Die Melodie

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Protachion

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DIE MELODIE

Einzelne Töne, Rhythmen, Klänge; plötzlich tauchen sie auf, aus der Vergessenheit, irgendwie, nichts Ganzes, nur Ansätze, die im Einklang mit vorherrschenden Gefühlsregungen eine Melodie wachrufen, eine Melodie, die in ihrer besonderen Eigenart der gegenwärtigen Stimmung entspricht, und in der anklingt, was mich bewegt, was nicht direkt ausgesprochen werden kann. Sie prägt sich in mein Gedächtnis ein, bleibt haften, und immer wieder pfeife oder summe ich sie leise vor mich hin.

Es läßt sich nicht genau sagen, wie sie auftaucht; zumeist ist sie eine alte, gern gehörte, aber doch schon aus dem Gedächtnis verloren gegangene Weise, die mir in einer bestimmten Stimmung wieder vorschwebt und mich, der sich durch einen inneren Beweggrund andauernd dazu verannlaßt fühlt, sie erklingen zu lassen, ihr zu lauschen, von etwas löst, die mich für Augenblicke gar von ihrer Ursache abzulenken vermag.

Später dann, vielleicht schon am folgenden Tage, ist sie vergessen. Die Wogen haben sich geglättet. Da ist dann nichts mehr, was diese Melodie anregt. Oder es ist eine neue aufgeklungen, anders in dem, was sie ausdrückt, hat jene alte verdrängt, ausgelöscht, weil deren Klang keinen Widerhall mehr findet, weil da eine neue Ursache ist für diese neue Melodie.
 
Hallo Protachion,

dein Werk hat mich besonders angesprochen.
Die Bildersprache in deinem Text empfinde ich als wunderbar einfühlsam, so wie hier:
die im Einklang mit vorherrschenden Gefühlsregungen eine Melodie wachrufen
und
sich durch einen inneren Beweggrund andauernd dazu veranlaßt fühlt, sie erklingen zu lassen
Der folgende Ausdruck erinnert mich an die Stimmung, die Italo Calvino in `Herr Palomar` bei mir erzeugt hat.
Die Wogen haben sich geglättet. Da ist dann nichts mehr, was diese Melodie anregt.
Mit der Wendung:
weil da eine neue Ursache ist für diese neue Melodie
hast du einen optimistischen Ausblick gegeben. Es geht immer weiter.

Einen Kommentar zur Platzwahl möchte ich noch geben. Ich frage mich, ob dein Beitrag in der Rubrik `Kurzgeschichten` die richtige `Heimat` findet. Aber du kannst ja die Forenredakteure ansprechen.

Also: meinen herzlichen Glückwunsch zu deinem Text!
Ich bin auf deinen nächsten Beitrag gespannt.

Liebe Grüße. Rhondaly.
 
A

Architheutis

Gast
Hallo und ein Willkommen auch von mir,

ich schließe mich dem Lob meines Vorredners an - ich habe nix zu meckern.

Du beschreibst eine Art musikalisches Dejavu,

Dieser Satz hier ist bemerkenswert:

Es läßt sich nicht genau sagen, wie sie auftaucht; zumeist ist sie eine alte, gern gehörte, aber doch schon aus dem Gedächtnis verloren gegangene Weise, die mir in einer bestimmten Stimmung wieder vorschwebt und mich, der sich durch einen inneren Beweggrund andauernd dazu verannlaßt fühlt, sie erklingen zu lassen, ihr zu lauschen, von etwas löst, die mich für Augenblicke gar von ihrer Ursache abzulenken vermag.
Bandwurmsätze haben ihre Tücken, die meisten scheitern, dieser hier jedoch gelingt. Sehr gut! ;-)

Etwas schräg hängt das hier:

Sie prägt sich in mein Gedächtnis ein, bleibt haften, und immer wieder pfeife oder summe ich sie leise vor mich hin.
Später dann, vielleicht schon am folgenden Tage, ist sie vergessen.
Prägt sich etwas (tief) ins Gedächtnis ein, ist es in aller Regel noch am nächsten Tag präsent.

Lösung: Ich machte aus dem "Einprägen" einen Ohrwurm. Der geht meist so schnell, wie er gekommen ist. ;-)

Zur Foren-/Genrewahl: "Kurzprosa" passte vielleicht besser, ist aber nebensächlich.
 
D

Dnreb

Gast
Poesie des Augenblicks

Hallo Protachion

Ich danke Dir. Es gibt sie noch, die Sprache der Poesie, das Lauschen, die Poesie des Augenblicks.
Deinen Beschreibungen folge ich gerne, bieten sie doch den zeitgeistigen Realisten durch mühelosen Auftritt die Stirn.

Herzlichen Dank
Bernd Sommer (Dnreb)
 



 
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