FrankK
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Wer hat’s erzählt? – Die Erzählperspektive
Die richtige Wahl der Erzählperspektive könnte entscheidend sein. Das „Zünglein an der Waage“, welches den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmacht.
Doch nicht immer ist es einfach, genau die richtige Perspektive für eine Geschichte zu finden.
Durch die Wahl der richtigen Perspektive ist es zum Beispiel Sir Arthur Conan Doyle gelungen, den Leser davon zu überzeugen, dass seine Hauptfigur Sherlock Holmes (Sir Arthur Conan Doyle; „ Sherlock Holmes“{1}) derart überragende analytische Fähigkeiten besitzt. Er hat es einfach Dr. Watson überlassen, es dem Leser zu erzählen.
Es gibt verschiedene Erzählperspektiven.
Die einfachste und bei Anfängern beliebteste ist die „nonpersonale auktoriale“ Sicht. Ein „externer“ Erzähler gibt die Geschichte zum besten, er weiß alles, kennt jede Figur und kann ihnen sogar in die Köpfe schauen. Aus Erzählsicht ist dies der Gottmodus. Hier hat der Verfasser die Möglichkeit, dem Leser jede Einzelheit genau vor Augen zu führen.
Eine Abwandlung dieser Form ist die „nonpersonale nonauktoriale“ Sicht. Hier werden die Geschehnisse immer noch von einem externen Erzähler geschildert, er kann aber den Figuren nicht mehr in die Köpfe schauen. Diese Perspektive entspricht der Beobachtungssicht, wie man Ereignisse in der realen Welt betrachten kann, ohne zu wissen, was die beteiligten Charaktere tatsächlich denken und fühlen. Sie wirkt realistischer, der Verfasser muss aber dem Leser gegenüber die meiste Überzeugungsarbeit leisten. Dies ist sozusagen der „Theatermodus“.
Die nächste Variante ist die „personale auktoriale“ Perspektive. Sie bietet sich an, wenn der Erzählfokus auf einer bestimmten Figur liegt und der Leser an der Gefühls- und Gedankenwelt teilhaben kann oder soll. Diese Form des Erzählens bietet eine große Nähe zur Hauptfigur, schränkt die Erzählung bei konsistenter Einhaltung allerdings daraufhin ein, dass nur Ereignisse im unmittelbaren Umfeld der Hauptfigur erzählt werden können. Die Perspektive ist faktisch die selbe fiktive Sicht wie die der Hauptfigur.
Eine Abwandlung entspricht der Form „personal nonauktorial“. Der Leser ist an eine Hauptfigur gebunden, hat aber keine vollständige Kenntnis über deren Gefühls- und Gedankenwelt. Als würde eine Kamera des Kopfkinos immer nur dieser einen Figur folgen.
Als fünftes und letztes gibt es noch die Ego-Perspektive. Hier wird der Leser nicht nur wie in der „personal auktorialen“ Sicht an den Hauptcharakter gebunden, er schlüpft regelrecht in die Rolle dieser Figur. Der „externe Erzähler“ weicht dem teilnehmenden Charakter.
Dies sind die Grundvarianten.
Sie sind nicht fest vorgegeben, sie können variieren, es können Mischungen auftreten.
Wichtig ist, dass jede Veränderung in der Erzählperspektive einigermaßen deutlich gemacht wird, damit sich der Leser nicht verirrt. Zu häufige Wechsel schrecken ab, zu starke Variationen schmälern den Lesegenuss weil es für den Leser mühsam wird, sich immer wieder auf eine neue Sicht einzustellen.
Kombinationen bieten sich zum Beispiel an, wenn vielleicht vier Protagonisten zusammen arbeiten sollen, um den einen Antagonisten zu Fall zu bringen. Der Antagonist könnte „nonpersonal nonauktorial“ dargestellt werden, während die Protagonisten in einer „personal auktorialen“ Form sich langsam einander nähern, zusammentreffen und dann gemeinsam agieren. Eine zusätzliche Variante ließe sich einbauen, wenn einer der Protagonisten sogar noch in der Ego-Perspektive dargestellt wird.
„Wie unterscheiden sich die einzelnen Erzählformen im Detail?“
Die Unterschiede sind mitunter recht Marginal. Ich versuche es mal, anhand einiger Beispiele darzustellen. Dazu greife ich wieder auf Flirry zurück, unsere kleine Wald-Fee.
1. Der Gottmodus (nonpersonal auktorial):
Blind vor Zorn und innerer Enttäuschung lief sie durch den Wald, schlug in hilfloser Wut rechts und links nach Büschen und Sträuchern, die ihr möglichst auswichen. Instinktiv war sie zu ihrem Lieblingsplatz gelaufen. Mitten auf der Silbergraslichtung blieb sie stehen. Der alte Weidenbaum, der hier am Rand eines kleinen Weihers stand, erwartete sie bereits, er hatte ihre Annäherung gespürt. Stille umgab sie, sogar die Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, hatten innegehalten. Flirry war eine Waldfee, ihre Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Während sie innerlich vor Zorn bebte, verharrte alles ringsum in ängstlicher Starre.
Nur die Weide, alt, groß und stark, konnte ihr noch etwas entgegensetzen. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Flirry nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als ihr Daumen, aus einer Tasche ihres Kleides. Sie hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
Die Weide versuchte, mit spöttischem Klang in der Stimme, durch Flirrys Wutschranke hindurchzukommen. „Womöglich einen großen und glitzernden?“ Doch sie erreichte genau das Gegenteil.
„Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte Flirry ihren eigenen Stein von sich und traf einen Ast, der sich in den Weg geschwungen hatte. Mit einem leisen Geräusch landete der Tulip wieder vor ihr im Gras. Sofort bildete sich ein Moospolster unter ihm, hob ihn aus dem Gras hoch und präsentierte den Stein wie auf einem grünen Samtkissen.
„Brauchst du noch einen Beweis für die Macht deines Tulip?“ Besänftigend wirkte die Weide auf die junge Fee ein.
Flirry starrte auf das Mooskissen, sie war verwirrt. „Das warst du doch! Du hast den Stein aufgefangen und das Mooskissen wachsen lassen!“, schnaufte sie.
„Aufgefangen habe ich deinen Stein wohl. Das Kissen entstand durch die Kraft des Steines und deine Liebe zu dem Ort, den du Heimat nennst.“
„Was?“ Flirry hatte nie die Bedeutung des Tulipsteines verstanden, sie hatte aber auch nie jemanden danach gefragt und von alleine hatte es ihr niemand erklärt. Sie starrte den Baum an. „Was soll das heißen?“
„Ein Tulip ist ein machtvoller Stein, er steckt voller Magie. Er ist das Bindeglied zwischen einer Fee, ihrer Familie und dem Ort, den sie ihr zu Hause nennt. Niemand anders kann mit deinem Stein etwas anfangen, für jeden anderen ist er nur ein gewöhnlicher Kiesel.“
Soweit eine Szene aus der Geschichte. Wie aber lässt sich hier bereits der Gottmodus erkennen? Der Leser bekommt einfach gesagt, welche Motivation hinter jeder Aktion eines jeden Beteiligten steckt. Als könnten wir in jede Figur hineinblicken:
Der Blick für die Details ist nun geschärft.
Ich variiere jetzt mal den ersten Teil der Szene, um in den Modus „nonpersonale nonauktoriale“ Erzählperspektive zu gelangen. Hier nimmt der Erzähler die Position eines neutralen Berichterstatters ein. Die Leser erfahren nicht mehr einfach die Motivation (sie ist zornig, er erwartet sie schon) hinter einer Aktion, wir als Verfasser müssen nun diese Aktionen „anschaulich“ darstellen.
2. Der Theatermodus (nonpersonal nonauktorial):
Ohne erkennbares Ziel lief sie durch den Wald, schlug mit wutverzerrtem Gesichtsausdruck rechts und links nach Büschen und Sträuchern, traf aber kaum, als würden diese ihr ausweichen. Mitten auf der Silbergraslichtung blieb sie unvermutet stehen, irgendetwas hatte ihre Schritte hierher gelenkt. Der alte Weidenbaum, am Rand eines kleinen Weihers, ragte unmittelbar vor ihr auf. Stille umgab sie, selbst von den Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, war nichts mehr zu hören. Flirry war eine Waldfee, ihre Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Jetzt hatte es den Anschein, als würde alles ringsum in ängstlicher Starre verharren.
Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Flirry nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als ihr Daumen, aus einer Tasche ihres Kleides. Sie hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
„Womöglich einen großen und glitzernden?“ Ein leiser, spöttischer Unterton klang mit, die Weide versuchte wohl, die angespannte Situation zu entschärfen, es gelang nicht.
„Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte Flirry ihren eigenen Stein von sich und traf einen Ast, der plötzlich im Weg aufgetaucht war.
...
Die Szene geht noch weiter, aber es sollte bis hierher reichen. Diese Form der Erzählung ist recht zähflüssig, vor allem was die Darstellung von Gefühlen anbelangt. Jede Emotion muss bildlich dargestellt werden. Es sind äußere Sinneseindrücke die plastisch dargestellt werden. Der Leser gewinnt den Eindruck, als bekäme er ein Theaterstück erzählt und natürlich fragt er sich, warum so viel Distanz zwischen ihm und den Figuren liegen muss und warum er nicht direkt das Theaterstück erleben darf.
Wie lässt sich nun der Theatermodus erkennen? Der Leser bekommt dargestellt, welche Motivation hinter jeder Aktion eines jeden Beteiligten steckt. Wir können in keine Figur hineinblicken:
Dies sind die ersten beiden Perspektiven, sie sind nicht Personenbezogen (nonpersonal), die nächsten beiden Erzählersichten bauen ähnlich auf, beziehen sich aber auf einen bestimmten Charakter innerhalb der Geschichte. In unserem Beispiel rücken wir etwas näher an Flirry heran, wieder die gleiche Szene:
3. Der Kombimodus (personal auktorial)
Blind vor Zorn und innerer Enttäuschung lief sie durch den Wald, schlug in hilfloser Wut rechts und links nach Büschen und Sträuchern, traf aber kaum, als würden diese ihr ausweichen. Instinktiv war sie zu ihrem Lieblingsplatz gelaufen. Mitten auf der Silbergraslichtung blieb sie stehen. Der alte Weidenbaum, am Rand eines kleinen Weihers, ragte unmittelbar vor ihr auf. Stille umgab sie, selbst von den Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, war nichts mehr zu hören. Flirry war eine Waldfee, ihre Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Während sie innerlich vor Zorn bebte, hatte sie den Eindruck, als würde alles ringsum in ängstlicher Starre verharren.
Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Flirry nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als ihr Daumen, aus einer Tasche ihres Kleides. Sie hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
„Womöglich einen großen und glitzernden?“
Der leise, spöttische Unterton, der in den Worten mitklang, verstärkte nur Flirrys Wut und Enttäuschung. „Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte Flirry ihren eigenen Stein von sich und traf einen Ast, der plötzlich im Weg aufgetaucht war.
...
Dies ist die Kombination aus Gottmodus und Theatermodus. Der Leser ist sehr nahe an Flirry (Personenbezogen), schaut ihr faktisch über die Schulter. Der Leser erlebt Flirrys Gefühle, bekommt Flirrys Interpretation des Verhaltens der anderen Figuren präsentiert. Darüber hinaus ist der Leser mitten in Flirrys Gedankenwelt. Diese Form des Erzählens ist die (zur Zeit) am weitesten verbreitete Erzählsicht.
Wie lässt sich nun hier der Kombimodus erkennen? Der Leser bekommt einfach gesagt, welche Motivation hinter jeder Aktion Flirrys steckt, das Verhalten anderer Figuren wird entweder gezeigt oder durch Flirrys Interpretation definiert:
Richtig eingesetzt ist die emotionale Beteiligung des Lesers deutlich stärker als in den beiden vorangegangenen Beispielen. Flirrys Gedanken und Überlegungen können ebenfalls sehr gut dargestellt werden.
Die vierte Variante ist wieder ein Theatermodus, nur diesmal Personenbezogen.
4. Der Theatermodus II (personal nonauktorial):
Ohne erkennbares Ziel lief sie durch den Wald, schlug mit wutverzerrtem Gesichtsausdruck rechts und links nach Büschen und Sträuchern, traf aber kaum, als würden diese ihr ausweichen. Mitten auf der Silbergraslichtung blieb sie unvermutet stehen, irgendetwas hatte ihre Schritte hierher gelenkt. Der alte Weidenbaum, am Rand eines kleinen Weihers, ragte unmittelbar vor ihr auf. Stille umgab sie, selbst von den Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, war nichts mehr zu hören. Flirry war eine Waldfee, ihre Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Jetzt hatte es den Anschein, als würde alles ringsum in ängstlicher Starre verharren.
Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Flirry nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als ihr Daumen, aus einer Tasche ihres Kleides. Sie hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
„Womöglich einen großen und glitzernden?“ Ein leiser, spöttischer Unterton klang mit, die Weide versuchte wohl, die angespannte Situation zu entschärfen, es gelang nicht.
„Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte Flirry ihren eigenen Stein von sich und traf einen Ast, der plötzlich im Weg aufgetaucht war.
...
Richtig, diese vierte Variante unterscheidet sich in der einzelnen Szene nicht von der zweiten Variante. In der Gesamtheit aller Szenen bleibt nur zu beachten, dass gerade in den „personalen“ Varianten ein szenischer Wechsel an einen anderen Ort die Perspektive sprengen würde. Kapitelweise ist es aber durchaus denkbar.
Die fünfte und letzte Variante ist eine spezielle Form der personal-auktorialen Perspektive.
5 Der Egomodus (personal auktorial)
Blind vor Zorn und innerer Enttäuschung, weil Glenda wieder einmal so viel besser ausgestattet war, lief ich durch den Wald, schlug in hilfloser Wut rechts und links nach Büschen und Sträuchern, traf aber kaum, als würden diese mir ausweichen. Ohne es zu merken, hatte ich den Weg zu meinem Lieblingsplatz eingeschlagen, mitten auf der Silbergraslichtung blieb ich stehen. Der alte Weidenbaum, am Rand eines kleinen Weihers, ragte unmittelbar vor mir auf. Stille umgab mich, selbst von den Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, war nichts mehr zu hören. Ich war eine Waldfee, meine Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Während ich innerlich vor Zorn bebte, gewann ich den Eindruck, als würde alles ringsum in ängstlicher Starre verharren.
Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Ich nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als mein Daumen, aus einer Tasche meines Kleides und hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
„Womöglich einen großen und glitzernden?“
Der leise, spöttische Unterton, der in den Worten mitklang, verstärkte nur meine Wut und Enttäuschung. „Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte ich den Stein von mir und traf einen Ast, der plötzlich im Weg aufgetaucht war.
Der Unterschied liegt im unmittelbaren Erlebnis des Lesers als „die Hauptfigur“ (oder einer der Hauptfiguren). Jede Szene wird mit den Emotionen und Gedanken des Protagonisten ausgeführt, gefüllt und – teilweise – fehlgedeutet. Der Leser sieht, hört, riecht und fühlt alles, was der Protagonist ebenfalls erfährt (wie im Kombimodus – personal auktorial), nur sieht der Leser diesmal dem Helden nicht nur über die Schulter, der Leser sieht alles mit des Helden Augen. Entsprechend wird jede Situation mit Hilfe des Protagonisten gedeutet – der Leser erhält keinen Kenntnisvorsprung (in Folge einer anderen Deutung durch Erfahrung).
Ich fasse noch einmal zusammen:
Hauptthema: Eine gute Geschichte
Vorheriges Kapitel: 08 Endlich geht es los – Die Macht des Anfangs
Nächstes Kapitel: 10 Was hat er gesagt? – Die Kraft der Dialoge
Quellen:
*1 Sir Arthur Conan Doyle, Sherlock Holmes (Sämtliche Werke in drei Bänden), Anaconda Verlag (Oktober 2014), ISBN-13: 978-3730601556 (Deutsch)
Die richtige Wahl der Erzählperspektive könnte entscheidend sein. Das „Zünglein an der Waage“, welches den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmacht.
Doch nicht immer ist es einfach, genau die richtige Perspektive für eine Geschichte zu finden.
Durch die Wahl der richtigen Perspektive ist es zum Beispiel Sir Arthur Conan Doyle gelungen, den Leser davon zu überzeugen, dass seine Hauptfigur Sherlock Holmes (Sir Arthur Conan Doyle; „ Sherlock Holmes“{1}) derart überragende analytische Fähigkeiten besitzt. Er hat es einfach Dr. Watson überlassen, es dem Leser zu erzählen.
Es gibt verschiedene Erzählperspektiven.
Die einfachste und bei Anfängern beliebteste ist die „nonpersonale auktoriale“ Sicht. Ein „externer“ Erzähler gibt die Geschichte zum besten, er weiß alles, kennt jede Figur und kann ihnen sogar in die Köpfe schauen. Aus Erzählsicht ist dies der Gottmodus. Hier hat der Verfasser die Möglichkeit, dem Leser jede Einzelheit genau vor Augen zu führen.
Eine Abwandlung dieser Form ist die „nonpersonale nonauktoriale“ Sicht. Hier werden die Geschehnisse immer noch von einem externen Erzähler geschildert, er kann aber den Figuren nicht mehr in die Köpfe schauen. Diese Perspektive entspricht der Beobachtungssicht, wie man Ereignisse in der realen Welt betrachten kann, ohne zu wissen, was die beteiligten Charaktere tatsächlich denken und fühlen. Sie wirkt realistischer, der Verfasser muss aber dem Leser gegenüber die meiste Überzeugungsarbeit leisten. Dies ist sozusagen der „Theatermodus“.
Die nächste Variante ist die „personale auktoriale“ Perspektive. Sie bietet sich an, wenn der Erzählfokus auf einer bestimmten Figur liegt und der Leser an der Gefühls- und Gedankenwelt teilhaben kann oder soll. Diese Form des Erzählens bietet eine große Nähe zur Hauptfigur, schränkt die Erzählung bei konsistenter Einhaltung allerdings daraufhin ein, dass nur Ereignisse im unmittelbaren Umfeld der Hauptfigur erzählt werden können. Die Perspektive ist faktisch die selbe fiktive Sicht wie die der Hauptfigur.
Eine Abwandlung entspricht der Form „personal nonauktorial“. Der Leser ist an eine Hauptfigur gebunden, hat aber keine vollständige Kenntnis über deren Gefühls- und Gedankenwelt. Als würde eine Kamera des Kopfkinos immer nur dieser einen Figur folgen.
Als fünftes und letztes gibt es noch die Ego-Perspektive. Hier wird der Leser nicht nur wie in der „personal auktorialen“ Sicht an den Hauptcharakter gebunden, er schlüpft regelrecht in die Rolle dieser Figur. Der „externe Erzähler“ weicht dem teilnehmenden Charakter.
Dies sind die Grundvarianten.
Sie sind nicht fest vorgegeben, sie können variieren, es können Mischungen auftreten.
Wichtig ist, dass jede Veränderung in der Erzählperspektive einigermaßen deutlich gemacht wird, damit sich der Leser nicht verirrt. Zu häufige Wechsel schrecken ab, zu starke Variationen schmälern den Lesegenuss weil es für den Leser mühsam wird, sich immer wieder auf eine neue Sicht einzustellen.
Kombinationen bieten sich zum Beispiel an, wenn vielleicht vier Protagonisten zusammen arbeiten sollen, um den einen Antagonisten zu Fall zu bringen. Der Antagonist könnte „nonpersonal nonauktorial“ dargestellt werden, während die Protagonisten in einer „personal auktorialen“ Form sich langsam einander nähern, zusammentreffen und dann gemeinsam agieren. Eine zusätzliche Variante ließe sich einbauen, wenn einer der Protagonisten sogar noch in der Ego-Perspektive dargestellt wird.
„Wie unterscheiden sich die einzelnen Erzählformen im Detail?“
Die Unterschiede sind mitunter recht Marginal. Ich versuche es mal, anhand einiger Beispiele darzustellen. Dazu greife ich wieder auf Flirry zurück, unsere kleine Wald-Fee.
1. Der Gottmodus (nonpersonal auktorial):
Blind vor Zorn und innerer Enttäuschung lief sie durch den Wald, schlug in hilfloser Wut rechts und links nach Büschen und Sträuchern, die ihr möglichst auswichen. Instinktiv war sie zu ihrem Lieblingsplatz gelaufen. Mitten auf der Silbergraslichtung blieb sie stehen. Der alte Weidenbaum, der hier am Rand eines kleinen Weihers stand, erwartete sie bereits, er hatte ihre Annäherung gespürt. Stille umgab sie, sogar die Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, hatten innegehalten. Flirry war eine Waldfee, ihre Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Während sie innerlich vor Zorn bebte, verharrte alles ringsum in ängstlicher Starre.
Nur die Weide, alt, groß und stark, konnte ihr noch etwas entgegensetzen. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Flirry nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als ihr Daumen, aus einer Tasche ihres Kleides. Sie hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
Die Weide versuchte, mit spöttischem Klang in der Stimme, durch Flirrys Wutschranke hindurchzukommen. „Womöglich einen großen und glitzernden?“ Doch sie erreichte genau das Gegenteil.
„Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte Flirry ihren eigenen Stein von sich und traf einen Ast, der sich in den Weg geschwungen hatte. Mit einem leisen Geräusch landete der Tulip wieder vor ihr im Gras. Sofort bildete sich ein Moospolster unter ihm, hob ihn aus dem Gras hoch und präsentierte den Stein wie auf einem grünen Samtkissen.
„Brauchst du noch einen Beweis für die Macht deines Tulip?“ Besänftigend wirkte die Weide auf die junge Fee ein.
Flirry starrte auf das Mooskissen, sie war verwirrt. „Das warst du doch! Du hast den Stein aufgefangen und das Mooskissen wachsen lassen!“, schnaufte sie.
„Aufgefangen habe ich deinen Stein wohl. Das Kissen entstand durch die Kraft des Steines und deine Liebe zu dem Ort, den du Heimat nennst.“
„Was?“ Flirry hatte nie die Bedeutung des Tulipsteines verstanden, sie hatte aber auch nie jemanden danach gefragt und von alleine hatte es ihr niemand erklärt. Sie starrte den Baum an. „Was soll das heißen?“
„Ein Tulip ist ein machtvoller Stein, er steckt voller Magie. Er ist das Bindeglied zwischen einer Fee, ihrer Familie und dem Ort, den sie ihr zu Hause nennt. Niemand anders kann mit deinem Stein etwas anfangen, für jeden anderen ist er nur ein gewöhnlicher Kiesel.“
Soweit eine Szene aus der Geschichte. Wie aber lässt sich hier bereits der Gottmodus erkennen? Der Leser bekommt einfach gesagt, welche Motivation hinter jeder Aktion eines jeden Beteiligten steckt. Als könnten wir in jede Figur hineinblicken:
- Blind vor Zorn und innerer Enttäuschung lief sie durch den Wald
Innenansicht Flirry. - schlug in hilfloser Wut rechts und links nach Büschen und Sträuchern
Innenansicht Flirry. - die ihr möglichst auswichen.
Innenansicht Büsche und Sträucher. - Instinktiv war sie zu ihrem Lieblingsplatz gelaufen.
Innenansicht Flirry - Der alte Weidenbaum ... erwartete sie bereits, er hatte ihre Annäherung gespürt.
Innenansicht Weide - Stille umgab sie, sogar die Insekten ... hatten innegehalten.
Innenansicht Insekten.
Der Blick für die Details ist nun geschärft.
Ich variiere jetzt mal den ersten Teil der Szene, um in den Modus „nonpersonale nonauktoriale“ Erzählperspektive zu gelangen. Hier nimmt der Erzähler die Position eines neutralen Berichterstatters ein. Die Leser erfahren nicht mehr einfach die Motivation (sie ist zornig, er erwartet sie schon) hinter einer Aktion, wir als Verfasser müssen nun diese Aktionen „anschaulich“ darstellen.
2. Der Theatermodus (nonpersonal nonauktorial):
Ohne erkennbares Ziel lief sie durch den Wald, schlug mit wutverzerrtem Gesichtsausdruck rechts und links nach Büschen und Sträuchern, traf aber kaum, als würden diese ihr ausweichen. Mitten auf der Silbergraslichtung blieb sie unvermutet stehen, irgendetwas hatte ihre Schritte hierher gelenkt. Der alte Weidenbaum, am Rand eines kleinen Weihers, ragte unmittelbar vor ihr auf. Stille umgab sie, selbst von den Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, war nichts mehr zu hören. Flirry war eine Waldfee, ihre Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Jetzt hatte es den Anschein, als würde alles ringsum in ängstlicher Starre verharren.
Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Flirry nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als ihr Daumen, aus einer Tasche ihres Kleides. Sie hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
„Womöglich einen großen und glitzernden?“ Ein leiser, spöttischer Unterton klang mit, die Weide versuchte wohl, die angespannte Situation zu entschärfen, es gelang nicht.
„Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte Flirry ihren eigenen Stein von sich und traf einen Ast, der plötzlich im Weg aufgetaucht war.
...
Die Szene geht noch weiter, aber es sollte bis hierher reichen. Diese Form der Erzählung ist recht zähflüssig, vor allem was die Darstellung von Gefühlen anbelangt. Jede Emotion muss bildlich dargestellt werden. Es sind äußere Sinneseindrücke die plastisch dargestellt werden. Der Leser gewinnt den Eindruck, als bekäme er ein Theaterstück erzählt und natürlich fragt er sich, warum so viel Distanz zwischen ihm und den Figuren liegen muss und warum er nicht direkt das Theaterstück erleben darf.
Wie lässt sich nun der Theatermodus erkennen? Der Leser bekommt dargestellt, welche Motivation hinter jeder Aktion eines jeden Beteiligten steckt. Wir können in keine Figur hineinblicken:
- Ohne erkennbares Ziel lief sie durch den Wald
Darstellung Verhalten von Flirry. - schlug mit wutverzerrtem Gesichtsausdruck rechts und links nach Büschen und Sträuchern
Darstellung Verhalten von Flirry. - traf aber kaum, als würden diese ihr ausweichen.
Darstellung Verhalten Büsche und Sträucher. - Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Darstellung Reaktion der Weide. Das Gefühl (sanft, aufbrausend) muss nicht extra betont werden, es geht hier aus dem Kontext hervor.
Dies sind die ersten beiden Perspektiven, sie sind nicht Personenbezogen (nonpersonal), die nächsten beiden Erzählersichten bauen ähnlich auf, beziehen sich aber auf einen bestimmten Charakter innerhalb der Geschichte. In unserem Beispiel rücken wir etwas näher an Flirry heran, wieder die gleiche Szene:
3. Der Kombimodus (personal auktorial)
Blind vor Zorn und innerer Enttäuschung lief sie durch den Wald, schlug in hilfloser Wut rechts und links nach Büschen und Sträuchern, traf aber kaum, als würden diese ihr ausweichen. Instinktiv war sie zu ihrem Lieblingsplatz gelaufen. Mitten auf der Silbergraslichtung blieb sie stehen. Der alte Weidenbaum, am Rand eines kleinen Weihers, ragte unmittelbar vor ihr auf. Stille umgab sie, selbst von den Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, war nichts mehr zu hören. Flirry war eine Waldfee, ihre Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Während sie innerlich vor Zorn bebte, hatte sie den Eindruck, als würde alles ringsum in ängstlicher Starre verharren.
Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Flirry nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als ihr Daumen, aus einer Tasche ihres Kleides. Sie hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
„Womöglich einen großen und glitzernden?“
Der leise, spöttische Unterton, der in den Worten mitklang, verstärkte nur Flirrys Wut und Enttäuschung. „Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte Flirry ihren eigenen Stein von sich und traf einen Ast, der plötzlich im Weg aufgetaucht war.
...
Dies ist die Kombination aus Gottmodus und Theatermodus. Der Leser ist sehr nahe an Flirry (Personenbezogen), schaut ihr faktisch über die Schulter. Der Leser erlebt Flirrys Gefühle, bekommt Flirrys Interpretation des Verhaltens der anderen Figuren präsentiert. Darüber hinaus ist der Leser mitten in Flirrys Gedankenwelt. Diese Form des Erzählens ist die (zur Zeit) am weitesten verbreitete Erzählsicht.
Wie lässt sich nun hier der Kombimodus erkennen? Der Leser bekommt einfach gesagt, welche Motivation hinter jeder Aktion Flirrys steckt, das Verhalten anderer Figuren wird entweder gezeigt oder durch Flirrys Interpretation definiert:
- Blind vor Zorn und innerer Enttäuschung lief sie durch den Wald
Innenansicht Flirry. - schlug in hilfloser Wut rechts und links nach Büschen und Sträuchern
Innenansicht Flirry. - traf aber kaum, als würden diese ihr ausweichen.
Darstellung Verhalten Büsche und Sträucher. - Instinktiv war sie zu ihrem Lieblingsplatz gelaufen.
Innenansicht Flirry. - Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Darstellung Reaktion der Weide. Das Gefühl (sanft, aufbrausend) muss nicht extra betont werden, es geht hier aus dem Kontext hervor. - Während sie innerlich vor Zorn bebte
Innenansicht Flirry. - hatte sie den Eindruck, als würde alles ringsum in ängstlicher Starre verharren.
Interpretation durch Flirry.
Richtig eingesetzt ist die emotionale Beteiligung des Lesers deutlich stärker als in den beiden vorangegangenen Beispielen. Flirrys Gedanken und Überlegungen können ebenfalls sehr gut dargestellt werden.
Die vierte Variante ist wieder ein Theatermodus, nur diesmal Personenbezogen.
4. Der Theatermodus II (personal nonauktorial):
Ohne erkennbares Ziel lief sie durch den Wald, schlug mit wutverzerrtem Gesichtsausdruck rechts und links nach Büschen und Sträuchern, traf aber kaum, als würden diese ihr ausweichen. Mitten auf der Silbergraslichtung blieb sie unvermutet stehen, irgendetwas hatte ihre Schritte hierher gelenkt. Der alte Weidenbaum, am Rand eines kleinen Weihers, ragte unmittelbar vor ihr auf. Stille umgab sie, selbst von den Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, war nichts mehr zu hören. Flirry war eine Waldfee, ihre Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Jetzt hatte es den Anschein, als würde alles ringsum in ängstlicher Starre verharren.
Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Flirry nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als ihr Daumen, aus einer Tasche ihres Kleides. Sie hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
„Womöglich einen großen und glitzernden?“ Ein leiser, spöttischer Unterton klang mit, die Weide versuchte wohl, die angespannte Situation zu entschärfen, es gelang nicht.
„Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte Flirry ihren eigenen Stein von sich und traf einen Ast, der plötzlich im Weg aufgetaucht war.
...
Richtig, diese vierte Variante unterscheidet sich in der einzelnen Szene nicht von der zweiten Variante. In der Gesamtheit aller Szenen bleibt nur zu beachten, dass gerade in den „personalen“ Varianten ein szenischer Wechsel an einen anderen Ort die Perspektive sprengen würde. Kapitelweise ist es aber durchaus denkbar.
Die fünfte und letzte Variante ist eine spezielle Form der personal-auktorialen Perspektive.
5 Der Egomodus (personal auktorial)
Blind vor Zorn und innerer Enttäuschung, weil Glenda wieder einmal so viel besser ausgestattet war, lief ich durch den Wald, schlug in hilfloser Wut rechts und links nach Büschen und Sträuchern, traf aber kaum, als würden diese mir ausweichen. Ohne es zu merken, hatte ich den Weg zu meinem Lieblingsplatz eingeschlagen, mitten auf der Silbergraslichtung blieb ich stehen. Der alte Weidenbaum, am Rand eines kleinen Weihers, ragte unmittelbar vor mir auf. Stille umgab mich, selbst von den Insekten, die sonst munter über dem Wasser summten, war nichts mehr zu hören. Ich war eine Waldfee, meine Ausstrahlung wurde von sämtlichen Geschöpfen des Waldes empfangen. Während ich innerlich vor Zorn bebte, gewann ich den Eindruck, als würde alles ringsum in ängstlicher Starre verharren.
Nur die Weide, alt, groß und stark, reagierte noch. „Beruhige dich, Kind des Waldes, beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.“
Ich nahm einen kleinen Kieselstein, nicht größer als mein Daumen, aus einer Tasche meines Kleides und hielt ihn der Weide entgegen. „Das ist unser mickriger Tulipstein. Kannst du dir vorstellen, was für einen Stein Glenda angeschleppt hat?“
„Womöglich einen großen und glitzernden?“
Der leise, spöttische Unterton, der in den Worten mitklang, verstärkte nur meine Wut und Enttäuschung. „Genau! Einen großen Achat, innen voller glitzernder Kristalle!“ Mit kraftvoller Bewegung schleuderte ich den Stein von mir und traf einen Ast, der plötzlich im Weg aufgetaucht war.
Der Unterschied liegt im unmittelbaren Erlebnis des Lesers als „die Hauptfigur“ (oder einer der Hauptfiguren). Jede Szene wird mit den Emotionen und Gedanken des Protagonisten ausgeführt, gefüllt und – teilweise – fehlgedeutet. Der Leser sieht, hört, riecht und fühlt alles, was der Protagonist ebenfalls erfährt (wie im Kombimodus – personal auktorial), nur sieht der Leser diesmal dem Helden nicht nur über die Schulter, der Leser sieht alles mit des Helden Augen. Entsprechend wird jede Situation mit Hilfe des Protagonisten gedeutet – der Leser erhält keinen Kenntnisvorsprung (in Folge einer anderen Deutung durch Erfahrung).
Ich fasse noch einmal zusammen:
- 1. nonpersonal auktorial (Gottmodus)
- Der Erzähler steht außerhalb der Geschichte
- Der Erzähler schaut jeder Figur in den Kopf.
- Orts- und Figurenwechsel beliebig möglich
- Emotional mittlere Entfernung
- 2. nonpersonal nonauktorial (Theatermodus I)
- Der Erzähler steht außerhalb der Geschichte
- Der Erzähler schaut keiner Figur in den Kopf.
- Orts- und Figurenwechsel beliebig möglich
- Emotional größtmögliche Entfernung
- 3. personal auktorial (Kombimodus)
- Der Erzähler steht außerhalb der Geschichte
- Der Erzähler schaut der Hauptfigur in den Kopf.
- Orts- und Figurenwechsel eingeschränkt möglich
- Emotional geringe Entfernung
- 4. personal nonauktorial (Theatermodus II)
- Der Erzähler steht außerhalb der Geschichte
- Der Erzähler schaut keiner Figur in den Kopf.
- Orts- und Figurenwechsel eingeschränkt möglich
- Emotional mittlere Entfernung
- 5. personal auktorial (Egomodus)
- Der Erzähler steht innerhalb der Geschichte
- Der Erzähler ist eine der Hauptfiguren
- Orts- und Figurenwechsel sehr eingeschränkt möglich
- Emotional unmittelbar Beteiligt
Hauptthema: Eine gute Geschichte
Vorheriges Kapitel: 08 Endlich geht es los – Die Macht des Anfangs
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Quellen:
*1 Sir Arthur Conan Doyle, Sherlock Holmes (Sämtliche Werke in drei Bänden), Anaconda Verlag (Oktober 2014), ISBN-13: 978-3730601556 (Deutsch)
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