Narda von Kronor
Die einsame Gestalt mitten in der Wüste war kaum zu sehen. Der großzügig bemessene, sandfarbene Umhang war eine perfekte Tarnung. Erst als der jetzt aufkommende Wind den dünnen Stoff anhob, wurde eine blaue Pilotenkombination sichtbar.
Narda Kadesch schob das Cape zur Seite und blinzelte in das grelle Licht des untergehenden Saridanus. Das helle Braun ihrer Haut wurde eine Spur dunkler, als der Abendwind endlich etwas Erfrischung brachte.
Ihre Aufmerksamkeit war jedoch nur kurz abgelenkt, denn es gab wichtigeres, als die Betrachtung des Sonnenuntergangs. Narda musterte aufmerksam die Silhouette einer Stadt, die einige Kilometer entfernt lag.
Die Gegend war nicht ungefährlich. Die Militärregierung auf Kronor ließ verdächtige Personen ohne Nachfrage festnehmen, oder, wenn Gegenwehr erfolgte, auch erschießen. Narda durfte sich auf keinen Fall erwischen lassen, denn die Begleiterin von Feris Baldet, dem einflussreichen Direktor der vereinten Zulieferer, hatte in der verrufenen Ruinenstadt Kabairo nichts zu suchen. Sollte sie hier aufgegriffen werden, waren ihre ganzen bisherigen Bemühungen umsonst. Doch sie hatte allen Grund zu handeln.
Narda wurde langsam unruhig. Sie warf das Cape ab, stand auf und überlegte, ob sie verschwinden sollte. Doch in der schnell hereinbrechenden Dunkelheit blitzte jetzt ein Licht auf. Das ersehnte Zeichen.
„Wurde auch Zeit!“, brummte Narda.
Sie zog das Cape aus dem Sand und warf es sich über. Dabei kam ein Sandsurfer zum Vorschein, der gut abgedeckt auf der Seite lag. Sie richtete das Fahrzeug auf und jagte wenig später fast lautlos über die dunkle Sandebene auf ihr Ziel zu.
Der erste Mond ging gerade auf, als Narda die von Sandverwehungen fast zugeschütteten Randbezirke von Kabairo erreichte. Die Stadt stammte noch aus den Zeiten, als ein normales Leben an der Oberfläche möglich war. Doch seit Krieg und Klimawandel das Leben auf Kronor bedrohte, waren die meisten oberirdischen Gebäude verfallen. Die Stadt bestand nur noch aus aneinander gereihten Ruinen, in deren Kellern und Gewölben Menschen hausten, die nicht das Glück hatten, zu den Privilegierten zu gehören, die das Leben noch genießen konnten. Militärposten durchstreiften ständig die Gassen, immer auf der Suche nach angeblich aufsässigen Menschen, die nach Gutdünken kontrolliert, eingesperrt oder sogar ermordet wurden.
Narda versteckte ihr Gefährt und schlich dann durch Strassen, die diesen Namen nicht mehr verdienten, bis sie an eine verfallende Hütte kam. An der Tür gab sie leise Klopfzeichen.
Ebenso leise raunte eine Stimme hinter dem Eingang: „Wer?“
„Kadesch, mach auf. Hier draußen ist es nicht geheuer.“
Die Pforte ging auf, Narda wurde ins Dunkel gezogen und die Tür wieder geschlossen. Plötzlich hielt ihr jemand eine Waffe unters Kinn. Ein Licht flammte auf und blendete sie. Narda zögerte keinen Augenblick.
Gedankenschnell schlug sie zu. Gleichzeitig packte sie die Waffe und ging in die Hocke. Die Lampe klapperte zu Boden und der Besitzer lag stöhnend daneben.
„Verdammt!“, ächzte er. „Bist du übergeschnappt?“
„Palderas? - Bist du lebensmüde? Warum hältst du mir eine Knarre an den Kopf?“
„Wir müssen vorsichtig sein, die Regierungstruppen patrouillieren wieder verstärkt.“
„Wenn die vor der Tür gestanden hätten, wärst du schon erledigt gewesen. Wo ist Mari?“
Palderas schickte Narda in die Kellerräume, während er wieder seinen Wachposten besetzte. Narda betrat einen Raum, in dem etwa 40 magere Gestalten kauerten. Leises Wimmern war zu hören, doch niemand achtete darauf. Sie fand ihre Freundin damit beschäftigt, einem Kind Flüssigkeit einzuflössen. Mari sah auf und winkte ihr, zu warten.
Einige Minuten später begrüßten sie sich herzlich. Dann saßen sie zusammen und Mari sagte: „Schön dich mal wieder hier zu sehen. Mit dir habe ich noch gar nicht gerechnet. Wie geht es dir?“
„Noch gut. Aber mein Gönner verliert scheinbar die Lust. Er ist mir nicht mehr so hörig wie früher, deshalb muss ich etwas unternehmen.“
„Der Mann wagt es tatsächlich, sich Narda Kadesch zu widersetzen?“, lachte Mari. „Er kennt dich doch jetzt schon ziemlich lange und müsste wissen, was es heißt, dich zu provozieren.“
„Oh, bisher war ich immer nur das schnurrende Kätzchen, das nur auf sein liebes Herrchen wartet. Auf diese Art bekomme ich fast alles von dem Typen. Das siehst du schon daran, dass ich die Fliegerschule besuchen darf. So etwas haben seine früheren Frauenzimmer nicht geschafft.“
„Wollten sie wahrscheinlich auch nicht. Auf solche Ideen kommst nur du.“
„Jedenfalls besucht er immer öfter die Huren in den Kasinos. Soll mir nur recht sein, dann lässt er mich wenigstens in Ruhe. Aber es sind deutliche Anzeichen.“
„Verstehe.“
„Sind die Unterlagen an Ort und Stelle?“, fragte Narda, während sie die heruntergekommenen Menschen betrachtete, die auf dem Boden hockten und teilnahmslos ins Leere starrten.
Mari nickte. „Klar. Eine Kopie vom Fall Azuba für dich im üblichen Versteck. Die anderen Papiere werden nach deinem Zeichen an den entsprechenden Orten abgelegt. Bist du eigentlich sicher, dass diese Erpressungsgeschichte bei dem Mann funktioniert? Wie ich jetzt weiß, ist Baldet kein kleiner Schulleiter, wie Azuba, sondern erster Direktor bei dem Verein.“
„Gerade deshalb wird es funktionieren. Er ist so verdammt selbstsicher, dass er nie auf den Gedanken kommen würde, dass tief unter ihm stehende Menschen, dazu gehöre auch ich, etwas anderes tun, als ihm ganz tief in den Arsch zu kriechen. Es wird ein Schock für ihn sein.“
„Das wird dem Herrn nicht gefallen.“
„Mir umso mehr“, grinste Narda. „Was ist mit diesen Leuten hier?“
„Das Übliche. Halb verhungert und meist verfolgt von dem Soldatenpack. Sammy hat sie hierher geführt und sie haben die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sind gleich hier geblieben, weil sie glauben, wir hätten noch genügend Lebensmittel. Ich muss sehen, dass ich sie woanders unterbringe, weil wir inzwischen als Feinde des Systems gelten und sie nicht mit uns zusammen gesehen werden sollten. Apropos Schopf. Einen schicken Pferdeschwanz hast du. Ist das jetzt Mode bei den Herrschaften?“
„Feris mag das neuerdings. Ist auch praktischer als das offene Haar. Ich soll sogar rothaarig werden, aber das konnte ich bisher verhindern.“
„Sag ihm einfach: Schwarze Haare, die bis zum Hintern gehen, können nicht rot gefärbt werden. - Was ist los?“ Die Frage war an Palderas gerichtet, der herein kam und das Licht löschte.
„Soldaten! Sie kriechen in der ganzen Gegend herum. Scheinbar suchen sie etwas.“
„Verflucht! Bist du verfolgt worden, Narda?“
„Als Sammy mir das Zeichen gab, bin ich auf dem üblichen Umweg hierher gekommen. Hätte man mich verfolgt, hätte ich das gemerkt.“
„Sammy? Wie kommst du auf Sammy? Er ist doch gar nicht hier.“
„Wer hat denn das Zeichen gegeben, dass ich mit ihm vereinbart hatte?“
„Jedenfalls nicht Sammy. Er ist unterwegs und will einen Transport des Militärs auskundschaften. Ich habe mich sowieso gewundert, dass du ohne Anmeldung hierher kommst.“
Narda sah Mari überrascht an. „Weißt du, was das bedeutet? Sie haben Sammy geschnappt und zum plaudern gezwungen.“
„Ja, oder er hat den leichten Weg gewählt und ist übergelaufen.“
„Sammy? Unmöglich!“
„Du hast keine Ahnung was hier in den letzten Wochen abgelaufen ist. Viele haben die Seiten gewechselt, obwohl jeder weiß, dass das Militär mit den überlaufenden Hungerleidern auch nicht gerade sanft umspringt. Aber, der Hunger zerquetscht jeden klaren Gedanken.“
„Könnt ihr euer Kaffeekränzchen woanders veranstalten?“, unterbrach Palderas die Frauen, während er an der Tür horchte. „Sie haben gerade die Tür oben aufgebrochen und werden gleich hier auftauchen. Wir müssen weg.“
Mari nickte. „Du hast Recht.“ Sie drehte sich um und aktivierte einen verborgenen Mechanismus. Sofort schob sich ein Stück der Mauer knirschend zur Seite und ein dunkler Gang wurde sichtbar. „Diesen Fluchtweg haben wir erst kürzlich fertig gestellt. Ich hätte nicht gedacht, dass wir ihn so schnell brauchen.“
„Sammy kennt diesen Gang doch sicherlich auch?“, fragte Narda.
„Natürlich. Er hat … verdammt!“
„Wo führt er hin?“
„In die Katakomben vom alten Kraftwerk.“
„Gut. Dort kriegen sie uns nie. Vorausgesetzt, sie haben nicht alle Ausgänge besetzt, was ich mir nicht vorstellen kann. Ich glaube auch nicht, dass sie in die Katakomben eindringen. Das Risiko gehen sie wohl nicht ein.“
„Wir haben keine Wahl. Palderas, ich gehe mit Narda vor. Du führst die Leute hier in die Katakomben. Verteilt euch da und versteckt euch. Solange die Soldaten nicht die Gänge stürmen, kann euch nichts geschehen. Wir werden versuchen, sie von den Ausgängen weg zu locken, damit ihr raus könnt. – Und ihr Leute“, wandte sich Mari an die verängstigen Menschen, „wenn man euch schnappen sollte, ist es in eurem eigenen Interesse wenn ihr uns nicht kennt. Komm, Narda!“
Die beiden Frauen zwängten sich durch das enge Loch und krochen eilig durch den staubigen Gang, bis sie zu einem riesigen Gewölbe kamen. Es war still. Narda horchte angestrengt in die Dunkelheit. Sie kannte sich in diesen Katakomben aus. Schon als Kind war sie in allen Ecken herum gekrochen, bis sie selbst im Dunkeln jeden Stein wieder fand.
„Scheint niemand hier zu sein“, flüsterte Mari.
„Mag sein. Lass uns links am Brunnen vorbei durch die frühere Kühlwasserschlange gehen. Das ist der kürzeste Weg.“
Sie schlichen vorsichtig weiter, bis Narda plötzlich stehen blieb. „Sie sind da und haben die Ausgänge besetzt!“, raunte sie Mari zu, während sie einige Schritte zurück wich und Mari mit sich zog.
„Wie kommst du darauf?“
„Es ist nicht völlig dunkel am Ausgang und das liegt nicht am Mondlicht. Wahrscheinlich haben sie Glimmersteine zur Orientierung mitgebracht. Idioten! Als ob man das nicht sehen würde.“
„Na, ich sehe jedenfalls nichts.“
„Wenn wir noch ein paar Meter weiter gegangen wären, hättest du es gesehen. Sie uns allerdings auch.“
„Was jetzt?“
„Habt ihr keinen Notfallplan?“
„Das hier ist der Notfallplan.“
„Fantastisch. Wahrscheinlich hat Sammy die ganze Sache von langer Hand vorbereitet und ich laufe auch noch mit in diese Falle.“
„Tut mir leid“, fauchte Mari. „Wenn ich gewusst hätte, dass du heute schon kommst, hätte ich die Soldaten natürlich gebeten, sich bis morgen zu gedulden, bevor sie uns umbringen.“
„Schon gut“, versuchte Narda die aufgebrachte Frau zu beruhigen.
„Gut? Nichts ist gut! Du kommst, wenn du was brauchst. Dass wir kaum unsere eigenen Probleme bewältigen können, interessiert dich einen Dreck.“ Mari wurde immer lauter.
„Sei ruhig, die Soldaten könnten uns hören.“
Es dauerte eine Weile, bis Mari leiser antwortete: „Verdammt. Jetzt lasse ich meinen Frust schon an dir aus. Aber da keiner genau weiß, wo du dich herum treibst und nachdem dann auch noch die Lieferungen ausblieben, wurden Stimmen laut, die dich als Überläufer und Schlimmeres bezeichneten. Niemand weiß genau, wo du stehst.“
„Was soll das? Ich habe die Lieferungen nie eingestellt. Sie sind unregelmäßiger geworden, denn es wird immer schwieriger, etwas abzuzweigen. Darüber weißt du aber doch Bescheid?“
„Nichts weiß ich. Allerdings ist der größte Teil der Informationen über Sammy gelaufen und …“
Narda hielt ihrer Freundin plötzlich den Mund zu und flüsterte: „Da kommt jemand.“
Angespannt warteten die Zwei. Es war völlig dunkel, doch Narda konnte sich auf ihr Gespür verlassen. Ein kaum spürbarer Hauch, doch Narda wusste woran sie war. Da schlich sich jemand an. Vielleicht Palderas, doch der hätte sich zu erkennen gegeben. Soldaten? Unwahrscheinlich. Die kannten sich hier unten nicht so aus, als dass sie sich ohne Licht zurecht finden würden.
Jetzt bemerkte Narda Schweißgeruch und wusste sofort woran sie war. Direkt hinter ihr befand sich Sammy, der es nicht für nötig hielt, sich gelegentlich zu waschen und entsprechende Ausdünstungen von sich gab.
„Mari“, raunte Narda leise, aber doch so laut, dass der Lauscher es hören musste. „Wir gehen zurück. Hier kommen wir nicht weiter.“
„Wir können nicht zurück. Wenn …“
„Glaub mir einfach“, unterbrach Narda die ahnungslose Mari. „Lass uns umkehren.“
Sie schob die Frau zurück und tat, als würde sie ihr folgen, doch sie blieb stehen, drehte sich um und packte zu. Ihre rechte Hand bekam ein Ohr zu fassen. Sofort griff sie mit beiden Händen nach und krallte sich am Hals des Gegners fest. Ein erstickter Laut. Strampeln. Narda riss ihr Knie hoch und gleichzeitig den Kopf des Lauschers nach unten. Leises Knirschen und das plötzliche Zusammensacken ihres Opfers zeigte ihr, dass sie getroffen hatte.
„Narda? Was machst du da?“ Mari war stehen geblieben, als sie die Geräusche gehört hatte.
„Komm her und hilf mir. Ich habe einen neugierigen Schleicher gefunden. Den müssen wir hier wegschaffen.“
Mari gab einen überraschten Laut von sich, sagte aber nichts. Sie trugen den Mann in einen eingestürzten Tunnel, wo sie etwas Licht machen konnten, fesselten und knebelten ihn. Narda kontrollierte kurz die Umgebung und setzte sich dann zu ihm, während Mari am Eingang aufpasste.
Es dauerte nicht lange und der Mann kam zu sich. Sofort riss er wild an den Fesseln. Narda leuchtete ihm mit einer kleinen Lampe ins Gesicht. Blut lief ihm aus der Nase. Scheinbar war sie gebrochen. Sein Blick irrte kurz umher. Schließlich schloss er die Augen und blieb still liegen.
„Na, hast du Sehnsucht nach mir gehabt, Sammy?“, höhnte Narda. „Du hättest ruhig mit uns einen Kaffee trinken sollen, anstatt hier im Dunkeln herum zu schleichen.“
Sammy rührte sich nicht.
„Du weißt, was einen Verräter erwartet, oder? Ich überlege nur noch, ob ich dich hier zertrete wie einen Sandkäfer oder dich den Viechern zum Fraß vorwerfe.“
Jetzt schlug der Mann die Augen auf und blitzte Narda wütend an, wobei er undeutliche Worte von sich gab.
„Ich werde dir jetzt den Knebel abnehmen. Höre ich ein lautes Wort, schneide ich dir deine Stimmbänder mit allem was Drumherum ist durch. Klar?“
Narda nahm ihr Messer und setzte es Sammy an die Kehle. Dann entfernte sie den Knebel. Er atmete tief ein, ließ aber die Luft nur langsam entweichen, als die Schneide des Messers seine Haut ritzte.
„Du sprichst von Verrat?“, sagte er schließlich. „Ausgerechnet du? Wir wissen nicht ob wir den morgigen Tag überleben und du entspannst dich währenddessen im Bett eines dieser besser gestellten Säcke.“
Narda zwang sich zur Besonnenheit. „Es hindert dich keiner, dir auch einen solchen Sack zu suchen. Allerdings müsstest du dich dann erst einmal waschen. Jetzt halt die Klappe und hör mir zu, du erbärmlicher Heuchler. Ich habe weder Zeit noch Lust mit dir über mein Leben zu reden. Dass du die Menschen hier hintergehst und sie ans Militär auslieferst, kannst du gleich mit eben diesen Menschen diskutieren. Sie werden dir die passende Antwort geben. Ich will von dir nur folgendes wissen. Warum schleichst du hier herum und was bekommst du dafür, dass du für die Soldaten spionierst?“
„Ich, ich wollte von ihnen weg“, stotterte Sammy kläglich. „Sie haben versprochen, mir Lebensmittel für uns alle zu geben. Doch sie nutzen mich nur aus und wollen nichts dafür tun.“
„Das tut mir aber leid.“ Narda packte ihn am Hals, drückte zu und schlug gegen seine blutende Nase.
Sammy bäumte sich vor Schmerzen auf. Hasserfüllt funkelte er Narda an. Sie ließ jetzt langsam los und strich mit der Messerschneide über seinen Hals.
„Wenn du mich noch mal so schlecht belügst, schneide ich dir ein Loch in deine trügerische Zunge. Also?“
„Verdammtes Miststück! Glaubst du etwa, ich hätte Angst vor deinem Messer? In wenigen Minuten wimmelt es hier von Soldaten und dann werden wir sehen, wer wem ein Loch in die Zunge schneidet.“
„Ich hatte also recht. Du spionierst die Gänge für die Soldaten aus. Dabei kannst du froh sein, wenn du abends deinen armseligen Unterschlupf wieder findest.“
„Ach ja?“ Sammy schäumte vor Wut. „Durch mich wissen die Soldaten, dass es nicht nur zwei Ausgänge aus diesem Labyrinth gibt, sondern drei. – Ja, da guckst du, was? Hast du etwa geglaubt, nur du kennst den dritten Ausgang?“ Sammy lachte triumphierend auf.
„Und sie haben alle drei Ausgänge besetzt?“, tat Narda bestürzt.
„Natürlich, was denkst du? Die Ausgänge und auch beide Zugänge, die wir von den Häusern aus gegraben haben. - Ich sag dir was. Ihr kommt hier ohne mich nicht lebend raus. Aber wenn du mich jetzt los machst, rede ich mit den Soldaten.“
„Und sie hören auf dich?“ Narda spielte die Niedergeschlagene.
„Sicher. Komm, binde mich los, dann können wir zum Haupttrupp gehen. Dort kenne ich den Kommandierenden sehr gut.“
„Die sind doch sicher am Haupteingang?“
„Aber nein. Sie vertrauen mir und ich habe ihnen gesagt, dass ich zum südlichen Tor kommen werde.“ Sammy schlug einen verschwörerischen Ton an. Er war davon überzeugt, dass Narda eingesehen hatte, dass Entkommen unmöglich war und es nur durch ihn eine Überlebenschance gab. „Wenn du mich frei lässt, hast du nichts zu befürchten.“
„Warum hast du mich eigentlich in diese Falle gelockt? Hast du einen Auftrag dafür oder ist dir das selber eingefallen? Schließlich bin ich schon seit Monaten nicht mehr hier gewesen.“
„Die Planung war schon fertig, als du dich gemeldet hast. Ich habe mir nichts dabei gedacht und dich kurzerhand in den Plan aufgenommen. Aber dafür helfe ich dir auch wieder raus.“
Narda lächelte ihn freundlich an, band ihm den Knebel wieder um und zog ihn auf die Beine. „Mann, ich wusste immer schon dass du dämlich bist, doch dass du glaubst, ich wäre genauso dumm wie du - unglaublich. Gehen wir!“
Sie schob den verdutzten Mann vor sich her und flüsterte Mari zu: „Wir kommen hier raus, keine Sorge. Komm mir nach.“
Sie nahmen Sammy zwischen sich und tappten durch dunkle Gänge bis Narda stehen blieb und Mari auf eine Stelle aufmerksam machte, die etwas heller war als die Umgebung.
„Siehst du das?“, fragte Narda. „Dort geht es raus.“
„Woher willst du wissen, dass dort keine Soldaten sind?“
„Oh, diesen Ausgang kenne nur ich. Außerdem war Sammy so freundlich und hat mir gesagt, dass er nur drei Ausgänge kennt. Den vierten hat er übersehen und konnte ihn daher nicht verraten. Nicht wahr, Sammy?“
Narda schaltete die Lampe ein und leuchtete dem Mann ins Gesicht. Seine Züge waren verzerrt, die Augen traten fast aus den Höhlen, als er versuchte, einen Fluch auszustoßen. Narda schlug ihm auf die Schulter und meinte leutselig: „Nun reg dich nicht künstlich auf, mein verräterischer Freund. Du bekommst schon noch die Möglichkeit, ein Gebet zu sprechen. Benimm dich anständig. Ich verspreche dir auch, dass ich dich nicht umbringen werde.“
Sie stieß ihn zur Seite, so dass er stolperte und zu Boden stürzte. Dann fragte sie leise: „Mari, was weiß dieser Kerl von den Unterlagen?“ Narda deutete auf Sammy.
„Nichts. Er hat die Botendienste übernommen, doch die Unterlagen hat er nie gesehen. Er kennt weder Inhalt, noch Zweck.“
„Kennt er denn meinen Baldet?“
„Woher sollte er? Wo du dich aufhältst, weiß selbst ich erst, seit ich die Unterlagen besorgen musste.“
Narda meinte einen Vorwurf heraus zu hören. „Man kann niemandem vertrauen“, sagte sie deshalb. „Doch glaub mir, wenn ich jemandem vertrauen muss, dann bist du es.“
„Also bin ich nur der Notnagel. Sehr schmeichelhaft.“ Mari lächelte bei diesen Worten.
„Trotzdem muss ich davon ausgehen, dass er irgendwas erzählt hat, weil er mich mit in diese Falle gelockt hat. Ich habe also keine Zeit mehr, sondern muss die Sache jetzt durchziehen.
„Narda, ich weiß dass du dich durchschlagen kannst, doch sei vorsichtig. Die Regierung greift immer härter durch. Als du noch hier gelebt hast, hat man den Untergrund noch als einfache Lebensmittelbeschaffer für die ganz armen Schweine angesehen, heute gilt er schon als hochgefährliche Randgruppe. Du weißt was das heißt.“
„Mach dir keine Gedanken. Übrigens, ich bemühe mich weiter Lebensmittel abzuzweigen, aber ohne meine Position zu verraten, ist es einfach immer seltener möglich.“
„Das dachte ich mir schon. Ich war eben nur etwas …“
„Schon in Ordnung. Konntet ihr inzwischen an Waffen kommen?“
„Was glaubst du, wie wir ausgestattet sind? Selbst für meinen alten Revolver habe ich nur wenige Patronen.“
„Da fällt mir etwas ein.“ Narda bückte sich und durchsuchte Sammy nach Waffen. Sie fand eine Pistole mit zwei Magazinen und steckte sie Mari zu. „Hier, nimm die und gib mir deine Waffe. Du brauchst sie nötiger als ich. - Könnte es sein, wenn Sammy sich nicht mehr meldet, dass die Soldaten abziehen?“
„Vergiss es“, winkte Mari ab, wobei sie die Pistole verstaute. „Sie werden nicht ohne Führer in den Katakomben herum kriechen, aber abziehen werden sie garantiert nicht.“
„Wir lenken sie ab. Wenn wir uns außerhalb mit unserem Gast sehen lassen, werden sie denken, dass der Plan schief gegangen ist oder unser Sammy dummes Zeug erzählt hat.“
„Du darfst nicht in Erscheinung treten. Wenn man dich hier erwischt, hast du nicht nur deine Position bei Baldet verspielt. Dein Ziel, mit diesem ominösen Auswandererschiff von Kronor weg zu kommen, könntest du vergessen.“
„Du hast recht. Aber mich wird man nicht sehen, sondern nur Sammy.“
„Der dich dann verrät.“
„Hältst du mich für schwachsinnig? Der wird nichts sagen, glaub mir.“
Mari nickte widerstrebend. Es war kein Platz für Recht in ihrer Gesellschaft. Das war schon vor langer Zeit verloren gegangen und seitdem verrohten die Menschen immer mehr. Selbst Narda, die früher jedem helfen wollte und dabei mit ihrer Jugendfreundin Mari oft genug in Schwierigkeiten gekommen war, hatte seid dem gewaltsamen Tod ihrer Eltern nur noch ein Ziel, dass sie unerbittlich verfolgte: Weg von hier. Auf Kronor waren die Verhältnisse überall die Selben, daher hatte sie sich schon früh in den Kopf gesetzt, bei einem geheimen Vorhaben der Regierung mitmachen zu können. Ein Raumschiff, welches die Elite der Wissenschaft auf einen anderen Planeten bringen sollte. Das Ziel, dort als Pilotin eingesetzt zu werden, hatte sie fast erreicht.
„He, träumst du?“, fragte Narda und gab Mari einen leichten Stoß. „Ich sagte eben, dass ich Sammy benutze, um die Soldaten abzulenken. Den Rest müsst ihr selber erledigen. Du kennst jetzt diesen Ausgang. Halte ihn möglichst geheim. Ich bin schon viel zu lange hier und habe keine Zeit zu verlieren. Sobald wir da draußen auf eine Patrouille treffen, werden sie uns anhalten wollen. Dann fliehen wir in verschiedene Richtungen. Sieh zu, dass sie dich nicht schnappen. - Zu den Unterlagen. Ich brauche nur den verschlüsselten Comruf abschicken, wenn es soweit ist?“
„Richtig. Genau wie bei Azuba damals.“
Die Frauen verabschiedeten sich schon jetzt, da später keine Zeit mehr sein würde. Narda packte Sammy beim Kragen und schubste ihn durch den schmalen Ausgang. Er wehrte sich, doch ein kräftiger Nasenstüber ließ ihn ruhig werden. Sie versteckten sich in einiger Entfernung und warteten, bis eine der unvermeidlichen Militärpatrouillen vorbei kam.
Dann nahmen sie Sammy Knebel und Fessel ab. Ohne Nachzudenken rannte er sofort schreiend auf die Soldaten zu. Narda schüttelte den Kopf, bei soviel Unvernunft. Jetzt flüchtete Mari in eine andere Richtung. Die Soldaten waren einen Moment verwirrt. Das nutzte Narda, nahm den Revolver und schoss aus ihrer Deckung einen der Soldaten nieder. Sofort eröffneten die gut bewaffneten Männer das Feuer und Sammy starb im Lichtgewitter der Lasergewehre.
„Dummer Mensch!“, brummte Narda vor sich hin. „Ich habe doch gesagt, dass ich dich nicht umbringen werde.“
Narda flüchtete ebenfalls durch die Kloaken der dunklen Gassen. Sie kannte sich hier aus, deshalb hatte sie keine Angst um sich. Doch da war die Sorge um ihre Freunde. Das Militär kannte keine Gnade, wenn sich ausgehungerte Gestalten gegen sie auflehnten. Doch zumindest waren die Soldaten abgelenkt. Wenn sie herausfanden, dass es ihr Spion war, den sie da erschossen hatten, würden sie sich denken, dass die Leute aus den Katakomben entkommen konnten und die Ausgänge frei geben. So konnte der vierte Ausgang vielleicht weiterhin geheim bleiben.
Aber es nützte nichts, darüber nachzudenken. Narda hatte keine Zeit. Sie rannte zum Treffpunkt, holte die Unterlagen aus dem Versteck und kehrte zu ihrem Sandsurfer zurück. Kurz darauf war sie nicht mehr zu sehen.
Einige Tage später stand sie hinter ihrem Gönner und massierte ihm die feisten Schultern. Der Mann grunzte dabei vor sich hin, doch Narda achtete nicht darauf. Sie war immer bestrebt, sich nicht mehr als nötig mit dem Mensch zu beschäftigen, doch er hatte irgendetwas gesagt und erwartete eine Antwort, die Narda nicht gab. Deshalb wandte er sich, so weit es ihm möglich war, um und schielte zu Narda hoch.
„He, was ist los?“, brummte er. „Hörst du nicht zu, wenn dein Traummann dir was sagt?“
„Entschuldige, Feris. Ich war mit meinen Gedanken woanders.“
„Genau, und das in der letzten Zeit ziemlich oft. Ich habe dich gefragt, ob du von dem erschossenen Soldaten in Kabairo gehört hast.“
„In Kabairo? Nein, was war denn los?“
„Versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen. Ich weiß, dass du trotz meines Verbots, immer noch Kontakt mit deinen Freunden dort hast.“
„Wie kommst du nur darauf?“ Narda war alarmiert, doch noch war nichts verloren.
Feris erhob sich ächzend und schlenderte zum Bad hinüber, wobei er es nicht lassen konnte, sich im Vorbeigehen in einem übergroßen Spiegel zu bewundern. Narda schüttelte sich, als sie sah, wie liebevoll er seine Fettwülste streichelte und selbstverliebt an sich herunter sah.
„Du kannst mir glauben“, rief sie hinter ihm her. „Ich mache mir nur Gedanken darüber, wie ich dich zufrieden stellen kann“, rief sie ihm hinterher, wobei sie ein hämisches Grinsen nicht vermeiden konnte.
„Das ist doch selbstverständlich. Aber es reicht jetzt. Ich wollte es dir eigentlich erst in ein paar Tagen sagen, aber mir fällt gerade ein, dass du deine Nachfolgerin in meine Vorzüge und Vorlieben einweisen kannst. Das erspart mir langwierige Erklärungen. Also, du musst auf mich verzichten. Ab morgen wird eine andere Frau deinen Platz einnehmen und du verschwindest, sobald du ihr alles erklärt und gezeigt hast.“
„Hör zu, Schatz!“, sagte Narda mit sanfter Stimme, wobei sie aber wütend die Fäuste ballte. „Du kannst mich nicht einfach ausbooten. So läuft das nicht.“
„So? Kann ich nicht? Ist schon passiert“, tönte seine Stimme aus dem Bad. „War eine schöne Zeit mit dir, ganz ehrlich, doch nun“, Baldet kam ins Zimmer zurück, „ist es vorbei.“
„Feris!“
„Nichts da. Ich habe weder Zeit noch Lust mit dir herum zu diskutieren. Die treuen Blicke deiner blauen Augen werden dir jetzt auch nicht mehr helfen. Ich werde alles in die Wege leiten. Wenn ich zurückkomme, hast du deine Sachen gepackt, oder …“
„Oder was? Hör mal gut zu, Bursche!“ Narda baute sich vor dem Mann auf. Die Entscheidung war gefallen und es wurde Zeit, dass Baldet die Realität kennen lernte. „Bisher habe ich dein Machogehabe ertragen, weil du mir nützlich warst. Doch wenn du mit solchen Sprüchen kommst, musst du leider meine andere Seite kennen lernen. Ein Wicht wie du, kann mich nicht einfach vor die Tür setzen. Oder glaubst du etwa, ich würde mich mit einem schmierigen Typen wie dir einlassen, ohne gewisse Vorsichtsmassnahmen zu ergreifen? Für wie blöd hältst du mich?“
„Wie bitte! Was fällt dir ein?“
„Bei deinem Anblick fällt mir so einiges ein. Setz dich.“
Feris starrte mit offenem Mund zu Narda herüber. So etwas war ihm noch nie passiert.
„Aber Narda“, entgegnete er mehr erstaunt als ärgerlich, wobei er einige Schritte zurück wich. „Was sollen solche Reden? Mein Kätzchen …“
Narda machte einen Schritt auf ihn zu und hatte plötzlich ein Messer in der Hand. „Noch ein Wort und du brauchst die nächsten Wochen keine Rasur mehr.“
„Narda, sei vernünftig.“ Feris starrte die Waffe wie hypnotisiert an.
„Oh, ich bin vernünftig. Wie vernünftig, wirst du noch sehr unangenehm zu spüren bekommen. Setz dich da hin und hör genau zu.“
„Jetzt hör aber mal …“
„Mach deine schleimigen Sprechwerkzeuge gar nicht erst auf. Kommt sowieso nur faules Zeug raus. Ich werde versuchen, dir etwas in den hohlen Schädel zu quetschen. Wenn du das nicht kapieren willst, prügle ich es dir rein. Klar?“
„Aber Narda, was soll denn dieser Ton?“, wimmerte Baldet verschreckt. „So kenne ich dich ja gar nicht.“
„Nein. So kennst du mich nicht. Aber du wirst mich noch kennen lernen, wenn du jetzt nicht die Klappe hältst und zuhörst. Pass auf! Du willst mich raus werfen? Tu das. Nur wirst du dann ab morgen deine geliebte Arbeit verlieren. Dein schönes, bequemes Leben ist dann beendet, weil sie dich in den Knast stecken werden. Dort kannst du dich dann mit netten Unterweltlern vergelüstigen. Na ja, vielleicht ist es auch umgekehrt. Sind das nicht schöne Aussichten?“
Feris sah mit offenem Mund zu Narda hoch. Er begriff überhaupt nicht, wovon die schwarzhaarige Schönheit mit der sanften Stimme da sprach. Für ihn war es nur eine Affäre, wie schon viele andere vorher. Die Frauen aus den Slums waren immer sehr gefügig gewesen, ohne nur den geringsten Zweifel seiner Autorität aufkommen zu lassen. Und jetzt redete diese Frau in einer verwahrlosten Sprache, die er sich streng verbeten hatte, völlig unsinniges Zeug. Doch vielleicht hatte sich nur ihr Verstand getrübt, als sie begriff, dass es vorbei war.
„Narda“, begann er vorsichtig, „du weißt nicht was du redest. Beruhige dich erst einmal. Wenn du willst, kannst du auch noch ein paar Wochen auf die Schule gehen. Das wäre doch was, oder? Du wirst sehen, morgen …“
„Mensch, tust du nur so dämlich oder verstehst du wirklich nichts?“, unterbrach Narda den Mann. „Ich rede kein wirres Zeug. Morgen früh, wenn du im Büro wie gewohnt den armen Frauen mit deinem sülzigen Gelaber auf die Nerven gehst, wird dich dein Boss rufen. Er wird dich dem Sicherheitsdienst übergeben. - Was steht auf Mord?“ Narda begann damit, im Zimmer auf und ab zu gehen. „Mord ist auch bei den höher gestellten Leuten, zumindest offiziell, höchst verächtlich. Kannst du dir vorstellen was passiert, wenn sie dich eines Mordes überführen?“
„Mord… überführen… ich habe nicht… ich meine…“, stotterte Baldet.
„Ich – wohlgemerkt – ich weiß das. Dazu bist du viel zu dumm und feige. Doch ab morgen werden erdrückende Beweise gegen dich vorliegen. Ja, und dann – auf Wiedersehen, Feris.“
„Unmöglich!“ Baldet sprang auf. Er begriff allmählich, was Narda ihm sagen wollte. „Wo sollten solche Beweise herkommen?“
„Woher? Mann, du hast wirklich keine Ahnung.“ Narda blieb vor dem leichenblassen Nervenbündel stehen. „Was glaubst du, ist letztes Jahr mit eurem Oberguru aus der Fliegerschule passiert?“ Sie gab Baldet einen Stoß, dass er zurück in den Sessel fiel. „Er hatte eine kleine Beziehung zu einer Bekannten von mir aufgebaut. Nun, er glaubte, so wie du jetzt, seine Bettgenossin mal eben zurück in die Slams von Kabairo abzuschieben, wäre das normalste der Welt. Leider, leider.“ Narda bückte sich und sah Feris direkt in die wässrigen Augen. Sie hatte den Mann so weit.
„Azuba hat gar nicht … ich meine, er hat diese Frau gar nicht umgebracht? Aber die Beweise waren eindeutig.“
„Du hast Recht. Eindeutig und unwiderlegbar. Schlimme Sache, nicht?“
„Was willst du?“
„Endlich wirst du vernünftig. Besorg mir einen Platz auf dem Auswandererschiff. Dann bist du mich los.“
Baldet starrte Narda mit weit aufgerissenen Augen an. Er glaubte sich verhört zu haben, doch ihr Gesichtsausdruck ließ keine Zweifel aufkommen. Sie meinte es völlig ernst.
„Du willst auf die Free World? Das geht nicht! Woher weißt du überhaupt von diesem Projekt? Es ist völlig geheim.“
„Geheim? Das ich nicht lache. Also, was ist nun?“
„Wie soll ich das machen? Ich habe keinerlei Verfügungsgewalt über die Personalpolitik der Station und erst recht nicht über die Besatzung des Raumschiffs. Wie stellst du dir das vor?“
„Ganz einfach. Du berichtest dem korrupten Pack, welches du Freunde nennst, dass du einen Herzenswunsch hast. Nämlich, dass die beste Pilotin des Planeten auf dieses Schiff gehört.“
Narda setzte sich gemütlich in einen Sessel, schüttete sich Kaffee ein und schaute über den Rand der Tasse zu Baldet herüber. Er saß, das Gesicht in die Hände gedrückt, immer noch auf seinem Platz und regte sich nicht. Doch er wollte noch nicht aufgeben und stand langsam auf.
„Ich werde jetzt die Sicherheit rufen.“
„Du wirst nichts dergleichen tun!“ Narda stand ebenfalls auf und hob das Messer. Noch bevor Baldet reagieren konnte, fühlte er schon das kalte Metall an seiner Kehle. „Feris, mein Schatz. Sprich nicht von solchen Sachen, wenn du weiter leben willst. Du hast Einfluss genug, um Überwachungskameras in deinem privaten Umfeld zu vermeiden. Also kannst du nicht beweisen, was hier geschieht. Denk nach!“
Baldet stand wie erstarrt und sah Narda mit tränennassen Augen an. Er kannte den Fall des ehemaligen Leiters der Fliegerschule. War es wirklich möglich, dass ihm der Mord an einer Beschäftigten der Schule nur angehängt worden war? Es erschien ihm immer noch undenkbar, doch Narda sprach sehr überzeugend. Bei genauem Nachdenken, kamen ihm auch einige Ungereimtheiten des Mordfalls in den Sinn.
„Kannst du beweisen, dass der Mordfall Azuba vorgetäuscht war?“ Baldet versuchte bei dieser Frage seine Kehle aus der unmittelbaren Gefahrenzone des Messers zu bekommen.
„Natürlich kann ich das“, lächelte Narda, während sie einen Ordner, der unter einer Schublade versteckt war, hervor holte und Feris vor die Füße warf. „Das sind Kopien der geheimen Unterlagen, die damals dafür gesorgt haben, dass Azuba angeklagt wurde. Wo kommen die wohl her?“
Narda stieß Baldet wieder zurück in den Sessel. Er war jetzt empfänglich für ihre Forderungen. Sie wartete noch einen Moment, bis er sich etwas beruhigt hatte.
Schließlich sagte sie: „Bevor du irgendwas ausheckst. Als Sofortmassnahme werde ich gleich meine Freunde bitten, in deinem Schreibtisch im Büro der GABA einige Unterlagen zu deponieren, die klar belegen, dass du mich umgebracht hast. Da ich offiziell in der Fliegerschule bin, kann darüber nicht einfach hinweg gegangen werden. Es wird eine Untersuchung geben. Dabei wird heraus kommen, dass du meine Leiche im Kraftwerk entsorgt hast. Wie gefällt dir das?“
„Unmöglich!“
Narda lächelte und gab das verabredete Signal in ihr Kommunikationsgerät ein. „Wenn du meinst, bitte. Die Unterlagen werden jedenfalls in einigen Minuten in deinem Schreibtisch liegen. Du kannst sie morgen prüfen und vernichten. Allerdings nur, wenn wir uns jetzt einig werden. Natürlich liegen die gleichen Unterlagen, nur mit einer anderen Leiche, auch woanders aus. Den Ort bekommst du, sobald ich mit dem Schiff da oben weg bin. Noch Fragen?“
Baldet sackte zusammen. Ihm war klar, dass er, wenn Narda die Wahrheit sagte, keine Chance hatte. Das Militär fackelte nicht lange, wenn es um solche Dinge ging. Unter den wachsamen Augen Nardas nahm er den Ordner und prüfte die Akten. Die Unterlagen schienen tatsächlich echt zu sein.
Narda nahm ihm nach einiger Zeit die Mappe aus der schlaffen Hand und fragte sanft, ob er einverstanden sei. Er nickte nur und sie streichelte ihm sanft über die schweißnassen Haare.
„Nimm es nicht so tragisch Feris. Du hast keinen Verlust durch die Sache. Den kleinen Gefallen werden deine Kumpels dir gerne tun und dann hörst du nie wieder etwas von mir.“
„Hoffentlich. Wie soll ich dir Bescheid geben? Ich denke, du wirst nicht bleiben?“
„Ich lasse dir dieses Comgerät hier. Wenn es soweit ist, brauchst du mich nur anzufunken. Ich melde mich dann auf der Station. Und Feris, du brauchst keinen Gedanken an eine Schlechtigkeit verschwenden. Falls du Unfug machst und es irgendwie schaffen solltest, meinen Plan zu durchkreuzen, werden meine Freunde dich finden und mit Begeisterung im Sand vergraben. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn in der Mittagsglut ganz langsam die Gehirnzellen vor sich hin kochen?“
Feris starrte Narda betroffen an. Er selbst war nicht abgeneigt, andere Menschen zu quälen, doch solche gewalttätigen Drohungen erschütterten seinen Glauben an den Status der besseren Bürger von Kronor.
Narda verabschiedete sich freundlich. Die Würfel waren gefallen und sie musste verschwinden, wenn der Plan aufgehen sollte. Es gab kein Zurück. Schon bald würde sie zu den Auserwählten des Planeten gehören und auf eine lange Reise gehen.