Von der Mäuseschar im königlichen Schloss

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Katja Mintel

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Von der Mäuseschar im königlichen Schloss

Vor sehr langer Zeit, als das Land noch von der mächtigen Königin regiert wurde und das prunkvolle Schloss noch von hunderten von Rittern bewacht wurde, lebte einst eine große Mäusefamilie in den unterirdischen Gängen und Kerkern des Schlosses. Die Vorratskammern der Königin waren stets prall gefüllt, so dass die kleinen Tiere niemals hungern mussten. In jeder Nacht bediente sich die Mäuseschar an all den königlichen Leckereien. Sie fraßen sich durch Käselaibe, knabberten an dem herrlich frischen Feldgemüse, naschten Getreidekörner und schleckten von dem köstlichen Rotwein, der aus den riesigen Holzfässern tropfe. Am Tage versteckten sie sich in den vielen dunklen Kerkerecken, krochen unter Kisten und Regale und verhielten sich muxmäuschenstill, damit niemand sie entdeckte. Denn ließ sich eine Maus erwischen, so war sie dem Tode geweiht.

„Wer sich an meinen Vorräten vergeht, der hat den Tod verdient“, so hatte es die Königin einst angeordnet. „Ob Freund, ob Feind, ob Mensch oder Tier, niemand soll sich an meinen Vorratskammern zu Unrecht bedienen und ungeschoren davonkommen.“ Wagte sich dennoch ein Dieb in die Schlosskeller, so musste er sein Vorhaben mit dem Leben bezahlen. Die Wachen des königlichen Schlosses erdolchten jeden Eindringling, der sich auch nur in die Nähe der Vorratskammern begab.

Die Mäuse jedoch waren klein und flink. Sie kamen nur in der Nacht aus den Ecken, verhielten sich leise und verkrochen sich, sobald auch nur das leiseste Geräusch zu hören war. Die Mäuse waren sich sicher, es könnte ihnen niemals jemand etwas anhaben. „Die Königin wird uns niemals kriegen“, freute sich eine besonders dicke Maus, während sie abwechselnd in eine Mohrrübe und dann wieder in einen Apfel biss. „Wir sind zu klein, um uns mit dem Dolch zu erwischen und zu schlau, um in eine Mausefalle zu tappen.“ Die anderen Mäuse lachten und setzen ihren nächtlichen Festtagsschmaus fort. Nur eine einzige, sehr kleine, hellgraue Maus saß starr auf einem dicken Marmeladenglas hoch oben in einem Regal und sah traurig der Mäuseschar beim Fressen zu. „Hast Du keinen Hunger?“ fragte ein anderes Tierchen. „Doch! Natürlich habe ich Hunger. Ich frage mich nur, mit welchem Recht wir all´ diese Leckereien Nacht für Nacht essen können ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen?“ Verdutzt sah die andere Maus herüber und entgegnete: „Wir sind Mäuse! Es liegt eben in unserer Natur, dass wir Nahrung suchen und uns das nehmen, was wir kriegen können.“ Mit diesen Worten schob die Maus eines der Marmeladengläser an den Rand des Regals, gab ihm einen letzten Schubs, so dass es hinab fiel und mit einem lauten Klirren am Boden zerschellte. Der süße Duft von Erdbeeren und Himbeeren verbreitete sich schnell im Raume als der dickflüssige Gelee sich wie eine Pfütze auf dem Boden verbreitete. Sofort stürzten sich Mäuse aus allen Ecken auf die klebrige Masse und schleckten sie gierig von der Erde. Die kleine hellgraue Maus schüttelte unglücklich den Kopf. „Da siehst du es, wir machen auch noch alles kaputt.“ „Du spinnst doch!“ erwiderte der Übeltäter, sprang vom Regal und hüpfte ebenfalls in Richtung der Lake aus Marmelade. Während sie fortlief rief sie der hellgrauen Maus zu: „Und was willst du winzige Maus denn für eine Gegenleistung erbringen, um rechtmäßig die Kammern der Königin zu plündern?“
Die kleine Maus wusste keine Antwort auf diese Frage und saß noch eine Weile ohne sich zu rühren da und beobachtete das Treiben der Anderen. „Was kann ein kleines Nagetier nur für die Königin tun?“ Diese Frage ging der Maus immer wieder durch den Kopf, doch irgendwann quälte auch das kleine hellgraue Tierchen der Hunger und so machte es sich widerwillig über eine paar Haselnüsse her.

Eines Tages fasste die kleine Maus all´ ihren Mut zusammen und machte sich auf den Weg zur Königin. Nicht länger wollte sie von den Leckereien kosten ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen. Da der Maus einfach nichts einfiel, was sie hätte tun können, beschloss sie, die Königin um Rat zu fragen. „Die Königin wird schon eine klitzekleine Mäuseaufgabe finden, die ich für sie übernehmen kann und dann werde ich mir mein Essen fortan verdienen und es nicht mehr stehlen“, hatte die kleine hellgraue Maus freudig verkündet und sich sogleich auf den Weg gemacht. Außerdem müsste sie dann auch nicht mehr in Furcht vor den königlichen Wachen leben, dachte sie. Kopfschüttelnd sahen die anderen ihr nach. Keine der anderen Mäuse wagte sich bei Tageslicht aus den dunklen Ecken der Kellerräume.

Die kleine Maus erreichte nach unzähligen Treppen, die den Turm des Schlosses hinauf führten, die Gemächer der Königin. Vor der riesigen vergoldeten Tür mit der Aufschrift Königliche Gemächer machte sie halt. Hier musste es sein! Kräftig klopfte die Maus an die Türe, damit man ihr öffnete. „Herein“, schallte es von drinnen, doch die Maus konnte die Türe nicht öffnen. Sie klopfte wieder und wieder bis sich die Türklinke nach unten bewegte und das Gesicht der Königin im Türspalt erschien. „Wer zum Teufel ist da?“ schrie sie erbost über die kleine Maus hinweg. „Entschuldigen Sie, liebe Königin, ich bin hier unten.“ Die Augen der Königin suchten irritiert nach einem Gesprächspartner bis sie an der Türschwelle die Maus erblickten. „WACHEN!“ schrie sie hysterisch und versuchte sogleich die Maus am Boden zu zertreten. Das kleine Tier wich geschwind den Tritten aus und versuchte dennoch, sein Anliegen vorzubringen: „Aber ich wollte doch nur…“ Ein weiterer Tritt folgte und die Maus musste Reißaus nehmen. „WACHEN! Es ist eine Maus in meinen Gemächern. Tötet sie!“ schrie die Königin und rannte dem flüchtenden Tierchen hinterher. Die kleine Maus verschwand flink in der Dunkelheit der Gänge und verkroch sich wieder in eine Ecke des Schlosskellers.

„Was war das auch für eine idiotische Idee“ schimpften die anderen Mäuse als sie von der Geschichte hörten. „Was hast du dir nur dabei gedacht? Die Königin wird niemals einer Maus eine Aufgabe anvertrauen, geschweigenden ihr ein Wort schenken“, kommentierte die besonders dicke Maus das Vorhaben. Die kleine Maus war sehr traurig, aber sie musste einsehen, dass ihr Vorhaben zum Scheitern verurteilt war. Mäuse klauen eben nachts ihr Essen und leben tagsüber in Furcht vor dem Tode, dachte sie letztendlich.
So vergingen viele Wochen in denen die Mäuse Nacht für Nacht die Vorratskammern plünderten und sich tagsüber in winzigen Winkeln der Keller ängstlich aneinander drängten. Doch eines Nachts, als die Mäuse aus ihren Verstecken kamen und sich hungrig auf den Weg zu ihrem Fressen machten, hörten sie Schritte im sonst so einsamen Schlosskeller. „Schnell, alle wieder zurück in die Verstecke“, rief eine ältere Maus. Blitzschnell war die Mäusescharr wieder verwunden. Die Vorratskammer öffnete sich und zwei junge Buben kamen herein. Sie nahmen so viel Essen, wie sie nur tragen konnten und verschwanden wieder. Da kam auch schon eine Bauerstochter, nahm ein kleines Säckchen Mehl und ein paar Eier, verstaute die Lebensmittel in einem Beutel und ging hinaus. So gleich trat ein alter Mann ein. Er nahm sich einen großen roten Apfel aus dem Korb, biss hinein und lies sich für einige Minuten auf einen dicken Mehlsack fallen. Das Treiben in den Vorratskellern nahm kein Ende. Immer mehr Menschen kamen, luden Lebensmittel ein und verschwanden. „Schon bald wird die Sonne aufgehen, dann ist das ganze Schloss wieder belebt und wir können nicht mehr unbemerkt fressen“, wisperte eine Maus. „Wir werden verhungern oder von den Wachen erdolcht“, weinte eine andere. Und tatsächlich brach bald darauf der Tag an. Wachen stolzierten durch die Kellergänge, Dienstmädchen holten Lebensmittel aus den Vorratskammern und Bauern brachten neue Ware. Die Mäuse hatten keine Möglichkeit, unbemerkt an die vielen Köstlichkeiten zu kommen. So mussten sie an diesem Tage hungern. Als endlich die Nacht einbrach wiederholten sich die Vorgänge aus der vorherigen Nacht. Wieder kamen unzählige Menschen, nahmen sich Lebensmittel und verwanden.

Wie konnte es sein, dass so viele Menschen sich plötzlich in der Nacht an den Vorräten bedienen durften? Die kleine Maus beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Vorsichtig schlich sie aus ihrem Versteck und lugte um die Ecke auf den Gang, der zur Vorratskammer führte. Die kleine Maus traute ihren Augen kaum: Der Gang war gefüllt mit fremden Menschen. Sie standen dort in Reih´ und Glied und gingen letztlich einzeln an einem der Wachen vorbei. Die Fremden gaben der Schlosswache jeweils ein Goldstück und passierten dann den Eingang zur Vorratskammer.

„Die Wachen der Königin kassieren Goldstücke und lassen dafür Dorfbewohner die Vorratskammern plündern“, berichtete die kleine Maus am nächsten Morgen. „Sie hintergehen die Königin und bereichern sich selbst Nacht für Nacht an ihren Vorräten.“ „Das tun wir ja auch“, lachte eine weiße Maus und fügte empört hinzu: „Das ist mir auch egal, aber wenn das so weiter geht, werden wir hier verhungern! Wenn am Tag und in der Nacht ein solches Treiben im Schloss herrscht, können wir uns nicht mehr aus unseren Verstecken wagen!“ Doch es verging künftig keine Nacht mehr, in der nicht Fremde die Kammern des Schlosses betraten. Der Menschenandrang schien immer größer zu werden und die Mäuse fürchteten nun, verhungern zu müssen.
Eines Tages versammelten sich die Mäuse in einer finsteren, modrigen Ecke des Schlosses und berieten sich. Eine sehr alte Maus mit dicker Brille auf der Nase klopfte kräftig mit einer Walnuss gegen einen alten Tonkrug und verkündete: „Wir müssen etwas unternehmen, sonst werden wir allesamt elendig verhungern!“ Die Mäusescharr verharrte und es war schlagartig still. „Der Mäuserat hat zu unserer Rettung folgendes beschlossen“, sprach der Alte weiter. „Wir werden die Königin über die Vorkommnisse informieren. Sie wird das Plündern durch die Dorfbewohner sofort unterbinden und so wird wieder nächtliche Ruhe ins Schloss einkehren. “ „Dann könnten wir uns endlich wieder an der köstlichen Marmelade bedienen“, stieß eine Maus aus der Menge hervor. Der Alte fuhr unbeirrt fort: „Dazu benötigen wir ein paar Freiwillige, die der Königin die Botschaft überbringen.“ Erschrocken blickten die Mäuse dem Redner entgegen. Ihnen war jedoch klar, dass dieser Schritt unausweichlich war. Letzten Endes war der Hunger jedoch größer als die Angst vor der Königin und so meldeten sich vier Freiwillige – und die kleine hellgraue Maus. „Ich habe die Königin schon einmal besucht und weiß, wo wir sie finden“, erklärte sie den anderen.

So machten sich die fünf mutigen Mäuse in der folgenden Nacht auf den Weg zur Königin. Das war zwar besonders gefährlich, weil sie an den Wachen und den vielen Plünderern vorbei mussten, aber sie hatten einen Plan.
Wieder ertönte ein grimmiges „Herein!“ aus dem Raum als die Mäuse an der Königstür klopften, doch niemand öffnete. „Das wird doch nicht wieder eine Maus sein?“ fauchte die Königin und riss die Türe auf. Ihr Blick galt sofort den kleinen Nagern an der Türschwelle. Die fünf Mäuse reagierten sofort und streckten der erbosten Königin die Zunge heraus. „Fang uns doch, fang uns doch!“ riefen sie und rannten los. „Das werde ich auch! Was für eine Frechheit! Wartet es nur ab!“ schrie sie und rannte so schnell sie konnte hinter den Mäusen her. Sie hastete stolpernd die vielen Turmtreppen hinab, fluchte dabei laut und rannte den Mäusen in den Schlosskeller nach. Schreiend stürmte sie um die Ecke und rannte direkt eine Wache um, die soeben ein Goldstück von einem Dorfbewohner kassierte. Die gesamte Menschenschlange hinter der Schlosswache sah jetzt in das Gesicht der Königin. Alle waren erstarrt vor Schreck. Da sagte die kleine hellgraue Maus: „Sie wollten mir schon bei meinem ersten Besuch nicht zuhören, aber wir dachten, dass hier sollten sie wissen.“
Seit dieser Nacht gab es keine Wachen mehr im Schlosskeller. Die Königin war verärgert über die Machenschaften, die sich in ihrem Keller abspielten und schickte alle Wachen des Schlosses fort ins ferne Land. Zugleich war sie erschrocken darüber, wie viele Menschen im Dorf Hunger litten, weil sie dort kaum Lebensmittel kaufen konnten. Die Dorfbewohner durften nun tagsüber – ganz legal – im Königsschloss die Nahrungsmittel kaufen, die ihnen zum Leben fehlten und die Mäuse bekamen – ganz legal – Abend für Abend die Essensreste aus der königlichen Küche, die sonst im Abfall gelandet wären.

Die Mäuse hatten sich nicht nur vor ihrem eigenen Hungertot gerettet, sondern auch den Dorfbewohnern ein glückliches Leben beschert. Und auch die kleine hellgraue Maus konnte nun endlich in Frieden leben, weil Sie am Ende doch noch eine Gegenleistung für das jahrelange Stehlen der köstlichen Leckereien erbracht hatte. So lebten sie alle glücklich und zufrieden bis in alle Zeit.
 

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Katja Mintel, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von hera

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Katja Mintel

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Von der Mäuseschar im königlichen Schloss

Vor sehr langer Zeit, als das Land noch von der mächtigen Königin regiert wurde und das prunkvolle Schloss noch von hunderten von Rittern bewacht wurde, lebte einst eine große Mäusefamilie in den unterirdischen Gängen und Kerkern des Schlosses. Die Vorratskammern der Königin waren stets prall gefüllt, so dass die kleinen Tiere niemals hungern mussten. In jeder Nacht bediente sich die Mäuseschar an all den königlichen Leckereien. Sie fraßen sich durch Käselaibe, knabberten an dem herrlich frischen Feldgemüse, naschten Getreidekörner und schleckten von dem köstlichen Rotwein, der aus den riesigen Holzfässern tropfe. Am Tage versteckten sie sich in den vielen dunklen Kerkerecken, krochen unter Kisten und Regale und verhielten sich mucksmäuschenstill, damit niemand sie entdeckte. Denn ließ sich eine Maus erwischen, so war sie dem Tode geweiht.

„Wer sich an meinen Vorräten vergeht, der hat den Tod verdient“, so hatte es die Königin einst angeordnet. „Ob Freund, ob Feind, ob Mensch oder Tier, niemand soll sich an meinen Vorratskammern zu Unrecht bedienen und ungeschoren davonkommen.“ Wagte sich dennoch ein Dieb in die Schlosskeller, so musste er sein Vorhaben mit dem Leben bezahlen. Die Wachen des königlichen Schlosses erdolchten jeden Eindringling, der sich auch nur in die Nähe der Vorratskammern begab.

Die Mäuse jedoch waren klein und flink. Sie kamen nur in der Nacht aus den Ecken, verhielten sich leise und verkrochen sich, sobald auch nur das leiseste Geräusch zu hören war. Die Mäuse waren sich sicher, es könnte ihnen niemals jemand etwas anhaben. „Die Königin wird uns niemals kriegen“, freute sich eine besonders dicke Maus, während sie abwechselnd in eine Mohrrübe und dann wieder in einen Apfel biss. „Wir sind zu klein, um uns mit dem Dolch zu erwischen und zu schlau, um in eine Mausefalle zu tappen.“ Die anderen Mäuse lachten und setzen ihren nächtlichen Festtagsschmaus fort. Nur eine einzige, sehr kleine, hellgraue Maus saß starr auf einem dicken Marmeladenglas hoch oben in einem Regal und sah traurig der Mäuseschar beim Fressen zu. „Hast Du keinen Hunger?“ fragte ein anderes Tierchen. „Doch! Natürlich habe ich Hunger. Ich frage mich nur, mit welchem Recht wir all´ diese Leckereien Nacht für Nacht essen können ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen?“ Verdutzt sah die andere Maus herüber und entgegnete: „Wir sind Mäuse! Es liegt eben in unserer Natur, dass wir Nahrung suchen und uns das nehmen, was wir kriegen können.“ Mit diesen Worten schob die Maus eines der Marmeladengläser an den Rand des Regals, gab ihm einen letzten Schubs, so dass es hinab fiel und mit einem lauten Klirren am Boden zerschellte. Der süße Duft von Erdbeeren und Himbeeren verbreitete sich schnell im Raume als der dickflüssige Gelee sich wie eine Pfütze auf dem Boden verbreitete. Sofort stürzten sich Mäuse aus allen Ecken auf die klebrige Masse und schleckten sie gierig von der Erde. Die kleine hellgraue Maus schüttelte unglücklich den Kopf. „Da siehst du es, wir machen auch noch alles kaputt.“ „Du spinnst doch!“ erwiderte der Übeltäter, sprang vom Regal und hüpfte ebenfalls in Richtung der Lake aus Marmelade. Während sie fortlief rief sie der hellgrauen Maus zu: „Und was willst du winzige Maus denn für eine Gegenleistung erbringen, um rechtmäßig die Kammern der Königin zu plündern?“
Die kleine Maus wusste keine Antwort auf diese Frage und saß noch eine Weile ohne sich zu rühren da und beobachtete das Treiben der Anderen. „Was kann ein kleines Nagetier nur für die Königin tun?“ Diese Frage ging der Maus immer wieder durch den Kopf, doch irgendwann quälte auch das kleine hellgraue Tierchen der Hunger und so machte es sich widerwillig über eine paar Haselnüsse her.

Eines Tages fasste die kleine Maus all´ ihren Mut zusammen und machte sich auf den Weg zur Königin. Nicht länger wollte sie von den Leckereien kosten ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen. Da der Maus einfach nichts einfiel, was sie hätte tun können, beschloss sie, die Königin um Rat zu fragen. „Die Königin wird schon eine klitzekleine Mäuseaufgabe finden, die ich für sie übernehmen kann und dann werde ich mir mein Essen fortan verdienen und es nicht mehr stehlen“, hatte die kleine hellgraue Maus freudig verkündet und sich sogleich auf den Weg gemacht. Außerdem müsste sie dann auch nicht mehr in Furcht vor den königlichen Wachen leben, dachte sie. Kopfschüttelnd sahen die anderen ihr nach. Keine der anderen Mäuse wagte sich bei Tageslicht aus den dunklen Ecken der Kellerräume.

Die kleine Maus erreichte nach unzähligen Treppen, die den Turm des Schlosses hinauf führten, die Gemächer der Königin. Vor der riesigen vergoldeten Tür mit der Aufschrift Königliche Gemächer machte sie halt. Hier musste es sein! Kräftig klopfte die Maus an die Türe, damit man ihr öffnete. „Herein“, schallte es von drinnen, doch die Maus konnte die Türe nicht öffnen. Sie klopfte wieder und wieder bis sich die Türklinke nach unten bewegte und das Gesicht der Königin im Türspalt erschien. „Wer zum Teufel ist da?“ schrie sie erbost über die kleine Maus hinweg. „Entschuldigen Sie, liebe Königin, ich bin hier unten.“ Die Augen der Königin suchten irritiert nach einem Gesprächspartner bis sie an der Türschwelle die Maus erblickten. „WACHEN!“ schrie sie hysterisch und versuchte sogleich die Maus am Boden zu zertreten. Das kleine Tier wich geschwind den Tritten aus und versuchte dennoch, sein Anliegen vorzubringen: „Aber ich wollte doch nur…“ Ein weiterer Tritt folgte und die Maus musste Reißaus nehmen. „WACHEN! Es ist eine Maus in meinen Gemächern. Tötet sie!“ schrie die Königin und rannte dem flüchtenden Tierchen hinterher. Die kleine Maus verschwand flink in der Dunkelheit der Gänge und verkroch sich wieder in eine Ecke des Schlosskellers.

„Was war das auch für eine idiotische Idee“ schimpften die anderen Mäuse als sie von der Geschichte hörten. „Was hast du dir nur dabei gedacht? Die Königin wird niemals einer Maus eine Aufgabe anvertrauen, geschweigenden ihr ein Wort schenken“, kommentierte die besonders dicke Maus das Vorhaben. Die kleine Maus war sehr traurig, aber sie musste einsehen, dass ihr Vorhaben zum Scheitern verurteilt war. Mäuse klauen eben nachts ihr Essen und leben tagsüber in Furcht vor dem Tode, dachte sie letztendlich.
So vergingen viele Wochen in denen die Mäuse Nacht für Nacht die Vorratskammern plünderten und sich tagsüber in winzigen Winkeln der Keller ängstlich aneinander drängten. Doch eines Nachts, als die Mäuse aus ihren Verstecken kamen und sich hungrig auf den Weg zu ihrem Fressen machten, hörten sie Schritte im sonst so einsamen Schlosskeller. „Schnell, alle wieder zurück in die Verstecke“, rief eine ältere Maus. Blitzschnell war die Mäusescharr wieder verwunden. Die Vorratskammer öffnete sich und zwei junge Buben kamen herein. Sie nahmen so viel Essen, wie sie nur tragen konnten und verschwanden wieder. Da kam auch schon eine Bauerstochter, nahm ein kleines Säckchen Mehl und ein paar Eier, verstaute die Lebensmittel in einem Beutel und ging hinaus. So gleich trat ein alter Mann ein. Er nahm sich einen großen roten Apfel aus dem Korb, biss hinein und lies sich für einige Minuten auf einen dicken Mehlsack fallen. Das Treiben in den Vorratskellern nahm kein Ende. Immer mehr Menschen kamen, luden Lebensmittel ein und verschwanden. „Schon bald wird die Sonne aufgehen, dann ist das ganze Schloss wieder belebt und wir können nicht mehr unbemerkt fressen“, wisperte eine Maus. „Wir werden verhungern oder von den Wachen erdolcht“, weinte eine andere. Und tatsächlich brach bald darauf der Tag an. Wachen stolzierten durch die Kellergänge, Dienstmädchen holten Lebensmittel aus den Vorratskammern und Bauern brachten neue Ware. Die Mäuse hatten keine Möglichkeit, unbemerkt an die vielen Köstlichkeiten zu kommen. So mussten sie an diesem Tage hungern. Als endlich die Nacht einbrach wiederholten sich die Vorgänge aus der vorherigen Nacht. Wieder kamen unzählige Menschen, nahmen sich Lebensmittel und verwanden.

Wie konnte es sein, dass so viele Menschen sich plötzlich in der Nacht an den Vorräten bedienen durften? Die kleine Maus beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Vorsichtig schlich sie aus ihrem Versteck und lugte um die Ecke auf den Gang, der zur Vorratskammer führte. Die kleine Maus traute ihren Augen kaum: Der Gang war gefüllt mit fremden Menschen. Sie standen dort in Reih´ und Glied und gingen letztlich einzeln an einem der Wachen vorbei. Die Fremden gaben der Schlosswache jeweils ein Goldstück und passierten dann den Eingang zur Vorratskammer.

„Die Wachen der Königin kassieren Goldstücke und lassen dafür Dorfbewohner die Vorratskammern plündern“, berichtete die kleine Maus am nächsten Morgen. „Sie hintergehen die Königin und bereichern sich selbst Nacht für Nacht an ihren Vorräten.“ „Das tun wir ja auch“, lachte eine weiße Maus und fügte empört hinzu: „Das ist mir auch egal, aber wenn das so weiter geht, werden wir hier verhungern! Wenn am Tag und in der Nacht ein solches Treiben im Schloss herrscht, können wir uns nicht mehr aus unseren Verstecken wagen!“ Doch es verging künftig keine Nacht mehr, in der nicht Fremde die Kammern des Schlosses betraten. Der Menschenandrang schien immer größer zu werden und die Mäuse fürchteten nun, verhungern zu müssen.
Eines Tages versammelten sich die Mäuse in einer finsteren, modrigen Ecke des Schlosses und berieten sich. Eine sehr alte Maus mit dicker Brille auf der Nase klopfte kräftig mit einer Walnuss gegen einen alten Tonkrug und verkündete: „Wir müssen etwas unternehmen, sonst werden wir allesamt elendig verhungern!“ Die Mäusescharr verharrte und es war schlagartig still. „Der Mäuserat hat zu unserer Rettung folgendes beschlossen“, sprach der Alte weiter. „Wir werden die Königin über die Vorkommnisse informieren. Sie wird das Plündern durch die Dorfbewohner sofort unterbinden und so wird wieder nächtliche Ruhe ins Schloss einkehren. “ „Dann könnten wir uns endlich wieder an der köstlichen Marmelade bedienen“, stieß eine Maus aus der Menge hervor. Der Alte fuhr unbeirrt fort: „Dazu benötigen wir ein paar Freiwillige, die der Königin die Botschaft überbringen.“ Erschrocken blickten die Mäuse dem Redner entgegen. Ihnen war jedoch klar, dass dieser Schritt unausweichlich war. Letzten Endes war der Hunger jedoch größer als die Angst vor der Königin und so meldeten sich vier Freiwillige – und die kleine hellgraue Maus. „Ich habe die Königin schon einmal besucht und weiß, wo wir sie finden“, erklärte sie den anderen.

So machten sich die fünf mutigen Mäuse in der folgenden Nacht auf den Weg zur Königin. Das war zwar besonders gefährlich, weil sie an den Wachen und den vielen Plünderern vorbei mussten, aber sie hatten einen Plan.
Wieder ertönte ein grimmiges „Herein!“ aus dem Raum als die Mäuse an der Königstür klopften, doch niemand öffnete. „Das wird doch nicht wieder eine Maus sein?“ fauchte die Königin und riss die Türe auf. Ihr Blick galt sofort den kleinen Nagern an der Türschwelle. Die fünf Mäuse reagierten sofort und streckten der erbosten Königin die Zunge heraus. „Fang uns doch, fang uns doch!“ riefen sie und rannten los. „Das werde ich auch! Was für eine Frechheit! Wartet es nur ab!“ schrie sie und rannte so schnell sie konnte hinter den Mäusen her. Sie hastete stolpernd die vielen Turmtreppen hinab, fluchte dabei laut und rannte den Mäusen in den Schlosskeller nach. Schreiend stürmte sie um die Ecke und rannte direkt eine Wache um, die soeben ein Goldstück von einem Dorfbewohner kassierte. Die gesamte Menschenschlange hinter der Schlosswache sah jetzt in das Gesicht der Königin. Alle waren erstarrt vor Schreck. Da sagte die kleine hellgraue Maus: „Sie wollten mir schon bei meinem ersten Besuch nicht zuhören, aber wir dachten, dass hier sollten sie wissen.“
Seit dieser Nacht gab es keine Wachen mehr im Schlosskeller. Die Königin war verärgert über die Machenschaften, die sich in ihrem Keller abspielten und schickte alle Wachen des Schlosses fort ins ferne Land. Zugleich war sie erschrocken darüber, wie viele Menschen im Dorf Hunger litten, weil sie dort kaum Lebensmittel kaufen konnten. Die Dorfbewohner durften nun tagsüber – ganz legal – im Königsschloss die Nahrungsmittel kaufen, die ihnen zum Leben fehlten und die Mäuse bekamen – ganz legal – Abend für Abend die Essensreste aus der königlichen Küche, die sonst im Abfall gelandet wären.

Die Mäuse hatten sich nicht nur vor ihrem eigenen Hungertot gerettet, sondern auch den Dorfbewohnern ein glückliches Leben beschert. Und auch die kleine hellgraue Maus konnte nun endlich in Frieden leben, weil Sie am Ende doch noch eine Gegenleistung für das jahrelange Stehlen der köstlichen Leckereien erbracht hatte. So lebten sie alle glücklich und zufrieden bis in alle Zeit.
 

Annette Paul

Mitglied
Hallo Katja,
eine sehr schöne Geschichte. Mich habe nur ein paar winzige Kleinigkeiten gestört. Zum einen das Schild "Königliche Gemächer". Ich denke, die Maus muss sie an etwas anderem erkennen. Dann die Goldstücke, arme Bauern werden keine Goldstücke haben, vielleicht Münzen oder Geldstücke. Außerdem wiederholt sich verhungern sehr häufig und im letzten Satz hat mich das doppelte "alle" gestört.
Ich hatte viel Spaß beim Lesen.
LG
Annette
 

molly

Mitglied
Hallo Katja,

eine wirklich spannende Geschichte, Annette hat Dir schon die Schwachpunkte genannt. Das ist mir noch aufgefallen:

"" weil [strike]Sie[/strike] sie am Ende doch noch eine Gegenleistung für das jahrelange Stehlen der köstlichen Leckereien erbracht hatte. So lebten sie[strike] alle[/strike] glücklich und zufrieden bis in alle Zeit.""

Frohe Feiertage molly
 



 
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