Interessant, wie unterschiedlich die Lesarten sein können! Das finde ich immer wieder spannend.
Dem Titel des Gedichts entnehmend, bin ich beim Lesen davon ausgegangen, dass das LI dieses Arzneimittel nicht
missbraucht, sondern braucht, um seinen quälenden Unruhezuständen für eine Weile zu entkommen und Frieden und/oder Schlaf zu finden. Da spielt sicherlich auch der eigene Erfahrungshorizont eine Rolle (ich kenne, seit ich in die Wechseljahre gekommen bin, leider nur zu gut, was Unruhe und Rastlosigkeit mit einem anstellen können und welch große Belastung diese im Alltag bedeuten).
Auf das Thema Drogenmissbrauch bin ich gar nicht gekommen. Aber ja - man könnte das auch so lesen.
Ich lese hier vor allem ein Loblied auf die Melancholie; die leise Trauer, die versöhnt wird in diesen Phasen der Entspannung. Die aber - und das kann ich persönlich bestätigen - eben auch eine Gefühlstiefe und -wahrnehmung mit sich bringt, die etwas ungemein Tröstliches und Lebendiges haben kann. Wer mit Depressionen zu kämpfen hat, wird das vermutlich in den besseren Phasen der Erkrankung auch so ähnlich kennen.
Klar sind die Gedanken düster und LI wäre vermutlich gesünder dran, wenn es in fröhlicher Unbeschwertheit seinen Alltag leben könnte, ganz ohne Grübeln und zu viel Denken - aber man kann seine inneren Dämonen lieben lernen. Das macht Sinn vor allem dann, wenn man weiß, dass man mit ihnen zu leben lernen muss.
So hat mich dieser Text gefunden und berührt. Und in dieser Lesart ist für mich dann auch die Wahl der Sprache stimmig.
Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in denen meine Sinne sich vertiefen
Das kenne ich auch so. Ich habe gelernt, als chronisch Kranke zu akzeptieren, dass ich Phasen habe, in denen die Erschöpfung zu groß wird und ich in eine depressive Verstimmung rutsche. Ich erkenne das daran, dass die Melancholie mich dann besuchen kommt und ich heiße sie inzwischen - wenn auch mit viel Bedacht - willkommen. Diese Versöhnung, aber auch Hoffnung, lese ich in Alex.eys Gedicht.
Lieber Gruß,
fee