Weiße Stille

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Wipfel

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Weiße Stille

Am Anfang war die Stille. Nicht das Wort. Nicht die Tat. Kein Knall. Und auch die Liebe gab es noch nicht. Da aber war schon die Stille. Alle Farben schliefen in ihrem Schoß. Das Summen aller Töne ergab jene Ruhe, nach der wir so oft schreien. Und siehe, es war gut. Stille und Weiß waren eins. Es gab keine Zahl neben ihnen, sie warfen keinen Schatten und niemand hätte sagen können, worin sie sich unterscheiden.

„Du kommst nicht aus dir selbst“, sprach eines Tages das Fis zur fetten Violetta, „du bist eindeutig das Kind von Rot und Blau; ein Gemisch bist du, mehr nicht.“
„Was erzählst du für einen Unsinn?“
Violetta kannte Fis, für einen Augenblick nur runzelte sie die Stirn, wollte sich gerade wieder einrollen, da setzte Fis noch einmal nach: „Du jedenfalls bist nicht wie ich. Dazu fehlt dir die Kraft. Aber mach dir nichts draus, keiner kann etwas für seine Geburt. Ich dagegen bin das Fis, klar und rein, mit Farben nicht zu vergleichen und mit dir schon gar nicht. Meine Kunst ist paradiesisch.“
Violetta fragte Rot und Blau, ob es stimmen könnte, was Fis da von sich tönt.
„Meinst du etwa jenes Fis, das eingeklemmt zwischen F und G sein Dasein fristen muss? Ach Violetta, höre nicht auf solche Töne, wir zumindest sind stolz auf dich. Sein Paradies ist künstlich, nichts weiter.“
Fis war getroffen. Beleidigt. Entsetzt. Jetzt ging es um die Ehre. Um seine Ehre. Es sammelte hinter sich die anderen Töne, kämpfte selbst an vorderster Front. Auch die fette Violetta mischte sich unter ihre Farben. Gekonnt.
„Wir lassen uns nicht beleidigen, nicht von Euch. Wo kämen wir denn hin, wenn diese Obszönität erst Schule macht?“, diskutierten die einen.
"Farben an die Macht!", schrieben die anderen auf ein Plakat. Gerüchte wurden lanciert, Emotionen schlugen hoch, steigerten sich ins Unermessliche.
„Unsere Existenz wird bedroht! Wenn die Farben Oberhand gewinnen, was wird dann aus uns Tönen?“
„Pah, auf Töne können wir verzichten, sie sind der Wurmfortsatz, mehr nicht!“
So kam es, wie es kommen musste; was folgte ist zwar bedauerlich und doch zugleich ein Segen. Erst gab es einen Blitz, dann stieg mit krachendem Getöse ein Farbpilz auf.

Ende? Nein. Das Leben begann: Farben weben sich seither in die Musik, Töne triumphieren in den Bildern. Am Ende aber wird die Stille sein. Weiß, einzig und schön.
 



 
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