Scarabaeus
Mitglied
Hallo erstmal,
vor kurzem habe ich mein erstes größeres Werk vollendet, und suche nun nach konstruktiver Kritik dazu! Also möchte ich euch bitten, euch meine Geschichte durchzulesen und mir zu schreiben, was euch gefallen hat und was nicht, und warum. Das würde mir sehr helfen.
---
-Kapitel 1-
Ich erwachte, wie jeden morgen, vom monotonen Piepsen des Weckers und mit einem flauen Gefühl im Bauch. Nachdem ich mich aus dem Bett gequält hatte und beinahe über meine Gitarre gestolpert wäre wankte ich, immer noch schlaftrunken, die Treppen herunter ins Wohnzimmer, und sah, dass meine Mutter mir bereits Kleidung über einen der Stühle gehängt hatte, die um unseren ovalen Esstisch standen, so, wie jeden morgen, bevor sie zur Arbeit fuhr. Es war nichts Besonderes: ein schwarzer Pullover, schlichte blaue Jeans und ein paar schwarze Socken. Ich zog mich an, dann ging ich wieder nach oben, um meine Schultasche zu packen.
Das übliche: Mathe, Deutsch, Kunst und Chemie. Ich steckte noch das Buch ein, welches ich gerade las, als leichte Lektüre für die Pausen. Auf dem weg nach draußen stolperte ich erneut über meine Gitarre, danach zog ich mir meine Schuhe an, ging um das Haus herum in unseren Garten, holte mein Fahrrad und begab mich auf den allmorgendlichen Weg zum Schulgebäude.
Der Morgen war wolkenverhangen. Nur hier und da brach ein vereinzelter Lichtstrahl durch die dichte Wolkendecke, und die Luft stank nach den Abgasen der Autos, die über die Hauptstraße fuhren. Während die Häuserfronten an mir vorüber wirbelten grübelte ich angestrengt darüber nach, was ich Conny sagen würde, wenn wir uns (natürlich rein zufällig) auf dem Gang treffen sollten. Wir waren schon seit mindestens einem Monat verabredet, aber jedes Mal hatte sie einen Grund gefunden, den Termin zu verschieben. Außerdem bangte mir schon vor dem, was mir in Chemie blühen würde. Aufmerksam, wie ich nun mal war, hatte ich vergessen, die Hausaufgaben zu machen, und zerbrach mir nun den Kopf darüber, in welcher Pause ich genug Zeit hätte, diese noch nachzuholen. Eventuell konnte ich mir die Mappe ja von Timo leihen und dann… Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, denn als ich gerade an einer besonders scharfen Kurve abbiegen wollte, wurde ich plötzlich von etwas gestreift, das ich nur als ocker-braunen Blitz ausmachen konnte, welcher mir gleichzeitig ein Pedal abriss und mir ein paar Schrammen auf den linken Arm verpasste. Angestrengt kämpfte ich um mein Gleichgewicht, sodass ich mir weder das Kennzeichen noch die Marke des rüpelhaften Rasers merken konnte. Nachdem ich meine Balance wieder hatte war das Fahrzeug bereits verschwunden. Dämliche Raser, dachte ich, während ich in das verbliebene Pedal trat um ja noch rechtzeitig zu Mathe zu kommen.
Es war tödlich langweilig.
Wir nahmen gerade das Thema „Geometrie“ durch und bekamen dazu tonnenweise Arbeitsblätter. Nachdem ich mich halbwegs erfolgreich durch die ersten 2 Stunden gekämpft hatte kam Marco an meinen Tisch. Er trug ein hellgraues T-Shirt und dunkelblaue Jeans, von deren Seite eine kleine Metallkette baumelte, welche wiederum mit seinem Portemonnaie verbunden war. Außerdem trug er eine Brille. Er schielte ziemlich, sodass man sich nie sicher sein konnte, mit wem er eigentlich gerade sprach. Timo nannte das gern den „Hausfrauenblick“, woraufhin er sich meistens eine von Marco fing. „Hey, Chris“, sagte er, an mich gewandt. „Hast du schon die Hausaufgaben für Chemie gemacht?“ Ich seufzte. „Nee, muss ich noch machen.“ Ich ließ den Kopf auf den kleinen Holztisch sinken, an dem ich saß. „Wenn ich ehrlich bin, hab` ich wirklich keine Lust `drauf.“ Marco zuckte mit den Schultern. „Du weißt doch wie Rainer drauf ist. Und du brauchst die Note.“ Rainer Vogele war unser Chemielehrer, und nicht gerade für seine Nachsicht oder Freundlichkeit bekannt. Und ja, ich brauchte die Note wirklich dringend. „Na dann“, seufzte ich resignierend, erhob mich gemächlich von dem unbequemen Schüler-Einheits-Holzstuhl und begab mich in ruhigere Gefilde des Schulgebäudes.
Gedankenlos wanderte ich durch den leeren Flur. Zu meiner linken fielen die wenigen Sonnenstrahlen, die die leider immer noch sehr dichte Wolkendecke durchbrachen, schwach herein, rechts wechselten sich mehr oder minder gute Schülerzeichnungen mit weissen Klassenraumtüren ab, hinter denen der übliche Mix aus Gebrüll, viel zu lauter Handy-Elektromusik und Gelächter hervordrang.
Ich war auf dem weg zur schuleigenen Bibliothek, die zwar wegen Renovierungen geschlossen, aber auch nicht mein eigentliches Ziel war. Das waren nämlich Conny, Renate und Anke, die sich immer davor trafen. Ich verstand mich mit den Dreien ziemlich gut, und wollte nun endlich mal mit Conny ins Kino gehen, weshalb ich sie nun noch einmal darauf ansprechen wollte. Zu meinem Leidwesen trafen sich aber nicht Conny, Renate und Anke dort, sondern nur die beiden Hausmeister, die einen Wasserschaden an der Heizung reparieren mussten, und mich deshalb sofort wieder wegschickten. Enttäuscht nahm ich mein Buch von Erik Eisbein aus der Tasche, setzte mich auf eine einsame Heizung und las bis zum Ende der Pause. Die nächsten drei Stunden liefen ähnlich ab wie Mathe. Nur Kunst machte Spaß, aber das war`s auch schon. In der großen Pause machte ich mich erneut auf die Suche nach Conny und ihren Freundinnen und fand sie sogar. Sie saßen vor der Mensa und unterhielten sich. Ich ging auf sie zu.
Da saß sie. Sie trug ein schlichtes, hellrotes Top, dazu eine beige Jacke, dunkelblaue Jeans und beige Schuhe. „Äh, Chris?“ Ihr honig-blondes Haar umspielte sanft ihre Wangen und hob die Ebenmäßigkeit ihrer Haut noch weiter hervor als es ihr warmes Lächeln ohnehin schon tat. „Was hat er denn?“ Sie roch wie immer ein wenig nach Zimt und einem Hauch von Vanille. Ihre haselnussbraunen Augen funkelten im schwachen Sonnenlicht umso stärker und ihre sanften, rötlichen Lippen… „Hey, Chris!“ Erschrocken fuhr ich aus meinen Tagträumen hoch, und erkannte, dass ich sie dabei die ganze Zeit angestarrt hatte. Ich konnte fühlen, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Ich musste aussehen wie eine reife Tomate oder ein heißes Thermometer. „Vielleicht ist er ja zur Salzsäule erstarrt“, feixte Anke und lachte, als Einzige, wohlgemerkt, über ihren eigenen Witz. Conny stand auf und kam auf mich zu. „Alles klar?“, fragte sie, und in ihren Augen spiegelte sich ein Fünkchen von Sorge. „Ja, ja. Ich hatte nur gerade an… Chemie gedacht.“ Am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt. Das war wohl eine der schlechtesten Lügen in der Geschichte der Schule. Aber ich fasste mich wieder und bemühte mich um ein selbstsichereres Auftreten, was aber nur teilweise gelang. „Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob dein Terminkalender für dieses Wochenende nicht auch schon zu voll ist.“, sagte ich. Sie sah mich kurz an, kratzte sich am Kopf und sagte dann: „Da muss ich Zuhause nachschauen.“ Dann lächelte sie. „Ich schreib dir dann eine SMS. Bis später.“ Damit standen auch Anke und Renate auf, bogen um eine Ecke, und ein paar Sekunden später waren die drei verschwunden. Ich seufzte tief, ließ mich auf eine nahe Heizung sinken, kramte den Eisbein-Roman hervor und verbrachte den Rest der Pause mit Lesen.
Der Schock kam, als Herr Vogele in Chemie fragte „Und Christian, wie steht`s mit den Hausaufgaben?“ Siedend heiß fiel mir ein, dass ich vergessen hatte die Hausaufgaben in Chemie nachzuholen. „Also wissen sie, Herr Vogele, dass war so…“, begann ich zu stottern, doch Vogele unterbrach mich, holte sein kleines Heft heraus und kritzelte etwas hinein. Ich konnte die Bewegung nicht deuten, doch es sah scharf nach einem Kringel mir einem Bogen daran aus. Und das gefiel mir nicht. „Ach Christian“, seufzte er. „Was mache ich nur mit dir?“ Im laufe der Doppelstunde konnte ich dann doch noch einen Tag herausreden, indem ich ihm versprach, die Aufgaben am nächsten Tag in sein Lehrerfach legen zu lassen.
Ich war unglaublich erleichtert, als sich der Schultag dem Ende zuneigte, und ich endlich durch das zweitürige Hauptportal der Schule hinaus in die schöne Freiheit schreiten konnte, selbst wenn diese nur allzu kurz war. Ich machte mich sogleich auf den Weg zum örtlichen Fußballstadion, welches direkt gegenüber der Schule lag und einer ortsansässigen Gurkentruppe gehörte, die mehr Schulden als Fans hatte. Auf dem Weg zu meinem Fahrrad ging ich den Rest des Tages gedanklich noch einmal durch, welcher wohl nur noch aus Youtube, einer Flasche Cola und zwei Klappstullen bestehen würde. Ich hätte mir nicht mehr wünschen können. Doch noch bevor ich vollends in Träume über den bevorstehenden Abend versinken konnte traf mich etwas so heftig am Hinterkopf, dass ich stolperte und um ein Haar hingefallen wäre. Das ganze wurde begleitet vom höhnischen Gelächter der umstehenden. Ich rieb mir den schmerzenden Schädel, und brauchte einige Sekunden, bis meine Augen wieder normal funktionierten. Ich blinzelte den Schleier aus Tränen weg, der sich vor meine Pupillen geschoben hatte und wandte mich um, in der Hoffnung, wenigstens noch einen Blick auf meinen Peiniger zu erhaschen. Doch ich konnte niemanden entdecken. Das einzige was mir auffiel war ein kleiner roter Ball, der einige Meter von mir entfernt auf dem Boden lag. Als ich näher kam sah ich, dass es sich nicht um einen Ball, sondern um einen Apfel handelte. Typisch ich, dachte ich, und grinste. Es war nicht das erste Mal, dass so etwas passierte und es würde weiß Gott nicht das letzte Mal gewesen sein. Doch irgendetwas störte mich an dem Apfel, ich kam nur nicht auf die Lösung. Ich sah mich aufmerksam um, und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich sah hoch. Genau wie ich`s mir dachte. Die Bäume rings um das Stadion waren allesamt Buchen. Es gab hier nirgendwo Apfelbäume. „Seltsam.“ Ich kratze mich am Kopf ob des seltsamen Apfels. Als ich ihn in die Hand nahm war mir die Lösung jedoch schlagartig klar. Hatte ich es nicht schon vorher gewusst, so fiel es mir spätestens ein als ich die Bissspur sah. Jemand hatte den Apfel auf der einen Seite beinahe bis zum Gehäuse zerbissen. Und dieser jemand musste den Apfel geworfen haben. Leider war auch das nicht zum ersten (und letzten) Mal passiert. Diesmal reichte es gerade für ein trauriges Verziehen der Lippen, das eher wie eine verzerrte Karikatur eines Lächelns wirkte. Ich lieβ den Apfel fallen, löste das Schloss meines Fahrrads, stieg auf den Sattel und fuhr davon. Leider konnte ich so nicht mehr sehen, wie sich kurz danach eine kleine, beigefarbene Feder langsam auf den Apfel herabsenkte.
Das nervtötende Geräusch des Weckers riss mich aus meinem leichten Schlaf. Meine Augen waren noch verklebt, und ich total verschlafen. Ich blinzelte ein paar Mal, und nachdem ich meine Augen wieder normal öffnen konnte setzte ich mich auf. Ich rieb mir die, trotz allem immer noch, müden Augen, reckte mich genüsslich und gähnte herzhaft, dann betrachtete ich die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch die halb offenen Fensterläden meines Zimmers schimmerten. Der Anblick hatte etwas unwirkliches, wie aus einem Film. Tänzelnde Boten aus fernen Ländern die so viel von der Welt erzählen konnten, doch niemanden hatten, mit dem sie ihr Wissen teilen konnten. Für einen kurzen Augenblick wünschte ich mir, ich wäre dieser eine Jemand, dem die Lichtstrahlen ihre Geheimnisse anvertrauen konnten, und der diese stärker beschützen würde als alles andere auf der Welt, ein Held in strahlendem Gewand, der genau zur rechten Zeit auftauchte, und die Welt von allem Unheil und allen Schmerzen erlösen konnte. Doch der Moment verging, und mit ihm auch der Gedanke. Mühsam riss ich mich von dem Anblick los und machte mich gemächlich auf den Weg ins Bad, wobei ich penibel darauf achtete, nicht wieder gegen die Gitarre zu laufen, um meine Morgentoilette zu verrichten.
Schwer stützte ich mich auf das antiquierte Waschbecken, das vermutlich genau so alt war wie das Haus selbst, und betrachtete mein Konterfei im Spiegel. Es war kein besonders schöner Anblick. Nicht, dass es das jemals gewesen war. Ich war immer noch nicht richtig wach, und meine Lider hingen halb über meinen dunkelbraunen Augen, und mein dunkelbraunes, fast schwarz anmutendes Haar stand hinten in alle Richtungen ab, vorne fiel es mir jedoch immer wieder ins Gesicht, sodass ich die ganze Zeit damit beschäftigt war, mir die Strähnen aus dem Gesicht zu wischen. Zum Wachwerden spritzte ich mir etwas Wasser ins Gesicht, dann putzte ich mir schnell die Zähne. Danach schnitt ich noch ein paar Grimassen, zog mich an, sammelte die in meinem Zimmer verstreuten Schulsachen zusammen, die ich an dem Tag brauchte, hastete die Treppen herunter ins Wohnzimmer, wobei ich fast auf eine von unseren Katzen trat, die sich gerade auf der untersten Treppenstufe räkelte, sprang in meine Schuhe, rannte ums Haus und fuhr mit quietschenden Reifen einem neuen, aufregenden… na, zumindest neuen Schultag entgegen.
Die Fahrt wurde ein Trip durch die Hölle.
Kurz nachdem ich unsere Häuserfront verlassen hatte peitschte mir der Wind eine Böe nach der anderen ins Gesicht, und ich hatte das Gefühl, dass dieses langsam aber sicher um meinen Kopf herum gezogen wurde – in beide Richtungen gleichzeitig. Ich kämpfte gegen die höllischen Winde so gut ich konnte, doch hatte ich trotzdem das Gefühl, auf der Stelle zu fahren. Und ganz egal, in welche Richtung ich auch abbog, der Wind kam scheinbar immer von vorne. Immer. Kurz darauf passierte ich eine weitere Häuserschlucht, und atmete erleichtert auf, als ich merkte, dass hier der Wind nicht so stark eindrang. Doch die Freude hielt nur kurz, denn mit einem Mal platsche mir ein kleiner Tropfen auf die Nase, und keine drei Sekunden später schüttete es wie aus Kübeln. Als ich schlieβlich an der Schule ankam war ich durchnässt, mein Haar war zerzaust und meine Kniescheiben taten so weh, als wollten sie jeden
Moment herausspringen. „Na super“, sagte ich zu mir selbst. „Der Tag kann nur gut werden.“
Überraschenderweise wurde der Tag dann doch nicht so schlimm wie angenommen, und auch der Rückweg verlief viel einfacher als noch am Morgen. Die Wolken hatten sich teilweise verzogen und gaben nun den einen oder anderen Blick auf einen saphirblauen Himmel frei. Ich sah sogar einen Schwarm Vögel über die Wolkendecke fliegen. Nachdem ich Zuhause mein Fahrrad an die Hauswand gelehnt und mich im Wohnzimmer auf die Couch geworfen hatte schwor ich mir, mich für den Rest des Tages nicht mehr zu rühren. Ich konnte das auch ganze fünf Minuten durchhalten, dann klingelte das Telefon. „Hallo, Spatz!“, meldete sich die Stimme meiner Mutter. „Hi, Mom.“ „Du, hör mal“, begann sie. Sie klang gehetzt. Kein Wunder, auf Mamas Arbeit war das Telefonieren während der Arbeitszeit verboten. „Könntest du eventuell gleich mal nach dem Vertikutierer sehen? Ich wollte ihn nachher bei Oma vorbei bringen. Machst du das?“ „Klar“, antwortete ich. „Super.“, sagte sie und machte ein Kussgeräusch durchs Telefon. „Wir sehen uns dann später. Tschüss!“ „Ciao.“, sagte ich und beendete das Gespräch. Ich seufzte einmal tief, dann erhob ich mich wieder vom bequemen Sofa, stieg erneut in meine Schuhe und ging ums Haus herum zum Schuppen.
Auch wenn ich mir beim Waschbecken nicht sicher war, dieser Schuppen war definitiv, wenn nicht sogar noch älter als das Haus. Ich löste das verrostete Schloss von der Tür, zog sie auf und trat hinein. Sofort umfing mich ein Geruch nach trockenem Gras, alter Erde und toten Asseln. Ich musste mich durch den ganzen Schuppen wühlen, bevor ich zum Vertikutierer kam. Kurz nachdem ich ihn umständlich aus dem Schuppen heraus gefummelt hatte, stach mir ein Lichtreflex in die Ränder meines Sichtfeldes. Ich schob mich erneut in den dunklen Schuppen und fand tatsächlich etwas: In der hintersten Ecke des Schuppens lag ein kleiner Schlüssel, an dessen Ring ein rotes, mit falschen Edelsteinen besetztes Herz an einem Band baumelte. Ich hob ihn auf, drehte ihn ein paar Mal in meiner Hand und betrachtete ihn. Der Schlüssel sah aus wie ein Werkzeug, mit dem man Schrauben drehen konnte; Er war kurz, ungefähr die Hälfte meines Daumens, das Ende war geformt wie ein Würfel, hatte eine Öffnung und war innen hohl. Der Herzanhänger funkelte in allen Farben, vornehmlich rot und drehte sich dauernd um seinen eigene Achse. Ich betrachtete das seltsame Stück noch einige Sekunden lang, dann zuckte ich mit den Schultern und steckte den Schlüssel kurzerhand ein. Vielleicht wusste Mama ja, was es war.
Ich verbrachte den restlichen Nachmittag mit dem Vertikutierer, der auf Herz und Nieren geprüft wurde, und, so gut das ein Laie wie ich eben beurteilen konnte, keine Fehlfunktionen aufwies. Zumindest den Rest des Abends wollte ich mir nicht nehmen lassen, und so machte ich es mir vor dem PC bequem und verbrachte einige Stunden mit herzhaftem Gelächter, Fremdschämen und Toast.
Um zehn Uhr kam Mama dann endlich wieder. Sie musste jedoch gleich wieder los, um Oma den Vertikutierer zu bringen, und so blieben mir nur wenige Augenblicke um mich mit ihr zu unterhalten. Wir redeten kurz über unsere Tage, ich erzählte Sachen aus der Schule, Mama von ihrer Arbeit, schließlich gab sie mir einen Kuss auf die Stirn und sagte mir, ich solle schon mal ins Bett gehen. Ich verabschiedete mich von ihr, dann ging ich hoch ins Badezimmer. Während ich mir gerade die Zähne putzte hörte ich plötzlich ein Poltern aus meinem Zimmer. Noch mit der Zahnbürste im Mund und dem Wasserbecher in der Hand ging ich hin um nachzusehen. Ich dachte gerade noch daran, wann Conny mir nun die seit zwei Tagen versprochene SMS schicken würde, doch nachdem ich die Tür öffnete war mein Kopf wie leer gefegt. Mich interessierte auch nicht die Zahnbürste, die, noch immer voller Zahnpasta, aus meinem offenen Mund fiel, oder der Wasserbecher, der seinen Inhalt mittlerweile auf dem blauen Teppich verteilte. Ich konnte mich einfach nicht von der bizarren Erscheinung abwenden, die sich mir bot. Vor mir, in meinem Zimmer, über meinen Schreibtisch gebeugt und in einen regelrechten Nebel aus Federn gehüllt, stand ein Engel.
vor kurzem habe ich mein erstes größeres Werk vollendet, und suche nun nach konstruktiver Kritik dazu! Also möchte ich euch bitten, euch meine Geschichte durchzulesen und mir zu schreiben, was euch gefallen hat und was nicht, und warum. Das würde mir sehr helfen.
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-Kapitel 1-
Ich erwachte, wie jeden morgen, vom monotonen Piepsen des Weckers und mit einem flauen Gefühl im Bauch. Nachdem ich mich aus dem Bett gequält hatte und beinahe über meine Gitarre gestolpert wäre wankte ich, immer noch schlaftrunken, die Treppen herunter ins Wohnzimmer, und sah, dass meine Mutter mir bereits Kleidung über einen der Stühle gehängt hatte, die um unseren ovalen Esstisch standen, so, wie jeden morgen, bevor sie zur Arbeit fuhr. Es war nichts Besonderes: ein schwarzer Pullover, schlichte blaue Jeans und ein paar schwarze Socken. Ich zog mich an, dann ging ich wieder nach oben, um meine Schultasche zu packen.
Das übliche: Mathe, Deutsch, Kunst und Chemie. Ich steckte noch das Buch ein, welches ich gerade las, als leichte Lektüre für die Pausen. Auf dem weg nach draußen stolperte ich erneut über meine Gitarre, danach zog ich mir meine Schuhe an, ging um das Haus herum in unseren Garten, holte mein Fahrrad und begab mich auf den allmorgendlichen Weg zum Schulgebäude.
Der Morgen war wolkenverhangen. Nur hier und da brach ein vereinzelter Lichtstrahl durch die dichte Wolkendecke, und die Luft stank nach den Abgasen der Autos, die über die Hauptstraße fuhren. Während die Häuserfronten an mir vorüber wirbelten grübelte ich angestrengt darüber nach, was ich Conny sagen würde, wenn wir uns (natürlich rein zufällig) auf dem Gang treffen sollten. Wir waren schon seit mindestens einem Monat verabredet, aber jedes Mal hatte sie einen Grund gefunden, den Termin zu verschieben. Außerdem bangte mir schon vor dem, was mir in Chemie blühen würde. Aufmerksam, wie ich nun mal war, hatte ich vergessen, die Hausaufgaben zu machen, und zerbrach mir nun den Kopf darüber, in welcher Pause ich genug Zeit hätte, diese noch nachzuholen. Eventuell konnte ich mir die Mappe ja von Timo leihen und dann… Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, denn als ich gerade an einer besonders scharfen Kurve abbiegen wollte, wurde ich plötzlich von etwas gestreift, das ich nur als ocker-braunen Blitz ausmachen konnte, welcher mir gleichzeitig ein Pedal abriss und mir ein paar Schrammen auf den linken Arm verpasste. Angestrengt kämpfte ich um mein Gleichgewicht, sodass ich mir weder das Kennzeichen noch die Marke des rüpelhaften Rasers merken konnte. Nachdem ich meine Balance wieder hatte war das Fahrzeug bereits verschwunden. Dämliche Raser, dachte ich, während ich in das verbliebene Pedal trat um ja noch rechtzeitig zu Mathe zu kommen.
Es war tödlich langweilig.
Wir nahmen gerade das Thema „Geometrie“ durch und bekamen dazu tonnenweise Arbeitsblätter. Nachdem ich mich halbwegs erfolgreich durch die ersten 2 Stunden gekämpft hatte kam Marco an meinen Tisch. Er trug ein hellgraues T-Shirt und dunkelblaue Jeans, von deren Seite eine kleine Metallkette baumelte, welche wiederum mit seinem Portemonnaie verbunden war. Außerdem trug er eine Brille. Er schielte ziemlich, sodass man sich nie sicher sein konnte, mit wem er eigentlich gerade sprach. Timo nannte das gern den „Hausfrauenblick“, woraufhin er sich meistens eine von Marco fing. „Hey, Chris“, sagte er, an mich gewandt. „Hast du schon die Hausaufgaben für Chemie gemacht?“ Ich seufzte. „Nee, muss ich noch machen.“ Ich ließ den Kopf auf den kleinen Holztisch sinken, an dem ich saß. „Wenn ich ehrlich bin, hab` ich wirklich keine Lust `drauf.“ Marco zuckte mit den Schultern. „Du weißt doch wie Rainer drauf ist. Und du brauchst die Note.“ Rainer Vogele war unser Chemielehrer, und nicht gerade für seine Nachsicht oder Freundlichkeit bekannt. Und ja, ich brauchte die Note wirklich dringend. „Na dann“, seufzte ich resignierend, erhob mich gemächlich von dem unbequemen Schüler-Einheits-Holzstuhl und begab mich in ruhigere Gefilde des Schulgebäudes.
Gedankenlos wanderte ich durch den leeren Flur. Zu meiner linken fielen die wenigen Sonnenstrahlen, die die leider immer noch sehr dichte Wolkendecke durchbrachen, schwach herein, rechts wechselten sich mehr oder minder gute Schülerzeichnungen mit weissen Klassenraumtüren ab, hinter denen der übliche Mix aus Gebrüll, viel zu lauter Handy-Elektromusik und Gelächter hervordrang.
Ich war auf dem weg zur schuleigenen Bibliothek, die zwar wegen Renovierungen geschlossen, aber auch nicht mein eigentliches Ziel war. Das waren nämlich Conny, Renate und Anke, die sich immer davor trafen. Ich verstand mich mit den Dreien ziemlich gut, und wollte nun endlich mal mit Conny ins Kino gehen, weshalb ich sie nun noch einmal darauf ansprechen wollte. Zu meinem Leidwesen trafen sich aber nicht Conny, Renate und Anke dort, sondern nur die beiden Hausmeister, die einen Wasserschaden an der Heizung reparieren mussten, und mich deshalb sofort wieder wegschickten. Enttäuscht nahm ich mein Buch von Erik Eisbein aus der Tasche, setzte mich auf eine einsame Heizung und las bis zum Ende der Pause. Die nächsten drei Stunden liefen ähnlich ab wie Mathe. Nur Kunst machte Spaß, aber das war`s auch schon. In der großen Pause machte ich mich erneut auf die Suche nach Conny und ihren Freundinnen und fand sie sogar. Sie saßen vor der Mensa und unterhielten sich. Ich ging auf sie zu.
Da saß sie. Sie trug ein schlichtes, hellrotes Top, dazu eine beige Jacke, dunkelblaue Jeans und beige Schuhe. „Äh, Chris?“ Ihr honig-blondes Haar umspielte sanft ihre Wangen und hob die Ebenmäßigkeit ihrer Haut noch weiter hervor als es ihr warmes Lächeln ohnehin schon tat. „Was hat er denn?“ Sie roch wie immer ein wenig nach Zimt und einem Hauch von Vanille. Ihre haselnussbraunen Augen funkelten im schwachen Sonnenlicht umso stärker und ihre sanften, rötlichen Lippen… „Hey, Chris!“ Erschrocken fuhr ich aus meinen Tagträumen hoch, und erkannte, dass ich sie dabei die ganze Zeit angestarrt hatte. Ich konnte fühlen, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Ich musste aussehen wie eine reife Tomate oder ein heißes Thermometer. „Vielleicht ist er ja zur Salzsäule erstarrt“, feixte Anke und lachte, als Einzige, wohlgemerkt, über ihren eigenen Witz. Conny stand auf und kam auf mich zu. „Alles klar?“, fragte sie, und in ihren Augen spiegelte sich ein Fünkchen von Sorge. „Ja, ja. Ich hatte nur gerade an… Chemie gedacht.“ Am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt. Das war wohl eine der schlechtesten Lügen in der Geschichte der Schule. Aber ich fasste mich wieder und bemühte mich um ein selbstsichereres Auftreten, was aber nur teilweise gelang. „Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob dein Terminkalender für dieses Wochenende nicht auch schon zu voll ist.“, sagte ich. Sie sah mich kurz an, kratzte sich am Kopf und sagte dann: „Da muss ich Zuhause nachschauen.“ Dann lächelte sie. „Ich schreib dir dann eine SMS. Bis später.“ Damit standen auch Anke und Renate auf, bogen um eine Ecke, und ein paar Sekunden später waren die drei verschwunden. Ich seufzte tief, ließ mich auf eine nahe Heizung sinken, kramte den Eisbein-Roman hervor und verbrachte den Rest der Pause mit Lesen.
Der Schock kam, als Herr Vogele in Chemie fragte „Und Christian, wie steht`s mit den Hausaufgaben?“ Siedend heiß fiel mir ein, dass ich vergessen hatte die Hausaufgaben in Chemie nachzuholen. „Also wissen sie, Herr Vogele, dass war so…“, begann ich zu stottern, doch Vogele unterbrach mich, holte sein kleines Heft heraus und kritzelte etwas hinein. Ich konnte die Bewegung nicht deuten, doch es sah scharf nach einem Kringel mir einem Bogen daran aus. Und das gefiel mir nicht. „Ach Christian“, seufzte er. „Was mache ich nur mit dir?“ Im laufe der Doppelstunde konnte ich dann doch noch einen Tag herausreden, indem ich ihm versprach, die Aufgaben am nächsten Tag in sein Lehrerfach legen zu lassen.
Ich war unglaublich erleichtert, als sich der Schultag dem Ende zuneigte, und ich endlich durch das zweitürige Hauptportal der Schule hinaus in die schöne Freiheit schreiten konnte, selbst wenn diese nur allzu kurz war. Ich machte mich sogleich auf den Weg zum örtlichen Fußballstadion, welches direkt gegenüber der Schule lag und einer ortsansässigen Gurkentruppe gehörte, die mehr Schulden als Fans hatte. Auf dem Weg zu meinem Fahrrad ging ich den Rest des Tages gedanklich noch einmal durch, welcher wohl nur noch aus Youtube, einer Flasche Cola und zwei Klappstullen bestehen würde. Ich hätte mir nicht mehr wünschen können. Doch noch bevor ich vollends in Träume über den bevorstehenden Abend versinken konnte traf mich etwas so heftig am Hinterkopf, dass ich stolperte und um ein Haar hingefallen wäre. Das ganze wurde begleitet vom höhnischen Gelächter der umstehenden. Ich rieb mir den schmerzenden Schädel, und brauchte einige Sekunden, bis meine Augen wieder normal funktionierten. Ich blinzelte den Schleier aus Tränen weg, der sich vor meine Pupillen geschoben hatte und wandte mich um, in der Hoffnung, wenigstens noch einen Blick auf meinen Peiniger zu erhaschen. Doch ich konnte niemanden entdecken. Das einzige was mir auffiel war ein kleiner roter Ball, der einige Meter von mir entfernt auf dem Boden lag. Als ich näher kam sah ich, dass es sich nicht um einen Ball, sondern um einen Apfel handelte. Typisch ich, dachte ich, und grinste. Es war nicht das erste Mal, dass so etwas passierte und es würde weiß Gott nicht das letzte Mal gewesen sein. Doch irgendetwas störte mich an dem Apfel, ich kam nur nicht auf die Lösung. Ich sah mich aufmerksam um, und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich sah hoch. Genau wie ich`s mir dachte. Die Bäume rings um das Stadion waren allesamt Buchen. Es gab hier nirgendwo Apfelbäume. „Seltsam.“ Ich kratze mich am Kopf ob des seltsamen Apfels. Als ich ihn in die Hand nahm war mir die Lösung jedoch schlagartig klar. Hatte ich es nicht schon vorher gewusst, so fiel es mir spätestens ein als ich die Bissspur sah. Jemand hatte den Apfel auf der einen Seite beinahe bis zum Gehäuse zerbissen. Und dieser jemand musste den Apfel geworfen haben. Leider war auch das nicht zum ersten (und letzten) Mal passiert. Diesmal reichte es gerade für ein trauriges Verziehen der Lippen, das eher wie eine verzerrte Karikatur eines Lächelns wirkte. Ich lieβ den Apfel fallen, löste das Schloss meines Fahrrads, stieg auf den Sattel und fuhr davon. Leider konnte ich so nicht mehr sehen, wie sich kurz danach eine kleine, beigefarbene Feder langsam auf den Apfel herabsenkte.
Das nervtötende Geräusch des Weckers riss mich aus meinem leichten Schlaf. Meine Augen waren noch verklebt, und ich total verschlafen. Ich blinzelte ein paar Mal, und nachdem ich meine Augen wieder normal öffnen konnte setzte ich mich auf. Ich rieb mir die, trotz allem immer noch, müden Augen, reckte mich genüsslich und gähnte herzhaft, dann betrachtete ich die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch die halb offenen Fensterläden meines Zimmers schimmerten. Der Anblick hatte etwas unwirkliches, wie aus einem Film. Tänzelnde Boten aus fernen Ländern die so viel von der Welt erzählen konnten, doch niemanden hatten, mit dem sie ihr Wissen teilen konnten. Für einen kurzen Augenblick wünschte ich mir, ich wäre dieser eine Jemand, dem die Lichtstrahlen ihre Geheimnisse anvertrauen konnten, und der diese stärker beschützen würde als alles andere auf der Welt, ein Held in strahlendem Gewand, der genau zur rechten Zeit auftauchte, und die Welt von allem Unheil und allen Schmerzen erlösen konnte. Doch der Moment verging, und mit ihm auch der Gedanke. Mühsam riss ich mich von dem Anblick los und machte mich gemächlich auf den Weg ins Bad, wobei ich penibel darauf achtete, nicht wieder gegen die Gitarre zu laufen, um meine Morgentoilette zu verrichten.
Schwer stützte ich mich auf das antiquierte Waschbecken, das vermutlich genau so alt war wie das Haus selbst, und betrachtete mein Konterfei im Spiegel. Es war kein besonders schöner Anblick. Nicht, dass es das jemals gewesen war. Ich war immer noch nicht richtig wach, und meine Lider hingen halb über meinen dunkelbraunen Augen, und mein dunkelbraunes, fast schwarz anmutendes Haar stand hinten in alle Richtungen ab, vorne fiel es mir jedoch immer wieder ins Gesicht, sodass ich die ganze Zeit damit beschäftigt war, mir die Strähnen aus dem Gesicht zu wischen. Zum Wachwerden spritzte ich mir etwas Wasser ins Gesicht, dann putzte ich mir schnell die Zähne. Danach schnitt ich noch ein paar Grimassen, zog mich an, sammelte die in meinem Zimmer verstreuten Schulsachen zusammen, die ich an dem Tag brauchte, hastete die Treppen herunter ins Wohnzimmer, wobei ich fast auf eine von unseren Katzen trat, die sich gerade auf der untersten Treppenstufe räkelte, sprang in meine Schuhe, rannte ums Haus und fuhr mit quietschenden Reifen einem neuen, aufregenden… na, zumindest neuen Schultag entgegen.
Die Fahrt wurde ein Trip durch die Hölle.
Kurz nachdem ich unsere Häuserfront verlassen hatte peitschte mir der Wind eine Böe nach der anderen ins Gesicht, und ich hatte das Gefühl, dass dieses langsam aber sicher um meinen Kopf herum gezogen wurde – in beide Richtungen gleichzeitig. Ich kämpfte gegen die höllischen Winde so gut ich konnte, doch hatte ich trotzdem das Gefühl, auf der Stelle zu fahren. Und ganz egal, in welche Richtung ich auch abbog, der Wind kam scheinbar immer von vorne. Immer. Kurz darauf passierte ich eine weitere Häuserschlucht, und atmete erleichtert auf, als ich merkte, dass hier der Wind nicht so stark eindrang. Doch die Freude hielt nur kurz, denn mit einem Mal platsche mir ein kleiner Tropfen auf die Nase, und keine drei Sekunden später schüttete es wie aus Kübeln. Als ich schlieβlich an der Schule ankam war ich durchnässt, mein Haar war zerzaust und meine Kniescheiben taten so weh, als wollten sie jeden
Moment herausspringen. „Na super“, sagte ich zu mir selbst. „Der Tag kann nur gut werden.“
Überraschenderweise wurde der Tag dann doch nicht so schlimm wie angenommen, und auch der Rückweg verlief viel einfacher als noch am Morgen. Die Wolken hatten sich teilweise verzogen und gaben nun den einen oder anderen Blick auf einen saphirblauen Himmel frei. Ich sah sogar einen Schwarm Vögel über die Wolkendecke fliegen. Nachdem ich Zuhause mein Fahrrad an die Hauswand gelehnt und mich im Wohnzimmer auf die Couch geworfen hatte schwor ich mir, mich für den Rest des Tages nicht mehr zu rühren. Ich konnte das auch ganze fünf Minuten durchhalten, dann klingelte das Telefon. „Hallo, Spatz!“, meldete sich die Stimme meiner Mutter. „Hi, Mom.“ „Du, hör mal“, begann sie. Sie klang gehetzt. Kein Wunder, auf Mamas Arbeit war das Telefonieren während der Arbeitszeit verboten. „Könntest du eventuell gleich mal nach dem Vertikutierer sehen? Ich wollte ihn nachher bei Oma vorbei bringen. Machst du das?“ „Klar“, antwortete ich. „Super.“, sagte sie und machte ein Kussgeräusch durchs Telefon. „Wir sehen uns dann später. Tschüss!“ „Ciao.“, sagte ich und beendete das Gespräch. Ich seufzte einmal tief, dann erhob ich mich wieder vom bequemen Sofa, stieg erneut in meine Schuhe und ging ums Haus herum zum Schuppen.
Auch wenn ich mir beim Waschbecken nicht sicher war, dieser Schuppen war definitiv, wenn nicht sogar noch älter als das Haus. Ich löste das verrostete Schloss von der Tür, zog sie auf und trat hinein. Sofort umfing mich ein Geruch nach trockenem Gras, alter Erde und toten Asseln. Ich musste mich durch den ganzen Schuppen wühlen, bevor ich zum Vertikutierer kam. Kurz nachdem ich ihn umständlich aus dem Schuppen heraus gefummelt hatte, stach mir ein Lichtreflex in die Ränder meines Sichtfeldes. Ich schob mich erneut in den dunklen Schuppen und fand tatsächlich etwas: In der hintersten Ecke des Schuppens lag ein kleiner Schlüssel, an dessen Ring ein rotes, mit falschen Edelsteinen besetztes Herz an einem Band baumelte. Ich hob ihn auf, drehte ihn ein paar Mal in meiner Hand und betrachtete ihn. Der Schlüssel sah aus wie ein Werkzeug, mit dem man Schrauben drehen konnte; Er war kurz, ungefähr die Hälfte meines Daumens, das Ende war geformt wie ein Würfel, hatte eine Öffnung und war innen hohl. Der Herzanhänger funkelte in allen Farben, vornehmlich rot und drehte sich dauernd um seinen eigene Achse. Ich betrachtete das seltsame Stück noch einige Sekunden lang, dann zuckte ich mit den Schultern und steckte den Schlüssel kurzerhand ein. Vielleicht wusste Mama ja, was es war.
Ich verbrachte den restlichen Nachmittag mit dem Vertikutierer, der auf Herz und Nieren geprüft wurde, und, so gut das ein Laie wie ich eben beurteilen konnte, keine Fehlfunktionen aufwies. Zumindest den Rest des Abends wollte ich mir nicht nehmen lassen, und so machte ich es mir vor dem PC bequem und verbrachte einige Stunden mit herzhaftem Gelächter, Fremdschämen und Toast.
Um zehn Uhr kam Mama dann endlich wieder. Sie musste jedoch gleich wieder los, um Oma den Vertikutierer zu bringen, und so blieben mir nur wenige Augenblicke um mich mit ihr zu unterhalten. Wir redeten kurz über unsere Tage, ich erzählte Sachen aus der Schule, Mama von ihrer Arbeit, schließlich gab sie mir einen Kuss auf die Stirn und sagte mir, ich solle schon mal ins Bett gehen. Ich verabschiedete mich von ihr, dann ging ich hoch ins Badezimmer. Während ich mir gerade die Zähne putzte hörte ich plötzlich ein Poltern aus meinem Zimmer. Noch mit der Zahnbürste im Mund und dem Wasserbecher in der Hand ging ich hin um nachzusehen. Ich dachte gerade noch daran, wann Conny mir nun die seit zwei Tagen versprochene SMS schicken würde, doch nachdem ich die Tür öffnete war mein Kopf wie leer gefegt. Mich interessierte auch nicht die Zahnbürste, die, noch immer voller Zahnpasta, aus meinem offenen Mund fiel, oder der Wasserbecher, der seinen Inhalt mittlerweile auf dem blauen Teppich verteilte. Ich konnte mich einfach nicht von der bizarren Erscheinung abwenden, die sich mir bot. Vor mir, in meinem Zimmer, über meinen Schreibtisch gebeugt und in einen regelrechten Nebel aus Federn gehüllt, stand ein Engel.