Wenn Großvater Geschichten erzählte
Nichts liebte ich mehr als die Stunden, wenn ich mit meinem Großvater auf dem alten Sofa saß und er mir Geschichten erzählte. Auf Großvaters Beinen lag stets eine bunte Decke. In sein Gesicht hatten sich viele Falten gelegt, ja, er war sehr alt und kannte viele Geschichten.
Bei meinem letzten Besuch winkte er mich gleich zu sich: „Komm, Junge, mir ist eine alte Geschichte eingefallen.
Heute erzähle ich dir von meinem Großvater Johannes, den alle nur Hannes nannten. Als Kind wohnte er hinter 7 Bergen und vielen Wäldern, im Riesengebirge. Damals hatte er auch nicht an mich gedacht oder dass es dich einmal geben würde. Er war ein kleiner Junge und ihn beschäftigte eines sehr: das Riesengebirge. Eines Tages fragte Hannes den Vater, ob im Riesengebirge auch Riesen lebten.
„Natürlich“, antwortete der Vater und Hannes fragte weiter:
„Wohnen sie in Höhlen?“
„Bestimmt nicht.“
„In Bauden?“
„Bauden sind viel zu klein. Da schlafen die Hirten im Sommer“, sagte der Vater.
„Wo wohnen sie dann?“
„In Häusern mit riesigen Türen.“
„Haben die Riesen auch einen Namen?“
Der Vater seufzte und meinte: „Einer heißt Rübezahl.“
Hannes merkte, dass der Vater nun keine Geduld mehr für Riesen hatte. Insgeheim glaubte er, dass der selbst zu den Riesen gehörte. Wenn Hannes Vaters Schuhe betrachtete, dachte er stets an große Schiffe und seine eigenen daneben wirkten wie winzige Boote. Und Vaters Hände! Riesig! Er betrat nie das Haus durch den niedrigen vorderen Eingang, benutzte stets den Hintereingang und ging durch das große Tor.
Hannes fand, der Vater sei ein freundlicher Riese, ganz im Gegenteil zu dessen Bruder Karl. Der war auch riesig, aber breit und brummig wie ein Bär. Wenn Onkel Karl bei seinem Vater weilte, verzog sich Hannes stets zu seinem besten Freund Franz. Der wohnte im Nachbarhaus, in der Richtung, in der morgens die Sonne aufging. Dazwischen lag die Weide, auf der die Ziege und das Schaf friedlich grasten. Danach kamen der große Gemüsegarten und das Kartoffelfeld. Eine Himbeerhecke trennte das Grundstück zu den Nachbarn.
Franz glaubte nicht an Riesen, auch nicht, als Hannes ihm erzählte, dass einer Rübezahl hieß. Er meinte: „Wenn im Riesengebirge Riesen leben, würden sie uns besuchen.“ Dennoch schaute er oft auf die Berge und murmelte: „ Wer weiß, vielleicht gibt es sie doch.“
Eines Tages kam wieder einmal Onkel Karl vorbei und Hannes eilte zu Franz.
Hannes sagte: „Komm mit, wir laufen ein Stück den Berg hoch, nur bis zur ersten kleinen Baude, vielleicht sehen wir den Riesen.“
„Und wenn der Rübenzahn uns schnappt, und in seinem Haus einsperrt?“
„Er heißt Rübezahl und ich habe nicht gehört, dass er böse ist.“
Hannes und Franz stapften zum schmalen Weg, der in die Berge führte. Sie liefen schon eine halbe Stunde, als graue Wolken den Himmel bedeckte und ein Donner die Jungen erschreckte.
„Jetzt holt uns der Rübezahl“, flüsterte Franz. Einige Meter weiter stand auf einer Lichtung die Baude, die Hütte aus Holz. Die beiden flüchteten dort hinein und verriegelten die Türe. Unaufhörlich schlug Regen gegen das Fenster, prasselte aufs Dach. Franz hielt sich die Ohren zu.
Das Gewitter verzog sich schnell, aber die beiden blieben noch eine Weile in der Hütte. Da donnerte einer plötzlich an die kleine Holztüre:
„Hannes, bist du da drin? Aufmachen, sofort aufmachen.“
Franz jammerte, aber Hannes beruhigte ihn. Er öffnete rasch die Tür und davor stand Onkel Karl. Wortlos gab dieser Hannes eine Maulschelle, dann umarmte er ihn.
„Ich bin ja so froh, dass ich dich gefunden habe. Wir suchen euch schon lange.“ Auch Franz bekam eine Maulschelle und Umarmung. Dann gingen sie nach Hause zurück.
Bald darauf verließ der Vater die Familie, ebenso Onkel Karl und der Vater von Franz gingen fort, sie kämpften als Soldaten in Russland.
Auch Hannes zog mit seiner Mutter fort, in die Richtung, in der am Abend die Sonne unterging.
Als Hannes seinen Vater endlich wiedersah, wirkte der nicht mehr wie ein Riese. Vaters Schuhe waren kleiner als die von Hannes. Sie lebten auch nicht mehr im Riesengebirge, nur, vergessen haben sie es nie.
(c)Monika Rieger
Nichts liebte ich mehr als die Stunden, wenn ich mit meinem Großvater auf dem alten Sofa saß und er mir Geschichten erzählte. Auf Großvaters Beinen lag stets eine bunte Decke. In sein Gesicht hatten sich viele Falten gelegt, ja, er war sehr alt und kannte viele Geschichten.
Bei meinem letzten Besuch winkte er mich gleich zu sich: „Komm, Junge, mir ist eine alte Geschichte eingefallen.
Heute erzähle ich dir von meinem Großvater Johannes, den alle nur Hannes nannten. Als Kind wohnte er hinter 7 Bergen und vielen Wäldern, im Riesengebirge. Damals hatte er auch nicht an mich gedacht oder dass es dich einmal geben würde. Er war ein kleiner Junge und ihn beschäftigte eines sehr: das Riesengebirge. Eines Tages fragte Hannes den Vater, ob im Riesengebirge auch Riesen lebten.
„Natürlich“, antwortete der Vater und Hannes fragte weiter:
„Wohnen sie in Höhlen?“
„Bestimmt nicht.“
„In Bauden?“
„Bauden sind viel zu klein. Da schlafen die Hirten im Sommer“, sagte der Vater.
„Wo wohnen sie dann?“
„In Häusern mit riesigen Türen.“
„Haben die Riesen auch einen Namen?“
Der Vater seufzte und meinte: „Einer heißt Rübezahl.“
Hannes merkte, dass der Vater nun keine Geduld mehr für Riesen hatte. Insgeheim glaubte er, dass der selbst zu den Riesen gehörte. Wenn Hannes Vaters Schuhe betrachtete, dachte er stets an große Schiffe und seine eigenen daneben wirkten wie winzige Boote. Und Vaters Hände! Riesig! Er betrat nie das Haus durch den niedrigen vorderen Eingang, benutzte stets den Hintereingang und ging durch das große Tor.
Hannes fand, der Vater sei ein freundlicher Riese, ganz im Gegenteil zu dessen Bruder Karl. Der war auch riesig, aber breit und brummig wie ein Bär. Wenn Onkel Karl bei seinem Vater weilte, verzog sich Hannes stets zu seinem besten Freund Franz. Der wohnte im Nachbarhaus, in der Richtung, in der morgens die Sonne aufging. Dazwischen lag die Weide, auf der die Ziege und das Schaf friedlich grasten. Danach kamen der große Gemüsegarten und das Kartoffelfeld. Eine Himbeerhecke trennte das Grundstück zu den Nachbarn.
Franz glaubte nicht an Riesen, auch nicht, als Hannes ihm erzählte, dass einer Rübezahl hieß. Er meinte: „Wenn im Riesengebirge Riesen leben, würden sie uns besuchen.“ Dennoch schaute er oft auf die Berge und murmelte: „ Wer weiß, vielleicht gibt es sie doch.“
Eines Tages kam wieder einmal Onkel Karl vorbei und Hannes eilte zu Franz.
Hannes sagte: „Komm mit, wir laufen ein Stück den Berg hoch, nur bis zur ersten kleinen Baude, vielleicht sehen wir den Riesen.“
„Und wenn der Rübenzahn uns schnappt, und in seinem Haus einsperrt?“
„Er heißt Rübezahl und ich habe nicht gehört, dass er böse ist.“
Hannes und Franz stapften zum schmalen Weg, der in die Berge führte. Sie liefen schon eine halbe Stunde, als graue Wolken den Himmel bedeckte und ein Donner die Jungen erschreckte.
„Jetzt holt uns der Rübezahl“, flüsterte Franz. Einige Meter weiter stand auf einer Lichtung die Baude, die Hütte aus Holz. Die beiden flüchteten dort hinein und verriegelten die Türe. Unaufhörlich schlug Regen gegen das Fenster, prasselte aufs Dach. Franz hielt sich die Ohren zu.
Das Gewitter verzog sich schnell, aber die beiden blieben noch eine Weile in der Hütte. Da donnerte einer plötzlich an die kleine Holztüre:
„Hannes, bist du da drin? Aufmachen, sofort aufmachen.“
Franz jammerte, aber Hannes beruhigte ihn. Er öffnete rasch die Tür und davor stand Onkel Karl. Wortlos gab dieser Hannes eine Maulschelle, dann umarmte er ihn.
„Ich bin ja so froh, dass ich dich gefunden habe. Wir suchen euch schon lange.“ Auch Franz bekam eine Maulschelle und Umarmung. Dann gingen sie nach Hause zurück.
Bald darauf verließ der Vater die Familie, ebenso Onkel Karl und der Vater von Franz gingen fort, sie kämpften als Soldaten in Russland.
Auch Hannes zog mit seiner Mutter fort, in die Richtung, in der am Abend die Sonne unterging.
Als Hannes seinen Vater endlich wiedersah, wirkte der nicht mehr wie ein Riese. Vaters Schuhe waren kleiner als die von Hannes. Sie lebten auch nicht mehr im Riesengebirge, nur, vergessen haben sie es nie.
(c)Monika Rieger
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