Liebe Uschi,
Sepp schaut sich im Fernsehen mit den Kindern und der Oma „Batman“ an. Das reizt mich gar nicht. Wäre es als gute Ehefrau meine Pflicht, dem Rest der Familie Gesellschaft zu leisten? Irgendetwas in meinem Leben läuft völlig verkehrt. Wahrscheinlich ticke ich nicht richtig.
Heute nachmittag rief ich bei meinen Eltern an und wollte mich erkundigen, wie es meiner Mutter geht. Sie hatte die letzten Monate oft Probleme beim Luftholen, es ging ihr teilsweise so schlecht, dass sie glaubte, ihr letztes Stündlein würde nahen. Heute ging es ihr zum Glück einigermaßen.
Wie soll ich Dir nur erzählen, wie mein Empfinden, nicht in Ordnung zu sein, zustande kam? Ich fragte meine Mutter, ob Sepp vergangenen Sonntag noch sehr über mich geschimpft hat. „Nein“, war ihre Antwort. „Aber so wie du dich verhalten hast, hätte ich es nie getan! Du hast zwar gefragt, ob wir etwas dagegen hätten, wenn du in die Kirche gehst. Mir war das auch egal. Aber hättest du nicht Sepp zuliebe darauf verzichten können? Ich steh ja über der Sache, ich werde mich auch auf keine Seite schlagen, mische mich nicht ein. Du schlägst so richtig in die Familie deines Vaters. Ihr denkt nur an euch!“ Das ist ein Teil dessen, was bei mir angekommen und hängen geblieben ist. Es ging aber noch weiter: „Dein Vater hat mir klipp und klar gesagt, dass er geht, wenn ich meine Mutter ins Haus hole. So habe ich jahrelang mit einem schlechten Gewissen gelebt.“
Ich kann mich nur daran erinnern, dass sie oft und viel über die Unselbständigkeit ihrer Mutter geschimpft hat. Als Kind empfand ich das als übertrieben und ungerecht. Nun habe ich meine Schwiegermutter im Haus, die viele Parallelen aufweist. Das, was meiner Mutter früher durch die Aussage meines Vaters erspart blieb, muss ich nun durchmachen.
„Bei uns wäre es nicht gegangen, unsere Wohnung wäre viel zu klein gewesen“, sagt sie heute und hält mir vor, dass ich mich durch meine Arbeit außer Haus beweisen will. „Ich wäre lieber bei meinen Kindern geblieben, aber ich musste schon arbeiten, als du zwei Jahre alt warst. Als ihr größer wart, wollte ich nicht mehr aufhören. Ich habe gut verdient und wollte mir meine Rente sichern. Erst da habe ich mich auch profiliert.“
Ist meine „Profilierung“ denn wirklich so verachtenswert? Ich bin doch wenigstens nachmittags bei den Kindern, was sie auch sichtlich genießen. Ich war als Kind bis abends allein. Ich bemühe mich, es besser zu machen, werde aber ständig angegriffen. Oder fühle ich mich nur angegriffen? Kommt dieser Angriff von innen oder von außen?
„Männer denken anders als Frauen und danach müssen wir uns richten“, sagte mir meine Mutter. Sie fühlt sich unfrei und ärgert sich, dass sie nicht lesen kann, wenn mein Vater fernsieht. Sie beklagt sich, dass sie ins Bett muss, wenn er ins Bett geht. Sie schimpft, dass er sich alle Freiheiten heraus nimmt und sie immer kuschen muss.
Ich habe mir vorgenommen, es anders zu machen, aber das ist entsetzlich schwer. Ist das mein Erbe als Tochter meiner Mutter oder als Frau? In meiner Umgebung ist Individualismus nicht gefragt. Sepp sieht dadurch die Gemeinschaft bedroht. Auch das selbständige Denken bei den Kindern liebt er nicht, sobald es nicht seiner Denkweise entspricht.
Nach dem heutigen Telefonat mit meiner Mutter bemühte ich mich mal wieder um ein Gespräch mit Sepp. Es hagelte aber nur Vorwürfe: „Du hast mein Leben kaputt gemacht! Du hast mir mein Selbstvertrauen genommen! Du meinst, Du bist etwas besseres!“ Auf meine Frage, wie er sich die Zukunft vorstelle, antwortete er: „Nimm Deine Sachen und geh! Du bringst dich doch nicht alleine durch! Aber die Kinder bleiben hier!“
So geht das aber nicht, denn es sind auch meine Kinder. Sie lieben uns beide, sie brauchen uns beide! Warum finden wir keinen Mittelweg? Sepp meint, ich wolle nur meinen Willen durchdrücken. Will ich das wirklich? Bin ich so blind, dass ich es nicht erkennen kann? Er sagt, er sei zu keinem Kompromiss mehr bereit. Ich solle nicht so blöde Bücher lesen. Da wurde es mir aber doch zuviel:
„Warum schaust du dir das Buch „Scheiden vermeiden“ nicht an? Warum hast du dir die „Familienkonferenz“ gekauft und sie sofort weggestellt, als ich freudig dieses Buch begrüßte? Hast du es etwa für mich gekauft?“
„Ich kann es mir leisten, ein Buch zu kaufen und es nicht zu lesen. Ohne deinen Kommentar hätte ich es ja gelesen, aber so interessiert es mich nicht!“
Es schmerzt, vor Dir die schmutzige Wäsche zu waschen. Aber ich weiß nicht mehr weiter. Ich wünsche mir so sehr Frieden! Ich will nicht mehr streiten. Doch sobald ich mich um ein Gespräch bemühe, bekomme ich nur Vorwürfe. Ich weiß ja selbst, dass ich kein Engel bin. Ich weiß, dass ich Fehler habe. Vielleicht ist es wirklich nicht leicht, mit mir zu leben. Aber so ein Teufel, wie er ihn an die Wand malt, bin ich wirklich nicht!
Jedesmal, wenn ich in den Spiegel sehe, erschrecke ich: wie der Tod auf Latschen sehe ich aus. Warum nur machen wir uns das Leben so schwer? Er leidet, ich leide, aber den Weg zueinander finden wir nicht. Meine Mutter schlug vor, mal alte Fotos von uns anzusehen. Ob ich dadurch wieder fügsamer werde? Sepp sagt, ich wäre nicht mehr ich selbst, ich hätte durch die Emanzipationslektüre ein „aufgesetztes Ich“. Eine Therapeutin sagte mir einmal, ich müsse mir meine Machtlosigkeit gegenüber meinem Willen eingestehen. Sie hat ja recht, ich habe einen starken Willen, er gehört zu mir und macht mir und meiner Umgebung das Leben schwer. Dabei will ich meiner Umgebung das Leben gar nicht schwer machen!
Jetzt, wo ich Dir geschrieben habe, was bei uns momentan an Kommunikation läuft, kannst Du Dir vielleicht eher vorstellen, dass Absprachen nicht möglich sind. Es ist leichter, etwas zu tun, als darüber zu reden. Um weiteren Ärger zu vermeiden, werde ich im Ehebett bleiben. Vorerst zumindest. Da gehen Deine und meine Meinung eben auseinander. Lieber lasse ich mich vergewaltigen, als ständige Prügel durch Worte zu beziehen...