Gottes Segen (gelöscht)

presque_rien

Mitglied
Lieber Montgelas,

ja, mir ist im Nachhinein aufgefallen, dass der Text wirklich viel "sanfter" geworden ist, als ich es vorhatte. Ich wollte es richtig böse und ekelerregend schreiben - herausgekommen ist es dann doch noch relativ ästhetisch... da hilft auch das "kotzeverdünnt" nicht mehr viel ;-). Also bin ich wohl gescheitert und lasse mich gerne auf deine Interpretation ein ;-)... ändern möchte ich nun, glaube ich, nichts mehr -

Hätte ich das "Selig bin ich..." weggelassen, wäre das Hoffnungslose deutlicher geworden, das stimmt - aber ich glaube jetzt, vielleicht sollte ich tatsächlich mehrere Interpretationsmöglichkeiten zulassen...

Danke für Denkansätze und Literaturtipp :) und lieben Gruß aus dem gewittrigen Duisburg,
presque_rien
 

presque_rien

Mitglied
Hallo sekers,

vielen Dank für deinen Kommentar :))!

Kälte assoziiert man ja gewöhnlich mit dem Tod - und darum geht es in dem Gedicht. "Schockgefrostet" sind die Passanten - vor Schreck wie zu einer Eissäule erstarrt - ungefähr diese Assoziation wollte ich erwecken. Aber auch hilflos und zu keiner Handlung, keinem tieferen Gefühl fähig - wie "schockgefrostetes" Gemüse (in diesem Zusammenhang wird das Wort ja normalerweise verwendet).

Der Hirnbrei ist "eisen", weil nichts menschliches, nichts lebendiges mehr an ihm ist...

Ich hoffe, das hilft weiter :). Aber wie Montgelas schon sagte, es ist noch lange nicht kalt genug... vielleicht klappt's ja beim nächsten Mal.
;-).

Liebe Grüße,
presque_rien
 

presque_rien

Mitglied
Hi MDSpinoza,

Alpträume eines Apallikers? *lach* Das ist natürlich eine ganz andere Interpretation... führ das doch mal aus ;-)

LG,
presque_rien
 
S

Sandra

Gast
Der Tod ist darum so schrecklich, weil mit dem Tod des Menschen so vieles verlorengeht... das wollte ich mit den Verweisen auf die Gehirnareale zeigen: die Fähigkeit, sich zu erinnern, zu sprechen, zu fühlen, dieses unglaublich komplizierte, faszinierende System, all das, was den Menschen sich gottähnlich fühlen lässt - das alles ist in nur einer Sekunde nichts als entmystifiziertes Fleisch, nur in einigen Augenblicken! Wenn das alles verlorengeht, dann sollte eigentlich die ganze Welt aufstöhnen - aber nein, der Tod ist "kein großes Erlebnis"... Und Gottes Segen besteht nun eigentlich darin, dass der Mensch unfähig ist, es wirklich zu begreifen, was beim Tod geschieht. Die neugierigen Passanten "hinter Rotweiß" empfinden nichts als Mitleid mit dem Unfallopfer und jenen, die die Reste vom Asphalt schaben müssen. Aber eigentlich sollte man sie beneiden. Das Opfer, weil es so schnell starb, dass es gar nicht begreifen konnte, dass es so einfach sein "Selbst" verlor, das sich in vielen Jahren entwickelt hat. Und die Feuerwehrleute, weil der Anblick der menschlichen Überreste naturgemäß nur noch Ekel hervorruft. Es ist nichts "menschliches" mehr daran, nichts, was Gott noch spiegeln könnte, nur noch blutiger Brei... so ist es möglich, mit dem Tod zurechtzukommen...

Liebe Julia,

ein wirklich sehr interessanter Text, den du geschrieben hast. Die Interpretationen, gerade von Monteglas, sind ebenfalls lehrreich wie interessant. Die Frage ist nur, hätte ein Leser ohne Erklärung die Chance gehabt den Text ansatzweise im Sinne des Autors zu erfassen? (Lassen wir mal monteglas außen vor ;) )
Svalin lieferte uns seine Interpretation, in der nun deine Aussage nicht im Entferntesten wiedergespiegelt wurde. Eigentlich kein Problem. Grundsätzlich ist es in meinen Augen sehr positiv, wenn ein Gedicht Raum zur Vielfältigkeit gibt, hier finde ich nun schade, wenn der eigentliche Sinn den meisten Lesern verborgen bleibt, da deine oben aufgeführten Erläuterungen m.E. nach über die Maßen lesenswert sind. Es sind sehr tiefgründige Gedanken, die in ihrer Aussage begriffen werden sollten. Dadurch, dass dein Text zu viele Ansätze zur Grübelei gibt, bleibt mir leider auch das Gefühl, welches du in dem obigen Absatz stark durchblicken lässt, auf der Strecke. Manchmal hilft es, bei stark verdichteten Gedichten, wenn der Autor dem Leser eine Zeile der Erklärung gönnt. (Oder sagen wir es mal so, in einer Zeile weniger metaphernbeladen formuliert.) Dies würde dem Leser die Möglichkeit geben, zu überdenken, ob er sich auf dem richtigen Pfad befindet. Was nun nicht heißen soll, dass du dein Gedicht durch und durch transparent machen solltest - vielleicht ein wenig ;). Ich empfinde es, so wie es ist, schon sehr gelungen, vielleicht könntest du dich aber damit anfreunden, dass erwähnte "IHN" von Monteglas einzubauen (dadurch wird m.E. deine Intention klarer) oder du baust im ersten Abschnitt eine Gedankenpause in Form einer weiteren Zeile ein.


LG
Sandra
 

MDSpinoza

Mitglied
Als apallisches Syndrom bezeichnet man einen Zustand, meist nach Verletzung, in dem der Patient zwar noch ein funktionsfähiges Hirn bestizt, Sinneseindrücke empfängt und verarbeitet, wahrscheinlich sogar teilweise bei Bewußtsein ist, aber nicht mehr in der Lage ist, seinen Körper zu kontrollieren oder zu kommunizieren. Der Patient ist regelrecht eingesperrt ins eigene Hirn. Es reicht nicht einmal mehr dazu, mit den Augen zu rollen oder zu zwinkern. Manche haben das schon bis zu 20 Jahren durchlitten. EEG-Befunde legen nahe, daß diese Menschen oft bei vollem Bewußtsein sind und sehr wohl in der Lage, Gespräche zu verstehen oder Fernsehen bzw. Radio.
Das stelle ich mir als ultimativen Alptraum vor, bei vollem Bewußtsein unfähig zu sein, zu kommunizieren und zu handeln.
Es gibt Hirntote, deren Körper noch funktionieren, die noch normal verdauen, deren Reflexe noch teilweise funktionieren. Das ist allerdings etwas andres. Deren EEG zeigt Nullinien. Das EEG eines Apallikers ist normal.
 

presque_rien

Mitglied
Hallo an alle :)!

Hier ist noch eine interessante Interpretation, die mir ein Freund auf Anfrage zuschickte. Lesen lohnt sich! Wirklich! :)


"Als primärern Topos nach der ersten Rezeption des Werks "Gottes Segen?"
lässt sich der (durchaus gewaltsame) Tod ausmachen. Dies kann werkimmanent
belegt werden (z.B. Schädel zersägt), durchaus aber auch durch
entsprechende intertextuelle Kenntnis (z.B.Mandelkerne). Dieser
Todes-Topos kann durch einen Kannibalismus-Topos ergänzt und verstärkt
werden (Fleisch, rot-weiss (mmm Pommes)), wobei ein genereller Grundekel
der hier beschriebenen Nahrungsaufnahme mitschwingt.

Hebt man das Gesamtwerk auf eine eher allegorische Ebene, erschließt sich
dem Interpreten das Werk anders. Wird der Tod nicht als das gewaltsame
Ende angesehen, sondern wertneutral als Veränderung, die jemandem
wiederfährt, zeigt sich der hier angedeutete Kannibalismus doch eher als
eine Form der Autophagie, der Selbstverzehrung, deren Wurzeln im
angestrengeten Nachdenken über die o.g. Veränderung liegen. Dennoch
schwingt hier auch eine gewisse Form der Selbstbestätigung /
Selbstwertschätzung, vor allem in der letzten Strophe mit (selig bin ich).
Daran lässt sich nach Interpretenmeinung ablesen, dass Veränderung
manchmal schmerzhaft sein kann und das letzte von einem Menschen fordert,
generell aber auch zu einer Form der Zufriedenheit oder negativ konnotiert
Resignation führt.

In diesem Zusammenhang ist das Bild des Seepferdchens interessant zu
sehen. Getrocknet und als Pulver zerrieben wird es vor allem im
asiatischen Kulturkreis gerne als Potenzmittel zu sich genommmen, es führt
also durch die eigene Veränderung vom Lebewesen zum Objekt eine
Veränderung am Subjekt herbei, es ist also aktiv passiv. Genau so kann
hier das sich selbst verzehrende Subjekt verstanden werden, welches wie
der Interpret annimmt, ungleich dem Verfasser ist, da es aktiv passiv ist,
ihm also Dinge wiederfahren, ohne danach gefragt zu haben, dennoch aber
sich auf der aktiven Seite sieht und somit wenigstens seine eigene
Seligkeit beschwören kann.

Man kann also hier eine Auflösung des Dualismus aktiv/passiv beobachten,
wobei hier die Einheit der Differenz von aktiv/passiv
Handlung ist. Diese Form der Handlungsteuerung und Handlungsabhängigkeit
des hier dargestellten Subjekts zeigt sich insbesondere an den "drei
Stunden Arbeit" welches dem Subjekt auferlegt werden bzw. die es
verrichtet.

Dabei zeichnet sich dieses Subjekt generell durch eine hohe Körperlichkeit
aus, da über den Körper gesprochen wird und der Körper auch benutzt wird
um mit ihm Dinge zu verrichten. Körperlichkeit wird somit zu Handlung, die
am Körper und durch den Körper vorgenommen wird."


Liebe Grüße und gute Nacht!
presque_rien
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Sandra,

danke für deinen zum Nachdenken anregenden Kommentar. Genau das, was du beschreibst, war ja auch mein Problem - und der Grund, warum das Gedicht eine Zeit lang in der Werkstatt stand ;-).

Es ist kein Gedicht geworden, dessen Aussage man beim ersten oder zweiten Lesen erfassen könnte - obwohl ich ursprünglich so etwas vorhatte.
Ich merke, dass es mir wirklich schwerfällt, "unkomplizierter" zu schreiben ;-). Mir ist aber auch aufgefallen, dass sich die Interpretationen mit der Zeit immer weiter dem (von meiner Perspektive aus als solchen gesehenen) Kernpunkt annäherten, worüber ich mich sehr freute :).

Ich glaube, wenn ich in Zukunft wieder so etwas schreibe, dann werde ich mehr darauf achten, meine Ideen "durchzusetzen" ;-). An diesem Gedicht möchte ich aber irgendwie nicht mehr herumdoktern. Für die Verwirklichung meiner ursprünglichen Idee ist einerseits einfach viel zu viel schief gegangen, als dass ich es mit einigen Veränderungen zufriedenstellend "wiedergutmachen" könnte - andererseits habe ich durch die ganzen Interpretationen auch Aspekte entdeckt, die ich nicht mehr streichen möchte...

Lieben Gruß,
Julia
 

presque_rien

Mitglied
Hallo megan,

vielen Dank ;-).



Hallo MDSpinoza,

nach deinem ersten Kommentar hatte ich natürlich sofort nachgeguckt, was das apallische Syndrom ist ;-). Aber der Protagonist ist doch gerade nicht "in das eigene Gehirn eingesperrt" - vielmehr ist das Gehirn dem Protagonisten entäußert - oder? ;-)



Liebe Grüße,
presque_rien
 

Montgelas

Mitglied
"In diesem Zusammenhang ist das Bild des Seepferdchens interessant zu
sehen. Getrocknet und als Pulver zerrieben wird es vor allem im
asiatischen Kulturkreis gerne als Potenzmittel zu sich genommmen, es führt
also durch die eigene Veränderung vom Lebewesen zum Objekt eine
Veränderung am Subjekt herbei, es ist also aktiv passiv.."



genial, weil in sich logisch. dies ist nur ein beispiel dieser hirnakrobatik,
die mich begeistert.
ich habe sehr gelacht.


liebe presque_rien,

überall ist wunderland
meint mit ringelnatz
auch
montgelas
 



 
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