Sommersonate

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Hallo Maren,
ganz kann ich mich deinen Argumenten nicht verschließen, doch ich hatte bei dem Gedicht ein so ungutes Gefühl, dass ich mich ärgerte, es gelesen zu haben. Da ich aber alle Gedichte von Walther lese, ließ sich das leider nicht vermeiden. Wer ahnt denn auch,dass bei einem so schönen Titel ''Sommersonate'' so etwas auf einen zukommt.
LG
Marie-Luise


@Jotes

So kenne ich dich. Fährst schwere Geschütze auf. Doch ich gewähre dir Narrenfreiheit.
 

R. Herder

Mitglied
Mir schwant bei sowas stets die Ahnung von Anmaßung.

Zwischen der tatsächlichen Tat, dem gewaltsamen Akt, und der Verschriftlichung dieses Aktes durch einen Dritten scheint ein Bruch zu entstehen, der ein blödes Gefühl in mir hinterlässt. A priori ist also der reine Versuch schon etwas Seltsames. Hat je ein Pädophiler (sei er aktiv oder nicht) über seine Neigung gedichtet? Bestimmt. Liest es sich so? Vermutlich nicht. Denn spätestens in der letzten Zeile der vorletzten Strophe spricht nicht mehr der Handelnde, sondern die nicht unaufdringliche Vorstellung eines Fremden von den Gedanken des Handelnden. Gratwanderung. Mir wäre der Text schon lieber, wenn am Ende nicht der Holzhammer stünde. Verse wie "Ich halt sie fest in meinem Arm, / Ganz fest, sie darf nicht fliegen" halte ich für deutlich gelungener, weil, nun ja, subtiler.

Ich hoffe es wurd halbwegs deutlich, was ich meinte.


Grüße,
René.
 

Walther

Mitglied
Hm, René,

wo ist da die "Anmaßung"? Ich habe Dich nicht verstanden, ehrlich gesagt. Vielleicht könntest Du etwas deutlicher werden.

Danke Dir.

Gruß W.
 
S

Spaetschreiber

Gast
Da habe ich mal einen Moment Zeit für die Lupe und du haust mir so eine Geschichte in den Magen.

Grausig schön Walter!!!

LG
Tom
 

Franzi

Mitglied
@ lapis:
warum habt ihr meinen langen Kommentar zu Walthers Sonate gelöscht? Stand etwas Gefährdendes darin?
Franzi
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Franzi, hier wird doch nicht gelöscht, höchstens "ausgeblendet".
Stands denn zwischenzeitlich mal drin?
 

Franzi

Mitglied
@ StaTor:
Ich bilde mir fest ein, ja. Aber vielleicht hatte ich auch den falschen Knopf gedrückt. Hatte nur großräumig angemerkt, dass ich die ganze Aufregung über den Inhalt nicht nachvollziehen kann, da wir tagtäglich mit Ähnlichem in den Medien konfrontiert werden und da ja auch keinem mehr das Kotzen kommt, und dass Kunst auch einen gesellschaftlichen ggfs. politischen Auftrag hat, und dass hier bei dem Text eben eine sehr gelungene Diskrepanz zwischen einer romantisch-konventionellen äußeren Form und einem eher erschreckenden Inhalt zu einer Einheit verschmilzt, und dass mir solche Texte lieber sind els jene, die nur von blauen Lüften und von Vögeln (von Vögeln) in Bäumen handeln (sorry, Walther), ja usw. usf. Das hatte ich alles ziemlich ausführlich geschrieben, und weg ist es, vielleicht, weil es nie da war, wer weiß ...
LG, Franzi
 

R. Herder

Mitglied
wo ist da die "Anmaßung"? Ich habe Dich nicht verstanden, ehrlich gesagt. Vielleicht könntest Du etwas deutlicher werden.

Du schreibst aus einer maskierten Perspektive heraus. Die Stimme eines Schreibenden ist, was im Text offenbar wird. Nicht aber die behauptete Sprache eines Handelnden - eines Pädophilen. Dabei geht es mir nicht um das Thema an und für sich. Natürlich handelt es sich auch bei pädophilen Neigungen um erotische, freilich einseitige. Es ist also kaum provokant, wenn du als Stilmittel Seicht- und Zartheit von Sommer, Sonate und ähnlichem verwendest. Aber, im Zusammenschluss mit dem superschwelligen Bruch am Ende des Gedichtes, scheint dies alles zu sein, was dir eingefallen ist - so empfinde ich, als einer von vielen Lesern. Nicht, dass es hier um Einfälle und Ideen ginge. Aber doch um Arbeit: nämlich diejenige, die nicht den moralinschweren Beigeschmack lehrhafter amerikanischer Talkshows trägt. Die erkennen und verstehen will, wobei ich das können mal ganz außen vor lasse. Es ist anmaßend, aus einer Sichtweise heraus zu schreiben, die nicht verstanden ist. Und wie auch? Schon zwischen Normalneurotischen entstehen unversehens Missverständnisse, sobald ein Begriff, eine Tat, eine Gestik nicht recht eingeordnet werden kann. Und du möchtest dich in die Lage eines Kindsmörders versetzen? Eben nicht. Du bist und bleibst deine Stimme, du willst, während du lyrisch "Ich" sagst und den Pädophilen meinst, eigentlich nur beschreiben, was in deiner Vorstellung besteht (wiederum mein, aus dem Text geborener, Eindruck als einer von vielen Lesern: du magst mir ebenso Anmaßung vorwerfen). Der Text ist ideologisch geprägt. Mir scheint er wie eine - wenngleich durch ehrbare Motive entstandene - Verzerrung von Wahrheit und Wirklichkeit. Spontan fallen mir Littells "Wohlgesinnte" ein, die ein ähnliches, auch vielfach kritisiertes Problem hatten: ein Dritter gibt einem Täter Gesicht und Stimme. Dein Gedicht und Littells Roman unterscheiden sich meines Erachtens durch den oben erwähnten langen Prozess der Arbeit. Am Ende frage ich mich: warum genau wurde dieses Gedicht geschrieben? Und mir drängt sich der Verdacht auf: wegen des Twists am Ende. Das ist vermutlich nicht der Fall. Aber es hinterlässt einen faden Beigeschmack.

Ich hoffe, meine Meinung wurde jetzt ein bisschen deutlicher.


Grüße,
René.
 

Justina

Mitglied
Ich finde ich das Gedicht erschütternd und sehr gut.

Doch die Darstellung des Opfers orientiert sich leider zu sehr am Klischee der Lolita-Erscheinung. Auch wenn es explizit nicht benannt wird, denke ich bei Deiner Beschreibung des Kindes doch zu sehr an den filigranen, anmutigen Mädchenkörper (der eben zur Scheuche nicht taugt). Und ich denke an ein selbstbewusstes Mädchen, das seine Feinheit und Mädchenhaftigkeit unterstreicht: viel Rosarot, viel Glimmer, viel Röckchenflattern. Ein Mädchen eben, das alle schnuckelig und süß finden.

Die Opfer pädophiler Straftäter sind aber häufig unscheinbare, schüchterne, wenig selbstbewusste Mädchen (und Jungen), die wenig behütet sind und nicht unbedingt dem Ideal des niedlichen Kindes entsprechen. Das sind die wahrhaft leichten Opfer!

Der Blick auf die Psyche und die Gedanken des Täters ist für mich daher nicht ganz so gut getroffen. Das Opfer reizt eben nicht vornehmlich wegen des anmutig in Szene gesetzen Kinderkörpers und der süßen Unschuld, sondern wegen seiner Machtlosigkeit, Hilflosigkeit und Verfügbarkeit.
 

Inu

Mitglied
Hallo Walther.

Mein erster Eindruck vom Inhalt Deines Gedichts:

Sommer. Der Wind und - als sein Objekt der Begierde - auf dem Feld eine mit bunten Lumpenkleidern umhüllte, flatternde Vogelscheuche ... mit der er ... spielt.

Bei den letzten 2 oder 3 Strophen war ich mir dann nicht mehr so sicher ... ob das Lyri nicht doch von menschlich/ männlicher Gewalt und einem Kind spricht... blieb aber bei meinem ersten Eindruck und glaubte ... Nein.
Als ziemlich originelle und gut gemachte Parodie auf die sonst lupenbekannte Triebtäter/Lyrik sah ich das zuerst an.

Bis ich die vielen Kommentare las. Jetzt bin ich verunsichert


LG
Inu
 

Walther

Mitglied
Hi René,

(1) Es handelt sich nicht um einen Pädophilen. Wie Du darauf kommst, kann ich mir nicht erschließen.

(2) Es ist die Sichtweise des Vergewaltigers. Durch dessen Augen wird die Szene "gedreht". Ich habe einen Film in ein Gedicht gepackt, in eine Form, die man heute kaum mehr verwendet.

(3) Das Gift ist bereits in der ersten Strophe. Das Wort "Scheuche" zeigt an, was kommen wird.

Hier findet nirgends eine Anmaßung statt.

Nachdem ich der Autor bin, kann ich selbst schlecht bewerten, ob das ein gutes oder ein schlechtes Gedicht ist. Eines aber kann ich aus den Debatten erkennen. Die Provokation, die ich damit auslösen wollte, ist gelungen.

Ich will zugeben, daß ich meine eigenen Ängste mit meinen Töchtern hier verarbeitet habe. Als Mensch mit gewissen empathischen Fähigkeit, die starke Beschäftigung mit der Kunst setzt diese voraus, habe ich mich in die Sicht des Täters hineinversetzt, ohne ihn damit zu rechtfertigen.

Lyrik ist aus der Kunstform heraus kurz und zugespitzt. Evtl. sollte man sie für dieses Thema deshalb gar nicht einsetzen. Auch das mag als Ergebnis dieses Diskurses bei mir haften bleiben.

Hi Justina!

Wie ich sagte, handelt es sich nicht um einen Pädophilen. Es geht nicht um Kinder. Es geht um junge Mädchen in und nach der Pubertät. Aber danke für Lob und Kritik.

Hallo Inu,

ich muß Dich enttäuschen - es ist keine wirkliche Parodie. Nun ist das Nachfüllen eines Dritten immer problematisch und nie perfekt, besonders aber in der Lyrik immer überzeichnet und verknappt dargestellt.

Daher darfst Du also ruhig Deine kritische Position beschreiben. Ich habe diese Provokation gepostet und muß daher auch das einstecken, was ich dafür verdient habe.

Frohes Dichten und Werken an alle!

Gruß W.
 

MarenS

Mitglied
Liest man es genau erschließt sich, dass das Mädchen zwar jung aber für den Betrachter nicht mehr Kind ist (Das Gesetz hat das Kindesalter bis einschließlich 14 Lebensjahr festgelegt). Sie ist entwickelt, es ist von Formen die Rede, die ihn anziehen, es mag gesetzlich grenzwertig sein aber von einem Pädophilen in dem Sinne ist nicht die Rede.
Nach wie vor ist dies Gedicht für mich ein guter und mutiger Schritt, sich mit dem Thema Vergewaltigung auseinanderzusetzen.
Dass es eventuell anwidert? Schlimm, wenn nicht.

Grüße von Maren
 

Inu

Mitglied
Hallo Walther

Ja, 'Parodie' ist das ganz falsche Wort. In der Nacht ist mir nichts besseres eingefallen. Ich sage mal: es schien mir Dein eigenartiger Versuch, Deine Antwort auf andere Vergewaltigungs- und Gewaltgedichte.

ich kann mir nicht helfen, ich sah beim Lesen kein Mädchen ( und schon gar kein Kind ) vor mir, sondern eine lumpenbekleidete, weibliche Vogelscheuche deren Kleider sich mit jedem Windhauch lösen, lockern, aufblähen und irgendwie den Anschein des Lebendigen, vielleicht sogar eines Objekts der Begierde vermitteln ...

Also, anscheinend hab ich mich doch mit meinen Gedanken verirrt ...

LG
Inu
 

Hieronymus

Mitglied
Metrum und Reimschema sind in der "Sommersonate" sind genau die aus Theodor Storms Gedicht "Die Nachtigall". Sie haben sich zur Darstellung einer sommerlichen Stimmung sozusagen schon bewährt. Das Problem bei so schönen Reimen ist, dass sie ihren Gegenstand ästhetisieren, auch wenn er scheußlich ist. Sie sind sozusagen eine rosa Brille. Das passt zur "Sommersonate", die die Sicht des Täters wiedergibt, für den die Sache ja angenehm ist. Die perfekte Form macht hier erschreckenderweise gemeinsame Sache mit dem Täter.

Ein Gedicht aus der Sicht des Opfers hätte in einer ganz anderen, nicht so perfekten Form geschrieben werden müssen und insofern mehr Arbeit an der Form verlangt. Maren hat diesen Versuch in ihrem Gedicht "Erfahrung mit 13" unternommen. Walthers und Marens Gedichte stellen die stets aktuelle und nicht zu lösende Frage nach der Ästhetisierung der Gewalt. Viele Filme stellen Gewalt ästhetisch perfekt dar und machen sie dadurch für den Zuschauer erst genießbar. Wären sie realistischer oder opferbezogener, wären sie nicht mehr so schön und vielleicht unerträglich. Andererseits sollte Gewalt von der Kunst nicht verschwiegen werden.

Wie gesagt, ein unlösbares Problem, zu dem jedes Kunstwerk, das sich mit Gewalt auseinandersetzt, eine eigene Position bezieht.
 

MarenS

Mitglied
Maren entschuldigt sich schon einmal vorweg bei eventuellen Lesern ihres Gedichtes. Es ist geschrieben mit den Worten und in der Art, die ich wohl benutzt hätte, hätte ich gleich geschrieben.

Maren
 

Walther

Mitglied
Hallo René,

ich kenne mich mit Pädophilen ehrlich gesagt nicht aus, daher muß ich das so stehen lassen. Allerdings sieht das bisher nur ein geringer Teil der Leser so, aber was soll's. Ich bin eine Gratwanderung gegangen und konnte abstürzen, das habe ich billigend in Kauf genommen.

Wobei ich klar sage: Die Steigerung von Vergewaltigung, wenn es das überhaupt gibt, ist die Pädophilie. Das aber hatte ich nicht im Fokus.

Danke für Deine Hinweise.

Gruß W.
 

Walther

Mitglied
Hallo Hieronymus,

das ist in der Tat eine Form, die auch Theodor Storm verwandt hat (davor aber bereits Goethe und Eichendorff, wenn ich mich richig erinnere).
Die perfekte Form macht hier erschreckenderweise gemeinsame Sache mit dem Täter.
Ja, das tut sie, weil so die Provokation, das Erschrecken, am besten zur Geltung kommt. So war jedenfalls der Plan.

Dieser ist in einer vielfach erstaunlichen Art aufgegangen. Kurz: Ich bin jetzt selbst über die Wirkung etwas von den Socken.

Aber das habe ich in Kauf genommen und muß die Streiche in der gebotenen Bescheidenheit dafür einstecken, um daraus zu lernen.

Gruß W.
 



 
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