23.12.81
War heute Mittag in der Stadt, um noch nach einem Geschenk für Tine zu suchen.
Sie sagt zwar, dass ich mein Geld für mich brauche und sie nichts wolle, aber nach allem, was sie für mich getan hat, möchte ich ihr doch eine kleine Freude machen.
Bin gerade in so einem kleinen Laden, wo man alles Mögliche für kleines Geld bekommt, als mir plötzlich jemand auf die Schulter klopft.
Als ich mich umdrehe, steht meine Mutter vor mir. Sie starrt mir mit offenem Mund auf meinen trotz dicker Winterjacke, gut sichtbaren Bauch.
Mein Herz polterte wie blöde. Ich wusste nicht, was ich machen sollte.
Wir standen uns eine Weile gegenüber und keiner sagte was. Es war komisch und dann streckt sie plötzlich ihre Arme aus und zieht mich zu sich.
Sie drückte mich so fest, dass ich kaum Luft bekam.
Als sie mich wieder losgelassen hat, seh ich, dass sie nasse Augen hat.
Auch mir waren die Tränen gekommen.
Sie fragte mich, ob ich Zeit und Lust hätte einen Kaffee trinken zu gehen und ich nickte.
Wir setzten uns in ein kleines italienisches Cafe. Als ich meine Jacke auszog, schaute sie mir wieder auf meinen dicken Bauch. Ich musste grinsen und als sie bemerkte, dass sie mich immernoch anstarrte, musste sie lachen.
Schließlich fragte sie mich was ich so gemacht habe.
Ich weiß auch nicht, warum, aber ich erzählte, ihr alles.
Warum ich abgehauen bin, das ich Drogen nahm und das ich schließlich, aber das wusste sie ja, in der Psychiatrie landete. Wie ich dort Manni kennen lernte und ich nun schwanger war, aber er behauptete, das Kind sei nicht von ihm.
Ich machte ihr Vorwürfe wegen ihrer Ehen, fragte sie, warum wir dauernd umgezogen sind, warum sie mich so oft geschlagen hat und warum sie meine Schwester immer vorgezogen hatte. Alles sprudelte einfach so aus mir heraus.
Sie hörte mir zu. Ich hatte keine Angst mehr vor ihr.
Mir liefen die Tränen übers Gesicht und sie streichelte meine Hand.
Es tut mir so leid, hat sie gesagt und auch angefangen zu weinen.
Sie sagte mir, dass sie mit allem einfach überfordert gewesen sei und immer gehofft hatte, der nächste Mann wäre der Richtige. Die ständigen Geldprobleme hätten sie zermürbt.
Ich sei doch immer ihre Große gewesen.
Aber das ist doch kein Grund mich dauernd zu verprügeln, hatte ich ihr an den Kopf geworfen und sie nickte. Es tut mir leid, hat sie immer wieder gesagt.
Dann fragte ich sie, was sie hier mache und sie erzählte mir, dass der Typ, den sie durch eine Heiratsannonce kennen gelernt hatte, ein riesen Arschloch gewesen sei und sie wieder hergezogen ist. Sie wohne, bis sie wieder Arbeit hätte mit meiner Schwester bei einer Freundin.
Auf die Frage, warum sie sich nicht mal bei mir gemeldet hätte, sagte sie, das sie Angst gehabt habe, ich würde nicht mit ihr reden wollen. Sie sei nicht sauer gewesen, dass ich abgehauen bin. Im Gegenteil, sie hatte es sogar verstanden.
Sie erzählte mir einiges aus ihrem Leben, das ich nicht wusste. Zum Beispiel, dass auch sie immer geschlagen wurde, als sie klein war.
Später von zwei ihrer Ehemänner.
Ich nickte, denn ich war mehr als einmal dazwischen gegangen, als sie von denen geschlagen wurde. Damals war ich 7 und später knapp 12 Jahre alt.
Was mich am meisten schockte, war, als sie sagte, dass sie die meiste zeit ihres Lebens in Kinderheimen verbracht hatte, bis ihr Vater wieder heiratete und die neue Frau, sie und ihre beiden Geschwister zu sich genommen hatte.
Warum haben wir nie so miteinander reden können, hab ich sie gefragt. Ich weiß es nicht sagte sie, aber vielleicht können wir das nachholen.
Sie wollte mich zum heiligen Abend einladen, aber da ich schon Tine zugesagt hatte lehnte ich ab. Ich komme den ersten Feiertag hab ich vorgeschlagen und sie sagte, das wäre toll.
Ein wenig freue ich mich auf meine Schwester. Sie war ja nicht immer gemein zu mir und jetzt ist alles anders. Ich führe mein eigenes Leben und komme ganz gut zurecht. Meistens jedenfalls.
Ein Geschenk hab ich dann doch noch für Tine gefunden. Es ist ein kleiner Kuschelbär, auf dem ganz groß Danke drauf steht.