Subito piano (Vierzeiler) (gelöscht)

presque_rien

Mitglied
Liebe PW & Vera-Lena,

vielen Dank für eure Kommentare! Ich freue mich sehr, dass diese vier Zeilen so kontrovers diekutiert werden! Meine Intuition, dass der Interpretationsrahmen hier ziemlich weit gesteckt ist, war also richtig :).

Meine Interpretation des Vierzeilers deckt sich zum Teil, aber nicht ganz mit euren. PW hat insofern Recht, als dass es mir hier nicht primär um einen Konflikt zwischen dem Lyri und seiner Umwelt geht; mir geht es um einen inneren Konflikt des Lyri (der aber natürlich auch mit der Umwelt zu tun hat). Aber Vera-Lena hat insofern Recht, dass für mich hier so etwas wie Begabung eine bestimmte Rolle spielt.

Meine Interpretation liegt also irgendwo zwischen euren, aber ich finde eure auch in sich schlüssig. Ein Text ist m. E. dann am besten, wenn er für jeden Interpretierenden im Kontext der Voraussetzungen, die er selbst mitbringt, sich auf eine besondere und schlüssige Art und Weise entfaltet.

Ich beanspruche natürlich auch keine Interpretationshoheit für meine eigene Deutung, aber ich wollte folgendes ausdrücken: Wenn jemand sich erst entwickelt (= als Kind), aber dabei schon sein mögliches Potential (= seine Noten) erkennt, kann das sehr einschüchternd sein. Weil derjenige dann weiß, was die Möglichkeiten sind, und Angst hat, nicht an diese Ideale heranzukommen, etwas falsch zu machen, nicht den Erwartungen, die er selbst an sich stellt, zu entsprechen. Und den einzigen Ausweg, den derjenige dann sieht, ist ein gänzliches oder weitgehendes Verstummen: Man kann keinen Ton verfehlen, wenn man nicht mehr singt. Man macht also lieber gar nichts mehr, bevor man etwas falsch macht. Man verschenkt lieber selbstbestimmt sein Potential, als mit dem Druck zu leben, aus Potentialität auch Aktualität machen zu müssen. Aber tief im Inneren weiß man immer noch, dass die Erfüllung des Potentials das ist, was mein eigentlich am allermeisten will; der innere Konflikt findet also letztendlich zwischen Wunsch und Angst vor dem Versagen vor dem Wunsch statt.

Nochmals danke für die Diskussion, zur dritten Zeile schreibe ich gleich noch etwas..

Lg presque
 

presque_rien

Mitglied
Hallo PW,

schöne Textkritik :). Ich habe ja nie bezweifelt, dass du das kannst. Ich finde es nur schade, dass du so etwas nicht öfter machst, anstatt deine Energie darauf zu verschwenden, über andere Lupaner und die Lupe an sich herzuziehen ;). Was mir bei deiner Kritik aber fehlt, ist der persönliche Aspekt: Aus deinem Kommentar an und für sich wird nicht deutlich, ob dir das Gedicht gefällt. Für mich ist das ein entscheidender Aspekt!

Lg presque
 

presque_rien

Mitglied
Hallo an alle,

jetzt nochmal zur schwierigen dritten Zeile. Mir gefällt sie eigentlich, aber wenn so viele dagegen sind, denke ich jetzt über Alternativen nach.

Eins der Probleme ist die Formulierung "unter Toten". Vielleicht wird es so ja klarer (nur als erste Annäherung):

[red]Verfehlt nicht einen Ton, zählt's sich zu Toten.[/red]

oder

[red]Bleibt fehlerfrei, zählt's tonlos zu den Toten.[/red]

oder

[red]singt niemals schief - zählt lieber zu den Toten.[/red]

Auch viktors Lösung kann ich mir jetzt, etwas abgeändert, vorstellen:

[red]Singt leis' vom fremden Blatt im Chor der Toten.[/red]

Oder in etwa so:

[red]wird's kalt vor Angst und altert lieber still,
nur niemals schief. Hat Schweigen sich geboten.[/red]

(Kann man das überhaupt so sagen?)

Naja. Grübel, grübel. Wäre für Kommentare dankbar!

Lg presque
 

presque_rien

Mitglied
@ Maren: Danke für deine Meinung!

@ DC: Darum geht es doch: Der sicherste Weg, keinen Ton zu verfehlen, ist gar nicht mehr zu singen! Nix "scheintot"!
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hi Julia

Gefällt mir alles nicht.

noch eine Stimme mehr, im Chor der Toten

...wäre höchst geradlinig. Ich würde den Text an Deiner Stelle aber einfach so lassen, wie er ist.

Abgesehen davon sind alle Versionen mit " 's " ein klarer Rückschritt.

Gruss

J.
 
O

Outliner

Gast
Ziemlich kurz, dachte ich Anfangs.
Doch dann verfing ich mich in diesen vier Zeilen.
Es ist ein Gedicht, dass hängen bleibt.
Die Metapher ist gut gewählt und eignen sich hier hervorragend zum "Transport" der Aussage.
In seiner Intensität und Essenz fast perfekt.
Metrisch ist es auch sauber.


Alles in allem eine Nominierung wert.
Auch wenn dir nichts daran liegen sollte.


Michael
 

Karneol

Mitglied
presque_rien, ich bin nun mehrfach zu diesem Text gestoßen und finde ihn durchaus verständlich, warum aber überhaupt der Begriff Toten in der 3 Zeile bleiben muss, wenn Du geneigt bist sie zu ändern - bleibt fraglich.

Könnte nicht stattdessen ebenso *Quoten* eingefügt werden, ohne dem Sinn viel zu nehmen? Denn tot ist tot, und reagiert nicht mehr nachsichtig, wahrnehmend oder gar fruchtbar.

[red]Verfehlt nicht einen Ton, zählt stimmlos zu den Quoten. [/red]
Gruß, I. - K. P.
 

Druidencurt

Mitglied
als Kind - seine Noten,
Ton - unter Toten.

--- im weiteren Sinne --> Noten=Töne

zuerst totgeburt ---- dann Scheintot/tontot/mundtot
tot-ist tot---können tote unter toten altern?
zu viele fragen!

und warum nicht so?

Erblickt (m)ein Lied als Kind schon seine Noten,
wird's kalt vor Angst und altert lieber still,
verfehlt nicht einen Ton mehr unter Toten.
Ich fürchte mich vor allem, was ich will.

oder das "Kind" muss raus z.B. BLATT/BILD/WERK/etc.

MfG
DC
 



 
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