Das ist hübsch. Das gefällt. Eines der unsterblichen Themen aller Literatur ist selbstverständlich das (mehr oder weniger) erotisch gefärbte Verhältnis der Geschlechter. Gareth bezaubert durch eine gewisse Bescheidenheit. Weder von hoch lodernder erster Liebe noch von Trennung und Tragödie kündet seine Muse. Alles köchelt auf kleinerer Flamme, wenn zwei Menschen erst einmal Jahre und Jahrzehnte miteinander durchs Leben gegangen sind. Verschmitzte, sanft bissige und auch selbstironische Heiterkeit scheint da eher angesagt.
Komik kommt auf, wenn Missgeschicke passieren, die wir aus dem „normalen“ Leben alle kennen, die aber hier nicht uns, sondern einem Anderen zufallen, die wir nun schadenfroh genießen können - und doch mit Wiedererkennen. Was das Gedicht gut macht, ist die Bescheidenheit des Inhalts bei gleichzeitiger formaler (Fast-)Meisterschaft.
„Den Mann erinnert dies fatal / vom Ablauf her ans letzte Mal / und überdies an das davor. / Ernüchtert legt er sich aufs Ohr.“ Da hat er einfache, volksnahe Sprache, erfüllt mit wenigen, schlichten Worten die Vorgaben seiner lyrischen Struktur – und beschwört eine Situation herauf, die zugleich komisch und auch ein wenig traurig ist. Nichts wuchert hier mit Po-Öselei oder geschraubten Lyrismen. Mehr kann man kaum verlangen von einem „schlichten“ Gedicht.
Schade, dass ausgerechnet die letzten Zeilen, die stets einen bleibenden Eindruck hinterlassen (sollen), doch noch ins Straucheln geraten. „nein, WIE man SIEHT, macht MANCHmal AUCH“, groß Geschriebenes betont, muss gesprochen werden laut Versmaß, was man lieber „NEIN, wie man SIEHT, MACHT MANchmal auch“ sprechen möchte. Schlimmer noch die letzte Zeile. Man würde „die VORSEHung DAvon geBRAUCH“ akzentuieren, wenn es Prosa wäre. Aber man muss hier „die VORsehUNG daVON geBRAUCH“ sagen.
Schließlich enthalten die jeweils paarweise gereimten Zeilen vier aus jeweils zwei Silben bestehende Versfüße. Nämlich Jamben. Kein Wunder, dass uns solche Gedichte sofort an Wilhelm Busch erinnern und somit schnell ganz amüsant vorkommen. „ACH, was MUSS man OFT von BÖsen / BUben HÖren Oder LEsen...“ Das sind ebenfalls Paarreime, ebenfalls vier Hebungen pro Zeile, ebenfalls ein zweisilbiges Versmaß, nur dass Busch Trochäen bevorzugte. (Und für deutsche Ohren dieses Gedichtschema, das einst hoch-feierliche Inhalte transportieren durfte, verdorben hat für alle Zeiten, nämlich zur Lachnummer vorverurteilt.)
Es gibt einen, der uns zeitlich noch näher ist und der oft auch diese kleinen Alltagsnotizen voll verschmitztem Lächeln, Selbstironie und ein wenig gut getarnter Boshaftigkeit in seinen Verse hat. Was hier beginnt mit „Ein Mann“, hätte dort „Ein Mensch“ geheißen.
Ein Mensch, der eine Freundin hatte,
Ist jetzt, seit Jahren schon, ihr Gatte.
Er hat’s mit diesem Weibe schwer:
Es redet nämlich dumm daher.
Er meint, es werde täglich schlimmer –
Doch nein – so dämlich war sie immer.
Es liegt nur an der Jugend Schwund:
Süß klang Geschwätz aus süßem Mund.
U-huh! Wieder „Weib“, und sie gibt „dummes“ „Geschwätz“ von sich und ist „dämlich“. Wenn ich das geschrieben hätte, würde über mich ein Sturm flammenden Zornes jetzt walzen. Das wäre dann so sexistisch und machistisch, dass jemand den Modertorenalarm betätigen und meine Exkommunikation verlangen würde... Was nur mal wieder zeigt, dass wir heute keineswegs in der freiesten und liberalsten aller Gesellschaften auf deutschem Boden leben, sondern eher wohl in einer unter seltsamen Komplexen leidenden. Denn geschrieben hat das der Eugen Roth. Der war nun wirklich so was von erfolgreich zu seiner Zeit. Und so was von Pappas und Mammas und Omas und Opas Liebling, quasi das Geschenkbändchen-Pflichtprogramm zu jedem Firmenjubiläum in den fünfziger und sechziger Jahren.
Und – was immer er uns an „Message“ noch zu geben hätte oder nicht – eines kann man von ihm lernen, kann auch gareth noch lernen: Wenn die Sache auf den Punkt gekommen ist, lässt man sie sein. „Es denkt der Mann, die Gattin döst, / und schon ist sein Problem gelöst.“ Das sind zwei unbezahlbare Schlusszeilen. Danach kommen drei Strophen, die man streichen darf.
Aber kurz noch Stichwort: politische Unkorrektheit. Ich habe das Gedicht gelesen, gleich in der Mail, die es mir als „Werk des Monats Februar 2010“ vermeldete , danach habe ich die vielen Kommentare und persönlichen Botschaften auf den Seiten 2 bis 4 der Internet-Site studiert. Erst dann habe ich geschaut, wie der Durchschnitt es benotet hat bis jetzt (7,82). Und dabei habe ich den gewaltigen Balken entdeckt. Dieser kleine Text ist schon irre oft gelesen worden! Hab ich mich gefragt, wie das wohl kam... Entweder hat sich gareth im Lauf der Jahre eine treue Fanbase erschrieben, die seine Veröffentlichungen gespannt erwartet. Oder aber, nun ja, es liegt am Titel: „Vom Nutzen des Weibes“. Nämlich eben nicht Frau, sondern Weib. Und die Frage, wozu die überhaupt gut sein könnte. Dafür scheint ein Publikum noch da zu sein, will mir scheinen.
Es kommt dann ja gar nicht so, wie man gedacht hat, als man den Titel las. Aber man hat den Text nicht geklickt, weil er so ist, wie es kommt, sondern weil man sehen wollte, ob es so kommt, wie man gedacht oder befürchtet hat. Okay, noch einen Wutschrei aus jenen Teilen der Damenwelt, die sich von „den Männern“ allzu gern verkannt und benutzt fühlen wollen. Mich hat dieser Titel erinnert an den des Psychiaters Paul Julius Möbius: „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“. War in diesem Land mal Bestseller, ist nur knapp über hundert Jahre her. (Ich habe das nie gelesen, interessiert mich gar nicht, so ein Buch.)
Aber zurück zu Eugen Roth und gareth, dessen Gedicht ein ähnliches Problem umkreist wie Roths „O tempora“. Nämlich, dass die Liebe eben oft nicht unsterblich und ewig ist, sondern einem abhanden kommt wie ein Hut. Und wenn vielleicht nicht die Liebe, dann doch ziemlich oft die erotische Anziehung. Roths Mensch: Als sie ihn erotisch fesselte, liebte er das dämliche Gerede sogar. Jetzt, da er sie nicht mehr begehrt, nervt es nur noch. In gareths Mann, „nun, erstmals im Kalenderjahr, nimmt sie der Mann als weiblich wahr“, schäumt die Leidenschaft auch nicht mehr so. Und wenn sie es dann mal tut, - ein typisches Moment der Komödie, der Eine will, was beim Anderen gerade ganz und gar nicht angesagt ist -, dann geht es „vom Ablauf her“ aus wie’s „letzte Mal und überdies“ das Mal davor. Mit anderen Worten: Auch sie findet ihn nicht mehr so süß wie einst im Mai.
Aber wo stand eigentlich geschrieben, dass zwei Menschen, die sich dereinst zusammen taten, ein ganzes Leben lang! und zwar beide! einander lieben! und nicht nur das, sondern auch fleischlich begehren! müssen und werden? Wenn ich etwas für normal halte und zur Forderung an meine Existenz erkläre, das nicht normal ist, sondern ideologisches Konstrukt, mache ich mir mein Leben schwer. Wir glauben das, weil wir es glauben möchten. Und nicht zuletzt, weil eine vielhundertjährige abendländisch-christliche Tradition es uns einbläut, die die Idee einstmals vielleicht nur entwickelt hat, um gewisse Besitztümer langfristig zu mehren und zu sichern für Aufgaben, die längst anderweitig gelöst werden.
Meines Erachtens könnte diesbezüglich die heterosexuelle Welt sich was abschauen von der homosexuellen, die mir ein wenig vertraut ist. Anspruch auf repräsentative Allgemeinschau möchte ich keineswegs erheben, aber vorkommen will es mir so, als seien unter schwulen Männern, wo das Realisieren von erotisch prickelnden Situationen bis ins höchste Alter seinen hohen Rang behauptet, die klassischen („normalen“) Paarbeziehungen zwar eben auch an der Tagesordnung, als werde dort irgendwann und irgendwie als Wert ebenfalls etwas wie „eheliche Treue“ in den Raum gestellt, als würden aber, je mehr die Jahre vergehen, raffinierte Wege entwickelt, der Monogamie hin und wieder ein Schnippchen zu schlagen. Man lebt damit, offensichtlich kann man das. Bei vielen Paaren läuft sexuell irgendwann nichts mehr, anderweitig aber immer noch was, dennoch denkt keiner an Trennung. Man gehört einander schließlich.
Zurück zum Gedicht. Es hat mich auch noch an einen dritten Hausheiligen deutscher Familienhumoresken gemahnt. An Heinz Erhardt, der konnte so neckische Verse auch schmieden. Erst vor wenigen Tagen dachte ich schon mal an ihn. Da sah ich einen Film mit Christian Ulmen. Einen ganz neuen. Plötzlich denke ich: „Mein Gott, das ist, als wäre Heinz Erhardt aus dem Grab erstanden!“ Wohl gemerkt, ich schätze Christian Ulmen ja und halte ihn für einen Könner. Aber das war da so spießig-neckisch, so dezent gekleidet und hornbebrillt und gewollt trottelig, wie Heinz Erhardt oft daherkam. Und dann schaute in dem Streifen auch noch der Bastian Pastewka vorbei, den ich ja auch verehre. Aber da weiß ich einen Film, wo ich dachte: „Mein Gott, das ist fast wie bei Vico Torriani!“ Und so geht es mir mit gareth. Der bleibt so bescheiden im Rahmen des „Normalen“, gibt sich ein wenig frech, aber bitte nicht zu sehr, damit keiner sauer werden möge, als wollte er dieses Kleeblatt aus Busch, Roth und Erhardt zum vierblättrigen machen. Als wäre in den Fünfzigern und den Sechzigern bei den kleinbürgerlichen deutschen Klein- und Wirtschaftswunder-Familien halt doch alles am besten eingerichtet gewesen. (Übrigens täuscht man sich da auch: Wilhelm Busch war nicht so harm- und zahnlos, wie wir ihn uns heute denken.)
Schon ein Erich Kästner will mit seiner Erwachsenenlyrik nicht mehr ins Bild passen. Und das war ja auch noch die Zeit damals. Von einem Robert Gernhardt, der den volksnahen Ton ebenfalls beherrschte, ganz zu schweigen.
Da beschleicht mich so eine Ahnung, dass dieses Gedicht auch darum so gut angekommen ist, weil es ins aktuelle Biedermeier so gut hineinpasst. „Nur zurück!“ Zurück bis vor die Siebziger, wo die ganzen Krisen angefangen haben. Und vor 1968, als die Aktenmappen- und Hornbrillenwelt des Heinz Erhardt mit einem Mal nicht mehr gut genug für alle sein sollte.
So ein Schluss steckt ja ganz schön weit zurück: „Ist doch auch gut, wenn ich meine Wünsche und mein Begehren nicht mehr realisieren kann, dann kann ich wenigstens mehr Leistung bringen. Am Ende zählt ja das.“
Trostbüchlein bringt man ans Krankenbett mit.