Bad Rabbit
Mitglied
Zwölf Stufen abwärts
~1~
„Scheiß Hitze!“ ächzte Peter Wanneck zum tausendsten Mal, seit er und sein Gehilfe Thomas Speer vor etwa fünfzehn Minuten losgefahren waren. Im Radio war ein Oldie-Sender eingestellt, und Thomas genoss grade „Hey Jude“ von den Beatles, als Peter es für nötig hielt, ein Gespräch zu beginnen: „Scheiße, ich will auch mal vierundzwanzig Millionen Euro im Lotto gewinnen! Ich hab´ ja auch ein Los gespielt, aber wer gewinnt mal wieder? So paar scheiß Wessis! Und dann kaufen die sich auch noch so einen Protztempel hier in Leipzig.“
„Die Danzigs sind aus Schwerin. Östlicher geht’s kaum“, sagte Thomas und schaute dabei aus dem Fenster, damit Peter seinen verächtlichen Gesichtsausdruck nicht bemerkte.
„Weiß ich doch, Kleiner! Wollte dich nur testen“, sagte Peter und lachte, was aber eher wie ein Grunzen klang.
Thomas studierte Physik an der TU Leipzig. Als er vor zwei Monaten bemerkte, dass das lockere Studentenleben ganz schön ins Geld gehen kann, suchte er sich einen Job.
Die Helferstelle bei „Peters Kammerjägerservice – schnell, sauber, tödlich!“ war das Beste, was er finden konnte. Jetzt wünschte er sich, er hätte eine andere, schlechter bezahlte Stelle genommen, denn sein Chef war ein bescheuertes Arschloch.
Sie waren auf dem Weg zur Hauptmannsgasse, mitten in einer piekfeinen Vorstadtgegend von Leipzig, um das neue Haus von Hildegard und Theodor Danzig, frisch gebackenen Lottomillionären, von all den niedlichen Tierchen zu befreien, welche die gemeine mitteleuropäische Hausfrau fürchtet: Mäuse, Ratten, Kakerlaken.
Thomas betrachtete die schönen Häuser von Ärzten, Anwälten und Managern, welche die Straße säumten, als er im linken Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Er schaute zur Frontscheibe hinaus schrie erschrocken: „Fuck!“ Peter konnte im letzten Moment das Steuer herumreißen und einem entgegenkommenden Opel Astra ausweichen. Bei dem Versuch, gleichzeitig zu fahren und die Wegbeschreibung zu lesen, die er unter das Radio geklebt hatte, war Peter auf die linke Fahrbahnseite geraten.
„Ist doch alles gutgegangen! Hier müssen wir links“, sagte Peter und bog an der nächsten Kreuzung links ab, ohne die Vorfahrt zu beachten. Ein Ford KA musste eine Vollbremsung machen, und die junge Frau am Steuer des Kleinwagens schleuderte alle möglichen Flüche gegen Thomas und Peter.
„Die kleine Wildkatze erinnert mich an die Mieze, die ich vor paar Tagen hatte! Die hat vielleicht miaut!“, sagte Peter und grunzte wieder dieses alberne Lachen.
Du musstest bestimmt das Doppelte wie die anderen Kunden zahlen, Penner, dachte Thomas und versuchte sich zu beruhigen. Er wäre zwar grade zweimal fast draufgegangen, aber was einen nicht umbringt, macht einen ja bekanntlich härter.
Fünf Minuten später waren sie endlich am Ziel.
~2~
„Steig aus und klingel!“ befahl Peter, und Thomas stieg aus dem Wagen und ging zur rechten der beiden wuchtigen Schiefersäulen, die ein beeindruckendes, mit hübschen Ornamenten verziertes Tor aus Eisen einfassten. Es verging nicht ganz eine Minute, als Thomas ein zweites mal Klingelte.
„Ja, hallo?“ tönte kurz darauf eine etwas genervt klingende, weibliche Stimme aus der Sprechanlage.
„Frau Danzig? Hier sind die Kammerjäger. Sie hatten einen Termin vereinbart“, sagte Thomas.
„Aber ja, klar. Entschuldigen Sie, aber wir haben grade im Garten zu tun“, sagte Frau Danzig. Ein kurzes Summen ertönte, und das massive Tor schwang langsam und elegant nach innen auf.
Thomas setzte sich wieder in den Transporter und Peter folgte dem breiten Kiesweg, der durch einen großen Garten mit einem kleinen Teich zur linken bis zu einem großen Haus führte, wo er zu einem großen runden Platz von etwa dreißig Metern im Durchmesser mit einem kleinen runden Blumenbeet in der Mitte wurde.
Peter fuhr gegen den Uhrzeigersinn auf den Platz und parkte den weißen VW Transporter längs der Eingangstür, stellte den Motor ab und stieg aus. Thomas tat es ihm gleich, froh darüber, endlich aus dieser Todesfalle raus zu sein, und betrachtete das Haus vor ihm: Es war ein altes Haus mit abgeflachten Dach, dass aussah, als wäre es zu Beginn des letzten Jahrhunderts erbaut worden. Die Fassade war mit Holz vertäfelt und weiß gestrichen. Die Fensterläden und die Eingangstür waren dunkelgrün.
Von der überdachten Veranda, welche sich in der Breite über die gesamte Front des Hauses erstreckte, kam eine Frau auf die beiden Männer zu, die sich als Frau Danzig vorstellte.
Obwohl sie die Vierzig schon weit überschritten hatte, war sie sehr attraktiv.
Das mediterrane orange ihres leichten Sommerkleids passte hervorragend zu ihrer gebräunten Haut. Sie war sehr schlank, aber nicht zierlich, sondern eher sportlich. Wahrscheinlich ging sie ins Fitness-Studio. Ihr langes, dunkelblondes Haar trug sie offen und ihre großen, grünen Augen wurden von Lachfältchen umspielt.
„Guten Tag, die Herren!“
„Guten Tag“, sagten Thomas und Peter fast wie im Chor. Thomas schaute verlegen zur Seite und trat Peter leicht gegen sein Schienenbein, weil dieser sich am Busen der Frau festgekuckt hatte.
„Also, wie lange werden sie brauchen?“ wollte sie wissen.
„Wir schauen uns erst mal um und versprühen schon mal ein leichtes Mittel um die Viecher in ihre Nester zu treiben. Danach, je nach Verseuchungsgrad des Subjekts“
Die falsche Verwendung von Fremdwörtern war so typisch für Peter.
„Hat bestimmt mächtig viel Asche gekostet, dieses Anwesen!“, tönte Peter.
„Als ich noch ein Kind war, zehn Jahre etwa, da nahmen mich meine Elter mal mit her. Wir waren zu einer großen Feier eingeladen. Als der Besitzer einige Jahre später starb, vergammelte das Haus, aber ich schwor mir damals: Wenn ich jemals reich werde, dann kaufe ich dieses Haus! Und jetzt ist es soweit!“, erzählte Frau Danzig, sichtbar stolz auf ihre Errungenschaft.
„Kleiner, hol das Zeug aus dem Wagen und dann komm ins Haus! Frau Danzig, würden sie mir bitte zeigen, wo sie die kleinen Störenfriede gesichtet haben?“
Die Frau warf Peter einen geringschätzenden Blick zu und sagte dann: „Ja, kommen Sie mit.“
Nebeneinander gingen sie ins Haus. Thomas sah ihnen kurz nach, und musste über Peters Gehabe nur den Kopf schütteln. Der Mann ging, als hätte er Rasierklingen unter den Armen, wohl um stark auszusehen. Peter hielt sich für muskulös, dabei war sein Körper in Wirklichkeit total unproportional. Sein Brustkorb war riesig, seine Oberarme schwabbelig und sein Bauch dick. Seine Beine waren kurze Stummel. Thomas schätzte, dass Peters katastrophale Figur ihre Ursache im falschen Krafttraining fand.
Thomas schnappte sich zwei große Koffer aus dem Laderaum und knallte mit dem Fuß die Hecktür des Transporters zu, dann ging er ins Haus.
~3~
„Ok, mein Mann und ich sind draußen im Garten, falls irgendwas ist“, sagte Frau Danzig und ging durch dem Haupteingang wieder nach draußen, sichtbar erleichtert, Peter nicht mehr ertragen zu müssen. Da sogar diesem die Abneigung der Frau ihm gegenüber aufgefallen war (Was einem Wunder gleichkam, denn da fast alle Frauen eine Abneigung gegen ihn hatten, viel ihm so etwas nur selten auf.), beschloss Peter, nicht weiter über die Frau zu sprechen, sondern gleich mit der Arbeit zu beginnen.
„Gut, Kleiner. Das ist ein altes Haus. Die Danzigs wollen in einer Woche einziehen. Wir sollen hier nur etwas sauber machen. Frau Danzig sagte, der Makler hätte von Ratten und Kakerlaken gesprochen.“
Sie öffneten die Koffer und jeder nahm sich eine Atemschutzmaske, eine Schutzbrille, ein paar Gummihandschuhe, eine Taschenlampe, eine Rolle Plastiktüten und einen Kanister mit integrierter Handpumpe, der ein Chemikaliengemisch enthielt und an den ein Schlauch mit einem Druckventil angebracht war.
Peter betrachtete kurz die Treppe, welche links vom Haupteingang in den ersten Stock führte, und beschloss dann, dass er heute keine Lust hatte, den schweren Kanister irgendwelche Stufen rauf zu schleppen, also sagte er zu Thomas:
„Du gehst ins Dach. Einfach die Treppe bis nach ganz oben, dann links. Nein, warte! Rechts, es war rechts. Sie sagte, die Dachluke müsste offen sein, du kannst es nicht verfehlen. Ich geh in den Keller. Sauber bleiben, Killer.“
Als Thomas die alten Stufen hinaufstieg, knarrte es unter ihm.
Muss wohl das Holz sein, dachte Thomas und ging weiter. Er hatte ein ungutes Gefühl, denn dieses Knarren klang nach etwas anderem als nur Holz: Es klang wie ein knurrender Magen.
~4~
„Bullshit!“ fauchte Peter, als er merkte, dass der Lichtschalter am Kellereingang nicht funktionierte. „Ich hätte den Jungen hier runterschicken sollen. Jetzt muss ich in dieses Loch“, murmelte er.
Er knipste seine Taschenlampe an und stieg vorsichtig die alte Holztreppe hinab. Sie war nur zwölf Stufen lang, aber schon sehr morsch, und Peter hing an seinen Knochen. Erleichterung überkam ihn, als er seine großen Füße auf den steinernen Kellerboden setzte. Es war zwar stockduster, aber wenigstens kühl. Das spärliche Licht, dass durch die Kellertür nach unten fiel, spielte geschickt mit dem herumstehenden Unrat, indem es seltsame Schatten an die Wände zeichnete, die irgendwie organisch und lebendig wirkten. Die kleine Funzel aus einem 99 Cent – Laden spendete nur wenig Licht.
Peter versuchte, nicht zu tief einzuatmen, denn es roch modrig und auf eine widerliche Weise auch ein wenig süß. „Kommt her ihr Kleinen, kooommt!“, rief Peter mit übertrieben weibischer Stimme und begann, die Chemikalie am Boden und in den Ecken zu versprühen.
Ruckartig fuhr er herum, als er hinter sich eine Bewegung zu spüren glaubte.
Nichts. Absolut nichts. Nur Dunkelheit.
„Scheiße, bist du ein kleines Kind oder bist du ein Kerl!“ sagte er in Gedanken zu sich selbst.
Er wollte sich grade wieder umdrehen, als er eine Ratte zwischen zwei Kartons hindurchhuschen sah.
„Ich kann dich sehen, Partner“, sagte Peter grinsend und ging auf die Kartons zu, hinter denen ein paar kleine Holzkisten standen.
„Jetzt wirst du steheerben!“
~5~
Der Dachboden war der reinste Backofen, und Thomas hatte ernste Probleme, Luft zu bekommen. Der bestialische Gestank machte es ihm nicht grade leichter, und die billige Atemschutzmaske schaffte nur wenig Abhilfe.
Durch ein paar kleine Dachfenster drang Licht auf den Boden, grade genug um nicht über die alten Kisten zu stolpern, die wahrscheinlich schon eine kleine Ewigkeit hier oben rumgammelten.
Hinter einem Stützbalken sah Thomas den Kopf einer Ratte hervorlugen.
Der kleine Nager sah aus, als würde er schlafen, aber Thomas ahnte, dass dem nicht so war.
Vorsichtig ging er auf das Tier zu. Als er den Balken erreichte, sah er, dass außer dem Kopf nichts von der Ratte übrig war.
Es sah aus, als hätte jemand mit einem sauberen Schnitt den Kopf abgetrennt und den Körper mitgenommen. Kein Blut, keine Fleischfetzen, nichts. Nur der Kopf. Als hätte die Ratte schon immer nur aus dem Kopf bestanden, und nie einen Körper besessen.
Plötzlich nahm Thomas seine Umgebung genauer wahr, seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und jetzt erkannte er auch die Ursache für den Gestank:
Überall in den Ecken und entlang der Wände lagen Körperteile von Ratten, Tauben und anderen Tieren, einige unversehrt, andere halb verwehst oder schon skelletiert.
Sie alle schienen sauber von ihren Besitzern abgetrennt worden zu sein. Seine Knie wurden weich, und in seinem Magen breitete sich ein unangenehmes Gefühl aus.
„Was für ´ne perverse Scheiße geht denn hier ab?“
~6~
Die Ratte saß in der Falle. Die Holzkisten waren so angeordnet, dass sie dem Nager nach drei Richtungen den Weg versperrten, und aus der vierten kam Peter.
„Wir sehen uns in der Hölle, kleiner Freund“, sagte Peter und zielte mit dem Schlauch auf die Ratte. Der Beruf des Kammerjägers hatte seiner Meinung nach den Vorteil, dass man sich tagtäglich am qualvollen Tod von kleinen Tieren erfreuen konnte. Peter folterte das erste mal ein Tier im Alter von neun Jahren. Es war die Katze von Markus Faller, einem Jungen aus seiner Klasse, den er nicht leiden konnte, weil dieser ihn nicht die Mathehausaufgaben abschreiben ließ.
Er wollte grade das Ventil öffnen, als er etwas sah, dass sein Verstand nicht gleich verarbeiten konnte. Mit offenem Mund verfolgte er das unheimliche Schauspiel.
Die Schatten an den Wänden dehnten sich aus. Sie flossen sogar in die Bereiche, die von Peters Taschenlampe erhellt wurden und schienen sich wie ein Rudel Löwen an ihre Beute, die Ratte, heran zu pirschen. Schließlich wurde die Ratte von der Dunkelheit verschluckt. Sie versuchte sich zu wehren, zappelte und gab grausame Schreie von sich, und es sah sogar so aus, als würde sie es schaffen, doch plötzlich war außer den Körperteilen, die aus dem Schatten herausragten, nichts mehr da. Ein Stück Bein und etwas Nase, dass war alles, was von dem großen Nagetier übrig geblieben war.
Plötzlich viel Peter etwas weitaus beunruhigenderes auf: Die Schatten bewegten sich jetzt auf ihn zu. Er leuchtete die Wände an, doch sie blieben schwarz, als der Lichtkegel nur irgendeine sinnlose optische Täuschung.
Panik überkam ihn, blankes Entsetzen. Er rannte Richtung Treppe, stolperte, wollte aufstehen, doch etwas zerrte an seinem Bein.
Als er an sich herunterschaute, sah er, dass sein Bein bis unterhalb des Knies von der Dunkelheit verschluckt war. Er versuchte sich loszureißen, was ihm auch mit viel Mühe gelang, doch aufstehen konnte er nicht mehr, denn sein Bein reichte nur noch bis zum Knie.
Die Schwärze verschluckte ihn immer weiter, sein anderes Bein, seine Arme.
Er wollte schreien, doch das konnte er nicht mehr, denn der Schatten bedeckte bereits sein halbes Gesicht.
~7~
Irgendetwas seltsames ging hier vor. Thomas wusste nicht was, aber wusste, das er so schnell wie möglich verschwinden musste. Er ließ den Kanister fallen und eilte zur Luke, doch je schneller er ging, desto schneller schien sich die Luke von ihm zu entfernen.
Er rannte und rannte, doch er kam dem Ausgang nicht näher.
Mit einem markerschütterndem Schrei sprang er mit aller Kraft nach vorn, und tatsächlich bekam er den Rand der Dachluke mit seinen Fingerspitzen zu fassen. Es kostete ihn unendlich viel Kraft, sich nach vorn zu ziehen. Er ließ sich durch die Luke hinunter in den ersten Stock fallen, rappelte sich auf und rannte, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab. Unten angekommen stolperte er über die Ausrüstungskoffer und musste an Peter denken.
„Peter! Komm schon, wir müssen hier raus! Wo bist du?“ schrie Thomas voller Panik.
Er ging zur Kellertür, blieb am Absatz stehen uns spähte hinunter, konnte aber nichts erkennen. Aber hören konnte er. Einen ekelhaften Laut, es klang wie eine Art Schmatzen.
Scheiße!, dachte Thomas und eilte zum Ausgang. Er versuchte die Tür zu öffnen, zerrte an der Klinke, doch das verdammte Ding ging einfach nicht auf.
Plötzlich brach für Thomas, einen eher rational denken Menschen, der seit seinem dreizehnten Lebensjahr „Bild der Wissenschaft“ las, die Welt komplett zusammen: Die Wand wuchs über die Tür, verschluckte sie, bis dort, wo sich einst eine massive Tür aus stabiler deutscher Eiche befand, nur noch eine Wand war.
~8~
„Aber Liebling! Wir sollten die Engelsskulpturen dort hinten aufstellen.“
„Ja, Schatz“, stöhnte Theodor Danzig.
Du hast recht und ich hab meine Ruhe, dachte er. Hätte er gewusst, dass es so belastend ist, mit seiner Frau einen Garten zu planen, wären sie nie aus ihrer Plattenbauwohnung ausgezogen.
Noch nicht mal Möbel gekauft, aber schon mal planen, wo irgendwelcher unnutzer Plunder stehen soll, ja das war Hildegard Danzig.
Bisher waren sie nur einmal mit dem Makler im Haus gewesen, und auch nur kurz, da dieser noch einen dringenden Termin hatte. Er fragte sich mittlerweile, ob sie nicht vielleicht zu überstürzt gehandelt hatten, aber Hildegard hatte sich sofort in dieses Haus verliebt.
„Entweder, ich bekomme es, oder ich brenne es nieder!“ hatte sie damals gesagt.
Plötzlich meinte er, einen Schrei zu hören. „Hast du das gehört?“, fragte er seine Frau.
„Ja, vielleicht sollten wir mal...“, doch bevor sie den Satz beenden konnte, flog ein Stuhl durch eines der großen Wohnzimmerfenster und viel krachend zu Boden. Glassplitter gesellten sich klirrend dazu. Dann sprang ein Mann schreiend aus dem Fenster.
„Bleib hier!“, schrie Theodor seine Frau an und rannte auf den Mann zu, welcher „Nein, nein, laufen sie weg!“ rief.
Als Theodor ihn erreichte, packte er ihn an den Schultern und fragte: „Was ist denn los? Und wer zur Hölle sind Sie?“
„Was, oh Gott!“, sagte Hildegard, die plötzlich hinter ihrem Mann stand. Theodor versuchte erst gar nicht, ihr zu erklären, dass sie ihm doch nicht folgen sollte.
„Theo, das ist der Gehilfe von diesem widerlichen Kammerjäger. Jedenfalls glaube ich das...“
Der Mann, der vor ihnen stand, war eindeutig Thomas Speer, aber ein um mindestens zwanzig Jahre gealterter.
Sein Haar war grau und in seinen Blick war Wahnsinn gefahren.
„Nicht. Nicht. Ins Haus. Nicht ins Haus!“, stammelte er.
„Vielleicht ist was passiert. Liebes, du bleibst hier, ich geh mal nachsehen. Und bleib auch hier, klar?“, sagte Theodor und ging zur Haustür.
Hildegard sah ihm nach bis er um die Ecke ging.
„Nein! Er muss zurück! Neiiiiin!“, schrie Thomas, bevor er ihn Ohnmacht viel.
Hildegard wartete zehn Minuten bei dem bewusstlosen Mann, bevor sie sich entschloss, selbst ins Haus zu gehen.
Im Vorsaal viel ihr Blick sofort auf die offene Kellertür.
Sie erinnerte sich, dass der Makler von einer alten Holztreppe und irgendeinem kaputten Stromkreis oder so geredet hatte.
Plötzlich kam ihr ein entsetzlicher Gedanke, bei dem sie zu zittern begann:
Vor ihrem geistigen Auge sah sie Theodor. Er wollte im Keller nach diesem Peter sehen, als plötzlich die Treppe unter seinen Füßen nachgab. Was wenn er da unten war? Mit gebrochenem Bein? Bewusstlos?
„Theo?“ rief sie in die Dunkelheit, aber erhielt keine Antwort.
Den Gestank, der aus dem Keller aufstieg, nahm sie kaum wahr. Die Sorge um ihren Mann überdeckte alles andere.
„Warte, Liebling! Ich komme!“
Sie war sehr vorsichtig, als sie die Treppe hinunterging.
-ENDE-
~1~
„Scheiß Hitze!“ ächzte Peter Wanneck zum tausendsten Mal, seit er und sein Gehilfe Thomas Speer vor etwa fünfzehn Minuten losgefahren waren. Im Radio war ein Oldie-Sender eingestellt, und Thomas genoss grade „Hey Jude“ von den Beatles, als Peter es für nötig hielt, ein Gespräch zu beginnen: „Scheiße, ich will auch mal vierundzwanzig Millionen Euro im Lotto gewinnen! Ich hab´ ja auch ein Los gespielt, aber wer gewinnt mal wieder? So paar scheiß Wessis! Und dann kaufen die sich auch noch so einen Protztempel hier in Leipzig.“
„Die Danzigs sind aus Schwerin. Östlicher geht’s kaum“, sagte Thomas und schaute dabei aus dem Fenster, damit Peter seinen verächtlichen Gesichtsausdruck nicht bemerkte.
„Weiß ich doch, Kleiner! Wollte dich nur testen“, sagte Peter und lachte, was aber eher wie ein Grunzen klang.
Thomas studierte Physik an der TU Leipzig. Als er vor zwei Monaten bemerkte, dass das lockere Studentenleben ganz schön ins Geld gehen kann, suchte er sich einen Job.
Die Helferstelle bei „Peters Kammerjägerservice – schnell, sauber, tödlich!“ war das Beste, was er finden konnte. Jetzt wünschte er sich, er hätte eine andere, schlechter bezahlte Stelle genommen, denn sein Chef war ein bescheuertes Arschloch.
Sie waren auf dem Weg zur Hauptmannsgasse, mitten in einer piekfeinen Vorstadtgegend von Leipzig, um das neue Haus von Hildegard und Theodor Danzig, frisch gebackenen Lottomillionären, von all den niedlichen Tierchen zu befreien, welche die gemeine mitteleuropäische Hausfrau fürchtet: Mäuse, Ratten, Kakerlaken.
Thomas betrachtete die schönen Häuser von Ärzten, Anwälten und Managern, welche die Straße säumten, als er im linken Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Er schaute zur Frontscheibe hinaus schrie erschrocken: „Fuck!“ Peter konnte im letzten Moment das Steuer herumreißen und einem entgegenkommenden Opel Astra ausweichen. Bei dem Versuch, gleichzeitig zu fahren und die Wegbeschreibung zu lesen, die er unter das Radio geklebt hatte, war Peter auf die linke Fahrbahnseite geraten.
„Ist doch alles gutgegangen! Hier müssen wir links“, sagte Peter und bog an der nächsten Kreuzung links ab, ohne die Vorfahrt zu beachten. Ein Ford KA musste eine Vollbremsung machen, und die junge Frau am Steuer des Kleinwagens schleuderte alle möglichen Flüche gegen Thomas und Peter.
„Die kleine Wildkatze erinnert mich an die Mieze, die ich vor paar Tagen hatte! Die hat vielleicht miaut!“, sagte Peter und grunzte wieder dieses alberne Lachen.
Du musstest bestimmt das Doppelte wie die anderen Kunden zahlen, Penner, dachte Thomas und versuchte sich zu beruhigen. Er wäre zwar grade zweimal fast draufgegangen, aber was einen nicht umbringt, macht einen ja bekanntlich härter.
Fünf Minuten später waren sie endlich am Ziel.
~2~
„Steig aus und klingel!“ befahl Peter, und Thomas stieg aus dem Wagen und ging zur rechten der beiden wuchtigen Schiefersäulen, die ein beeindruckendes, mit hübschen Ornamenten verziertes Tor aus Eisen einfassten. Es verging nicht ganz eine Minute, als Thomas ein zweites mal Klingelte.
„Ja, hallo?“ tönte kurz darauf eine etwas genervt klingende, weibliche Stimme aus der Sprechanlage.
„Frau Danzig? Hier sind die Kammerjäger. Sie hatten einen Termin vereinbart“, sagte Thomas.
„Aber ja, klar. Entschuldigen Sie, aber wir haben grade im Garten zu tun“, sagte Frau Danzig. Ein kurzes Summen ertönte, und das massive Tor schwang langsam und elegant nach innen auf.
Thomas setzte sich wieder in den Transporter und Peter folgte dem breiten Kiesweg, der durch einen großen Garten mit einem kleinen Teich zur linken bis zu einem großen Haus führte, wo er zu einem großen runden Platz von etwa dreißig Metern im Durchmesser mit einem kleinen runden Blumenbeet in der Mitte wurde.
Peter fuhr gegen den Uhrzeigersinn auf den Platz und parkte den weißen VW Transporter längs der Eingangstür, stellte den Motor ab und stieg aus. Thomas tat es ihm gleich, froh darüber, endlich aus dieser Todesfalle raus zu sein, und betrachtete das Haus vor ihm: Es war ein altes Haus mit abgeflachten Dach, dass aussah, als wäre es zu Beginn des letzten Jahrhunderts erbaut worden. Die Fassade war mit Holz vertäfelt und weiß gestrichen. Die Fensterläden und die Eingangstür waren dunkelgrün.
Von der überdachten Veranda, welche sich in der Breite über die gesamte Front des Hauses erstreckte, kam eine Frau auf die beiden Männer zu, die sich als Frau Danzig vorstellte.
Obwohl sie die Vierzig schon weit überschritten hatte, war sie sehr attraktiv.
Das mediterrane orange ihres leichten Sommerkleids passte hervorragend zu ihrer gebräunten Haut. Sie war sehr schlank, aber nicht zierlich, sondern eher sportlich. Wahrscheinlich ging sie ins Fitness-Studio. Ihr langes, dunkelblondes Haar trug sie offen und ihre großen, grünen Augen wurden von Lachfältchen umspielt.
„Guten Tag, die Herren!“
„Guten Tag“, sagten Thomas und Peter fast wie im Chor. Thomas schaute verlegen zur Seite und trat Peter leicht gegen sein Schienenbein, weil dieser sich am Busen der Frau festgekuckt hatte.
„Also, wie lange werden sie brauchen?“ wollte sie wissen.
„Wir schauen uns erst mal um und versprühen schon mal ein leichtes Mittel um die Viecher in ihre Nester zu treiben. Danach, je nach Verseuchungsgrad des Subjekts“
Die falsche Verwendung von Fremdwörtern war so typisch für Peter.
„Hat bestimmt mächtig viel Asche gekostet, dieses Anwesen!“, tönte Peter.
„Als ich noch ein Kind war, zehn Jahre etwa, da nahmen mich meine Elter mal mit her. Wir waren zu einer großen Feier eingeladen. Als der Besitzer einige Jahre später starb, vergammelte das Haus, aber ich schwor mir damals: Wenn ich jemals reich werde, dann kaufe ich dieses Haus! Und jetzt ist es soweit!“, erzählte Frau Danzig, sichtbar stolz auf ihre Errungenschaft.
„Kleiner, hol das Zeug aus dem Wagen und dann komm ins Haus! Frau Danzig, würden sie mir bitte zeigen, wo sie die kleinen Störenfriede gesichtet haben?“
Die Frau warf Peter einen geringschätzenden Blick zu und sagte dann: „Ja, kommen Sie mit.“
Nebeneinander gingen sie ins Haus. Thomas sah ihnen kurz nach, und musste über Peters Gehabe nur den Kopf schütteln. Der Mann ging, als hätte er Rasierklingen unter den Armen, wohl um stark auszusehen. Peter hielt sich für muskulös, dabei war sein Körper in Wirklichkeit total unproportional. Sein Brustkorb war riesig, seine Oberarme schwabbelig und sein Bauch dick. Seine Beine waren kurze Stummel. Thomas schätzte, dass Peters katastrophale Figur ihre Ursache im falschen Krafttraining fand.
Thomas schnappte sich zwei große Koffer aus dem Laderaum und knallte mit dem Fuß die Hecktür des Transporters zu, dann ging er ins Haus.
~3~
„Ok, mein Mann und ich sind draußen im Garten, falls irgendwas ist“, sagte Frau Danzig und ging durch dem Haupteingang wieder nach draußen, sichtbar erleichtert, Peter nicht mehr ertragen zu müssen. Da sogar diesem die Abneigung der Frau ihm gegenüber aufgefallen war (Was einem Wunder gleichkam, denn da fast alle Frauen eine Abneigung gegen ihn hatten, viel ihm so etwas nur selten auf.), beschloss Peter, nicht weiter über die Frau zu sprechen, sondern gleich mit der Arbeit zu beginnen.
„Gut, Kleiner. Das ist ein altes Haus. Die Danzigs wollen in einer Woche einziehen. Wir sollen hier nur etwas sauber machen. Frau Danzig sagte, der Makler hätte von Ratten und Kakerlaken gesprochen.“
Sie öffneten die Koffer und jeder nahm sich eine Atemschutzmaske, eine Schutzbrille, ein paar Gummihandschuhe, eine Taschenlampe, eine Rolle Plastiktüten und einen Kanister mit integrierter Handpumpe, der ein Chemikaliengemisch enthielt und an den ein Schlauch mit einem Druckventil angebracht war.
Peter betrachtete kurz die Treppe, welche links vom Haupteingang in den ersten Stock führte, und beschloss dann, dass er heute keine Lust hatte, den schweren Kanister irgendwelche Stufen rauf zu schleppen, also sagte er zu Thomas:
„Du gehst ins Dach. Einfach die Treppe bis nach ganz oben, dann links. Nein, warte! Rechts, es war rechts. Sie sagte, die Dachluke müsste offen sein, du kannst es nicht verfehlen. Ich geh in den Keller. Sauber bleiben, Killer.“
Als Thomas die alten Stufen hinaufstieg, knarrte es unter ihm.
Muss wohl das Holz sein, dachte Thomas und ging weiter. Er hatte ein ungutes Gefühl, denn dieses Knarren klang nach etwas anderem als nur Holz: Es klang wie ein knurrender Magen.
~4~
„Bullshit!“ fauchte Peter, als er merkte, dass der Lichtschalter am Kellereingang nicht funktionierte. „Ich hätte den Jungen hier runterschicken sollen. Jetzt muss ich in dieses Loch“, murmelte er.
Er knipste seine Taschenlampe an und stieg vorsichtig die alte Holztreppe hinab. Sie war nur zwölf Stufen lang, aber schon sehr morsch, und Peter hing an seinen Knochen. Erleichterung überkam ihn, als er seine großen Füße auf den steinernen Kellerboden setzte. Es war zwar stockduster, aber wenigstens kühl. Das spärliche Licht, dass durch die Kellertür nach unten fiel, spielte geschickt mit dem herumstehenden Unrat, indem es seltsame Schatten an die Wände zeichnete, die irgendwie organisch und lebendig wirkten. Die kleine Funzel aus einem 99 Cent – Laden spendete nur wenig Licht.
Peter versuchte, nicht zu tief einzuatmen, denn es roch modrig und auf eine widerliche Weise auch ein wenig süß. „Kommt her ihr Kleinen, kooommt!“, rief Peter mit übertrieben weibischer Stimme und begann, die Chemikalie am Boden und in den Ecken zu versprühen.
Ruckartig fuhr er herum, als er hinter sich eine Bewegung zu spüren glaubte.
Nichts. Absolut nichts. Nur Dunkelheit.
„Scheiße, bist du ein kleines Kind oder bist du ein Kerl!“ sagte er in Gedanken zu sich selbst.
Er wollte sich grade wieder umdrehen, als er eine Ratte zwischen zwei Kartons hindurchhuschen sah.
„Ich kann dich sehen, Partner“, sagte Peter grinsend und ging auf die Kartons zu, hinter denen ein paar kleine Holzkisten standen.
„Jetzt wirst du steheerben!“
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Der Dachboden war der reinste Backofen, und Thomas hatte ernste Probleme, Luft zu bekommen. Der bestialische Gestank machte es ihm nicht grade leichter, und die billige Atemschutzmaske schaffte nur wenig Abhilfe.
Durch ein paar kleine Dachfenster drang Licht auf den Boden, grade genug um nicht über die alten Kisten zu stolpern, die wahrscheinlich schon eine kleine Ewigkeit hier oben rumgammelten.
Hinter einem Stützbalken sah Thomas den Kopf einer Ratte hervorlugen.
Der kleine Nager sah aus, als würde er schlafen, aber Thomas ahnte, dass dem nicht so war.
Vorsichtig ging er auf das Tier zu. Als er den Balken erreichte, sah er, dass außer dem Kopf nichts von der Ratte übrig war.
Es sah aus, als hätte jemand mit einem sauberen Schnitt den Kopf abgetrennt und den Körper mitgenommen. Kein Blut, keine Fleischfetzen, nichts. Nur der Kopf. Als hätte die Ratte schon immer nur aus dem Kopf bestanden, und nie einen Körper besessen.
Plötzlich nahm Thomas seine Umgebung genauer wahr, seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und jetzt erkannte er auch die Ursache für den Gestank:
Überall in den Ecken und entlang der Wände lagen Körperteile von Ratten, Tauben und anderen Tieren, einige unversehrt, andere halb verwehst oder schon skelletiert.
Sie alle schienen sauber von ihren Besitzern abgetrennt worden zu sein. Seine Knie wurden weich, und in seinem Magen breitete sich ein unangenehmes Gefühl aus.
„Was für ´ne perverse Scheiße geht denn hier ab?“
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Die Ratte saß in der Falle. Die Holzkisten waren so angeordnet, dass sie dem Nager nach drei Richtungen den Weg versperrten, und aus der vierten kam Peter.
„Wir sehen uns in der Hölle, kleiner Freund“, sagte Peter und zielte mit dem Schlauch auf die Ratte. Der Beruf des Kammerjägers hatte seiner Meinung nach den Vorteil, dass man sich tagtäglich am qualvollen Tod von kleinen Tieren erfreuen konnte. Peter folterte das erste mal ein Tier im Alter von neun Jahren. Es war die Katze von Markus Faller, einem Jungen aus seiner Klasse, den er nicht leiden konnte, weil dieser ihn nicht die Mathehausaufgaben abschreiben ließ.
Er wollte grade das Ventil öffnen, als er etwas sah, dass sein Verstand nicht gleich verarbeiten konnte. Mit offenem Mund verfolgte er das unheimliche Schauspiel.
Die Schatten an den Wänden dehnten sich aus. Sie flossen sogar in die Bereiche, die von Peters Taschenlampe erhellt wurden und schienen sich wie ein Rudel Löwen an ihre Beute, die Ratte, heran zu pirschen. Schließlich wurde die Ratte von der Dunkelheit verschluckt. Sie versuchte sich zu wehren, zappelte und gab grausame Schreie von sich, und es sah sogar so aus, als würde sie es schaffen, doch plötzlich war außer den Körperteilen, die aus dem Schatten herausragten, nichts mehr da. Ein Stück Bein und etwas Nase, dass war alles, was von dem großen Nagetier übrig geblieben war.
Plötzlich viel Peter etwas weitaus beunruhigenderes auf: Die Schatten bewegten sich jetzt auf ihn zu. Er leuchtete die Wände an, doch sie blieben schwarz, als der Lichtkegel nur irgendeine sinnlose optische Täuschung.
Panik überkam ihn, blankes Entsetzen. Er rannte Richtung Treppe, stolperte, wollte aufstehen, doch etwas zerrte an seinem Bein.
Als er an sich herunterschaute, sah er, dass sein Bein bis unterhalb des Knies von der Dunkelheit verschluckt war. Er versuchte sich loszureißen, was ihm auch mit viel Mühe gelang, doch aufstehen konnte er nicht mehr, denn sein Bein reichte nur noch bis zum Knie.
Die Schwärze verschluckte ihn immer weiter, sein anderes Bein, seine Arme.
Er wollte schreien, doch das konnte er nicht mehr, denn der Schatten bedeckte bereits sein halbes Gesicht.
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Irgendetwas seltsames ging hier vor. Thomas wusste nicht was, aber wusste, das er so schnell wie möglich verschwinden musste. Er ließ den Kanister fallen und eilte zur Luke, doch je schneller er ging, desto schneller schien sich die Luke von ihm zu entfernen.
Er rannte und rannte, doch er kam dem Ausgang nicht näher.
Mit einem markerschütterndem Schrei sprang er mit aller Kraft nach vorn, und tatsächlich bekam er den Rand der Dachluke mit seinen Fingerspitzen zu fassen. Es kostete ihn unendlich viel Kraft, sich nach vorn zu ziehen. Er ließ sich durch die Luke hinunter in den ersten Stock fallen, rappelte sich auf und rannte, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab. Unten angekommen stolperte er über die Ausrüstungskoffer und musste an Peter denken.
„Peter! Komm schon, wir müssen hier raus! Wo bist du?“ schrie Thomas voller Panik.
Er ging zur Kellertür, blieb am Absatz stehen uns spähte hinunter, konnte aber nichts erkennen. Aber hören konnte er. Einen ekelhaften Laut, es klang wie eine Art Schmatzen.
Scheiße!, dachte Thomas und eilte zum Ausgang. Er versuchte die Tür zu öffnen, zerrte an der Klinke, doch das verdammte Ding ging einfach nicht auf.
Plötzlich brach für Thomas, einen eher rational denken Menschen, der seit seinem dreizehnten Lebensjahr „Bild der Wissenschaft“ las, die Welt komplett zusammen: Die Wand wuchs über die Tür, verschluckte sie, bis dort, wo sich einst eine massive Tür aus stabiler deutscher Eiche befand, nur noch eine Wand war.
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„Aber Liebling! Wir sollten die Engelsskulpturen dort hinten aufstellen.“
„Ja, Schatz“, stöhnte Theodor Danzig.
Du hast recht und ich hab meine Ruhe, dachte er. Hätte er gewusst, dass es so belastend ist, mit seiner Frau einen Garten zu planen, wären sie nie aus ihrer Plattenbauwohnung ausgezogen.
Noch nicht mal Möbel gekauft, aber schon mal planen, wo irgendwelcher unnutzer Plunder stehen soll, ja das war Hildegard Danzig.
Bisher waren sie nur einmal mit dem Makler im Haus gewesen, und auch nur kurz, da dieser noch einen dringenden Termin hatte. Er fragte sich mittlerweile, ob sie nicht vielleicht zu überstürzt gehandelt hatten, aber Hildegard hatte sich sofort in dieses Haus verliebt.
„Entweder, ich bekomme es, oder ich brenne es nieder!“ hatte sie damals gesagt.
Plötzlich meinte er, einen Schrei zu hören. „Hast du das gehört?“, fragte er seine Frau.
„Ja, vielleicht sollten wir mal...“, doch bevor sie den Satz beenden konnte, flog ein Stuhl durch eines der großen Wohnzimmerfenster und viel krachend zu Boden. Glassplitter gesellten sich klirrend dazu. Dann sprang ein Mann schreiend aus dem Fenster.
„Bleib hier!“, schrie Theodor seine Frau an und rannte auf den Mann zu, welcher „Nein, nein, laufen sie weg!“ rief.
Als Theodor ihn erreichte, packte er ihn an den Schultern und fragte: „Was ist denn los? Und wer zur Hölle sind Sie?“
„Was, oh Gott!“, sagte Hildegard, die plötzlich hinter ihrem Mann stand. Theodor versuchte erst gar nicht, ihr zu erklären, dass sie ihm doch nicht folgen sollte.
„Theo, das ist der Gehilfe von diesem widerlichen Kammerjäger. Jedenfalls glaube ich das...“
Der Mann, der vor ihnen stand, war eindeutig Thomas Speer, aber ein um mindestens zwanzig Jahre gealterter.
Sein Haar war grau und in seinen Blick war Wahnsinn gefahren.
„Nicht. Nicht. Ins Haus. Nicht ins Haus!“, stammelte er.
„Vielleicht ist was passiert. Liebes, du bleibst hier, ich geh mal nachsehen. Und bleib auch hier, klar?“, sagte Theodor und ging zur Haustür.
Hildegard sah ihm nach bis er um die Ecke ging.
„Nein! Er muss zurück! Neiiiiin!“, schrie Thomas, bevor er ihn Ohnmacht viel.
Hildegard wartete zehn Minuten bei dem bewusstlosen Mann, bevor sie sich entschloss, selbst ins Haus zu gehen.
Im Vorsaal viel ihr Blick sofort auf die offene Kellertür.
Sie erinnerte sich, dass der Makler von einer alten Holztreppe und irgendeinem kaputten Stromkreis oder so geredet hatte.
Plötzlich kam ihr ein entsetzlicher Gedanke, bei dem sie zu zittern begann:
Vor ihrem geistigen Auge sah sie Theodor. Er wollte im Keller nach diesem Peter sehen, als plötzlich die Treppe unter seinen Füßen nachgab. Was wenn er da unten war? Mit gebrochenem Bein? Bewusstlos?
„Theo?“ rief sie in die Dunkelheit, aber erhielt keine Antwort.
Den Gestank, der aus dem Keller aufstieg, nahm sie kaum wahr. Die Sorge um ihren Mann überdeckte alles andere.
„Warte, Liebling! Ich komme!“
Sie war sehr vorsichtig, als sie die Treppe hinunterging.
-ENDE-