Verdrängung (Sonett)

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Auf grünen Laken sah ich Leichen liegen,
die Nägel wuchsen und die Haare auch,
sah Geier äugend übers Schlachtfeld fliegen
und roch karibisch rohen Schwemmholzrauch.
Sah Panzerwracks verrosten in den Wüsten,
ein leerer Stiefel wackelte im Wind,
sah Kampfjets taumeln, die nicht länger düsten,
sah eine Mutter, ihr fast totes Kind.
Ich sah‘s durch andre, nicht durch eigne Augen,
du liehst mir deine nur für einen Tag.
Ich geb sie dir zurück; sie mögen taugen
für eine Wahrheit, die ich nicht mehr mag.
O gib mir Augen, die nur Schönes sehn,
will ohne sie gern blind zugrunde gehn.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Eike Leickart, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von Bernd

Redakteur in diesem Forum
 

Walther

Mitglied
Moin Eike,

herzl. willkommen von mir. ein gelungener einstand. einzig vers 7 ist mit seinem endreim aus dem rahmen fallend. "düsen" ist zu flapsig für den restl. duktus des sonetts nach Shakespeare art.

lieber gruß W.
 
Hallo Bernd,
vielen Dank für die freundliche Begrüßung. Und Dank auch für die positive Bewertung meines Erstlings an die Bewerter. Interessante Umgebung hier! Ich hoffe, dass sich zwischen dem "Ausschlachten des Abschlachtens" (James Blond) und meiner "Verdrängung" noch poetische Lösungen finden, die nicht nur Kompromisse sind.
Gruß
Eike Leickart
 
Vielen Dank, Walther, für freundliche Begrüßung. Ja, dass dieser Schnellschuss so gut ankommen würde, damit habe ich nicht gerechnet. Du hast völlig recht, "düsten" fällt aus dem Rahmen, zumal dieses Verb umgangssprachlich für fast jede schnelle Bewegung gebraucht werden kann. Aber "büßten", "süßten" und "grüßten" - dazu fällt mir nichts ein. Vielleicht dir?
Gruß
E.L.
 

ENachtigall

Mitglied
sah Kampfjets taumeln, die nicht länger düsten
Hallo Eike,

auch von mir noch einen späten Willkommensgruß, bei der Gelegenheit, Folgendes anzumerken:

das "Düsen" hat zwar generell umgangssprachlich eine flapsige Note, hier aber den dirketen Bezug zur Antriebsart des Objektes. Durch den Ausfall der Düsen im Fall der Beschädigung (des getroffen worden Seins) ist es ja ins Taumeln geraten.
Insofern eine lyrische und kluge Wortwahl, die mir beibehaltungswürdig scheint in diesem sehr lesenswerten Sonett.

Grüße von Elke
 

Diana Toman

Mitglied
Hallo Eike,
sogar mit dem 'düsten' ist dieses Sonett ausserordentlich gelungen! Was mich besonders anspricht, ist die Spannung zwischen den schrecklichen Bildern und die feste Form, die doch den Inhalt einen Rahmen gibt und so gerade noch erträglich macht ...

Betreffend des 'düsten' -- ja, das Wort stört den Duktus ein wenig -- vielleicht könnte man das Silbenmaß in Zeile 7 ändern und 'verwüsten' einsetzen. Oder 'Wüsten' in Zeile 5 durch ein anderes Wort ersetzen [z.B. 'Öden'] und dann Zeile 7 mit 'töten' schliessen.

Aber wie gesagt, ein hervorragendes Werk!

Gruß,
Diana
 
Vielen Dank, Diana Toman. Aber zu "düsten" ist mir immer noch keine Alternative eingefallen. Mit Öden und Töten will ich es lieber nicht versuchen (kein Reim), dann kriege ich eines auf die Finger! Und da ENachtigall das "Düsten" für verkraftbar hält, lasse ich es erstmal stehen!
Mit Gruß
E. L.
 
Auf grünen Laken sah ich Leichen liegen,
die Nägel wuchsen und die Haare auch,
sah Geier äugend übers Schlachtfeld fliegen
und roch karibisch rohen Schwemmholzrauch.
Sah Panzerwracks verrosten in den Wüsten,
ein leerer Stiefel wackelte im Wind,
sah Kampfjets taumeln, die nicht länger düsten,
sah eine Mutter, ihr fast totes Kind.
Ich sah‘s durch andre, nicht durch eigne Augen,
du liehst mir deine nur für einen Tag.
Ich geb sie dir zurück; sie mögen taugen
für eine Wahrheit, die ich nicht mehr mag.
[ 8]O gib mir Augen, die nur Schönes sehn,
[ 8]will ohne sie gern blind zugrunde gehn.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja, das ist möglich.
Wobei sie bei uns im Osten "Düsenjäger" genannt wurden. Das passt gut zum Gedicht. Und leider ist es wieder sehr aktuell.
 

mondnein

Mitglied
Im Westen hießen die genauso. Meine Eltern zogen in den Siebzigern in ein Dorf nahe bei Diepholz, von dessen Militärflughafen jeden ganzen Tag lang die Düsenjäger aufstiegen. Beim Wäscheaufhängen konnte man fast das Weiße in die Augen der Piloten sehen. Wer das nicht kannte, warf sich zu Boden, so tief flogen die.
Fast wie in Spielbergs "Catch me if you can", wo die Stewardess-Bewerberin die Zahlen verwechselt: die Flugzeuge flögen in 200 Metern Höhe mit einer Geschwindigkeit von Zehntausend Stundenkilometern, oder so ähnlich.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Sowohl im Osten als auch im Westen gab es eine starke Friedensbewegung. Sie führte letztlich zur Wiedervereinigung. Leider nicht zu wirklichem Frieden. Ich habe aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Das Gedicht selbst erinnert mich an die expressionistischen Werke im ersten Weltkrieg.

Beispiel "Grodek" von Trakl, das aber kein Sonett ist. https://de.wikipedia.org/wiki/Grodek_(Gedicht)
 
Ein perfektes Sonett! Der Rhythmus mit den vielen starken Hebungen wirkt sehr statisch, etwas wie Alfred Lichtensteins "Die Dämmerung". Wie sollte die Stimme klingen bei einer Rezitation? Neutral? Magisch statisch? Soll es in der neunten Zeile, "Ich sah's durch andre" einen Klang-, und/oder Tempowechsel geben?

Gruß,
Rolf-Peter
 



 
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