Mädchen trat einen Schritt aus dem Haus und blickte hinauf zum Himmel. Dichte Wolken türmten sich dort auf und verdeckten die Sterne. Am Horizont sah sie die ersten Blitze zucken.
„Der Sturm, wir müssen die Leute warnen!“, schrie sie ihrem Vater zu, ohne den Blick von dem heran nahenden Unheil zu wenden. Doch er hatte bereits zu handeln begonnen. Ohne lange zu überlegen nahm er sich eine Fackel aus dem Schrank und entzündete diese in dem knisternden Feuer, auf dem er zuvor das Wasser für den Tee erhitzt hatte.
„Ich warne die anderen, du holst deine Mutter und kommst dann so schnell wie möglich zu den Höhlen.“
Das war keine Bitte gewesen. Najra sprang die Treppe zu den Schlafräumen hinauf, während ihr Vater bereits durch den kleinen Vorgarten, Richtung Dorfplatz, hastete und dabei lauthals schrie.
Najra stürmte ohne an zu klopfen in das Schlafzimmer. Ihre Mutter lag dort und schlief tief und fest. Nicht einmal der heulende Wind oder die Blätter und Zweige, die er durch das offenen Fenster in den Raum wehte, weckten sie auf.
Sie stürzte auf die schlafende Frau zu und rüttelte sie an den Schultern wach. Zuerst war ihre Mutter noch verwirrt, wer sie um diese späte Stunde weckte und vor allem warum, aber als sie in das besorgte Gesicht ihrer Tochter sah, wusste sie, dass etwas geschehen war.
„Najra, was ist los?“ Sie bemerkte das Brausen des Windes und sah zum Fenster.
„Ein Sturm, wir müssen sofort in die Höhlen!“ ihre Mutter verstand und stürzte aus dem Bett. Najra ließ ihr noch nicht einmal Zeit sich Schuhe an zu ziehen.
Hand in Hand liefen sie durch das Dorf, immer in der Nähe einer schützenden Hauswand, in Richtung Wald. Viele andere waren ebenfalls dorthin unterwegs. Najras Vater hatte bereits einen großen Teil der Menschen warnen können, aber wo war er selbst? Wenn er nicht bald auftauchen würde, wäre es zu spät. Der Sturm war schon ganz nah, das wusste Najra, obwohl sie fühlte, dass der Wind geringfügig nachließ. Sie machte sich erhebliche Sorgen, ob sie das überleben würden und vor allem, ob ihr Vater es schaffte, noch rechtzeitig in die schützenden Höhle zu kommen.
„Beeilt euch, sonst schaffen wir es nicht mehr!“, rief sie so laut sie konnte, damit wenigstens ein paar Leute sie hörten und ihre Schritte beschleunigten. Sobald sie die ersten Bäume erreichten, hatte Najra keine Zeit mehr, um sich Sorgen zu machen. Der sonst so vertraute Weg durch den Wald wurde nun zu einer Mutprobe. Najra rannte, ihre Mutter hinter sich herziehend, durch das dichte Gehölz. Sie konnte das Knarren des Holzes ganz deutlich hören. Die Bäume stöhnten auf unter der Kraft, die unbarmherzig an ihnen zerrte. Immer wieder mussten sie herabfallenden Ästen ausweichen, die dem Wind nicht mehr standhielten. Wäre sie alleine gewesen, hätte sie in diesem Chaos die Orientierung verloren, da es zum Eingang der Höhle keinen Weg gab, aber so folgte sie einfach den anderen.
Sie erreichten unverletzt den engen Spalt zwischen zwei Felsen und betraten die geschützte Höhle. Najra suchte einen Platz in einer ruhigen Ecke mit Blick zum Eingang, wo nun immer mehr Menschen herein strömten. Irgendjemand machte ein Feuer, während das Mädchen mit ihrer Mutter darauf bangte, dass ihr Vater kam.
Binnen weniger Sekunden wandelte sich diese Sorge in Panik. Hätte ihre Mutter sie nicht fest in ihren Armen gehalten, wäre sie sicher aufgesprungen und nach draußen gelaufen, in den tosenden Sturm. Sie konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, dass ihr geliebter Vater tot sein könnte. Die Umarmung ihrer Mutter wurde immer fester, auch sie sah ständig zum Eingang. Auf einmal glaubte Najra, einen Schatten zwischen den beiden Felsen erkannt zu haben. Tatsächlich, zwei Männer betraten die Höhle. Der eine war der Dorfvorsteher und er war verletzt, das konnte sie an der Art, wie er ging, erkennen. Als sie den anderen Mann erkannte, sprang sie auf und rannte quer durch die verschreckten Menschen auf ihn zu: „Papa!!!“
Najra sprang ihrem noch keuchenden Vater in die Arme. Tränen rannen über ihr Gesicht. Auch ihre Mutter kam hinzu und küsste ihren Mann, nachdem er von seiner Tochter freigegeben wurde. Sie konnten ihr Glück kaum fassen, alle waren wieder vereint und niemandem aus dem Dorf war etwas Ernsthaftes geschehen! Es glich einem Wunder, dass alle diesen Sturm überlebten.
Ihr Vater sah sie ernst an. Aus seinem Blick konnte sie lesen, was er dachte: „Das haben wir nur dir zu verdanken!“ Najra wusste aber auch, dass niemals jemand davon erfahren durfte. Man würde sie davonjagen wie eine Geächtete oder schlimmer, die königliche Garde würde sie abholen und dann vor dem Schloss des Königs hinrichten lassen, als Mahnmahl für alle magiebegabten Menschen, die noch frei waren.
Niemand in der Höhle, die normal als Versteck vor desertierten Soldaten oder Söldnern auf Beutezug diente, wagte es in dieser Nacht noch, nach draußen zu gehen, aus Angst davor, was sie dort zu sehen bekommen würden. Najra ruhte dicht an dicht mit ihren Eltern. Trotz der Ereignisse der Nacht schlief sie gut und traumlos.
Irgendwann in den frühen Morgenstunden erwachte sie mit einem eigenartigen Gefühl. Eine Stimme, die tief aus ihrem Innersten kam, flüsterte ihr zu, dass gerade etwas geschah, das sie betraf. Behutsam, um ihre Eltern nicht auf zu wecken, stand sie auf. Alles um sie herum war still und strahlte einen gewissen Frieden aus, so dass man beinahe vergessen konnte, was sich nur Stunden zuvor ereignet hatte. Sie schlich, vorbei an den schlafenden Gestalten ihrer Nachbarn, immer tiefer in die Höhle hinein. Aus den Tagen ihrer Kindheit wusste sie, dass sich dort hinten ein kleiner See, versteckt zwischen einigen Felsen, befand. Langsam ließ sie die Schlafstätte hinter sich und musste nun im völlig Dunkeln weitergehen. Najra wunderte sich selbst, dass sie sich nicht verlief oder gegen einen Stein lief und sich verletzte, aber das Gefühl, das sie auch geweckt hatte, wies ihr nun sicher den Weg durch das unterirdische Labyrinth. Nach einiger Zeit konnte sie in einiger Entfernung das warme Licht einer Fackel erkennen. Als sie dem Ort, zu dem sie geführt wurde, näher kam, konnte sie auch immer deutlicher Stimmen hören. Sie waren zu zweit, zwei Männer. Najra versteckte sich hinter einem Felsen. Ihr Herz raste vor Aufregung, noch nie hatte sie heimlich einen Mensch beobacht. Es kam ihr einfach verboten vor. Nach einer Weile fühlte sie sich sicher genug, um auf den Felsen zu steigen und nach den Unbekannten Ausschau zu halten. Zuerst konnte sie niemanden entdecken, aber dann sah sie plötzlich, dass sie direkt unter ihrem Versteck saßen. Vor Schreck wollte Najra schon aufschreien, beherrschte sich aber im letzten Augenblick. Auf allen Vieren kroch sie wieder an den Rand und spähte hinab. Dort unten steckte nur eine kleine Fackel im sandigen Boden, was es schwer machte, die Männer zu identifizieren. Als sich ihre Augen an das flackernde Licht gewöhnt hatten, konnte sie aber wenigstens einen der Beiden erkennen. Es war der Dorfvorsteher. Sie wurde neugierig und konzentrierte sich darauf, was die Männer dort unten sprachen, doch als sie hörte, was der Mann, den sie kannte, seit sie denken konnte, erzählte, wurde ihr übel.
„Sie hat davon geträumt, verstehst du! Sie hatte eine Vision!... Das hat mir ihr Vater erzählt, als er mich aus den Trümmern gezogen hat. Dieser Dummkopf glaubt wirklich, dass ich sie verschone, nur weil sie seine Tochter ist!“
Najra konnte gar nicht glauben, was sie da hörte. Ihr Vater hatte sie verraten! Sie fühlte, wie ihre Augen feucht wurden, aber sie unterdrückte den Impuls zu weinen und lauschte weiter.
„Es bleibt mir gar keine andere Wahl, als das der Garde zu melden!...Hmm... wahrscheinlich war sie es sogar, die das Unglück erst über uns gebracht hat! Sie steckt mit den Sturmreitern unter einer Decke, das sag´ ich dir!...“
Das reichte Najra. So leise, wie sie jetzt noch konnte, kroch sie von dem Felsen und lief zurück zum Eingang der Höhle. In ihr war alles kalt, zu Eis erstarrt. Sie spürte nichts, keinen Schmerz, keine Angst, obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätte. Ihr Entschluss stand fest, sie musste nicht einmal lange darüber nachdenken. Wieder folgte sie nur ihrer inneren Stimme, als sie aus der Höhle trat und auf das, was von ihrer Heimat noch übrig war, starrte. Ein letztes Mal schlug sie den Weg zu ihrem Elternhaus ein, um zu drehen, einfach verschwinden. Es war völlig egal wohin, Hauptsache, die Garde konnte sie nicht finden! Sie dachte an ihre Mutter und ihren Vater. Was sie wohl ohne sie tun? Najra schüttelte den Kopf, es war egal, es war ihre Schuld, nein, die Schuld ihres Vaters, dass sie fliehen musste. Sie schritt entschlossener voran, als plötzlich jemand nach ihr rief. Najra drehte sich um und sah den Mann, der sie an den Feind verraten hatte, auf sich zulaufen.
„Najra! Wohin willst du?!“
„Ich muss gehen...weil du...“ Sie konnte nur mit Mühe die Tränen zurück halten.
Ihr Vater stöhnte auf und sah beschämt auf den Boden: „Ich habe ihm vertraut, das war ein Fehler, aber ich habe gewusst, dass es so weit kommen musste. Verstehst du mich, Kind?... Es ist ein Fluch, der auf unserer Familie liegt und genauso wie ich damals von meiner Familie fortgehen musste, musst du jetzt gehen. Es ist dein Schicksal, wie es meins war! Deshalb werde ich dich nicht aufhalten...“ Er war auf die Knie gefallen und hielt seine Tochter an den Händen fest. „Du wirst es schaffen, das weiß ich. Najra, aber eins muss ich dir noch mit auf den Weg geben...“
Najra kniete sich zu ihm und umarmte ihn. Sie weinte: „Ich weiß, Papa! Ich darf nie mehr zurück kommen, wir werden uns nie wieder sehen!“ Mit all der Kraft, die sie noch aufbringen konnte, stand sie auf und löste sich aus der Umarmung ihres Vaters.
„Ich muss jetzt gehen!“, flüsterte sie und wandte sich um. Dann ging sie in die Richtung, aus der, der Sturm gekommen war.
„Du wirst noch viel Schlechtes erleben, aber du wirst auch Glück und Liebe erfahren. Das sehe ich in meinen Träumen.“, rief er ihr noch hinterher, als sie schon lang in der Dunkelheit verschwunden war.