Willibald
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Wie Stefan einst sein Facharbeitsthema fand (Anekdote)
D. schlug wahllos einige Seiten auf, fand das Kapitel „Roman des 20. Jahrhunderts“ und las mit einiger Aufmerksamkeit über einen gewissen Reinhold Schneider einen Abschnitt, der sich etwa so exzerpieren und verkürzen lässt:
Ein beachtlicher Vertreter der Roman-Gattung ist auch Reinhold Schneider. Er lebte von 1903 bis 1958 und bewegte sich lange zwischen geschichtlichem Essay und dichterischer Prosa. Es entstanden dabei die Werke »Die Leiden des Camoes« (1930), »Die Hohenzollern« (1933), »Das Inselreich« (1936) und »Macht und Gnade« (1940). Dieser Schneider sah tief und schwermütig in das Dunkel des Seins, in die Verknüpfungen von Macht und Sünde; aber in diesem Manne lebte zugleich auch das Wissen um eine göttliche Barmherzigkeit und gläubige Verantwortung (»Las Casas vor Karl V.«, 1938). Sein christliches Bewusstsein führte ihn in die politische Opposition. Es sprach aus seinen Sonetten um Gott im Gericht der Zeit (»Die letzten Tage« und »Die neuen Türme«, 1946). Aber der gläubige Schriftsteller wusste auch um die Hilfe aus »verborgen glaubensreichem Sinn«. Daneben trat die Stimme der humanen, vom Ethos der Aufklärung getragenen Vernunft.
Dann betrat ein Lehrer den Bibliotheksraum und machte sich im Kindler-Literatur-Lexikon kundig, nicht ohne den Kollegiaten etwas unwillig zu fragen, was er hier suche. Denn eigentlich kamen fast nur Lehrer hierher. Vor allem um in Ruhe vor dem Nachhauseweg zu arbeiten. Aber auch, um in bibliophiler Umgebung eine Butterbreze oder eine Wustsemmel zu genießen. Nicht selten auch ein Heißgetränk aus dem etwas störanfälligen Kaffeeautomaten. Stefan war weder von dieser Rede des Lehrers noch von dem Buche des Professors angetan.
Zweierlei Frucht trug diese Bibliotheksbegegnung für unseren suchenden Kollegiaten. Zum einen ging ihm eine Zeile nicht aus dem Kopf (“You´re talking to me?“), die er nach einiger Gedächtnisanstrengung in dem Film „Taxidriver“ von Scorsese einzuordnen wusste. Zum anderen waren ihm nun Themenschwerpunkt und Gattung (Filmanalyse) seiner Facharbeit klargeworden, nämlich das Frustrationsmotiv - eben in Scorseses Film „Taxidriver“. Den konnte er eigentlich nur in seinem LK Deutsch behandeln oder im LK Englisch. Da er aber den Leistungskurs Englisch nicht besuchte, war es müßig, in diese Richtung Schritte zu unternehmen.
Nicht lang danach träumte dem Stefan D. von einer kleinen Ente namens Travis, der es schlechter erging als dem "hässlichen Entlein" in der Geschichte des dänischen Dichters Hans Christian Andersen.
Mit seiner Facharbeit aber räumte D. (1) mächtig Punkte ab, potz Blitz (2), Erdstoß und alle Wetter!
Anmerkungen:
(1) Er - Stefan - unterrichtet jetzt an einem Gymnasium in der Nähe von München und empfindet seinem Beruf durchaus als stupendes Faszinosum. Außerdem mag er - das mag ein wenig abseitig erscheinen - die logischen Ansprüche von Gottesbeweisen (Anselm von Canterbury, Kurt Gödel, Thomas von Aquin, Pascal) und deren oft recht maue und angreifbare Struktur, die etwa David Hume oder Immanuel Kant oder John Leslie Mackie oder Richard Dawkins aufzuzeigen versuch(t)en.
(2) "potzblitz" oder "potz Blitz" ist auch ziemlich faszinierend:
In alten Zeiten, als die zehn Gebote noch sehr intensive Geltung besaßen, richtete man sich nach ihnen, gerade auch nach dem zweiten Gebot: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen. Den heiligen Namen durfte man also nicht in paganen Kontexten aussprechen, wie das Fluchen einer ist oder auch einfach das vom Donner gerührte Staunen. Um dennoch nicht ohne dazustehen, verkürzte man wahrscheinlich "Gott(es)" zu "potz" - so wurde aus "Gottes Blitz" "potz Blitz".
In Grimmelshausens "Simplicissimus" findet sich 1669 eine feine, belebende Passage:
"Zum allererschröcklichsten kam mir vor, wann ich etliche Großsprecher sich ihrer Bosheit, Sünden, Schande und Laster rühmen hörete; dann ich vernahm zu unterschiedlichen Zeiten, und zwar täglich, daß sie sagten: 'Potz Blut, wie haben wir gestern gesoffen!' 'Ich habe mich in einem Tag wohl dreimal vollgesoffen und ebenso vielmal gekotzt.' 'Potz Stern, wie haben wir die Bauren, die Schelmen, tribuliert!' 'Potz Strahl, wie haben wir Beuten gemacht!' 'Potz hundert Gift, wie haben wir einen Spaß mit den Weibern und Mägden gehabt!'"
Ist das was oder ist das was?
Additum und Bonustrack:
https://www.youtube.com/watch?v=ak3ma7wtE_0
Robert de Niro: You talking to me (1975)
https://www.youtube.com/watch?v=YjfwjqFhlWs
Disney: Das hässliche Entlein (1931)
Wie Stefan einst sein Facharbeitsthema fand.
Anekdote
Als es einmal Stefan D. um die Jahrtausendwende in die wenig einladende Bibliothek im ersten Stocke seines Gymnasiums in Gersthofen verschlagen hatte, weil er noch nicht recht wusste, was für ein Thema ihn interessieren könne und in welchem LK er seine Facharbeit fertigen solle, erblickte er dort eine „Geschichte der deutschen Literatur“ des Professors Fritz Martini.Anekdote
D. schlug wahllos einige Seiten auf, fand das Kapitel „Roman des 20. Jahrhunderts“ und las mit einiger Aufmerksamkeit über einen gewissen Reinhold Schneider einen Abschnitt, der sich etwa so exzerpieren und verkürzen lässt:
Ein beachtlicher Vertreter der Roman-Gattung ist auch Reinhold Schneider. Er lebte von 1903 bis 1958 und bewegte sich lange zwischen geschichtlichem Essay und dichterischer Prosa. Es entstanden dabei die Werke »Die Leiden des Camoes« (1930), »Die Hohenzollern« (1933), »Das Inselreich« (1936) und »Macht und Gnade« (1940). Dieser Schneider sah tief und schwermütig in das Dunkel des Seins, in die Verknüpfungen von Macht und Sünde; aber in diesem Manne lebte zugleich auch das Wissen um eine göttliche Barmherzigkeit und gläubige Verantwortung (»Las Casas vor Karl V.«, 1938). Sein christliches Bewusstsein führte ihn in die politische Opposition. Es sprach aus seinen Sonetten um Gott im Gericht der Zeit (»Die letzten Tage« und »Die neuen Türme«, 1946). Aber der gläubige Schriftsteller wusste auch um die Hilfe aus »verborgen glaubensreichem Sinn«. Daneben trat die Stimme der humanen, vom Ethos der Aufklärung getragenen Vernunft.
Dann betrat ein Lehrer den Bibliotheksraum und machte sich im Kindler-Literatur-Lexikon kundig, nicht ohne den Kollegiaten etwas unwillig zu fragen, was er hier suche. Denn eigentlich kamen fast nur Lehrer hierher. Vor allem um in Ruhe vor dem Nachhauseweg zu arbeiten. Aber auch, um in bibliophiler Umgebung eine Butterbreze oder eine Wustsemmel zu genießen. Nicht selten auch ein Heißgetränk aus dem etwas störanfälligen Kaffeeautomaten. Stefan war weder von dieser Rede des Lehrers noch von dem Buche des Professors angetan.
Zweierlei Frucht trug diese Bibliotheksbegegnung für unseren suchenden Kollegiaten. Zum einen ging ihm eine Zeile nicht aus dem Kopf (“You´re talking to me?“), die er nach einiger Gedächtnisanstrengung in dem Film „Taxidriver“ von Scorsese einzuordnen wusste. Zum anderen waren ihm nun Themenschwerpunkt und Gattung (Filmanalyse) seiner Facharbeit klargeworden, nämlich das Frustrationsmotiv - eben in Scorseses Film „Taxidriver“. Den konnte er eigentlich nur in seinem LK Deutsch behandeln oder im LK Englisch. Da er aber den Leistungskurs Englisch nicht besuchte, war es müßig, in diese Richtung Schritte zu unternehmen.
Nicht lang danach träumte dem Stefan D. von einer kleinen Ente namens Travis, der es schlechter erging als dem "hässlichen Entlein" in der Geschichte des dänischen Dichters Hans Christian Andersen.
Mit seiner Facharbeit aber räumte D. (1) mächtig Punkte ab, potz Blitz (2), Erdstoß und alle Wetter!
Anmerkungen:
(1) Er - Stefan - unterrichtet jetzt an einem Gymnasium in der Nähe von München und empfindet seinem Beruf durchaus als stupendes Faszinosum. Außerdem mag er - das mag ein wenig abseitig erscheinen - die logischen Ansprüche von Gottesbeweisen (Anselm von Canterbury, Kurt Gödel, Thomas von Aquin, Pascal) und deren oft recht maue und angreifbare Struktur, die etwa David Hume oder Immanuel Kant oder John Leslie Mackie oder Richard Dawkins aufzuzeigen versuch(t)en.
(2) "potzblitz" oder "potz Blitz" ist auch ziemlich faszinierend:
In alten Zeiten, als die zehn Gebote noch sehr intensive Geltung besaßen, richtete man sich nach ihnen, gerade auch nach dem zweiten Gebot: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen. Den heiligen Namen durfte man also nicht in paganen Kontexten aussprechen, wie das Fluchen einer ist oder auch einfach das vom Donner gerührte Staunen. Um dennoch nicht ohne dazustehen, verkürzte man wahrscheinlich "Gott(es)" zu "potz" - so wurde aus "Gottes Blitz" "potz Blitz".
In Grimmelshausens "Simplicissimus" findet sich 1669 eine feine, belebende Passage:
"Zum allererschröcklichsten kam mir vor, wann ich etliche Großsprecher sich ihrer Bosheit, Sünden, Schande und Laster rühmen hörete; dann ich vernahm zu unterschiedlichen Zeiten, und zwar täglich, daß sie sagten: 'Potz Blut, wie haben wir gestern gesoffen!' 'Ich habe mich in einem Tag wohl dreimal vollgesoffen und ebenso vielmal gekotzt.' 'Potz Stern, wie haben wir die Bauren, die Schelmen, tribuliert!' 'Potz Strahl, wie haben wir Beuten gemacht!' 'Potz hundert Gift, wie haben wir einen Spaß mit den Weibern und Mägden gehabt!'"
Ist das was oder ist das was?
Additum und Bonustrack:
https://www.youtube.com/watch?v=ak3ma7wtE_0
Robert de Niro: You talking to me (1975)
https://www.youtube.com/watch?v=YjfwjqFhlWs
Disney: Das hässliche Entlein (1931)