Weltwort (Sonett)

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Walther

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Weltwort


Es sprach aus ferner Zeit sich mir ein Wort
Ins Ohr und wollte erst mal länger bleiben;
Es bat mich, dies und es hier zu beschreiben,
Und sagte sich dahin, als flög es fort

Und käm nie mehr zurück an jenen Ort
Des ersten Kennenlernens. Welches Treiben
Durchfließt den Wintermorgen: Augenreiben,
Ein müdes Dehnen, Weihnachtstage, Mord

Am In-sich-Ruhen, Zu-sich-Finden, und
Den Hauch von Nebelatem blasen Winde
So schnell weg wie die Phrasen meinen Mund

Verlassen. Ob ich’s jemals wiederfinde,
Das eine Wort, das Welten ganz macht, rund:
Es drückte aus, was nicht nur ich empfinde.
 

Kaleidoskop

Mitglied
Hallo Walther,

ich lese von einem Date mit dem Wort, nach dem der Dichter ständig sucht: dem allessagendem Wort. Und meint man es gefunden zu haben, ist es schon wieder fort.

Das Thema, die Aussage, gefällt mir.
Aber einige Ausdrücke scheinen mir etwas unrund.

"wollte erst mal länger bleiben"
"dies und es"
"sagte sich dahin"
"Ein müdes Dehnen, Weihnachtstage, Mord"

Wie passt Mord in einen Wintertag? Das ist mir etwas zusammenhangslos.
"So schnell weg wie die"
Die Wörter klingen abgehackt, gehetzt.
"Das eine Wort, das Welten ganz macht, rund:"
Hier klingt das "rund" wie drangeklebt.

Ich hoffe, du nimmst mir die Kritik nicht übel.
Ich tue das nur, weil ich dein Gedicht mag und dir aufzeigen möchte, wo ich noch haken bleibe. Das mag für jemand anderen nicht zutreffen - jeder liest anders.

lg,
kalei
 

Vera-Lena

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Lieber Walther,

bei diesenm wunderschönen Gedicht hat man wieder die Leseschwierigkeiten wegen der vielen Enjambements.

Hat man sich durch dieses Labyrinth aber erst einmal hindurch gefunden, bleibt keine Frage mehr offen.

Das sind die wenigen tiefen Lebensaugenblicke, wenn eine Wahrheit uns anrührt, meistens, ohne dass wir danach gesucht hätten, einfach so, wie vom Himmel gefallen. Aber da wir noch nicht geistig und spirituell weit genug entwickelt sind, können wir diesen lichten Moment nicht so erhalten, wie er uns begegnet ist. Er taucht ab ins Unbewusste, um eines Tages genau so plötzlich wieder aufzutauchen.

Stille könnte eine Unterstützung dabei sein, aber sie wird "gemordet" übertönt von der Hektik des Tages und das "In-sich Ruhen, Zu-sich Finden" wird unmöglich gemacht.

Ach, ja.....es gibt Übungen, die, täglich ausgeübt, Wege öffnen, um auf die Seelentiefen zu zu schreiten. Der Mensch ist nicht wirklich verlassen, Gott sei Dank.

Und die bange Frage, ob dieses allmächtige Wort wieder auftauchen wird .....

Dazu müsste ich jetzt selbst ein Gedicht schreiben (fehlten mir nicht Zeit und Inspiration), denn ich bin davon überzeugt, dass dieses Wort unverlierbar in der Welt gegewärtig ist.

Für mich gehört dieser Text zu Deinen gelungensten Sonetten dazu. Ich wünchte, ich hätte ein Programm, um es Dir vorzulesen zu können, denn das "rund" erhält durch diese kleine Abseitsstellung ein besonderes Gewicht. Wenn ich das läse, könnte man es auch so mithören. Nun ja, es geht eben nicht. Schade

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Walther

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Lb. Kalei,

Deine ausführliche Kritik werde ich separat aufgreifen, bin gerade etwas eilig unterwegs, daher erstmal ein herzliches Danke für Deine hilfreichen Anmerkungen, die der näheren Betrachtung zugeführt werden, versprochen! :)

LG W.

Lb. Vera-Lena,

danke für Deinen Eintrag und vielmals Entschuldigung für die Schwierigkeiten beim Lesen. Hier ein anderes Satzbild:
Es sprach aus ferner Zeit sich mir ein Wort ins Ohr und wollte erst mal länger bleiben; es bat mich, dies und es hier zu beschreiben, und sagte sich dahin, als flög es fort und käm nie mehr zurück an jenen Ort des ersten Kennenlernens. Welches Treiben durchfließt den Wintermorgen: Augenreiben, ein müdes Dehnen, Weihnachtstage, Mord am In-sich-Ruhen, Zu-sich-Finden, und den Hauch von Nebelatem blasen Winde so schnell weg, wie die Phrasen meinen Mund verlassen. Ob ich’s jemals wiederfinde, das eine Wort, das Welten ganz macht, rund? Es drückte aus, was nicht nur ich empfinde.
Macht das das Lesen einfacher und den Sinn klarer?

In der Tat ist das ein Gedicht für eine an und für sich kontemplative Zeit wie die Adventszeit. Und in der Tat könnte man meinen, daß das gesuchte "Weltwort" durchaus eine direkten Bezug zu dieser Zeit im Jahr hat. Und ebenso ist es gerade unser Leben, was hier beschrieben wird, das das Erinnern, das Aufspüren, das Verinnerlichen verunmöglicht.

Daher ist das Gedicht und sein "Gehetztes" ein Spiegelbild und zugleich ein Menetekel. Kann etwas anderes als ein solches Stück Sprache dies besser verdeutlichen? Ich glaube nicht. Jedenfalls ist das ein Weihnachtsgedicht. Auch und gerade, weil man es nicht bemerkt, wenn man sich nicht auf das Gedicht einläßt.

Ich hoffe, seine Stärke liegt darin, daß es auch "formlos" gelesen werden kann. Denn genau das ist mein Credo: Die Sprache muß in der Form liegen, als wäre es nie anders vorgehabt gewesen. Und darin arbeite ich hart und konsequent in meine Texten. Manchmal komme ich an das Ideal heran, manchmal nicht.

Danke für Deine Anmerkungen und Analysen. Wie immer sind diese tiefer gehender als das Gedicht selbst.

LG W.
 

Walther

Mitglied
Weltwort


Es sprach aus ferner Zeit sich mir ein Wort
Ins Ohr und wollte erst mal länger bleiben;
Es bat mich, dies und es hier zu beschreiben,
Und sagte sich dahin, als flög es fort

Und käm nie mehr zurück an jenen Ort
Des ersten Kennenlernens. Welches Treiben
Durchfließt den Wintermorgen: Augenreiben,
Ein müdes Dehnen, Weihnachtstage, Mord

Am In-sich-Ruhen, Zu-sich-Finden, und
Den Hauch von Nebelatem blasen Winde
So schnell weg, wie die Phrasen meinen Mund

Verlassen. Ob ich’s jemals wiederfinde,
Das eine Wort, das Welten ganz macht, rund?
Es drückte aus, was nicht nur ich empfinde.
 

Walther

Mitglied
Weltwort


Es sprach aus ferner Zeit sich mir ein Wort
Ins Ohr und wollte erst mal länger bleiben;
Es bat mich, dies und es hier zu beschreiben,
Und sagte sich dahin, als flög es fort

Und käm nie mehr zurück an jenen Ort
Des ersten Kennenlernens. Welches Treiben
Durchfließt den Wintermorgen: Augenreiben,
Ein müdes Dehnen, Weihnachtstage, Mord

Am In-sich-Ruhen, Zu-sich-Finden, und
Den Hauch von Nebelatem blasen Winde
So schnell hinweg, wie Phrasen meinen Mund

Verlassen. Ob ich’s jemals wiederfinde,
Das eine Wort, das Welten ganz macht, rund?
Es drückte aus, was nicht nur ich empfinde.
 

Walther

Mitglied
Lb. Kalei,

habe oben S2V4 umformuliert. Nun zu Deinen Anmerkungen:

"wollte erst mal länger bleiben"
=> Das Weltwort wollte schon länger bleiben, allein wir ließen es nicht. Der Ton ist ironisch zu verstehen. Es ist offensichtlich schwer, das zu erkennen. Möglichweise überfordere ich an dieser Stelle manche meiner Leser. Das wäre schade, aber auch das ist interessant zu wissen.

"dies und es"
=> Dieses Bild ist eine Ironisierung von "dies und das". Meine Sprachspiele haben zumeist einen tieferen Sinn. Hier wird die Ebenen des Gedichtes angesprochen: Es wird "dies" = "das Gedicht" und "es" = "das Weltwort" "beschrieben". Was ist daran so schlecht?

"sagte sich dahin"
=> "Das sagt sich so leicht dahin" ist eine stehende Formulierung, die auf den bekannten Unterschied zwischen Reden und Tun verweist.

"Ein müdes Dehnen, Weihnachtstage, Mord"
=> Das "Mord" ist ein klassisches Enjambement und gehört in den nächsten Vers. Es scheint mir für den Leser ohne Weile nicht leicht zu sein, den ganzen Satz, der Verse überspringt, im Blick zu haben. Das ist traurig, liegt aber wohl daran, daß wir Gedichte lesen anstatt sie stimmlos zu rezitieren, dann würde diese Schmakazien ins Gesicht springen. Schade drum, aber, s.oben, das war wohl zuviel des Guten, ich werde es mir hinter die Ohren schreiben.

Ich hoffe, die Anmerkungen haben weitergeholfen. Mnachmal muß man leicht frustriert zur Kenntnis nehmen, daß die Mittel, die man einsetzt, einfach nicht recht zünden wollen.

Danke und lieber Gruß W.
 

Kaleidoskop

Mitglied
Hallo Walther,

ja, die eigene Gedankenwelt so einzubetten, dass sich ein anderer damit zudecken mag, das ist das Schwerste und Schönste zugleich.

Und du hast Recht mit deiner Schelte. Ich nehme mir zu wenig Zeit für das einzelne Gedicht. Das mag auch daran liegen, dass es zu viele Foren zu bedienen gibt; so viele Gedichte wollen gelesen werden. Auch das ist Segen und Fluch des Internets.

Aber immerhin bin ich an Deinem hängen geblieben.

Deine Änderung von S2V4 empfinde ich als Verbesserung.

Noch einmal zu diesen Zeilen:
Es bat mich, dies und es hier zu beschreiben,
Und sagte sich dahin, als flög es fort
Das Weltwort bat LI es zu beschreiben und „dies“ …
das „dies“ ist der Umstand, dass es länger bleiben wollte?
Doch schon sagt es sich dahin als flög es fort.
„sagte sich dahin“ klingt für mich wie „sagt sich los“,
will also doch nicht bleiben – das „als flög es fort“ bekräftigt diese Annahme.
Erst verlangt es vom Dichter sein Bleiben zu beschreiben und
macht sich sofort wieder auf die Socken – das ist mir zu widersprüchlich, verwirrt mich.

"Ein müdes Dehnen, Weihnachtstage, Mord"
=> Das "Mord" ist ein klassisches Enjambement und gehört in den nächsten Vers.
Ja, das erkenne ich jetzt und erfasse den Sinn des Geschriebenen – und finde die Idee sehr gut.
Es mag an deiner Schreibweise liegen, die das Auffinden des Gedankens erschwert. Hättest du einen Punkt vor „Mord“ gesetzt, wüsste der Leser, dass der Gedanke nun beendet ist und ein neuer folgt, selbst wenn die Zeile noch nicht zu Ende ist.

Ich hoffe, ich habe dir etwas näher bringen können, wie ich gelesen habe.
Und bitte, sei nicht frustriert durch meine Kritik, sei angespornt.
Du schreibst gute Sonette. Und ich will mich weiter im Lesen üben...

lg,
kalei
 

Walther

Mitglied
Lb. Kalei,

danke für Deinen Eintrag und Deine erneute Erläuterung Deiner Schwierigkeiten mit der einen oder anderen Formulierung. Es ist wichtig, kritische Anmerkungen zu erhalten; Lob ist schön, hilft aber selten weiter, sich zu verbessern.

Ich möchte im Moment den Text so belassen, weil ich noch keine Idee habe, wie ich Deine Hinweise am besten umsetzen soll, ohne daß Melodie und Inhalt beeinträchtigt werden. Manchmal braucht man einfach Abstand zum Text, um das nüchterner zu betrachten.

In diesem Sinne frohe Festtage!

LG W.
 



 
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