Völlig neue Fassung von : Das Land hinter dem Horizont -Prolog I

Pennywise

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PROLOG


1

Gordon gewann langsam seine Fassung zurück. Was blieb ihm auch anderes übrig, als sich einzugestehen, dass es Feen und sprechende Hunde gab? Schließlich stand er solchen gerade gegenüber. Die Fee hieß Cilia und der sprechende Hund, der eigentlich ein, zwar sehr fähiger, aber dennoch ganz normaler Hirtenhund sein sollte, Barko.
Gordon hatte ihn ausgebildet und mit ihm zusammen fast drei Jahre lang Schafe gehütet. Niemals hätte er sich träumen lassen, dass er es in Wahrheit mit einem Zauberwesen zu tun hatte. Nach der heutigen Nacht aber war alles ganz anders.
Gordon stand mitten im Vollmondschein auf einer kleinen Lichtung im Wald, zu der ihn Barko geführt hatte. Nichtsahnend war Gordon ihm gefolgt, da der Hund ihm offensichtlich etwas zeigen wollte. So waren sie aufgebrochen und Barko hatte ihn hier hergeführt.
Hinter einem Stein war dann Cilia hervorgetreten und hatte Barko skeptisch angeschaut.
"Was soll denn der Menschling hier?" hatte sie gefragt.
Gordon wäre fast in Ohnmacht gefallen als er sie sprechen hörte. Feen und Fabelwesen hatten bislang nur in seiner Phantasie oder den Erzählungen der alten Diener auf Schloß Darlington existiert. Und nun war er einer gegenübergestanden. Als dann auch noch Barko geantwortet hatte, war es fast um Gordons Verstand geschehen.
"Ich hatte dich doch gebeten still zu sein! Schau nur was du angerichtet hast. Gordon ist vollkommen verwirrt!"
Und das war er in der Tat. Verdutzt hatte er von seinem Hund auf die Fee und wieder zurück geschaut.
Doch bald hatte seine Neugier über den Verstand gesiegt und er ließ sich von Barko berichten, was es mit ihm und der Fee auf sich hatte. Gordon war zwar nur ein einfacher Schafhirte, aber er besaß einen hellen Verstand und die jugendliche Gabe übernatürliche Dinge ersteinmal einfach hinnehmen zu können, ohne dass der Verstand sich gleich gegen alles wehrte. Und so erfuhr er, dass es eine Welt gab, die ihm sein ganzes Leben lang bisher verborgen geblieben war.

"Schau mich an, Gordon!" Barko sprach mit einer sehr sanften und dunklen Stimme.
"Es fällt dir sicherlich schwer zu begreifen, dass ich sprechen kann. Ich habe auch nicht vorgehabt, es dir zu zeigen. Doch es sind Dinge geschehen, die es nötig machen."
Die schwarzen Augen Barkos sahen tief in die von Gordon hinein und der Junge erkannte, dass er weder träumte noch verrückt war. Doch seine Verwirrung blieb.
"Warum sollte es nötig sein einen Menschling herzubringen? Du glaubst doch nicht, dass er uns helfen kann?"
Gordon schaute auf die kleine Fee und nahm sie zum ersten Mal richtig wahr. Sie war etwa 30 Zentimeter groß und hatte eine hübsche rote Tracht an. Auf dem, von schwarzen Locken umrahmten Kopf trug sie eine, ebenfalls rote Kappe an der eine kleine, weiße Feder saß.
Staunend erkannte er, dass Cilia etwa einen halben Meter über dem Boden schwebte. Ihre kleinen Flügel schlugen in gleichmäßigem Rhythmus, erzeugten dabei aber so gut wie kein Geräusch.
"Cilia bitte! Laß mich das entscheiden. Deine Reden verwirren Gordon nur noch mehr. Du kannst aber auch nie deinen Vorlauten Mund halten."
"Pah!" stieß sie hervor und drehte sich demonstrativ um. Zu Gordon gewandt fuhr Barko fort:
"Ich habe dich heute Nacht hier hergebracht, weil wir deine Hilfe benötigen. Zu unser aller Glück, haben wir heute Mittsommernacht. Vielleicht ist es auch Bestimmung gewesen, wer kann das schon sagen? Aber das ist auch ganz egal. Du mußt wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass du Cilia sehen kannst. Das geht nur an Mittsommernächten. Die Tatsache dass du sie sehen kannst, ist äußerst wichtig für uns. Kannst du mir bis hierhin folgen?"
Gordon dachte nach. Es war nicht einfach für ihn, einem sprechenden Hund und einer Fee gegenüber zu stehen.
In seinen häufigen Tagträumen hatte er jedoch schon schlimmere Sachen erlebt. Darin war er stets ein tapferer Ritter gewesen, der ruhmreiche Schlachten und bedeutende Turniere gewonnen hatte. Schon als kleiner Junge hatte er davon geträumt. Die Kämpfe die im Schloßhof von Darlington abgehalten wurden, hatte er immer staunend besucht und dabei die edlen Ritter bewundert. Und so ist sein Wunsch eines Tages auch einer zu werden immer größer geworden.
Doch nur in seinen Träumen konnte er dies verwirklichen, denn er war ein einfacher junger Mann, der vor siebzehn Jahren vor dem Haus seines Herren von seinen Eltern ausgesetzt worden war. Sein ganzes Leben lang hatte er Hänseleien und Erniedrigungen der anderen Kinder, aber auch von vielen Erwachsenen ertragen müssen.
Findelkind, Hungerleider und Schmarotzer hatten sie ihn geheißen und nicht selten wurde er verprügelt. Doch eines Tages, hatte sich der alte Jeremiah seiner angenommen. Jeremiah war der Schafhirte des Lord of Darlington und hatte Gordons geschickte Hand für Tiere entdeckt.
Gordon hatte sich viel bei den Schaf und Pferdeställen herumgetrieben. Den Tieren war es egal, woher er kam und was er war und so freundete Gordon sich mit ihnen an. Jeremiah bemerkte dies und bildete ihn aus. Er brachte Gordon alles bei, was er wußte, auch wie man einen Hund abrichtet.
Vor etwa vier Jahren hatte Jeremiah dann den Lord gebeten, Gordon als seinen Nachfolger einzustellen. Die Freude war groß, als der es gestattete, denn von nun an hatte Gordon eine richtige Aufgabe. Niemand konnte ihm mehr vorwerfen ein Schmarotzer zu sein. Er war in einen alten Schafstall gezogen um immer in der Nähe der Tiere sein zu können.
Dann hatte er eines Tages Barko vor dem Stall entdeckt. Er stand einfach da und schaute Gordon aus seinen schwarzen Augen an. Sofort fühlte Gordon sich zu dem Hund hingezogen und fing am nächsten Tag an, ihn zu einem Hirtenhund auszubilden. Barko erwies sich als sehr gelehrig und die Beiden wurden gute Freunde.
Und nun stand dieser Hund ihm gegenüber und fragte merkwürdige Dinge.


2

"Ich weiß nicht was ich sagen soll!" stotterte Gordon.
"Ich weiß nicht was ich sagen soll!" äffte Cilia ihn hämisch nach.
"Yava, denkst du wirklich dass es Sinn hat mit ihm zu reden? Laß uns gehen und Mirima und Avaron suchen. Den Menschling brauchen wir sicher nicht!"
"Cilia, es reicht. Wenn ich dir sage, dass wir ihn brauchen werden, dann glaube mir das gefälligst. Und hör auf ihn immer wieder einzuschüchtern."
Gordon schaute zwischen den beiden hin und her. Einerseits war er fasziniert von der kleinen Fee, andererseits aber auch verwirrt über deren Existenz. Die Tatsache, dass sein Hund sprechen konnte, nahm er merkwürdigerweise schon fast als selbstverständlich hin.
"Worum geht es denn?"
"Genau Gordon! Kommen wir zur Sache. Wir brauchen deine Hilfe. Wie auch bei euch Menschen, gibt es im Reich der Zauberwesen Könige und Königinnen. Manche Völker haben entweder einen König oder eine Königin, andere wiederum haben beides. Und genauso wie bei euch, sind diese Oberhäupter sehr wichtig. Cilia hat nun gestern beobachtet, wie das Königspaar der Feen entführt worden ist. Das allein ist schon schlimm genug. Doch sie wurden von Trollen entführt und das am hellichten Tag. Und das ist noch schlimmer!"
Barkos Stimme nahm einen sehr niedergeschlagenen Klang an.
"Du mußt wissen, dass Trolle normalerweise nicht am Tage herumlaufen können, da das Sonnenlicht sie sofort zu Stein verwandeln würde."
Gordon nickte zustimmend mit dem Kopf, als hätte er es jeden Tag mit Zauberwesen zu tun.
Barko stutzte zunächst ein wenig darüber, fuhr dann aber fort:
"Sie müssen also mit einem mächtigen Zauber belegt worden sein.
Feen haben keinerlei Macht über Trolle und daher hatten diese leichtes Spiel mit dem Königspaar. Die Frage warum sie entführt wurden, war auch schnell beantwortet.
Es gab vor vielen Jahren einen mächtigen Zauberer, namens Kartoqh. Dieser hatte vorgehabt die Herrschaft über das Zauberreich zu übernehmen. Doch sein Plan wurde entdeckt und er in eine andere Dimension verbannt."
"Was ist eine Dimension?" fragte Gordon dazwischen.
"Das erkläre ich dir später. Der Bannzauber wurde damals auf hundert Jahre beschränkt. Nach Ablauf dieser Zeit, muß der Spruch erneuert werden. Dazu aber, müssen alle Oberhäupter der vier großen Rassen anwesend sein. Dazu gehören die Zwerge, Elfen, Gnome und eben auch die Feen."
"Und die hundert Jahre sind bald vorbei, darum wurde das Königspaar der Feen entführt!"
"Das hast du richtig erkannt!"
Barko schaute Cilia mit einem Blick an, der sagte: Siehst du wie schlau das Bürschchen ist?
Doch die Fee war nicht sonderlich beeindruckt und zuckte nur mit den Schultern. Mittlerweile hatte sie sich auf einen kleinen Baumstumpf niedergelassen und schaute Gordon trotzig an.
"Wenn der Bann nicht erneuert werden kann, dann kehrt Kartoqh zurück und wird fürchterliche Rache nehmen." fuhr Barko fort.
"Warum hat man ihn dann nicht für immer verbannt, wenn er so gefährlich ist?"
Gordon wunderte sich über diese Sorglosigkeit der Zauberwesen.
"Das hat etwas mit einem alten Streit zwischen den Feen und Elfen zu tun. Doch dazu mehr, wenn wir Zeit haben. Im Moment ist nur wichtig, ob du bereit bist uns zu helfen oder nicht."
"Natürlich will ich dir helfen!" Gordon war ganz aufgeregt. Welcher Junge wollte wohl nicht dabeisein, wenn es darum ging einen gefährlichen Zauberer zu bekämpfen? Noch dazu mit der Hilfe von richtigen Zauberwesen.
"Halt, halt, nicht so schnell!" beschwichtigte Barko ihn.
"Es ist nicht so einfach, wie du vielleicht denkst. Die Welt der Zauberwesen ist nicht für jeden zugänglich. Vor ewigen Zeiten war das einmal anders, da lebten die Menschen mit uns zusammen. Doch ihr habt euch immer weiter von der Natur entfernt und nach und nach auch aus unserer Welt. Fast niemand von euch glaubt mehr an Zwerge, Trolle oder Feen und im Laufe der Jahrhunderte verschloß sich unsere Welt für euch."
"Ja aber ich kann Cilia doch sehen!" wandte Gordon ein.
"Das ist richtig, aber eben nur weil heute Mittsommernacht ist. Schon morgen könntest du vor Cilia stehen und würdest sie nichteinmal bemerken."
Gordon war enttäuscht. Gerade jetzt, als er anfing zu akzeptieren, dass es diese Welt gab, sollte sein Ausflug darin vorbei sein. Und wozu brauchten sie dann seine Hilfe?
Mit gesenktem Kopf trat er von einem Bein aufs andere.
"Dann ist ab morgen alles wieder vorbei?" fragte er traurig.
"Nicht, wenn du es nicht willst! Und natürlich, wenn Cilia endlich vernünftig wird."
Cilia ließ nur ein undeutliches Brummen ertönen, bei dem man nicht erkennen konnte, ob es Zustimmung oder Ablehnung sein sollte. Gordon aber horchte auf.
"Und was muß ich tun damit es nicht vorbei ist?"
"Du mußt dich nur entscheiden mit uns zu kommen und die Welt der Menschen hinter dir zu lassen."
Gordon wollte schon freudig zustimmen, da unterbrach Barko ihn.
"Doch vorher mußt du noch wissen, welche Konsequenzen das für dich hat! Cilia muß einen starken Zauber auf dich sprechen, damit du in unser Reich eindringen kannst. Das nennt man jemanden Sehend machen. Nur Feen sind in der Lage soetwas zu tun. Und das auch nur an Nächten wie heute. Der Spruch bewirkt zweierlei: Erstens kannst du von da ab Zauberwesen sehen und auch verstehen. Zweitens wirst du aus der Welt der Menschen verbannt. Der Zauber macht dich für Deinesgleichen zu einer Gefahr. Andere Menschen sehen in dir eine Bedrohung und werden dich überall verjagen, wo sie auf dich treffen. Es ist sogar möglich, dass sie nach deinem Leben trachten werden. Darüber mußt du dir im Klaren sein.
Wenn du dein Spiegelbild in einem See siehst, dann wird dir nichts daran auffallen. Du siehst weiterhin aus, wie immer. Doch lass dich dadurch nicht täuschen."
"Hält der Zauber für immer an?"
"Nein! Doch für eine sehr lange Zeit. Bedenke die Folgen gut bevor du dich entscheidest. Es werden auch noch weitere Gefahren auf dich lauern. Wir begeben uns auf eine sehr gefährliche Mission. Wesen, von denen du noch nichteinmal gehört hast, werden uns verfolgen und auch versuchen uns zu töten. Es wird kein Spaziergang werden.
Doch deine Entscheidung muß hier und jetzt fallen. Wenn die sonne aufgeht, dann ist es zu spät."

Gordon dachte über das Gehörte nach. Es würde ihm nicht schwer fallen die Menschen hinter sich zu lassen. Seit frühester Kindheit war ihm nur Hass und Spott entgegengekommen.
Seine Aufgabe als Schafhirte machte ihm zwar Spaß, aber eine Erfüllung nannte er es auch nicht. Und die Aussichten einmal ein Ritter zu werden, sollte, ja musste ein Traum bleiben.
Wenn er aber mit Barko ginge, dann stünden ihm große Abenteuer bevor. Kämpfe gegen Zauberer und andere Wesen. Aufgrund seiner Jugend erkannte er nicht die Gefahren die auf ihn lauern konnten, sondern spürte nur Aufregung und Abenteuerlust in sich.
Daher viel ihm seine Entscheidung nicht schwer.
"Ich komme mit euch!" verkündete er stolz.
 



 
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