Zwei Farbenmärchen (gelöscht)

H

Heidrun D.

Gast
Warst du es nicht, die vorgestern noch sagte, es käme kaum noch etwas nach?

Dann das!
Manchmal fehlen einfach die Worte, um ewas so Erlesenes zu beschreiben. - In meinen Augen: meisterlich!

Lockenundhändeschwenkende Grüße
Heidrun
:)
 
Le style c’est l’homme

Hallo presque rien,
oft habe ich Schwierigkeiten, deine Gedichte zu verstehen. Auch dieses habe ich mehrere Male gelesen.
Doch es erschließt sich mir durch seine Schönheit.

Das Auge wirft die Netzhaut aus und fängt
ein Fensterstückchen Welt, das schüchtern hellt,
verschlafen in Gemütlichkeit pastellt,
sein Grasgesicht in den Magentahimmel,
Ich bewundere die schönen Bilder.
Magentahimmel! Wie kommt man darauf? Große Dichter schrieben vom Purpurhimmel.

Ich bin sehr beeindruckt.

Viele Grüße
Marie-Luise.
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Heidrun,

naja, mein letztes Gedicht war anfang Februar, schon ne Weile her. Und dieses ist nur entstanden, weil ich in letzter Zeit wieder mehr in der Lupe rumhaenge und die ganzen schoenen Gedichte lese, und unbedingt auch mal was schreiben wollte, aber es war ein bemuehter und schwerfaelliger Prozess. Ich wuenschte, ich koennte wieder so leicht schreiben wie frueher *seufz*. Aber ich freue mich wahnsinnig ueber dein grosses Lob und die tolle Wertung - dake!!!


Liebe Lena Luna,

danke fuer deinen netten Kommentar :)


Liebe Marie-Luise,

das freut mich sehr, dass dir mein Gedicht diesmal gefallen hat! Schoen, dass du mich nicht aufgibst ;). Ich habe selbst oft Schwierigkeiten, meine eigenen Gedichte zu verstehen ;), aber im Grunde ist das, was ich sagen will, sehr banal (und immer dasselbe), deshalb brauche ich die Komplexitaet im Ausdruck, damit es nicht so ins Auge sticht ;D. Schoen, dass dir die Bilder gefallen - ich hatte Angst, sie waeren selbst fuer Maerchen zu kitschig.


Liebe Gruesse an euch alle,
presque
 

Walther

Mitglied
Lb presque-rien,

Du gestattest, daß ich "verbessere":
Doch meine Farben trugen rote Käppchen,
verrannten sich, mein zartes Grün, mein Blau
zum [blue]bösen[/blue] Wolf mit blendend weiβen Zähnen,

und er zerrieb ihr buntes Fleisch in Häppchen
und spuckt’ es in die bunte Welt in grau.
Nur Knochen, [blue]Knorpel[/blue], Sehnen blieben, Sehnen.
Nun sind es immer fünfhebige Jamben, und drunter sollten wir es bei einem solch gelungenen Werk aber dann doch nicht machen.

Meine wenigstens ich. Aber ich bin ja auch nur ich, und sonst gar niemand. Und schon gar kein böser, böser W. :D

LG W., den Hut mit der großen Feder ziehend, dabei sich verneigend, in fachgerechter Art der Ehrbezeugung
 

presque_rien

Mitglied
Lieber Walther,

du wirst lachen! Erstens habe ich darauf gewartet, dass mir jemand diese beiden Verse um die Ohren haut. Zweitens sahen die Terzette in der Anfangsvariante des Gedichtes so aus:
Doch meine Farben trugen rote Käppchen,
verrannten sich, mein zartes Grün, mein Blau
zum bösen Wolf mit blendend weiβen Zähnen,

und er zerrieb ihr buntes Fleisch in Häppchen
und spuckt’ es in die bunte Welt in grau.
Nur Knochen, Sehnen blieben, Sehnen, Sehnen.
Du hast es also fast auf den Punkt getroffen! (Wobei deine letzte Zeile vielleicht besser ist als meine).

Allerdings fange ich bei sonettähnlichen Gedichten immer mit den Terzetten an, und als ich dann bei den Quartetten angekommen war, baute ich mit der unregelmäßigen weiblichen Kadenz ein "Aufatmen" in den Versen 4 & 5 ein. Im Gegenzug habe ich dann, um den Kontrast zwischen den beiden Hälften des Gedichts zu vergrößern, die Verse 11 & 14 verkürzt. Durch die Verkürzung entsteht ein zum "Aufatmer" gegenteiliger Effekt, eine Art Seufzer, ein Sinken. Dadurch, dass das Gedicht auf einem solchen verkürzten Vers endet, wird genau dieses "Sehnen" erzeugt, von dem in diesem Vers die Rede ist, weil man die Befriedigung nicht bekommt, welche die Vollendung einer klassischen Form mit sich bringt. Kannst du es fühlen, wenn du die Terzette jetzt nochmal liest?

Ich bin mir aber immer noch nicht sicher, ob es das Wert ist, für einen (in seiner Wirkung fragwürdigen?) Effekt eine so wunderschöne Form zu verkrüppeln, wie das Sonett. Also lies gerne die Extra-Füße in den Versen 11 & 14 mit, wenn du magst :).

Ich freue mich, dass dir das Gedicht dennoch gefällt! :)

LG und danke für deinen Kommentar,
presque
 

Walther

Mitglied
Lb. presque-rien,

wenn ich hier drei bis fünf begabte Lupendichter nennen sollte, wärest Du darunter. Nur Du kannst solche Dinger wie dieses hier einfach so raushauen und dann noch rumnörgeln, Dir sei das Dichten abhanden gekommen. Tstststs, also weißte. :D

Im Ernst: Du kennst meinen Hang zum Perfektionismus. Der mag mir das eine oder andere Mal im Weg herumstehen, weshalb ich auch nicht zu diesen 3 oder 5 oder vielleicht 10 wirklichen Lyrikkrachern in der Lupe gehöre. Aber eines solltest Du mir zugestehen: Ich habe einen untrüglichen Sinn für schöne Lyrik.

Wenn ich gerade Dir zu dieser Änderung rate, dann hat das seinen guten Grund. Die Melodie ist es, die hier zählt, das Singen/Swingen des Texts.

Hier sehe ich mich als Lektor, nicht als Kritiker. Dein Gedicht ist bereits ein Hammer. Es könnte aber eine absolute Rakete sein, wenn Du Dir meinen Vorschlag einmal in Ruhe, nicht heute, einfach später einmal, durch den Kopf gehen läßt.

Ich darf Dir ein Bonbon versprechen, wenn Du Dich durchringst, Deine obige Aussage doch noch zu überdenken. Du wärst der erste Autor, den ich ein zweites Mal in meine Anthologie, in der ja bereits eines Deiner Werke enthalten ist, einladen würde. Aber, wie gesagt, nur mit den von mir vorgeschlagenen Ergänzungen (oder Dir genehmeren Varianten davon). Weil in meine Anthologie kommen eben einmal nur die absoluten Raketen, wenn Du verstehst, wie ich das meine. :D

Weil nur das Beste gerade gut genug ist für diese Anthologie (deshalb komme ich selbst da ja auch niemals rein, selbstredend). ;)

LG W.
 
M

Marlene M.

Gast
nicht schlecht, lieber presque
und sehr individuell
lG von Marlene
 

Rhea_Gift

Mitglied
Also ich finds mit dem beim Wolf eher geschockten Flachatmer wie auch bei den ersten Sehnen und dem Seufzer bei den zweiten voll gelungen!! Würd es so lassen - sagt die, die sicher nicht zu den Raketen gehört, aber inhaltlich gerechtfertigte Regelverletzungen für gut heißt! :D

LG, Rhea
 
G

gitano

Gast
Hallo,
für mich eines der schönsten Somette die ich in letzter Zeit (in deutscher Sprache) gelesen habe!
Toll finde ich die Idee das die a Reime insg. beide Quartette umfassen, die inneren Reime bleiben und die c Reime nebeneinander stehen...außergewöhnlich!
Walthers Vorschläge find eich schon wichitg und überlegenswert In Z 11 finde ich es eher klanglich unproblematisch...ein Wehmutstroßfen bleibt dann aber: das "Sehnen" als letzten Wort in Z14 wird klanglich leider dann etwas schwächer...
daher mein Vorschlag: Wenn die Knorpel eingefügt werden dann eher tauschen: Nur Knorpel, Knochen, Sehnen blieben, Sehnen
In dieser Konstellation bleibt (klanglich) etwas mehr vom Sehnen übrig.
Ich werds noch mehrmals lesen und genießen ;-)
Liebe Grüße
gitano
 

MarenS

Mitglied
Sehr fein, presque! Mein Empfinden sehnt sich nach dem bösen Wolf und den Knorpeln, die, wie gitano vorschlug, den Anfang der letzten Zeile einläuten.
Du hast feine, kleine Stimmungen eingefangen und schon dafür, dass mein geliebter böser Wolf in diesem Märchensonett Platz hat, muss ich es lieben.
Das Reimschema ist wirklich außergewöhnlich aber es gefällt mir sehr gut.

Grüße von der Maren
 

presque_rien

Mitglied
Lieber Walther,

jetzt mach dich mal nicht so klein, in der 10-Jahres-Lupenanthologie warst du zurecht mit dem Drachentöter drin ;).
Und vielen Dank für das Kompliment! Irgendwie werde ich hier in den letzten Tagen so viel gelobt, ich weiß gar nicht mehr, wo ich mich verstecken soll *händeübermkopfzusammenschlag* Schön, dass man mich hier noch mag, auch wenn ich mich immer wieder monatelang nicht blicken lasse. :)

Zu deinem Vorschlag: Hmmm, ich bin ja durchaus käuflich, und es freut mich natürlich besonders, dass dir auch mal ein melancholischeres Gedicht von mir gefällt, damit sähe ich mich in deiner Anthologie auch viel besser repräsentiert als mit dem Frühstück, das weißt du ja. Und da Andere es auch so sehen wie du, und ich selbst auch zugegebenermaßen nie vollständig von der verkürzten Variante überzeugt war, stelle ich jetzt einfach zwei Varianten ein, und dann ist jeder glücklich :).

Und wenn du dann diejenige, die dir besser gefällt, aufnimmst, würde mich das natürlich riesig freuen :D.

Nochmals ganz liebe Grüße und vielen Dank für deine Hilfe!
presque
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Rhea,

Schön, dass du mich verstehst!!! So habe ich das gemeint. Ich werde jetzt aber dennoch zwei Varianten ausstellen, damit jeder sich dann seine herauspicken kann.


Lieber gitano,

vielen Dank für deinen netten Kommentar! Ich versuche immer, in meine Sonette formale "quirks" einzubauen - manchmal kommt das gut an, manchmal weniger. Schön, dass dir das Reimschema hier gefällt! Danke auch für deine Meinung zu den Versen 11 & 14, je mehr Meinungen ich dazu höre, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass ihr Recht habt. Ich werde deine Variante übernehmen - so klingt es wirklich am Besten. Großen Dank dafür!


Liebe Maren,

Ja, ich gebe mich ja schon geschlagen ;). Übrigens finde ich diesen Satz
Mein Empfinden sehnt sich nach dem bösen Wolf und den Knorpeln
aus dem Kontext herausgenommen gelesen herrlich! *lol* Vielen Dank für dein Lob, ich habe mich gefreut! :)


Liebe Grüße an alle,
presque
 
M

Marlene M.

Gast
was mir grade auffällt:
wenn es ein Sonett sein sollte, müssten sich in den Terzetten je 3 verse dreifach reimen.
Nur beim englischen Sonett haben wir eine sich in zwei reimen reimende Doppelstufe.
LG von Marlene
 
Ups, wat ham wir denn hier?
Musik? Ja, Musik! Es klingt! Ein Farbenmeer aus einer dieser Nächte, in denen man etwas sieht, (kann auch ein Tag gewesen sein) was man nicht in Worte fassen kann. Da nimmt man eben Klänge. Alles flattert irgendwie zusammen und hebt sich wie ein bunter Schwarm von Worten in den Himmel und zieht dort seine Bahnen.

Und die Anderen? Tja, sie sehen ihn fliegen, dort oben, wie er kreist, sich dreht und wendet, die Richtung wechselt und in vielen Colorationen schillert. Das sollte man auch nur EINMAL machen und sich genau DAS merken, was gerade in einem selbst passiert. Wenn er dann vorbei gezogen ist, der fliegende Farbtopf, aus dem die Tröpfchen spritzen und wo man gern selbst einer dieser kleinen, fliegenden bunten Momente wäre, dann wird irgendwas bleiben, denke ich.

Wäre doch Geschriebenes etwas Vergängliches, nicht Nachschlagbares, das wäre wirklich schön. Ist es aber nicht. Es ist wie Erdbeeren essen, man tut es immer wieder. Das Essen und das Lesen. Tja, dann beginnen irgendwann die Vergleiche, man sortiert sie Süßen und die Sauren, die Kleinen und die Großen, die Roten und die weniger Roten. So auch – natürlich - die Momente, die einem einmal ein kleines Moment fliegender Farben bescherten. Auch dort passiert dann so etwas. Der Blick wird schärfer und es wird irgendwann die gleich dreifach verwendete „Welt“ auffallen auch buntet es sich doppelt gegen Schluss. Herr Doktor Wort wird sich dann sicher seine eigene Version zurechtfalten, vielleicht so:

und wartet, dass aus Wolken weiβer Schimmel
auf jenes Stückchen Welt (IST) ein Lichtprinz fällt,
damit es sich, geküsst, aus Schatten pellt,
von seinem wahren Farbenherz durchtränkt.

Auch hat er, (den Doktortitel hat er nicht nur in der Klugschei … rei) nein, als Pathologe hat er natürlich auch etwas gegen „Fleisch + Knochen + Sehnen“ in ihrem eigentlichen Sinne, auch greift er reflexartig zum Telefon, wenn er das Wort Magenta irgendwo hört oder liest. Aber das ist sein Einzelschicksal, denn er will ja auch sofort Polen überfallen, wenn er Wagner hört. Das ist ihm zu real, zu fleischlich, zu menschlich. Froh ist er immer, wenn kein „Furunkel“ oder noch schlimmer: „Knorpel“ auftaucht. Aber das ist ja hier nicht der Fall, oder etwa …?

und er zerrieb ihr buntes (grelles) Fleisch (Spiel) in Häppchen
und spuckt’ es in die bunte Welt in grau.
Nur Knochen, Sehnen blieben, Sehnen (Nur Scherben blieben und ein Sehnen)

Irgendwann, beim Sägen an Vergänglichem, hat er es dann auf seinen Lippen, freut sich über die vierhebigen J‘s., die so schön die Gehirnwendungen umblättern, ihn wacher machen als er vordem war und summt es für sich, mit den für ihn selbst passenden Bildern vor sich hin:


_____________


Zwei Farbenmärchen

Das Auge wirft die Netzhaut aus und fängt
ein Fensterstückchen Welt, das schüchtern hellt,
verschlafen in Gemütlichkeit pastellt,
sein Grasgesicht in den Magentahimmel,

und wartet, dass aus Wolken weiβer Schimmel
auf jenes Stückchen Ist - ein Lichtprinz fällt,
damit es sich, geküsst, aus Schatten pellt,
von seinem wahren Farbenherz durchtränkt.

Doch ihre Farben trugen rote Käppchen,
verrannten sich, ihr zartes Grün, ihr Blau
zum Wolf mit blendend weiβen Zähnen,

und er zerrieb ihr grelles Fleisch in Häppchen
und spuckt’s aus seinem Schlund in’s Grau.
Nur Scherben blieben ihr und Sehnen

_____________

Aber wirklich wichtig ist das alles überhaupt nicht.
Gefühltes ist wichtig und wenn Gefühltes ein gutes Gefühl macht, so wie hier, dann ist alles gesagt.
Selbst für Doktoren, Pathologen und sonstiges Gesindel.


© stromstoßgeschädigter :)
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Julia,

mir gefällt die zweite Fassung besser ohne die Knorpel. Die Schlusszeile mit den beiden "Sehnen", von denen jedes Wort eine andere Bedeutung hat, gefällt mir besonders gut. Das letzte Sehnen verdeutlicht, dass das Rotkäppchen nicht ausgelöscht werden konnte vom Wolf, wenn doch das Sehnen, die Sehnsucht übrig blieb und immer noch sehr lebendig ist.

Was immer da Schlimmes passiert ist, so dass die Farben sich in ein Grau zusammenmischen mussten, so als ob es sie gar nicht mehr gäbe, sie werden wieder auferstehen, sich herauslösen aus dem Grau und jede so leuchtend sein wie vor dem Verirrtsein hin zum Wolf.

Das sagt mir die Schlusszeile.

Wunderschön die erste Strophe mit den Verben "pastellt" und "hellt" und der ausgeworfenen Netzhaut, die das Auswerfen der Fischernetze assoziiert. Ja, so durchstreifen wir ja immer unsere Welten, wenn wir empfänglich sind, was leider viel zu selten der Fall ist; meistens zwingen wir schon von vornherein Allem unsere inneren vorgefertigten Bilder auf.

Aber hier ist es anders. Zwar ist der Lichtprinz schon vorab im Innersten erschaffen, aber wie unser eigenes Farbenherz aussieht, das wird uns immer wieder überraschen, wenn es denn aus seinen Verhüllungen herausgeküsst wird.

Wieder ein sehr gelungener Text von Dir!

Liebe Grüße
Vera-Lena
 



 
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