LudmillaKulikova
Mitglied
Ludmilla Kulikova
Wir haben uns doch noch gesehen
In der neuen Wohnung roch es nach frisch geklebten Tapeten. Der Geruch war angenehm. Damit verband sich der feste Glaube an den morgigen Tag, Zuverlässigkeit und das Gefühl, siebzig Quadratmeter Wohnfläche zu besitzen. Das erste Mal seit langen Jahren der Wanderschaft durch Mietwohnungen verließ Tolik die unterschwellige Angst, ohne erfindlichen Grund und aus purer Vermieterlaune ausquartiert zu werden. Selbst die tagelange nervliche Anspannung bei der Umzugsvorbereitung vermochte seine Hochstimmung nicht zu verderben. Mit der Anschaffung der Wohnung, so schien es Tolik, habe er sich auf diesem Erdball einen Ort errichtet und sei nun unsterblich.
Zur Feier des Neueinzugs hatte Anjuta einen Fischkuchen mit Eiern und Lauchzwiebeln gebacken. Der Kuchen stand in der Mitte des Tisches, um den sich die ganze Familie Titow versammelt hatte; der Vater, die Mutter und vier Kinder. Anjuta, von der Hausarbeit gerötet, schenkte allen Tee ein, schnitt den Kuchen an und alberte mit den Kindern. Die Kinder ließen beim Umrühren des Zuckers die Löffel in den Tassen klingen und schauten ungeduldig auf den glänzend braunen Kuchenrand. Tolik betrachtete die Familie und war glücklich. „Wie in der Kindheit bei Mutter“, dachte er plötzlich bei sich und fühlte doch, wie das noch eben gefühlte Glück sich trübte, an Glanz verlor, als hätte sich ein Wurm, in einem makellosen Apfel eingenistet. Er rief sich ins Gedächtnis, wann er seiner Mutter das letzte Mal geschrieben hatte. Das musste in dem Jahr gewesen sein, als der Erste geboren wurde. Aljoscha war jetzt dreizehn. Die Mutter hatte er noch nach der Armee gesehen, dann war er sonst wohin, in ein Neubaugebiet, gezogen. Seit ihrem letzten Treffen waren vierundzwanzig Jahre vergangen.
„Macht euch drüber her!“, forderte Anjuta ausgelassen auf, setzte sich auf den Stuhl und trank hastig ein Paar Schlucke Tee.
Die Söhne fingen an zu schmatzen, übermütig zu blinzeln, mit den Augen zu rollen, den Mündern zu schnappen, das bersteinfarbene heiße Getränk zu schlürfen und auf den Stühlen hin und her zu rutschen. Die Belebung zu Tisch entspannte Tolik ein wenig, dankbar ließ er sich von seiner Frau ein großes Stück auftun und begann, langsam zu essen.
„Anjuta, wo ist eigentlich der blaue Hefter mit den Briefen?“
„Drei große Kisten sind noch nicht ausgepackt, bestimmt ist er da drin.“
„Könntest du ihn bitte für mich suchen?“
„Kann das denn nicht warten?“
„Nein, es ist dringend.“
Die Kinder stopften sich schon das zweite Stück hinein, Anjuta goss Tee in die Tassen und lächelte, abgelenkt vom fröhlichen Stimmengewirr der Kinder. Freundlich aßen die Titows den Kuchen auf und tranken den Tee aus. Das erste Abendessen in der neuen Wohnung war köstlich gewesen und stärkte das Gefühl des Glücks.
Eine Stunde später saß Tolik am Küchentisch und schaute den Inhalt des Hefters durch. Darin waren einige Briefe enthalten, vielleicht zwanzig, von Kollegen, Fotos aus der Armeezeit und ein Brief von der Mutter. Als er zur Armee gekommen war, war die Mutter fünfzig geworden. Sie schrieb ihm lange Briefe, zählte die Neuigkeiten aus dem Dorf auf und irgendwelche Sensationen aus dem Weltgeschehen, machte einfache Witze, Weiberwitze und schloss jeden Brief unverändert mit „Dem Söhnchen Tolik von Mama Olga.“ Als jungen Soldaten hatten ihn diese Briefe genervt, er las sie im Gehen, zerriss sie in kleine Stücke und warf sie in den Mülleimer. Die Briefe der Mädchen zu lesen, die die Armeepost zu Hunderten zu Händen des „allerschönsten“ oder des „lustigsten“ Soldaten austrugen, die waren interessant. Heute tat es Tolik um die zerrissen Briefe leid. Es lag ein Druck auf seinem Herzen, als wäre es mit einem schweren Stein beladen. Den einzigen Brief der Mutter, der von der alten Zeit geblieben war, nahm er nun zur Hand und öffnete ihn.
„Sei gegrüßt, mein lieber Sohn Tolik. Mir ist zu Ohren gekommen, dass dein Vater, der dich gezeugt hat, gestorben ist. Ich kann mich schon gar nicht mehr an ihn erinnern. Lieber Gott. Du warst noch klein, als er uns verlassen hat. Da hat es also der Papa nicht mehr geschafft, das eigene Söhnchen zu sehen, und du bist doch sein eigen Blut. Ich selbst hab dich auch schon so viele Jahre nicht gesehen. Ich weiß nicht, ob wir uns überhaupt noch einmal wieder sehen werden. Dem Söhnchen Tolja von Mama Olga.“
Sie hatte ihren Spruch geändert. Jetzt muss sie schon ganz alt geworden sein, stellte Titow für sich fest.
„Anjuta, lässt du mich gehen? Ich muss meine Mutter besuchen.“
„Jetzt, wo es so viel in der Wohnung zu tun gibt? Und außerdem hast du kein Geld für die Reise, der Umzug hat alles aufgefressen.“
„Nun, das bedeutet, wir müssen uns etwas bei den Simonows borgen.“
„Ist es wirklich so dringend? So viele Jahre hast du dich nicht mit einem Wort an sie erinnert und jetzt, auf einmal – Wie soll ich denn die vier Räuber allein versorgen, zwischen Kindergarten und Schule hin und her rennen und auch noch zur Arbeit hetzen…“
„Ich hab ein ungutes Gefühl, Anjuta, lass mich gehen! Mit den Kindern bitte ich Ljuba Simonova um Unterstützung.“
„Dann fahr schon, du Narr!“
Anjuta umarmte ihren Mann, drückte ihre Wange an die seine, so stand sie eine Weile. Dann sie ging ins Zimmer und beruhigte sich mit Gedanken über die verbesserten Lebensbedingungen der Familie.
Die Fahrt dauerte drei zähe Tage. Tolik hatte ein eigenartiges Gefühl, nach Hause zur Mutter zu fahren. Wie viele Jahre er nicht in dieser Gegend gewesen war! Erst fuhr er mit dem Zug, dann mit dem Bus, dann hielt er ein Auto an, zuletzt ging er zu Fuß. Er legte die letzten hundert Meter auf dem Weg zur heimatlichen Kate in eigenartigem Gang, wie auf Watte zurück, atmete immer wieder tief durch. Er bemühte sich, die Aufregung gering zu halten und die Gegend zu betrachten. Das Dorf hatte sich verändert. Die Hütten waren baufällig geworden und in die Erde gesackt. Alle Bauten hatten die gleiche graue Farbe. Es gab einige gerade umzäunte Gärten, doch hauptsächlich öde Flächen, freudlos, ausgezehrt vor Trostlosigkeit. Mit Schwierigkeiten erkannte er den elterlichen Hof, trat an den durchgebogenen Lattenzaun, stieß das Gartentor auf, machte einige Schritte und blieb in einem kleinen Wirtschaftshof stehen. Er schaute sich um, atmete noch einmal tief durch, ging auf die Hütte zu und trat auf die Schwelle. Die Tür war nicht verschlossen. Er durchquerte die Diele, drückte eine weitere Tür auf und trat in die Dämmerung der Kate.
„Ist hier jemand?“, fragte er leise.
„Und ob. Ich lebe noch“, kam eine Stimme aus der dunklen Ecke.
Bald hatten sich Toliks Augen an die Dunkelheit gewöhnt und er konnte die Gestalt einer alten Frau, die am Bettrand saß, erkennen. Tolik setzte den Rucksack auf den Boden und sich auf die Bank.
„Sind sie vom Amt?“
„Nein.“
„Im Sommer haben sie die Scheite gebracht und ich warte nun schon einen Monat, dass jemand kommt und sie hackt und in die Diele bringt. Im letzten Jahr war der Winter streng, hab es kaum drüber geschafft, dachte schon, dass ich in der eisigen Hütte ganz einfriere. Dieser Winter soll mild werden, doch ohne Holz ist man auch in einem milden Winter hart gebettet.“
„Lassen Sie mich ihr Holz hacken!“ Tolik sprang auf, für ihn selbst ungewohnt, sprach er die Mutter mit „Sie“ an.
„Nein, bleib sitzen. Das wird schon noch. Bist doch nicht deswegen gekommen. Mein Herz fühlt schon, dass du eine schlechte Nachricht über meine Rente bringst. Die plündern doch die Bosse. Warum nehmen sie einer Alten wie mir das Letzte ab? Hab doch schon die andere Rente ein Jahr nicht gekriegt.“
„Wovon leben Sie denn?“
„Die vom Amt haben die Pflegschaft übernommen. Einmal in der Woche kommen sie und bringen Brot und Milch. Manchmal auch Grütze mit Margarine. Wenig natürlich. Aber ich bin doch sehr sparsam, halt es bis zum nächsten Mal aus.“
„Und was machen Sie?“
„Wie?“
„Was Sie so machen?“
„Ich sitze.“
„Nein, ich meine nicht, was sie jetzt machen. Ich meine, was sie jeden Tag machen.“
„Ich sitze. Und weswegen bist du hier, guter Mann?“
Aus irgendeinem Grund begann der Hund im Hof zu kläffen, gackerten die Hühner und von Himmel ließ sich das Gedröhn eines über den Wolken fliegenden Flugzeuges vernehmen. „Ich bin Ihr Sohn, Olga Gerassimovna.“
„Sohn?“, sagte sie merkwürdig lang gezogen. „Ich habe keinen Sohn. Er ist verschwunden.“
„Wie verschwunden?! Hier bin ich doch! Sagen Sie bloß, dass Sie mich nicht erkennen? Sehen sie doch genau hin.“
„Mir ist es gleich ob ich schaue oder nicht. Ich bin blind geworden.“
„Wie, blind?“
„Ganz einfach, ich sehe nichts mehr. Ich wohne im Dunkeln. Ich habe mich schon eingerichtet, und da ist ja auch wieder die Sparsamkeit - also verbrauche ich gar keinen Strom. Andere geben ihr Kleingeld für Licht aus, aber ich habe kein Kleingeld. Gott hat es Recht gemacht, warum soll die Gesellschaft Geld für Elektrizität ausgeben. Ist doch besser, das Mütterchen wird blind.“
„Ich geh mal für eine Minute raus, ja?“
„Geh nur.“
Grau, farblos, unbehaust sah der Hof aus. Ein Wind kam auf und kühlte die Tränen auf den Wangen des erwachsenen Sohnes. Er hätte gerne geheult, aber er schämte sich, seine Gefühle zu entblößen. Er knirschte mit den Zähnen, wischte die Tränen mit dem Hemdsärmel ab, schnaubte zur Seite aus und ging zum Schuppen, wo er einen Berg Birkenholz fand. Er suchte ein Beil, wählte einen größeren Klotz aus und begann, darauf Holz zu hacken.
Mit der Arbeit wurde Tolik bis zum Abend fertig. Er stapelte das Holz zu beiden Seiten der großräumigen Diele, nahm ein paar Scheite und entzündete ein Feuer.
„Und wer feuert Ihren Ofen an?“, fragte Tolik interessiert, der sich nicht entscheiden konnte, die alte Frau Mutter zu nennen.
„Ich selbst. Über die Jahre hab ich schon solchen Grind von den Verbrennungen an den Fingern, dass ich keinen Schmerz spüre, wenn ich die Finger in die Flamme halte.“
Sie erwärmten Essen in einer Pfanne, auf die erhitzte Herdplatte stellten sie den Wasserkessel. Olga Gerassimovna stand am Tisch und füllte Grütze die Teller. Tolik warf einen Blick auf ihre Figur und erschauderte ob der Veränderung. Diese schmale und graue, zahnlose alte Frau von kleinem Wuchs, mit blinden Augen, lächelndem Gesicht und verbrannten Fingern war seine Mutter. Er spürte, wie die Zeit durch seine Wirbelsäule floss, mit einem Blick sah er die Umrisse der mütterlichen Gestalt welken, ins Nichts eingehen. Tolik schüttelte den Kopf, verscheuchte die Bilder und fragte:
„Ich übernachte dann bei Ihnen?“
„Nun gut, dann überachtest du hier.“
Nach dem Abendbrot ging er ins Seitenzimmer auf das alte Sofa. Die Lampe knipste er nicht an. Ohne sich auszuziehen, fand im Dunkeln eine Tagesecke, zog es bis unter das Kinn und dachte angestrengt nach. Er war nicht hergekommen, um Grütze zu essen. Er wollte ihr von all seinen Sorgen erzählen, davon, wie er bei harter Arbeit geschuftet hatte, ohne sich zu schonen, um ein bisschen Geld mehr zu verdienen. Wollte ihr erzählen, wie er Geld gespart hatte für eine anständige Hochzeit und ein Auto, dass er ein beneidenswerter Bräutigam gewesen war. Dann schuftete er zwei oder drei Schichten, was für die Miete einer Wohnung, einen Pelz für seine junge Frau ausreichte und für die Spareinlagen bei der Baugenossenschaft. Ans Meer war er mit der Familie gefahren, mehr als ein Mal. Vier Söhne hatte er aufgezogen und jeder hatte sein eigenes Sparbuch für die Bildung. Eine Wohnung hatte er gekauft, endlich. Eine große, geräumige Wohnung. Einfach war das alles nicht gewesen. Tolik drehte sich von einer Seite auf die andere, atmete tief, hustete, stand mit einem Ruck auf und ging im Dunkeln in die Kemenate. Vor dem Hintergrund des hellen Fensters zeichnete sich die schwarze Silhouette der Mutter ab, die in ihrer ewigen Pose an der Bettkante saß.
„Sie schlafen nicht?“
„Nein, ich schlafe nicht.“
Er sog Luft in die Lungen, um der Mutter mit einem Mal alles über sein schweres Leben sagen zu können, als er plötzlich hörte:
„Ich weiß nicht, wer du bist. Ich habe keine Angst zu sterben, erwarte den Tod jeden Tag. Gott beeilt sich nicht, mich zu holen, treib auch du ihn nicht an.“
„Sie tun mir Unrecht. Ich will Ihnen nichts Böses… Ich möchte beweisen, dass ich ihr Sohn bin.“
„Warum denn beweisen? Söhne machen sich von den Eltern los, genau so, wie sich die Eltern einst losgesagt haben. Ich habe meinen bis zur Armee umhegt. Als er neunzehn war, haben sie ihn einberufen. Solange er in der Armee war, habe ich Briefe geschrieben, war in Gedanken bei ihm. Nach der Armee kam er für zwei Tage. Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen. Ich weiß, dass er einen Sohn bekommen hatte.“
„Jetzt sind es schon vier.“
„Ach, so ist das. Woher weißt du das?“
„Olga Gerasimowna, ich… ich bin Ihr Sohn. Erinnern Sie sich, wie Sie mir, als ich fünf Jahre alt geworden bin, ein Hündchen geschenkt haben? Ich habe ihn abends mit ins Bett genommen und Sie haben geschimpft.“
„Nein, ich erinnere mich nicht.“
„Und hier, meine Wunde am Ellbogen, fühlen sie nur! Sie haben das Essen gemacht, ich bin zwischen den Armen herumgelaufen und bin aus Versehen an den Schürhaken gekommen. Einige Tage haben sie mir die Brandwunde mit Sonnenblumenöl eingerieben.“
„Ich erinnere mich nicht.“
„Aber an meinen Freund, Wasja Petrenko, an den erinnern Sie sich doch noch? Er wuchs auch ohne Vater auf. Mit seiner Mutter haben sie sich gar nicht vertragen.“
„Ich erinnere mich nicht, mein Guter.“
„Wie ist das möglich! Ich sehe Ihnen im Gesicht sehr ähnlich. Ich bin Ihr Sohn, Sie sind meine Mutter.“
Der Alten zuckten die Lider. Tolik bemerkte es nicht, die Dunkelheit hielt den Gesichtausdruck der Mutter gut verborgen.
„Einmal, da hatte ich mich verliebt. Ich war vierzehn und sie zwölf. Ich brachte meine „Braut“ nach Hause und sagte, dass von nun ab bei uns leben würde. Sie haben die „Braut“ vertrieben und mir eine ordentliche Tracht Prügel versetzt. Wissen sie noch? Es kann doch nicht sein, dass sie sich an nichts erinnern? Wie soll denn das gehen, das zu vergessen? Ich nehme sie mit zu uns.“
„Nein, mein Guter, hier kenne ich mich besser aus. Auch wenn ich blind bin, ich kenne hier jeden Winkel, jede Wand. Geh du nur schlafen, mach dir keine Sorgen. Morgen früh fährst du los.“
Tolik wachte mit dickem Schädel auf. So hatte er sich ein Treffen mit der Mutter nicht vorgestellt. Er hatte beinahe Festtagsgewühl erwartet, Tränen der Freude, Ahs und Ohs. Doch nichts dergleichen war geschehen. Die Mutter nahm den eigenen Sohn nicht an. Er war mit schwerem Herzen her gefahren und fuhr mit einem Felsbrocken auf der Seele wieder fort. Irgendetwas sagte ihm, dass er in Mutters Schuld stand, doch er fühlte ihr gegenüber keine Schuld, so konnte er auch keine Buße tun. Den von der Mutter angebotenen Tee lehnte er ab. Er warf den Rucksack über die Schulter, ging zu ihr, konnte sich jedoch nicht dazu entschließen, sie zum Abschied zu umarmen. Er schaute in das faltendurchforstete Gesicht und fühlte, wie die Tränen in die Augen traten.
„Ich geh dann mal.“
„Gute Reise.“
Er trat auf den Hof und dreht sich um. Im Fenster sah er die Mutter. Ihr Gesicht schien wehmütig. Er öffnete das Gartentor und ging mit großen Schritten die Straße entlang zum Dorfrand. Je weiter er sich vom Dorf entfernte, desto leichter fühlte er sich. Er schnitt mit einem imaginären Messer ein breites Stück des Lebensbrotes ab, warf es auf die Straße und beruhigte sich sofort: „Jeder hat sein Schicksal. Und ich muss meine Familie auf die Beine bringen.“ Tolik beschleunigte seinen Schritt, in Gedanken schon dort, wo sein Heim, seine Frau und die Kinder waren.
Olga Gerassimovna saß lange an ihrem Posten beim Fenster. Sie rührte sich kein einziges Mal. Schließlich sagte sie laut zu sich:
„Nun haben wir uns gesehen, Söhnchen. Du hast es doch geschafft.“
Wir haben uns doch noch gesehen
In der neuen Wohnung roch es nach frisch geklebten Tapeten. Der Geruch war angenehm. Damit verband sich der feste Glaube an den morgigen Tag, Zuverlässigkeit und das Gefühl, siebzig Quadratmeter Wohnfläche zu besitzen. Das erste Mal seit langen Jahren der Wanderschaft durch Mietwohnungen verließ Tolik die unterschwellige Angst, ohne erfindlichen Grund und aus purer Vermieterlaune ausquartiert zu werden. Selbst die tagelange nervliche Anspannung bei der Umzugsvorbereitung vermochte seine Hochstimmung nicht zu verderben. Mit der Anschaffung der Wohnung, so schien es Tolik, habe er sich auf diesem Erdball einen Ort errichtet und sei nun unsterblich.
Zur Feier des Neueinzugs hatte Anjuta einen Fischkuchen mit Eiern und Lauchzwiebeln gebacken. Der Kuchen stand in der Mitte des Tisches, um den sich die ganze Familie Titow versammelt hatte; der Vater, die Mutter und vier Kinder. Anjuta, von der Hausarbeit gerötet, schenkte allen Tee ein, schnitt den Kuchen an und alberte mit den Kindern. Die Kinder ließen beim Umrühren des Zuckers die Löffel in den Tassen klingen und schauten ungeduldig auf den glänzend braunen Kuchenrand. Tolik betrachtete die Familie und war glücklich. „Wie in der Kindheit bei Mutter“, dachte er plötzlich bei sich und fühlte doch, wie das noch eben gefühlte Glück sich trübte, an Glanz verlor, als hätte sich ein Wurm, in einem makellosen Apfel eingenistet. Er rief sich ins Gedächtnis, wann er seiner Mutter das letzte Mal geschrieben hatte. Das musste in dem Jahr gewesen sein, als der Erste geboren wurde. Aljoscha war jetzt dreizehn. Die Mutter hatte er noch nach der Armee gesehen, dann war er sonst wohin, in ein Neubaugebiet, gezogen. Seit ihrem letzten Treffen waren vierundzwanzig Jahre vergangen.
„Macht euch drüber her!“, forderte Anjuta ausgelassen auf, setzte sich auf den Stuhl und trank hastig ein Paar Schlucke Tee.
Die Söhne fingen an zu schmatzen, übermütig zu blinzeln, mit den Augen zu rollen, den Mündern zu schnappen, das bersteinfarbene heiße Getränk zu schlürfen und auf den Stühlen hin und her zu rutschen. Die Belebung zu Tisch entspannte Tolik ein wenig, dankbar ließ er sich von seiner Frau ein großes Stück auftun und begann, langsam zu essen.
„Anjuta, wo ist eigentlich der blaue Hefter mit den Briefen?“
„Drei große Kisten sind noch nicht ausgepackt, bestimmt ist er da drin.“
„Könntest du ihn bitte für mich suchen?“
„Kann das denn nicht warten?“
„Nein, es ist dringend.“
Die Kinder stopften sich schon das zweite Stück hinein, Anjuta goss Tee in die Tassen und lächelte, abgelenkt vom fröhlichen Stimmengewirr der Kinder. Freundlich aßen die Titows den Kuchen auf und tranken den Tee aus. Das erste Abendessen in der neuen Wohnung war köstlich gewesen und stärkte das Gefühl des Glücks.
Eine Stunde später saß Tolik am Küchentisch und schaute den Inhalt des Hefters durch. Darin waren einige Briefe enthalten, vielleicht zwanzig, von Kollegen, Fotos aus der Armeezeit und ein Brief von der Mutter. Als er zur Armee gekommen war, war die Mutter fünfzig geworden. Sie schrieb ihm lange Briefe, zählte die Neuigkeiten aus dem Dorf auf und irgendwelche Sensationen aus dem Weltgeschehen, machte einfache Witze, Weiberwitze und schloss jeden Brief unverändert mit „Dem Söhnchen Tolik von Mama Olga.“ Als jungen Soldaten hatten ihn diese Briefe genervt, er las sie im Gehen, zerriss sie in kleine Stücke und warf sie in den Mülleimer. Die Briefe der Mädchen zu lesen, die die Armeepost zu Hunderten zu Händen des „allerschönsten“ oder des „lustigsten“ Soldaten austrugen, die waren interessant. Heute tat es Tolik um die zerrissen Briefe leid. Es lag ein Druck auf seinem Herzen, als wäre es mit einem schweren Stein beladen. Den einzigen Brief der Mutter, der von der alten Zeit geblieben war, nahm er nun zur Hand und öffnete ihn.
„Sei gegrüßt, mein lieber Sohn Tolik. Mir ist zu Ohren gekommen, dass dein Vater, der dich gezeugt hat, gestorben ist. Ich kann mich schon gar nicht mehr an ihn erinnern. Lieber Gott. Du warst noch klein, als er uns verlassen hat. Da hat es also der Papa nicht mehr geschafft, das eigene Söhnchen zu sehen, und du bist doch sein eigen Blut. Ich selbst hab dich auch schon so viele Jahre nicht gesehen. Ich weiß nicht, ob wir uns überhaupt noch einmal wieder sehen werden. Dem Söhnchen Tolja von Mama Olga.“
Sie hatte ihren Spruch geändert. Jetzt muss sie schon ganz alt geworden sein, stellte Titow für sich fest.
„Anjuta, lässt du mich gehen? Ich muss meine Mutter besuchen.“
„Jetzt, wo es so viel in der Wohnung zu tun gibt? Und außerdem hast du kein Geld für die Reise, der Umzug hat alles aufgefressen.“
„Nun, das bedeutet, wir müssen uns etwas bei den Simonows borgen.“
„Ist es wirklich so dringend? So viele Jahre hast du dich nicht mit einem Wort an sie erinnert und jetzt, auf einmal – Wie soll ich denn die vier Räuber allein versorgen, zwischen Kindergarten und Schule hin und her rennen und auch noch zur Arbeit hetzen…“
„Ich hab ein ungutes Gefühl, Anjuta, lass mich gehen! Mit den Kindern bitte ich Ljuba Simonova um Unterstützung.“
„Dann fahr schon, du Narr!“
Anjuta umarmte ihren Mann, drückte ihre Wange an die seine, so stand sie eine Weile. Dann sie ging ins Zimmer und beruhigte sich mit Gedanken über die verbesserten Lebensbedingungen der Familie.
Die Fahrt dauerte drei zähe Tage. Tolik hatte ein eigenartiges Gefühl, nach Hause zur Mutter zu fahren. Wie viele Jahre er nicht in dieser Gegend gewesen war! Erst fuhr er mit dem Zug, dann mit dem Bus, dann hielt er ein Auto an, zuletzt ging er zu Fuß. Er legte die letzten hundert Meter auf dem Weg zur heimatlichen Kate in eigenartigem Gang, wie auf Watte zurück, atmete immer wieder tief durch. Er bemühte sich, die Aufregung gering zu halten und die Gegend zu betrachten. Das Dorf hatte sich verändert. Die Hütten waren baufällig geworden und in die Erde gesackt. Alle Bauten hatten die gleiche graue Farbe. Es gab einige gerade umzäunte Gärten, doch hauptsächlich öde Flächen, freudlos, ausgezehrt vor Trostlosigkeit. Mit Schwierigkeiten erkannte er den elterlichen Hof, trat an den durchgebogenen Lattenzaun, stieß das Gartentor auf, machte einige Schritte und blieb in einem kleinen Wirtschaftshof stehen. Er schaute sich um, atmete noch einmal tief durch, ging auf die Hütte zu und trat auf die Schwelle. Die Tür war nicht verschlossen. Er durchquerte die Diele, drückte eine weitere Tür auf und trat in die Dämmerung der Kate.
„Ist hier jemand?“, fragte er leise.
„Und ob. Ich lebe noch“, kam eine Stimme aus der dunklen Ecke.
Bald hatten sich Toliks Augen an die Dunkelheit gewöhnt und er konnte die Gestalt einer alten Frau, die am Bettrand saß, erkennen. Tolik setzte den Rucksack auf den Boden und sich auf die Bank.
„Sind sie vom Amt?“
„Nein.“
„Im Sommer haben sie die Scheite gebracht und ich warte nun schon einen Monat, dass jemand kommt und sie hackt und in die Diele bringt. Im letzten Jahr war der Winter streng, hab es kaum drüber geschafft, dachte schon, dass ich in der eisigen Hütte ganz einfriere. Dieser Winter soll mild werden, doch ohne Holz ist man auch in einem milden Winter hart gebettet.“
„Lassen Sie mich ihr Holz hacken!“ Tolik sprang auf, für ihn selbst ungewohnt, sprach er die Mutter mit „Sie“ an.
„Nein, bleib sitzen. Das wird schon noch. Bist doch nicht deswegen gekommen. Mein Herz fühlt schon, dass du eine schlechte Nachricht über meine Rente bringst. Die plündern doch die Bosse. Warum nehmen sie einer Alten wie mir das Letzte ab? Hab doch schon die andere Rente ein Jahr nicht gekriegt.“
„Wovon leben Sie denn?“
„Die vom Amt haben die Pflegschaft übernommen. Einmal in der Woche kommen sie und bringen Brot und Milch. Manchmal auch Grütze mit Margarine. Wenig natürlich. Aber ich bin doch sehr sparsam, halt es bis zum nächsten Mal aus.“
„Und was machen Sie?“
„Wie?“
„Was Sie so machen?“
„Ich sitze.“
„Nein, ich meine nicht, was sie jetzt machen. Ich meine, was sie jeden Tag machen.“
„Ich sitze. Und weswegen bist du hier, guter Mann?“
Aus irgendeinem Grund begann der Hund im Hof zu kläffen, gackerten die Hühner und von Himmel ließ sich das Gedröhn eines über den Wolken fliegenden Flugzeuges vernehmen. „Ich bin Ihr Sohn, Olga Gerassimovna.“
„Sohn?“, sagte sie merkwürdig lang gezogen. „Ich habe keinen Sohn. Er ist verschwunden.“
„Wie verschwunden?! Hier bin ich doch! Sagen Sie bloß, dass Sie mich nicht erkennen? Sehen sie doch genau hin.“
„Mir ist es gleich ob ich schaue oder nicht. Ich bin blind geworden.“
„Wie, blind?“
„Ganz einfach, ich sehe nichts mehr. Ich wohne im Dunkeln. Ich habe mich schon eingerichtet, und da ist ja auch wieder die Sparsamkeit - also verbrauche ich gar keinen Strom. Andere geben ihr Kleingeld für Licht aus, aber ich habe kein Kleingeld. Gott hat es Recht gemacht, warum soll die Gesellschaft Geld für Elektrizität ausgeben. Ist doch besser, das Mütterchen wird blind.“
„Ich geh mal für eine Minute raus, ja?“
„Geh nur.“
Grau, farblos, unbehaust sah der Hof aus. Ein Wind kam auf und kühlte die Tränen auf den Wangen des erwachsenen Sohnes. Er hätte gerne geheult, aber er schämte sich, seine Gefühle zu entblößen. Er knirschte mit den Zähnen, wischte die Tränen mit dem Hemdsärmel ab, schnaubte zur Seite aus und ging zum Schuppen, wo er einen Berg Birkenholz fand. Er suchte ein Beil, wählte einen größeren Klotz aus und begann, darauf Holz zu hacken.
Mit der Arbeit wurde Tolik bis zum Abend fertig. Er stapelte das Holz zu beiden Seiten der großräumigen Diele, nahm ein paar Scheite und entzündete ein Feuer.
„Und wer feuert Ihren Ofen an?“, fragte Tolik interessiert, der sich nicht entscheiden konnte, die alte Frau Mutter zu nennen.
„Ich selbst. Über die Jahre hab ich schon solchen Grind von den Verbrennungen an den Fingern, dass ich keinen Schmerz spüre, wenn ich die Finger in die Flamme halte.“
Sie erwärmten Essen in einer Pfanne, auf die erhitzte Herdplatte stellten sie den Wasserkessel. Olga Gerassimovna stand am Tisch und füllte Grütze die Teller. Tolik warf einen Blick auf ihre Figur und erschauderte ob der Veränderung. Diese schmale und graue, zahnlose alte Frau von kleinem Wuchs, mit blinden Augen, lächelndem Gesicht und verbrannten Fingern war seine Mutter. Er spürte, wie die Zeit durch seine Wirbelsäule floss, mit einem Blick sah er die Umrisse der mütterlichen Gestalt welken, ins Nichts eingehen. Tolik schüttelte den Kopf, verscheuchte die Bilder und fragte:
„Ich übernachte dann bei Ihnen?“
„Nun gut, dann überachtest du hier.“
Nach dem Abendbrot ging er ins Seitenzimmer auf das alte Sofa. Die Lampe knipste er nicht an. Ohne sich auszuziehen, fand im Dunkeln eine Tagesecke, zog es bis unter das Kinn und dachte angestrengt nach. Er war nicht hergekommen, um Grütze zu essen. Er wollte ihr von all seinen Sorgen erzählen, davon, wie er bei harter Arbeit geschuftet hatte, ohne sich zu schonen, um ein bisschen Geld mehr zu verdienen. Wollte ihr erzählen, wie er Geld gespart hatte für eine anständige Hochzeit und ein Auto, dass er ein beneidenswerter Bräutigam gewesen war. Dann schuftete er zwei oder drei Schichten, was für die Miete einer Wohnung, einen Pelz für seine junge Frau ausreichte und für die Spareinlagen bei der Baugenossenschaft. Ans Meer war er mit der Familie gefahren, mehr als ein Mal. Vier Söhne hatte er aufgezogen und jeder hatte sein eigenes Sparbuch für die Bildung. Eine Wohnung hatte er gekauft, endlich. Eine große, geräumige Wohnung. Einfach war das alles nicht gewesen. Tolik drehte sich von einer Seite auf die andere, atmete tief, hustete, stand mit einem Ruck auf und ging im Dunkeln in die Kemenate. Vor dem Hintergrund des hellen Fensters zeichnete sich die schwarze Silhouette der Mutter ab, die in ihrer ewigen Pose an der Bettkante saß.
„Sie schlafen nicht?“
„Nein, ich schlafe nicht.“
Er sog Luft in die Lungen, um der Mutter mit einem Mal alles über sein schweres Leben sagen zu können, als er plötzlich hörte:
„Ich weiß nicht, wer du bist. Ich habe keine Angst zu sterben, erwarte den Tod jeden Tag. Gott beeilt sich nicht, mich zu holen, treib auch du ihn nicht an.“
„Sie tun mir Unrecht. Ich will Ihnen nichts Böses… Ich möchte beweisen, dass ich ihr Sohn bin.“
„Warum denn beweisen? Söhne machen sich von den Eltern los, genau so, wie sich die Eltern einst losgesagt haben. Ich habe meinen bis zur Armee umhegt. Als er neunzehn war, haben sie ihn einberufen. Solange er in der Armee war, habe ich Briefe geschrieben, war in Gedanken bei ihm. Nach der Armee kam er für zwei Tage. Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen. Ich weiß, dass er einen Sohn bekommen hatte.“
„Jetzt sind es schon vier.“
„Ach, so ist das. Woher weißt du das?“
„Olga Gerasimowna, ich… ich bin Ihr Sohn. Erinnern Sie sich, wie Sie mir, als ich fünf Jahre alt geworden bin, ein Hündchen geschenkt haben? Ich habe ihn abends mit ins Bett genommen und Sie haben geschimpft.“
„Nein, ich erinnere mich nicht.“
„Und hier, meine Wunde am Ellbogen, fühlen sie nur! Sie haben das Essen gemacht, ich bin zwischen den Armen herumgelaufen und bin aus Versehen an den Schürhaken gekommen. Einige Tage haben sie mir die Brandwunde mit Sonnenblumenöl eingerieben.“
„Ich erinnere mich nicht.“
„Aber an meinen Freund, Wasja Petrenko, an den erinnern Sie sich doch noch? Er wuchs auch ohne Vater auf. Mit seiner Mutter haben sie sich gar nicht vertragen.“
„Ich erinnere mich nicht, mein Guter.“
„Wie ist das möglich! Ich sehe Ihnen im Gesicht sehr ähnlich. Ich bin Ihr Sohn, Sie sind meine Mutter.“
Der Alten zuckten die Lider. Tolik bemerkte es nicht, die Dunkelheit hielt den Gesichtausdruck der Mutter gut verborgen.
„Einmal, da hatte ich mich verliebt. Ich war vierzehn und sie zwölf. Ich brachte meine „Braut“ nach Hause und sagte, dass von nun ab bei uns leben würde. Sie haben die „Braut“ vertrieben und mir eine ordentliche Tracht Prügel versetzt. Wissen sie noch? Es kann doch nicht sein, dass sie sich an nichts erinnern? Wie soll denn das gehen, das zu vergessen? Ich nehme sie mit zu uns.“
„Nein, mein Guter, hier kenne ich mich besser aus. Auch wenn ich blind bin, ich kenne hier jeden Winkel, jede Wand. Geh du nur schlafen, mach dir keine Sorgen. Morgen früh fährst du los.“
Tolik wachte mit dickem Schädel auf. So hatte er sich ein Treffen mit der Mutter nicht vorgestellt. Er hatte beinahe Festtagsgewühl erwartet, Tränen der Freude, Ahs und Ohs. Doch nichts dergleichen war geschehen. Die Mutter nahm den eigenen Sohn nicht an. Er war mit schwerem Herzen her gefahren und fuhr mit einem Felsbrocken auf der Seele wieder fort. Irgendetwas sagte ihm, dass er in Mutters Schuld stand, doch er fühlte ihr gegenüber keine Schuld, so konnte er auch keine Buße tun. Den von der Mutter angebotenen Tee lehnte er ab. Er warf den Rucksack über die Schulter, ging zu ihr, konnte sich jedoch nicht dazu entschließen, sie zum Abschied zu umarmen. Er schaute in das faltendurchforstete Gesicht und fühlte, wie die Tränen in die Augen traten.
„Ich geh dann mal.“
„Gute Reise.“
Er trat auf den Hof und dreht sich um. Im Fenster sah er die Mutter. Ihr Gesicht schien wehmütig. Er öffnete das Gartentor und ging mit großen Schritten die Straße entlang zum Dorfrand. Je weiter er sich vom Dorf entfernte, desto leichter fühlte er sich. Er schnitt mit einem imaginären Messer ein breites Stück des Lebensbrotes ab, warf es auf die Straße und beruhigte sich sofort: „Jeder hat sein Schicksal. Und ich muss meine Familie auf die Beine bringen.“ Tolik beschleunigte seinen Schritt, in Gedanken schon dort, wo sein Heim, seine Frau und die Kinder waren.
Olga Gerassimovna saß lange an ihrem Posten beim Fenster. Sie rührte sich kein einziges Mal. Schließlich sagte sie laut zu sich:
„Nun haben wir uns gesehen, Söhnchen. Du hast es doch geschafft.“