Besinnung

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Vera-Lena

Mitglied
Besinnung

Früher, als du es gedacht,
ist der Winter aufgewacht,
legt in seine weiße Truhe
Haus und Garten sanft zur Ruhe,
tief verhüllt steht stumm die Welt
unter grauem Himmelszelt.

Und du denkst, es sei das Leben
hoffnungslos dahingegeben.
Nein, der Wald verharrt so stille
unter seiner Winterhülle,
dass die Sommerbilderflut
ihm aufleuchte, wenn er ruht.

Ihm erwacht erneut zum Leben,
was ein Jahr lang ihn umgeben:
Vogellaut und Glanz der Beeren
und am Waldesrand die Ähren,
wogend von der Windsbraut Jagen,
und auch manche Raupenplagen.

Wenn er alles angeschaut,
wenn ihm alles tief vertraut,
ruht er aus für ein paar Wochen.
Ist das Erdreich aufgebrochen,
weil der Frühling es befeuchtet,
sprosst er wieder, wächst und leuchtet.
 
Ach vera-lena, beneidenswert!
Du hast einfach den romantischen Blick, den ich früher in meiner Jugend auch hatte (bis auf "Raupenplagen"), und irgendwann dann verlor.

Für mich ist die Flora eine riesige Assimilationsmaschine, nicht weniger bewundernswert in ihrer Leistung und in ihren feinst-getunten Mechanismen, aber eben leider nicht mehr so romantisch. (zuviel Wissen gegessen, und das verdirbt die Träume).

Aber nur Metapher. Oder? (Denn auch der Wald selbst hat seinen ganz unmetaphorischen Wert.)

Das Auf und Ab im Leben, wie mein Vorredner formulierte, erlebe ich nur nebenbei. Der Motor dahinter ist die Notwendigkeit der ständigen Wandlung. Alles muß sich stets verändern, wenn es leben oder sogar nur dasein will, aber, von anderer Warte aus gesehen, bleibt alles immer gleich.

Alles besteht immer nur aus Augenblicken, und keiner dauert lange genug um ihn ausreichend zu genießen. Stattdessen ist es ein endloses Kaleidoskop von raschest sich ablösenden Augenblicken, einer schöner als der andere (die Welt ist wunderbar!), aber kein einziger von Dauer.
Ich muß mich auch heut noch immer zusammenreißen, um an der Vergänglichkeit von Allem und Jedem nicht eigentlich zu verzweifeln.
 
M

Merkur

Gast
Notwendigkeit der ständigen Wandlung

Das wäre in meiner Sprache das Wachstum eines Menschen ... Aber bei allem Wachstum gibt es auch die Notwendigkeit des Beständigen, denn nur daraus können tragende Säulen wachsen.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Waldemar,

Stillstand bedeutet Tod, das sehe ich auch so wie Du. Ich bin aber so glücklich in Europa zu leben, weil ich allein durch den Wechsel der Jahreszeiten alles immer wieder neu erleben kann, und ich bin von jedem Frühling, Winter u.s.w. wieder neu berauscht, als erlebte ich das zum ersten Mal. Ja, jeder Sonnenaufgang ist wirklich wieder anders als der gestrige und wenn er vorüber ist, freue ich mich schon auf den nächsten. Ich nerve auch jedes Jahr meine gesamte Familie damit, dass ich mich bereits im September nach deren Weihnachtswünschen erkundige, einfach weil ich mich schon wieder so sehr auf Weihnachten freue. Insofern ist mir die Vergänglichkeit gar nicht sonderlich bewusst. Alles erneuert sich ja immer wieder. Und wenn Du mein Gedicht „Danach“ lesen möchtest, dann siehst Du, dass ich auch das Abschiednehmen von Verstorbenen in ähnlichem Licht sehen kann. Ich weiß nicht, ob Dir das etwas nützt, ich wollte Dir nur auch von mir etwas mitteilen.

Lieber Merkur,

ganz sicher benötigt Wachstum beständige Komponenten. Der Baum braucht Feuchtigkeit und Sonne in gewisser, wenn auch schwankender Dosierung, sonst kann er nicht überleben, geschweige denn Blüten und Früchte hervorbringen.

Euch Beiden danke ich ganz herzlich für Eure freundlichen und ausführlichen Kommentare zu meinem Text.

Liebe Grüße Vera-Lena
 
@ margot

Mein Gott, Du sagst ja nur dasselbe wie wir hier und hast den Kern getroffen (darin bist Du oft Spitze!).
Aber in welchen negativen Worten!

"phantasielos", aber auch gefühllos?

Und Gefühle sind halt angeboren, bei allen einer Spezies gleich, und deshalb "das ewige Nachbeten". Geht eigentlich nicht anders.

Sei doch nicht immer so negativistisch...
 
M

margot

Gast
nein, nicht gefühllos. gefühllosigkeit würde
ich niemandem unterstellen - auch keinem kleinkind,
das probleme mit der aufschichtung seiner bauklötze
hat. mich kotzt nur diese ewige litanei an, die den
sogenannten kreislauf der natur zum thema hat.
im frühling hagelt es frühlingsgedichte und im winter
weihnachtsgedichte - für wen sollen die eigentlich
noch gut sein? um sich eine halbwegs heile welt zu
schaffen? den selbstgezimmerten "big brother" im
oberstübchen, der verbotenen gedanken den laufpaß
erteilt. selbstsuggestion - um von der tragik des
lebens nur den badeschaum mitzukriegen?
wie öde. und umso schneller sind die menschen unter
einem diktat gleichgeschaltet, begehen massenmord
sogar im namen von religion und indoktrinierter
ideologie. mir wäre lieber, wenn die menschen den
mut und die phantasie zu eigenem gedankentum aufbrächten.
was hat das mit veras gedicht zu tun? was haben quiz-
sendungen und volksmusik mit der massenverblödung zu
tun?
ich glaube, da rede ich gegen eine wand. warum nicht
den hare krishnas beitreten und in der fußgängerzone
bei monotonem singsang herumtrommeln ...?

oje
ralph

ps: ich bin alles andere als negativ drauf!
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo, Margot,

dies ist ja kein Wintergedicht im eigentlichen Sinne. Der Winter steht hier allegorisch für die Zeit des Alterns. Es wird gesagt, daß der Mensch, wenn es um ihn herum immer ruhiger wird, nicht denkt "es sei das Leben hoffnungslos dahingegeben", sondern, daß er seine Erlebnisse durcharbeitet (deshalb der Titel "Besinnung") und daß er dadurch zu Erkenntnissen gelangt, die er dann noch als Blüten und Früchte denen geben kann, die sie haben wollen. Insofern ist das Alter eine wunderbare Zeit. Ich selbst kenne eine Frau, die inzwischen 98 Jahre alt ist, und wenn ich sie besucht habe, fühle immer ich mich als die Beschenkte.

Einen schönen Sonntag und liebe Grüße Vera-Lena
 
M

margot

Gast
liebe vera, das kann so sein, daß der mensch im alter
eine zeit der besinnung und weisheit erfährt - muß
aber nicht. ich arbeite in einem altenpflegeheim.
viele alte menschen hadern mit ihrem alter und ihren
krankheiten, sie jammern den lieben tag lang und ver-
fallen in selbstmitleid und lethargie. natürlich er-
lebte ich auch solch positive beispiele, wie du eines
kennst. deine allegorie ist schönfärberei in meinen
augen. sie entspricht nicht der erfahrbaren wirklichkeit
- höchstens einem frommen wunsch, der sich nur in
seltenen fällen erfüllt.

ralph
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Margot,

ich weiß selbst, daß mein Beispiel eine Ausnahme ist. Aber von wievielen Steinen gibt es Diamanten? Und sind wir nicht immer begeistert, wenn wir in der Natur einen Edelstein gefunden haben und zeigen ihn gern voller Freude anderen? Mit Schönfärberei hat das vielleicht nur für Dich etwas zu tun, wenn Du so viel von alten schwierigen Menschen umgeben bist. Darum beneide ich Dich wirklich nicht, sondern bewundere Dich.

Ganz liebe Grüße Vera-Lena
 
M

margot

Gast
ich schätze "edelsteine" in menschengestalt jeden
alters. auch das bild, das mir das pflegeheim ver-
mittelt, ist natürlich ein zerrbild. bewundert
möchte ich nicht werden. diese bewunderung, die mir
manchmal gezeigt wird, hat für mich einen komischen beigeschmack. möglich, daß ich aus verschiedenen
gründen überempfindlich reagiere - wahrscheinlich
geht es um die klischees und vorurteile ...
die form deines gedichts beinhaltet in meinen augen
den anspruch auf allgemeingültigkeit - schon allein
durch den immer gegenwärtigen kreislauf der 4 jahres-
zeiten, auf den du deine allegorie stützt. wenn du
eine "ausnahme von der regel" schildern willst, beißt
sich das.
liebe vera, bei dir bewundere ich dein positves
menschenbild, und daß du dich nicht unterkriegen läßt.

liebe grüße
ralph
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe margot,

mit dem Kreislauf der Jahreszeiten, da ist etwas dran. Das werde ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Danke für diesen Hinweis.
Mit der gegenseitigen Bewunderung hören wir vielleicht ganz einfach auf, aus einem ganz simplen Grund: ich kann nämlich leicht Bewunderung aussprechen, aber wenn ich so etwas dann selbst entgegennehmen soll, gelingt mir das nicht so gut.

Ganz liebe Grüße Vera-Lena
 
M

margot

Gast
jo, vera, so hatte ich mir das gedacht.
unsere erfahrungswelten liegen nicht weit entfernt
voneinander. ein paar jahre schnödes lebensalter
und eine verschiedene herangehensweise an die
themen der welt und des menschen. warum sollte ich
dich bewundern? das war reine polemik.
es reicht, daß ich dich achte und mit dir diskutieren
kann.

ralph
 

Vera-Lena

Mitglied
bestimmt

Hallo margot,

in den paar Wochen, die ich in der LL bin, habe ich viel gelernt. Das muß jetzt alles ins Unterbewußtsein absinken. Irgendwann kommt es als etwas Verwandeltes ganz Neues wieder hervor. Auf diese Weise habe ich alle "künstlerischen" Dinge, besonders meinen Beruf betreffend, erlernt. Ja, von der Seite kenne ich mich; und ich finde das selbst immer sehr spannend, was dann zum Vorschein kommt. Jedenfalls warte ich nie auf so etwas, sondern lasse mich immer überraschen.

Vera-Lena
 
M

margot

Gast
so ähnlich funktioniert das bei mir auch.
ein weltoffener mensch wird öfter mal von sich selbst
überrascht werden. natürlich muß alles erstmal
absinken, bevor es uns von neuem innerlich gewahr
wird.
also, was dich angeht, bin ich echt auch gespannt.

ralph
 
@ vera-lena

[Ja, jeder Sonnenaufgang ist wirklich wieder anders als der gestrige...]

Man sagt, jeder neue Morgen sei wie der allererste Tag (der Schöpfung). Subjektiv erlebt, ist mir das völlig einleuchtend, wie Dir wohl auch.
(angeborene) Aesthetik pur!
 
M

margot

Gast
waldemar, du übertreibst wie immer. die meisten sonnenauf-
und untergänge sind zum kotzen gleich. man muß schon
eine menge goldminen in seinem seelischen inneren haben,
um diese tatsache zu kompensieren.

ralph
 



 
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