Vom Umgang mit der Trauer
„Die Trauer ist nicht eine Folgeerscheinung unseres Schmerzes, sondern bereits ein Heilmittel gegen diesen.“ (Lohberger, Hans Graz 1967)
Trauern musste ich schon oft in meinem Leben. Als mein Freund bei einem Unfall starb - wir waren beide gerade 17 Jahre alt -, da stand ich wenige Meter von ihm entfernt. Er starb qualvoll und ich musste sein Sterben bis zum bitteren Ende mit ansehen. Ich stand unter Schock; in mir war Entsetzen, Fassungslosigkeit – später dann Wut auf den, der doch für alles zuständig sein soll. Warum? Warum?
Viel später erst, als die eisige Kälte weg war, der Schock sich langsam gelegt hatte, der Verstand wieder voll funktionierte, da kam die Trauer. Sie wurde in dieser Zeit mein Freund. Ich konnte trauern, ich durfte trauern! Mit ihr konnte ich in einer Art Zwiesprache den Verlust verarbeiten. Ich konnte mich in ihr verlieren!
In späteren Jahren starben nahe Verwandte, nicht so spektakulär, eher sanft, wie wir gerne sagen. Da verspürte ich zuerst Verlust, manchmal unermesslichen Verlust.
Aber die Fassungslosigkeit fehlte, das „Warum“ blieb weg; es fehlte der Schockzustand. Dafür kam die Trauer schon viel früher, befiel mich bei der Abschiedsfeier. Und auch hier war sie immer eine Gnade, half mir, mit dem Verlust und der Einsamkeit, fertig zu werden.
Den letzten „Trauerfall“ hatte ich erst vor wenigen Wochen. Mein engster Freund starb plötzlich; nicht bei einem Unfall, aber auch nicht „sanft“. Er starb überraschend, während einer Herzuntersuchung.
Diese Überraschung war es wohl, die mich wieder fragen ließ: Warum? Warum er? Warum so? Warum jetzt? Warum hast du ihm nicht noch ein paar Jahre gelassen?
Die Trauer zu finden war wieder schwer, viel schwerer als in anderen Fällen. Auch heute trauere ich noch um ihn, es ist noch so frisch, der Verlust wird mir immer wieder bewusst.
Warum führe ich diese persönlichen Erlebnisse - die allesamt in Trauer mündeten - an? Weil sie für mich Lehrstücke sind! Durch sie habe ich begriffen, wozu wir Trauer brauchen; wie wir Trauer empfinden, wann wir wirklich Trauer empfinden – und was eben nie wirkliche Trauer ist.
Diese Erlebnisse sind für mich auch Maßstab geworden. Ich bin vorsichtiger geworden mit der Anwendung, der Benutzung des Wortes Trauer.
Wenn ich in der Presse von einer Trauerfeier des Bundestages lese, gleich zu welchem Anlass, dann weiß ich, dass hier wieder einmal leichtfertig ein scheinbar passendes Wort für einen ganz anderen Vorgang eingesetzt wurde.
Das Wort Trauer trifft hier einfach nicht den wahren Charakter der Veranstaltung. In Wahrheit ist es nichts anderes als eine „Gedenkfeier“, aber das scheint vielen zu schwach, es muss die Trauer her!
Macht mich der Holocaust traurig? Nein! Er macht mich wütend auf die Täter, unendlich mitleidig mit den Betroffenen, fassungslos und leider auch hilflos.
Macht mich das ungeheuerliche Unglück auf irgendeiner Autobahn traurig? Nein! Es weckt mein Mitgefühl, meine Anteilnahme und auch - je nach Fall - Wut auf den „Täter“, oder Fassungslosigkeit über den Leichtsinn mancher Fahrer.
In den vergangenen drei Wochen wurden, ausgelöst durch den Terrorakt in Amerika, auf allen gesellschaftlichen Ebenen, von vielen Menschen gegenüber derm Fernsehen Gefühle geäußert, die sie bestürmten und beeinflusst hätten. Da war von Entsetzen, Fassungslosigkeit, Betroffenheit, Angst, Wut, Mitgefühl, Mitleid - und immer wieder von der Trauer die Rede.
Dabei war der oft, so oder ähnlich, geäußerte Satz: „Ich bin traurig über das, was da geschehen ist!“ sogar noch verständlich, wenngleich auch hier schon die Trauer über den Tod einer unvorstellbaren Zahl von Menschen - die man nicht einmal kannte - unmöglich ist. Trauern ist ein individulles Gefühl, das man nicht inflationieren kann!
Oft fehlt uns nur der wirklich richtige Ausdruck; die Erklärung unserer Gefühle fällt uns schwer. Viele Menschen sind unsicher, können die Empfindungen nicht klar deuten, die sie zweifellos bewegen; das stimmt besonders bei jungen Menschen, die noch nie einen sehr nahen Todesfall erleben mussten.
„Trauer“ wird dann als der größtmögliche Ausdruck für empfundene Nähe verstanden und deshalb eingesetzt. In Wahrheit wäre auch hier fast immer Betroffenheit, Mitleid, Fassungslosigkeit, der richtige Ausdruck für das mitmenschliche Gefühl, das man empfindet.
Deutlicher wird das aber noch, wenn kollektive Trauer angesetzt wird, wenn durch Parteien, Kirchen und Institutionen eine Versammlung angesetzt wird, in der der Einzelne trauern soll.
Ich kann es nicht! Und ich behaupte, dass die Menschen die sich da zu Tausenden versammeln - ehrbar, ernsthaft, echt bewegt - nicht wirklich trauern. Da wird mit staatstragenden Reden, Musik, Tanz, Fahnen, Wimpeln, Kerzen und Händeergreifen eine Atmosphäre erzeugt, die das Gemüt bewegen, Teilnehmer anlocken soll. Das ist nicht echt, nicht ehrlich.
Trauer ist eine individuelle Befindlichkeit! Auch eine Staatstrauer ist nicht mehr als ein hilfloser Versuch, der Ohnmacht und Hilflosigkeit einen Namen zu geben.
Trauer zu bekunden ist ein Balanceakt. Manchmal ist es ja nur das falsche Wort für eine individuelle Entscheidung, sich in der Masse mit den Opfern solidarisch – in jeder denkbaren Gefühlsempfindung – zu zeigen.
Aber Vorsicht! Lassen wir uns nicht zu Trauernden machen von Leuten, die ihren Aktionismus mit einer wirklichen Empfindung verwechseln, oder, schlimmer noch, uns dies einimpfen, uns missbrauchen wollen.
Bewahren wir uns die Fähigkeit zum Trauern, lassen wir nicht zu, dass wir abstumpfen. Sechstausend Tote sind so unendlich viel; sie verlangen eine solche Menge an Gefühlen, dass mir der Tod eines einzigen Menschen irgendwann als eine Kleinigkeit erscheint.
Und zum Schluss – aber nicht weniger bedeutend für mich – muss sich jeder Autor ansprechen lassen; er muss prüfen, wann er seinen Figuren Trauer verordent, ob sie im jeweiligen Fall wahr und richtig ist.
In der Rechtschreibung und in der Grammatik haben wir fast immer richtige Werkzeuge verfügbar; da gibt es gute Bücher und - manchmal – funktionierende Software.
Aber bei solchen Fragen, wie es der verantwortliche Gebrauch von Begriffen verlangt, muss jeder seine eigene Messlatte eichen, sie empfindsam einstimmen.
„Die Trauer ist nicht eine Folgeerscheinung unseres Schmerzes, sondern bereits ein Heilmittel gegen diesen.“ (Lohberger, Hans Graz 1967)
Trauern musste ich schon oft in meinem Leben. Als mein Freund bei einem Unfall starb - wir waren beide gerade 17 Jahre alt -, da stand ich wenige Meter von ihm entfernt. Er starb qualvoll und ich musste sein Sterben bis zum bitteren Ende mit ansehen. Ich stand unter Schock; in mir war Entsetzen, Fassungslosigkeit – später dann Wut auf den, der doch für alles zuständig sein soll. Warum? Warum?
Viel später erst, als die eisige Kälte weg war, der Schock sich langsam gelegt hatte, der Verstand wieder voll funktionierte, da kam die Trauer. Sie wurde in dieser Zeit mein Freund. Ich konnte trauern, ich durfte trauern! Mit ihr konnte ich in einer Art Zwiesprache den Verlust verarbeiten. Ich konnte mich in ihr verlieren!
In späteren Jahren starben nahe Verwandte, nicht so spektakulär, eher sanft, wie wir gerne sagen. Da verspürte ich zuerst Verlust, manchmal unermesslichen Verlust.
Aber die Fassungslosigkeit fehlte, das „Warum“ blieb weg; es fehlte der Schockzustand. Dafür kam die Trauer schon viel früher, befiel mich bei der Abschiedsfeier. Und auch hier war sie immer eine Gnade, half mir, mit dem Verlust und der Einsamkeit, fertig zu werden.
Den letzten „Trauerfall“ hatte ich erst vor wenigen Wochen. Mein engster Freund starb plötzlich; nicht bei einem Unfall, aber auch nicht „sanft“. Er starb überraschend, während einer Herzuntersuchung.
Diese Überraschung war es wohl, die mich wieder fragen ließ: Warum? Warum er? Warum so? Warum jetzt? Warum hast du ihm nicht noch ein paar Jahre gelassen?
Die Trauer zu finden war wieder schwer, viel schwerer als in anderen Fällen. Auch heute trauere ich noch um ihn, es ist noch so frisch, der Verlust wird mir immer wieder bewusst.
Warum führe ich diese persönlichen Erlebnisse - die allesamt in Trauer mündeten - an? Weil sie für mich Lehrstücke sind! Durch sie habe ich begriffen, wozu wir Trauer brauchen; wie wir Trauer empfinden, wann wir wirklich Trauer empfinden – und was eben nie wirkliche Trauer ist.
Diese Erlebnisse sind für mich auch Maßstab geworden. Ich bin vorsichtiger geworden mit der Anwendung, der Benutzung des Wortes Trauer.
Wenn ich in der Presse von einer Trauerfeier des Bundestages lese, gleich zu welchem Anlass, dann weiß ich, dass hier wieder einmal leichtfertig ein scheinbar passendes Wort für einen ganz anderen Vorgang eingesetzt wurde.
Das Wort Trauer trifft hier einfach nicht den wahren Charakter der Veranstaltung. In Wahrheit ist es nichts anderes als eine „Gedenkfeier“, aber das scheint vielen zu schwach, es muss die Trauer her!
Macht mich der Holocaust traurig? Nein! Er macht mich wütend auf die Täter, unendlich mitleidig mit den Betroffenen, fassungslos und leider auch hilflos.
Macht mich das ungeheuerliche Unglück auf irgendeiner Autobahn traurig? Nein! Es weckt mein Mitgefühl, meine Anteilnahme und auch - je nach Fall - Wut auf den „Täter“, oder Fassungslosigkeit über den Leichtsinn mancher Fahrer.
In den vergangenen drei Wochen wurden, ausgelöst durch den Terrorakt in Amerika, auf allen gesellschaftlichen Ebenen, von vielen Menschen gegenüber derm Fernsehen Gefühle geäußert, die sie bestürmten und beeinflusst hätten. Da war von Entsetzen, Fassungslosigkeit, Betroffenheit, Angst, Wut, Mitgefühl, Mitleid - und immer wieder von der Trauer die Rede.
Dabei war der oft, so oder ähnlich, geäußerte Satz: „Ich bin traurig über das, was da geschehen ist!“ sogar noch verständlich, wenngleich auch hier schon die Trauer über den Tod einer unvorstellbaren Zahl von Menschen - die man nicht einmal kannte - unmöglich ist. Trauern ist ein individulles Gefühl, das man nicht inflationieren kann!
Oft fehlt uns nur der wirklich richtige Ausdruck; die Erklärung unserer Gefühle fällt uns schwer. Viele Menschen sind unsicher, können die Empfindungen nicht klar deuten, die sie zweifellos bewegen; das stimmt besonders bei jungen Menschen, die noch nie einen sehr nahen Todesfall erleben mussten.
„Trauer“ wird dann als der größtmögliche Ausdruck für empfundene Nähe verstanden und deshalb eingesetzt. In Wahrheit wäre auch hier fast immer Betroffenheit, Mitleid, Fassungslosigkeit, der richtige Ausdruck für das mitmenschliche Gefühl, das man empfindet.
Deutlicher wird das aber noch, wenn kollektive Trauer angesetzt wird, wenn durch Parteien, Kirchen und Institutionen eine Versammlung angesetzt wird, in der der Einzelne trauern soll.
Ich kann es nicht! Und ich behaupte, dass die Menschen die sich da zu Tausenden versammeln - ehrbar, ernsthaft, echt bewegt - nicht wirklich trauern. Da wird mit staatstragenden Reden, Musik, Tanz, Fahnen, Wimpeln, Kerzen und Händeergreifen eine Atmosphäre erzeugt, die das Gemüt bewegen, Teilnehmer anlocken soll. Das ist nicht echt, nicht ehrlich.
Trauer ist eine individuelle Befindlichkeit! Auch eine Staatstrauer ist nicht mehr als ein hilfloser Versuch, der Ohnmacht und Hilflosigkeit einen Namen zu geben.
Trauer zu bekunden ist ein Balanceakt. Manchmal ist es ja nur das falsche Wort für eine individuelle Entscheidung, sich in der Masse mit den Opfern solidarisch – in jeder denkbaren Gefühlsempfindung – zu zeigen.
Aber Vorsicht! Lassen wir uns nicht zu Trauernden machen von Leuten, die ihren Aktionismus mit einer wirklichen Empfindung verwechseln, oder, schlimmer noch, uns dies einimpfen, uns missbrauchen wollen.
Bewahren wir uns die Fähigkeit zum Trauern, lassen wir nicht zu, dass wir abstumpfen. Sechstausend Tote sind so unendlich viel; sie verlangen eine solche Menge an Gefühlen, dass mir der Tod eines einzigen Menschen irgendwann als eine Kleinigkeit erscheint.
Und zum Schluss – aber nicht weniger bedeutend für mich – muss sich jeder Autor ansprechen lassen; er muss prüfen, wann er seinen Figuren Trauer verordent, ob sie im jeweiligen Fall wahr und richtig ist.
In der Rechtschreibung und in der Grammatik haben wir fast immer richtige Werkzeuge verfügbar; da gibt es gute Bücher und - manchmal – funktionierende Software.
Aber bei solchen Fragen, wie es der verantwortliche Gebrauch von Begriffen verlangt, muss jeder seine eigene Messlatte eichen, sie empfindsam einstimmen.