Weihnachtsmarktgefühle

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Duisburger

Mitglied
Kalt ist es. Saukalt. Aber das muss so sein auf einem richtigen Weihnachtsmarkt, hat man mir gesagt. Ich habe in dieser Adventszeit immer das Gefühl, die Standbetreiber haben einen geheimen Draht zu Gott, zum Weihnachtsmann, Petrus oder sonst wem, aber sobald der Weihnachtsmarkt seine Pforten öffnet, sinken die Temperaturen rapide. Aber vielleicht ist das ja auch nur an den ein oder zwei Abenden so, wenn ich mit der Familie meine Pflichtbesuche absolviere.
Ganz bestimmt sogar.

Alles ist hell erleuchtet. Die Stände scheinen sich in Sachen Helligkeitskoeffizienten gegenseitig übertreffen zu wollen. Von wegen Energie sparen. Gelobt sei, was hell macht. Dummerweise habe ich die Sonnebrille im Auto gelassen, aber sicherlich kann ich hier eine Skibrille kaufen. Dieses Jahr hielt es einer der Stadtoberen für eine grandiose Idee, mitten in der Fußgängerzone, wo sich der Weihnachtmarkt mit seinen Buden traditionell platziert, ein Riesenrad aufzustellen. Gut dreißig Meter im Durchmesser und daher leicht quer aufgestellt, weil es sonst nicht gepasst hätte, der angrenzenden Häuser wegen. Selbstverständlich auch extrem beleuchtet. Sieht aus wie ein sich drehender Kronleuchter, den man zu starke Birnen gegönnt hat. Den Bezug dieser Kirmesattraktion zum Weihnachtsfest hätte ich gelegentlich mal eingehend erläutert bekommen. Von wem auch immer. Also ignoriere ich das Ding und versuche, die besondere Stimmung dieses Platzes auf mich wirken zu lassen.

Da ist zum Beispiel diese einmalige Geräuschkulisse, die mich immer wieder fasziniert und gleichzeitig an meine Nerven zerrt. Das ist so eine extrem laute Mischung aus traditionellem Weihnachtsgesang, schlecht gestimmten Geigen, untalentierten Trompetern und dem vollkommen unchristlichen Gedudel aus dutzenden Standlautsprechern, die selbstverständlich samt und sonders verschiedene Lieder zum Besten geben. Als wäre das nicht schon grausam genug, entblöden sich immer wieder ein paar Hobbymusiker für den schnellen Euro mit der ungefragten Darbietung von haarsträubenden Interpretationen weihnachtlicher Werke, das mangelnde Talent selbstbewusst durch Lautstärke übertönt. Natürlich hat keiner dieser Schergen eine behördliche Erlaubnis, sie wäre ihnen auch nach den Vorspielen vorsorglich auch für die Zukunft entzogen worden.

Zum Dreigestirn eines weihnachtsmarktlichen Stimmungsbildes gehört dann selbstverständlich auch der Geruch. Diesen Geruch gibt es in dieser Ausprägung nur einmal im Jahr. Da mischt sich der herbe Duft von Glühwein einvernehmlich mit den Bratfettausdünstungen diverser Friteusen, wird verfeinert vom süßlichen Aroma gebrannter Mandeln und sanft unterstrichen vom würzigen Gluthauch der Holzkohlengrille, auf denen angekokelte Bratwürstchen seit Stunden vor sich hinbrutzeln und dem Geruchsorkan den letzten Kick geben. Zur vorgerückten Stunde, wenn die Kunden an den Bier- und Glühweinständen gut abgefüllt sind, kotzt ganz sicher irgendeiner mit Hingabe in die Blumenkübel, die zwischen den Ständen stehen. Dann muss man sehr tapfer sein.

Die meisten Leute scheint das alles nicht zu stören, ebenso wenig wie die vollkommen überteuerten Waren, die dort feilgeboten werden. Die Fellhandschuhe, die ich nebenan im Kaufhof für die Hälfte, aber in wesentlich besserer Qualität bekomme, werden aus unerfindlichen Gründen auf den Weihnachtsmarkt gekauft. Immer schon. Und warum biologisches Shampoo, magnetischer Gesundheitsschmuck und ökologisch, einwandfreies Melkfett gerade hier und jetzt wie bekloppt Abnehmer findet, habe ich bis dato nicht begriffen.

Aber egal. Es ist Weihnachten und der Weihnachtsmarkt ist Tradition, wie auch die vielen Weihnachtsmänner in den schlecht sitzenden Kostümen und das vermehrte Auftreten von Taschendieben, die sich abgesehen von den offenen Herzen der Menschen auch jede Menge offene Taschen, Beutel und Jacken freuen.
Nach eine halben Stunde gemächlichem Schlenderns im Kreise meiner Familie nehme ich das alles nur noch als Gesamtbild wahr und verfalle unmerklich in eine weihnachtliche Stimmung. Ich bin zufrieden und mir ist festlich zumute. Ach, Weihnachten.
„Papa, wir wollen Mandeln“.
Kleine Tüte zu 2,50 Euro mal 3 Kinder + Frau gleich …
Tröööt. Aufgewacht. Na Klasse, Weihnachten.
 
H

HFleiss

Gast
Lieber Duisburger, eine sorgfältige, wenn auch etwas unbeteiligte Beschreibung des Weihnachtsmarktes mit Erheiterungseffekt: Was ist ein Geruchsorkan? Werde darüber nachdenken.

Gruß
Hanna
 



 
Oben Unten