Weg des Lebens

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Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Jau, die Richtung stimmt, langsam wird eine Geschichte daraus. Aber der Spannungsbogen setzt immer noch viel zu spät ein.
Du musst Dich entscheiden: willst Du einen Essay über die Konsequenzen einer gläsernen Gesellschaft schreiben oder eine spannende Story, die ihre kritische Botschaft en passant um so wirkungsvoller transportiert?

Im letzteren Falle solltest Du die akribische Erläuterung jedes Mosaiksteinchens des Persönlichkeitspuzzles drastisch kürzen.
Pars pro toto!
Die besten Geschichten sind wie schwimmende Eisberge. Der Autor als Lotse des Lesers kennt natürlich seine unterseeischen Ausmaße. Der Leser bekommt die hervor ragende Spitze zu lesen, wo sich die Pinuine tummeln und der Eisbär genüßlich eine Robbe verspeist. Sein Blick rutscht dann ganz von allein an dem klirrenden Weiß hinab in die blaugrünen Tiefen, wo die Eisdolche den zerbrechlichen Rumpf unserer informationellen Selbstbestimmung bedrohen.

Hob die Winkehand und ist eiskalt durchgebrannt
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Die elektronische Schiebetür schloss sich lautlos hinter Jonathan. „Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben.
„Thomas` Frau hat vorhin angerufen. Irgendwas mit seiner Tochter. Er muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater: Walter Schienbacher ist im Jahr 2002 geboren und in verschiedenen sozialen Brennpunkten aufgewachsen. Eher schlechte Abschlussnoten der Staatsschule. Zuerst Beschäftigung als Tagelöhner auf Spargelfeldern, etc. Dann, 2022, eine Anstellung als Gebäudereiniger bei der Firma Karstenbau. Kurz darauf heiratete er die Marokkanerin Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Morgen steht Karim mindestens auf Platz Drei!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der bisher nur zugehört hatte, zu bedenken.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Die Web-Soziologin Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Also Global-Investment-Company. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina schob ihm ein paar Unterlagen über den Glastisch. “In der Grundschule Karim Schienbachers gab es im Jahr 2031 einen Datenverlust – ich konnte ihn nachträglich als Klassensprecher eintragen. Da nebenschulische Vereinstätigkeiten erst ab 2037 protokolliert werden, habe ich ihn zudem von 2033 bis `37 für vier Jahre in sportlichen und intellektuellen Mitgliedslisten eingetragen. Für die restliche Zeit habe ich auf drei Vereinslisten unserer Dummy-Vereine zugegriffen, die wir schon bei früheren Fällen benutzt haben. Karim ist seit kurzem – ich meine natürlich seit fünf Jahren – Mitglied namhafter Vereine wie dem „Schwarz-Weiß-Schach e.V.“, dem „Ball-Läufer e.V.“ und sogar Kassenwart im „Globalen Heimatverein“.
„Reicht das?“ wollte Jonathan wissen.
„Für ein Stipendium wohl noch nicht. Aber ich konnte aus dem Jahr 2040 einen „Jugend forscht 2.0“-Beitrag finden, der nur eine sehr vage Teilnehmerdefinition aufweist. Mithilfe zwei weiterer fingierter Verweise haben wir eine Spur zu Karim gelegt. Kurz: Er hat mit anderen Jugendlichen den 4. Platz bei Jugend forscht 2.0 belegt.“ Sabrina lächelte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales. Noch etwas –Terrensdorf ist eine Trabantenstadt – Plattenbau, sozialer Brennpunkt. Durchsucht das Netz nach Wirtschaftsgrößen, die Karims getuntem Profil ähneln, besonders im Hinblick auf die Herkunft. Fasst die Ergebnisse dann in einem Dossier zusammen und macht es den Suchmaschinen schmackhaft.“
„Autor des Dossiers?“
„Mindestens die „Financial Weekend“ – das Übliche – legt Spuren und Zitate des Artikels ins Netz und dann den Zeitungsbericht frei zugänglich auf einen unserer Datenserver.
Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina, während sie ihre Unterlagen zusammenlegte.
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

Esah

Mitglied
Hallo Rumpelsstilzchen,

ich nehm mir dass ja zu Herzen. Aber rauswerfen will ich an sich nichts. Gerade die Details der Profiländerung sollen ja den Leser unterhalten.

Ich würde lieber erstmal nix wegkürzen.

Aber hier habe ich noch einmal Zweifel eingestreut...damit nicht alles so formlos glatt läuft:

Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Morgen steht Karim mindestens auf Platz Drei!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der bisher nur zugehört hatte, zu bedenken.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Die Web-Soziologin Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Nun zur Global-Investment-Company.
Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus.
So ganz rund ist der Neue Text noch nicht. Hier werden Zweifel geäußert, ob das Team es schaffen kann (in 24h). Klar, Jonathan ist zuversichtlich, aber er ist auch der Boss.

Ich denke, so baut sich ein klein wenig mehr Spannung auf (ich kämpfe um jedes Volt)

Lieben Gruß
Esah
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Die elektronische Schiebetür schloss sich lautlos hinter Jonathan. „Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben.
„Thomas` Frau hat vorhin angerufen. Irgendwas mit seiner Tochter. Er muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater: Walter Schienbacher ist im Jahr 2002 geboren und in verschiedenen sozialen Brennpunkten aufgewachsen. Eher schlechte Abschlussnoten der Staatsschule. Zuerst Beschäftigung als Tagelöhner auf Spargelfeldern, etc. Dann, 2022, eine Anstellung als Gebäudereiniger bei der Firma Karstenbau. Kurz darauf heiratete er die Marokkanerin Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der bisher nur zugehört hatte, zu bedenken.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina, Web-Soziologin und schon seit über zwei Jahren im Team, schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina schob ihm ein paar Unterlagen über den Glastisch. “In der Grundschule Karim Schienbachers gab es im Jahr 2031 einen Datenverlust – ich konnte ihn nachträglich als Klassensprecher eintragen. Da nebenschulische Vereinstätigkeiten erst ab 2037 protokolliert werden, habe ich ihn zudem von 2033 bis `37 für vier Jahre in sportlichen und intellektuellen Mitgliedslisten eingetragen. Für die restliche Zeit habe ich auf drei Vereinslisten unserer Dummy-Vereine zugegriffen, die wir schon bei früheren Fällen benutzt haben. Karim ist seit kurzem – ich meine natürlich seit fünf Jahren – Mitglied namhafter Vereine wie dem „Schwarz-Weiß-Schach e.V.“, dem „Ball-Läufer e.V.“ und sogar Kassenwart im „Globalen Heimatverein“.
„Reicht das?“ wollte Jonathan wissen.
„Für ein Stipendium wohl noch nicht. Aber ich konnte aus dem Jahr 2040 einen „Jugend forscht 2.0“-Beitrag finden, der nur eine sehr vage Teilnehmerdefinition aufweist. Mithilfe zwei weiterer fingierter Verweise haben wir eine Spur zu Karim gelegt. Kurz: Er hat mit anderen Jugendlichen den 4. Platz bei Jugend forscht 2.0 belegt.“ Sabrina lächelte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales. Noch etwas –Terrensdorf ist eine Trabantenstadt – Plattenbau, sozialer Brennpunkt. Durchsucht das Netz nach Wirtschaftsgrößen, die Karims getuntem Profil ähneln, besonders im Hinblick auf die Herkunft. Fasst die Ergebnisse dann in einem Dossier zusammen und macht es den Suchmaschinen schmackhaft.“
„Autor des Dossiers?“
„Mindestens die „Financial Weekend“ – das Übliche – legt Spuren und Zitate des Artikels ins Netz und dann den Zeitungsbericht frei zugänglich auf einen unserer Datenserver.
Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina, während sie ihre Unterlagen zusammenlegte.
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Die elektronische Schiebetür schloss sich lautlos hinter Jonathan. „Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben.
„Thomas` Frau hat vorhin angerufen. Irgendwas mit seiner Tochter. Er muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater: Walter Schienbacher ist im Jahr 2002 geboren und in verschiedenen sozialen Brennpunkten aufgewachsen. Eher schlechte Abschlussnoten der Staatsschule. Zuerst Beschäftigung als Tagelöhner auf Spargelfeldern, etc. Dann, 2022, eine Anstellung als Gebäudereiniger bei der Firma Karstenbau. Kurz darauf heiratete er die Marokkanerin Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der junge Systemprogrammierer, zu bedenken. Er saß am nächsten Schreibtisch und hatte bisher nur zugehört.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina, Web-Soziologin und schon seit über zwei Jahren im Team, schien sehr zuversichtlich. Sie hatte gerade bei den zwei Männern und der Assistentin an einem der Terminals Platz genommen.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina schob ihm ein paar Unterlagen über den Glastisch. “In der Grundschule Karim Schienbachers gab es im Jahr 2031 einen Datenverlust – ich konnte ihn nachträglich als Klassensprecher eintragen. Da nebenschulische Vereinstätigkeiten erst ab 2037 protokolliert werden, habe ich ihn zudem von 2033 bis `37 für vier Jahre in sportlichen und intellektuellen Mitgliedslisten eingetragen. Für die restliche Zeit habe ich auf drei Vereinslisten unserer Dummy-Vereine zugegriffen, die wir schon bei früheren Fällen benutzt haben. Karim ist seit kurzem – ich meine natürlich seit fünf Jahren – Mitglied namhafter Vereine wie dem „Schwarz-Weiß-Schach e.V.“, dem „Ball-Läufer e.V.“ und sogar Kassenwart im „Globalen Heimatverein“.
„Reicht das?“ wollte Jonathan wissen.
„Für ein Stipendium wohl noch nicht. Aber ich konnte aus dem Jahr 2040 einen „Jugend forscht 2.0“-Beitrag finden, der nur eine sehr vage Teilnehmerdefinition aufweist. Mithilfe zwei weiterer fingierter Verweise haben wir eine Spur zu Karim gelegt. Kurz: Er hat mit anderen Jugendlichen den 4. Platz bei Jugend forscht 2.0 belegt.“ Sabrina lächelte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales. Noch etwas –Terrensdorf ist eine Trabantenstadt – Plattenbau, sozialer Brennpunkt. Durchsucht das Netz nach Wirtschaftsgrößen, die Karims getuntem Profil ähneln, besonders im Hinblick auf die Herkunft. Fasst die Ergebnisse dann in einem Dossier zusammen und macht es den Suchmaschinen schmackhaft.“
„Autor des Dossiers?“
„Mindestens die „Financial Weekend“ – das Übliche – legt Spuren und Zitate des Artikels ins Netz und dann den Zeitungsbericht frei zugänglich auf einen unserer Datenserver.
Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina, während sie ihre Unterlagen zusammenlegte.
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Esah,

schöne Geschichte, wenn auch etwas zaghaft.

Der Anfang allerdings ist wirklich ein Problem.

"Die elektronische Schiebetür" - was soll das sein? So einen Stolperer würde ich weglassen.

"des modern eingerichteten Büros" - was ist modern? Dass Du hier SF schreibst brauchst Du durch sowas nicht zu betonen, es sei denn die Innenausstattung des Büros wäre Story-relevant.

„Thomas` Frau hat vorhin angerufen. Irgendwas mit seiner Tochter. Er muss heute etwas früher gehen.
Neben dem überflüssigen Apostroph halte ich auch den Rest für streichfähig. Das sind so Sachen, die man sich als Leser merkt, weil sie am Anfang der Geschichte stehen und man glaubt, das wäre von Bedeutung.

Ansonsten ist mir der Büro-Alltag zu altmodisch. Assistentin die Kaffee kocht - bäh. Das ist ja heute schon oldschool.
Wäre die Assistentin ein Avatar und käme die braune Brühe über das Haus-Catering, oder etwas in der Art, dann wäre es etwas cooler.
:)

Auch später wird viel persönlich zusammengearbeitet - etwas was ich mir schon heute als überkommen vorstelle.

Bei den Computersachen könnte es auch etwas moderner werden. Mehr Online-Aktivitäten das Knaben. Der hat unendlich viele Spuren im Netz, die geschönt oder geliftet werden müssen. Gildenmeister in einem Online-Rollenspiel (soziale Kompetenz), viele "gute" Freunde in Social-Networks, keine Saufvideos/bilder auf entsprechenden Portalen, keine verdächtigen/peinlichen Chatlogs beim BND oder GermanBash etc.

Der Abspann ist zu lang. Die Pointe mit Jonathans eigenem Profil ist flach und auch nicht notwendig. Eher würde ich erwarten, dass alle Mitarbeiter der Firma ständig mit Bots ihre Profile frisieren und das Netz leeräumen von unliebsamen Einträgen.

cu
lap
 

Esah

Mitglied
Hallo lapismont,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

"Die elektronische Schiebetür" - "des modern eingerichteten Büros" - was ist modern? Dass Du hier SF schreibst brauchst Du durch sowas nicht zu betonen, es sei denn die Innenausstattung des Büros wäre Story-relevant.
Das sehe ich anders - Beschreibungen von Gegenständen, Möbeln, Raumausstattung helfen auch bei einem SF dem Leser, sich zurecht zu finden. Hier würde ich eher noch ergänzen, als streichen.

„Thomas` Frau hat vorhin angerufen. Irgendwas mit seiner Tochter. Er muss heute etwas früher gehen.

Neben dem überflüssigen Apostroph halte ich auch den Rest für streichfähig. Das sind so Sachen, die man sich als Leser merkt, weil sie am Anfang der Geschichte stehen und man glaubt, das wäre von Bedeutung.
Ja, denk ich noch mal drüber nach - war eigentlich auch dazu gedacht, die Personen nicht zu steril erscheinen zu lassen. Evtl. Streich ich`s aber wieder.

Ansonsten ist mir der Büro-Alltag zu altmodisch. Assistentin die Kaffee kocht - bäh. Das ist ja heute schon oldschool.
Wäre die Assistentin ein Avatar und käme die braune Brühe über das Haus-Catering, oder etwas in der Art, dann wäre es etwas cooler.
Da die ganze Story "nur" 34 Jahre in der Zukunft spielt, würde ich gerne bei einer menschlichen Assistentin bleiben - zumal diese später noch eine wichtige Rolle spielt (bei der Grafikverarbeitung). Ein wenig mehr Hightech - und sei es nur eine Randbemerkung, kann jedoch gerade beim Kaffee nicht schaden. Ich guck mal.

Auch später wird viel persönlich zusammengearbeitet - etwas was ich mir schon heute als überkommen vorstelle.
Ha, ich hab gerade eine Idee, was ich noch einbinden könnte. Danke für die Anregung.

Gildenmeister in einem Online-Rollenspiel (soziale Kompetenz),
viele "gute" Freunde in Social-Networks, keine Saufvideos/bilder auf entsprechenden Portalen, keine verdächtigen/peinlichen Chatlogs beim BND oder GermanBash etc.
Dazu fällt mir auch noch was ein. Das ist ein guter Punkt - "soziale Online-Kompetenz" bring ich noch rein.

Der Abspann ist zu lang. Die Pointe mit Jonathans eigenem Profil ist flach und auch nicht notwendig. Eher würde ich erwarten, dass alle Mitarbeiter der Firma ständig mit Bots ihre Profile frisieren und das Netz leeräumen von unliebsamen Einträgen.
Hmmmm...mal gucken, ich fand, die Pointe zum Schluss macht die Geschichte noch mal rund.
"Ständiges Frisieren" ist ja an sich nicht notwendig, wenn man einmal den Fuss in der Tür hat.

Ich bastel noch mal was - zumindest eine Idee werde ich direkt umsetzen. Vielen Dank für die konstruktiven Vorschläge.

Lieben Gruß
Esah
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Die elektronische Schiebetür schloss sich lautlos hinter Jonathan. „Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros. Der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft – ein Zeichen, dass der Kantinenautomat wieder funktionierte.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben. Ein weiterer Bildschirm flackerte kurz, und Sabrina, die Web-Soziologin, begrüßte die Anwesenden. Sabrina arbeitete im Home-Office und war schon über zwei Jahre im Team.
„Thomas muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse über den Glastisch zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater: Walter Schienbacher ist im Jahr 2002 geboren und in verschiedenen sozialen Brennpunkten aufgewachsen. Eher schlechte Abschlussnoten der Staatsschule. Zuerst Beschäftigung als Tagelöhner auf Spargelfeldern, etc. Dann, 2022, eine Anstellung als Gebäudereiniger bei der Firma Karstenbau. Kurz darauf heiratete er die Marokkanerin Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der junge Systemprogrammierer, zu bedenken. Er saß am nächsten Schreibtisch und hatte bisher nur zugehört.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus. In der Grundschule Karim Schienbachers gab es im Jahr 2031 einen Datenverlust – ich konnte ihn nachträglich als Klassensprecher eintragen. Da nebenschulische Vereinstätigkeiten erst ab 2037 protokolliert werden, habe ich ihn zudem von 2033 bis `37 für vier Jahre in sportlichen und intellektuellen Mitgliedslisten eingetragen. Für die restliche Zeit habe ich auf drei Vereinslisten unserer Dummy-Vereine zugegriffen, die wir schon bei früheren Fällen benutzt haben. Karim ist seit kurzem – ich meine natürlich seit fünf Jahren – Mitglied namhafter Vereine wie dem „Schwarz-Weiß-Schach e.V.“, dem „Ball-Läufer e.V.“ und sogar Kassenwart im „Globalen Heimatverein".
Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“
„Reicht das?“ wollte Jonathan wissen.
„Für ein Stipendium wohl noch nicht. Aber ich konnte aus dem Jahr 2040 einen „Jugend forscht 2.0“-Beitrag finden, der nur eine sehr vage Teilnehmerdefinition aufweist. Mithilfe zwei weiterer fingierter Verweise haben wir eine Spur zu Karim gelegt. Kurz: Er hat mit anderen Jugendlichen den 4. Platz bei Jugend forscht 2.0 belegt.“ Sabrina lächelte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales. Noch etwas –Terrensdorf ist eine Trabantenstadt – Plattenbau, sozialer Brennpunkt. Durchsucht das Netz nach Wirtschaftsgrößen, die Karims getuntem Profil ähneln, besonders im Hinblick auf die Herkunft. Fasst die Ergebnisse dann in einem Dossier zusammen und macht es den Suchmaschinen schmackhaft.“
„Autor des Dossiers?“
„Mindestens die „Financial Weekend“ – das Übliche – legt Spuren und Zitate des Artikels ins Netz und dann den Zeitungsbericht frei zugänglich auf einen unserer Datenserver.
Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina. Jonathan packte gerade zusammen und die meisten Computer waren schon heruntergefahren..
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“ Er schaltete das Terminal ab.
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Gerade die Details der Profiländerung sollen ja den Leser unterhalten.
Und gerade die Details sind nicht unterhaltsam. Oder höchstens im Sinne einer intellektuellen Befriedigung ob Faszination über die technischen Möglichkeiten der Manipulation.
Ist wie der Unterschied zwischen Kursbuchlektüre und der Bahnfahrt. Wenn ich eine Story lese, möchte ich vom Autor auf die Reise geschickt werden. Wenn ich mich schlau machen will, lese ich ein Sachbuch oder einen Fachaufsatz.
Als Autor musst Du Dich entscheiden, was es werden soll und dann diese Entscheidung auch konsequent durchziehen, selbst auf die Gefahr hin, dass Deine Leser dabei nicht mitbekommen, dass die gerade durchfahrene Station der Hauptbahnhof von Kleinkleckersdorf ist.
Nun gut, ist Deine Geschichte und ich will Dir gewiss auch keine Gewalt antun. Vielleicht erhältst Du noch andere Meinungen zur Geschichte, die Dich das noch einmal überdenken lassen. Laps Kommentar geht ja ein wenig in die gleiche Richtung.

Apropos: Die von ihm genannten Kritikpunkte (elektronische Tür, modernes Büro etc.) sehe ich genauso. Abgesehen davon, dass Deine Zukunft schon lange Alltag ist, wie am Eingang jedes Supermarktes festzustellen ist...

Nu' werde ich Dich auch nicht weiter mit meinem Gezeter penetrieren; das Wichtigste, was ich zu sagen hatte, steht da oben. Es sei denn, Dir ist daran gelegen.

Unverdrossen davon geschossen
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Vielleicht wird Dir, lieber Esah, auch nicht ganz klar, warum ich die Schiebetür nicht mag. Ich bin ja in erster Linie Lyriker und die hacken etwas intensiver auf einzelne Wörter rum.

Also. Schiebe kommt von schieben. Ich schiebe die Tür auf.wenn sie elektronisch ist, stell ich mir so leuchtende Dioden auf der Oberfläche der Tür vor.
Eine elektronische Schiebetür mag es bei Buck Rogers oder der guten Raumpatrouille gegeben haben, aber weder vom Wort noch von der erahnten Funktionsweise passt sie ->für mich<- in die Zukunft.

Das würde alles noch angehen, wenn Du damit nicht die Story beginnen würdest.
Ein Gedicht, das beginnt mit
Seelenschmerz weit leuchtet der Silbermond
bringt den Leser auf komische Gedanken und wenn es nur unbewusst ist.

Hoffe, ich konnte da etwas Licht hinein bringen.

cu
lap
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Jonathan zog die schmale Chipkarte durch den Scanner und die silbernen Türflügel glitten lautlos auseinander. Ohne lange zu zögern betrat er das Büro der "Profila Nova AG".
„Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros. Der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft – ein Zeichen, dass der Kantinenautomat wieder funktionierte.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben. Ein weiterer Bildschirm flackerte kurz, und Sabrina, die Web-Soziologin, begrüßte die Anwesenden. Sabrina arbeitete im Home-Office und war schon über zwei Jahre im Team.
„Thomas muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse über den Glastisch zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater: Walter Schienbacher ist im Jahr 2002 geboren und in verschiedenen sozialen Brennpunkten aufgewachsen. Eher schlechte Abschlussnoten der Staatsschule. Zuerst Beschäftigung als Tagelöhner auf Spargelfeldern, etc. Dann, 2022, eine Anstellung als Gebäudereiniger bei der Firma Karstenbau. Kurz darauf heiratete er die Marokkanerin Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der junge Systemprogrammierer, zu bedenken. Er saß am nächsten Schreibtisch und hatte bisher nur zugehört.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus. In der Grundschule Karim Schienbachers gab es im Jahr 2031 einen Datenverlust – ich konnte ihn nachträglich als Klassensprecher eintragen. Da nebenschulische Vereinstätigkeiten erst ab 2037 protokolliert werden, habe ich ihn zudem von 2033 bis `37 für vier Jahre in sportlichen und intellektuellen Mitgliedslisten eingetragen. Für die restliche Zeit habe ich auf drei Vereinslisten unserer Dummy-Vereine zugegriffen, die wir schon bei früheren Fällen benutzt haben. Karim ist seit kurzem – ich meine natürlich seit fünf Jahren – Mitglied namhafter Vereine wie dem „Schwarz-Weiß-Schach e.V.“, dem „Ball-Läufer e.V.“ und sogar Kassenwart im „Globalen Heimatverein".
Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“
„Reicht das?“ wollte Jonathan wissen.
„Für ein Stipendium wohl noch nicht. Aber ich konnte aus dem Jahr 2040 einen „Jugend forscht 2.0“-Beitrag finden, der nur eine sehr vage Teilnehmerdefinition aufweist. Mithilfe zwei weiterer fingierter Verweise haben wir eine Spur zu Karim gelegt. Kurz: Er hat mit anderen Jugendlichen den 4. Platz bei Jugend forscht 2.0 belegt.“ Sabrina lächelte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales. Noch etwas –Terrensdorf ist eine Trabantenstadt – Plattenbau, sozialer Brennpunkt. Durchsucht das Netz nach Wirtschaftsgrößen, die Karims getuntem Profil ähneln, besonders im Hinblick auf die Herkunft. Fasst die Ergebnisse dann in einem Dossier zusammen und macht es den Suchmaschinen schmackhaft.“
„Autor des Dossiers?“
„Mindestens die „Financial Weekend“ – das Übliche – legt Spuren und Zitate des Artikels ins Netz und dann den Zeitungsbericht frei zugänglich auf einen unserer Datenserver.
Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina. Jonathan packte gerade zusammen und die meisten Computer waren schon heruntergefahren..
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“ Er schaltete das Terminal ab.
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

Esah

Mitglied
Ooook,

Der Fall "Elektronische Schiebetür" ist erledigt :) Ich bin ja für jede fundierte Kritik dankbar.

Wie ich irgendwo anders schon geschrieben habe : mir macht die Arbeit am Text Freude - ich tausche gerne Wörter oder Halbsätze aus und sehe, wie ein Text (mein Text) Gestalt annimmt, wächst, gefällt...

Nur, dass was Rumpelsstilzchen da "fordert", wäre, einen oder zwei komplette Stücke einfach herauszunehmen und diese vielleicht durch einen Nebensatz abzuhandeln.
Das fällt mir ein wenig schwer - hinzufügen oder ausbessern ist eine Sache - kürzen eine ganz andere.

Vielleicht muss ich das noch lernen :)

Ich denk noch mal drüber nach. Der ganze Text ist nur von Anfang an (in meinem Kopf) so aufgebaut, dass detailiert beschrieben wird. Es fällt mir unglaublich schwer, da einfach was zu streichen...

Was nicht heißt, dass ich es nicht einsehen würde - nur befinde ich mich da im Zwiespalt.

Ich werde mal ein wenig in mich gehen - und vielleicht fällt mir noch ein (auf), was - mit Gewinn - weg kann.

Ich freue mich übrigens jederzeit über Kommentare und Meinungen - bisher hat der Text dadurch nur gewonnen.

Lieben Gruß
Esah
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Jonathan zog die schmale Chipkarte durch den Scanner und die silbernen Türflügel glitten lautlos auseinander. Ohne lange zu zögern betrat er das Büro der "Profila Nova AG".
„Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros. Der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft – ein Zeichen, dass der Kantinenautomat wieder funktionierte.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben. Ein weiterer Bildschirm flackerte kurz, und Sabrina, die Web-Soziologin, begrüßte die Anwesenden über die Web-Cam. Sabrina arbeitete im Home-Office und war schon über zwei Jahre im Team.
„Thomas muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse über den Glastisch zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater: Walter Schienbacher ist im Jahr 2002 geboren und in verschiedenen sozialen Brennpunkten aufgewachsen. Eher schlechte Abschlussnoten der Staatsschule. Zuerst Beschäftigung als Tagelöhner auf Spargelfeldern, etc. Dann, 2022, eine Anstellung als Gebäudereiniger bei der Firma Karstenbau. Kurz darauf heiratete er die Marokkanerin Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der junge Systemprogrammierer, zu bedenken. Er saß am nächsten Schreibtisch und hatte bisher nur zugehört.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus. In der Grundschule Karim Schienbachers gab es im Jahr 2031 einen Datenverlust – ich konnte ihn nachträglich als Klassensprecher eintragen. Da nebenschulische Vereinstätigkeiten erst ab 2037 protokolliert werden, habe ich ihn zudem von 2033 bis `37 für vier Jahre in sportlichen und intellektuellen Mitgliedslisten eingetragen. Für die restliche Zeit habe ich auf drei Vereinslisten unserer Dummy-Vereine zugegriffen, die wir schon bei früheren Fällen benutzt haben. Karim ist seit kurzem – ich meine natürlich seit fünf Jahren – Mitglied namhafter Vereine wie dem „Schwarz-Weiß-Schach e.V.“, dem „Ball-Läufer e.V.“ und sogar Kassenwart im „Globalen Heimatverein".
Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“
„Reicht das?“ wollte Jonathan wissen.
„Für ein Stipendium wohl noch nicht. Aber ich konnte aus dem Jahr 2040 einen „Jugend forscht 2.0“-Beitrag finden, der nur eine sehr vage Teilnehmerdefinition aufweist. Mithilfe zwei weiterer fingierter Verweise haben wir eine Spur zu Karim gelegt. Kurz: Er hat mit anderen Jugendlichen den 4. Platz bei Jugend forscht 2.0 belegt.“ Sabrina lächelte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales. Noch etwas –Terrensdorf ist eine Trabantenstadt – Plattenbau, sozialer Brennpunkt. Durchsucht das Netz nach Wirtschaftsgrößen, die Karims getuntem Profil ähneln, besonders im Hinblick auf die Herkunft. Fasst die Ergebnisse dann in einem Dossier zusammen und macht es den Suchmaschinen schmackhaft.“
„Autor des Dossiers?“
„Mindestens die „Financial Weekend“ – das Übliche – legt Spuren und Zitate des Artikels ins Netz und dann den Zeitungsbericht frei zugänglich auf einen unserer Datenserver.
Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina. Jonathan packte gerade zusammen und die meisten Computer waren schon heruntergefahren..
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“ Er schaltete das Terminal ab.
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das fällt mir ein wenig schwer - hinzufügen oder ausbessern ist eine Sache - kürzen eine ganz andere.
Die Erkenntnis, nicht schwimmen zu können, ist der erste Schritt, es zu erlernen ;-)
Ernsthaft:
Die Fähigkeit, Überflüssiges zu erkennen und die Selbstdisziplin, darauf zu verzichten, sind für das Schreiben (besonders von Kurzgeschichten) unabdingbar. Klar, zunächst rappelt man seinen Text in die Kiste, aber dann: jeder Abschnitt, jeder Satz, selbst jedes Wort gehört auf seine Bedeutung für den Fortgang der Handlung oder die Vermittlung der Atmosphäre geprüft. Was nix bringt, muss fort – und wenn die Autorenseele noch so dicke Abschiedstränen weint.

Ist versunken, aber nicht ertrunken
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Jonathan zog die weiße Chipkarte durch den Scanner und die silbernen Türflügel glitten lautlos auseinander. Ohne lange zu zögern betrat er das Büro der "Profila Nova AG".
„Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros. Der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft – ein Zeichen, dass der Kantinenautomat wieder funktionierte.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben. Ein weiterer Bildschirm flackerte kurz, und Sabrina, die Web-Soziologin, begrüßte die Anwesenden über die Web-Cam. Sabrina arbeitete im Home-Office und war schon über zwei Jahre im Team.
„Thomas muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse über den Glastisch zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater..."
Walter Schienbacher war ein typischer Vertreter der Unterschicht. Kurz nach der Jahrtausendwende geboren und in sozialen Brennpunkten aufgewachsen, erwarteten ihn nach der kurzen Schulzeit Jobs als Tagelöhner. Schließlich eine Festanstellung als Gebäudereiniger und die Heirat einer Marokkanerin: Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
"Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“ beendete Julia den kurzen Bericht.
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der junge Systemprogrammierer, zu bedenken. Er saß am nächsten Schreibtisch und hatte bisher nur zugehört.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus. In der Grundschule Karim Schienbachers gab es im Jahr 2031 einen Datenverlust – ich konnte ihn nachträglich als Klassensprecher eintragen. Da nebenschulische Vereinstätigkeiten erst ab 2037 protokolliert werden, habe ich ihn zudem von 2033 bis `37 für vier Jahre in sportlichen und intellektuellen Mitgliedslisten eingetragen. Für die restliche Zeit habe ich auf drei Vereinslisten unserer Dummy-Vereine zugegriffen, die wir schon bei früheren Fällen benutzt haben. Karim ist seit kurzem – ich meine natürlich seit fünf Jahren – Mitglied namhafter Vereine wie dem „Schwarz-Weiß-Schach e.V.“, dem „Ball-Läufer e.V.“ und sogar Kassenwart im „Globalen Heimatverein".
Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“
„Reicht das?“ wollte Jonathan wissen.
„Für ein Stipendium wohl noch nicht. Aber ich konnte aus dem Jahr 2040 einen „Jugend forscht 2.0“-Beitrag finden, der nur eine sehr vage Teilnehmerdefinition aufweist. Mithilfe zwei weiterer fingierter Verweise haben wir eine Spur zu Karim gelegt. Kurz: Er hat mit anderen Jugendlichen den 4. Platz bei Jugend forscht 2.0 belegt.“ Sabrina lächelte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales. Noch etwas –Terrensdorf ist eine Trabantenstadt – Plattenbau, sozialer Brennpunkt. Durchsucht das Netz nach Wirtschaftsgrößen, die Karims getuntem Profil ähneln, besonders im Hinblick auf die Herkunft. Fasst die Ergebnisse dann in einem Dossier zusammen und macht es den Suchmaschinen schmackhaft.“
„Autor des Dossiers?“
„Mindestens die „Financial Weekend“ – das Übliche – legt Spuren und Zitate des Artikels ins Netz und dann den Zeitungsbericht frei zugänglich auf einen unserer Datenserver.
Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina. Jonathan packte gerade zusammen und die meisten Computer waren schon heruntergefahren..
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“ Er schaltete das Terminal ab.
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Jonathan zog die weiße Chipkarte durch den Scanner und die silbernen Türflügel glitten lautlos auseinander. Ohne lange zu zögern betrat er das Büro der "Profila Nova AG".
„Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros. Der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft – ein Zeichen, dass der Kantinenautomat wieder funktionierte.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben. Ein weiterer Bildschirm flackerte kurz, und Sabrina, die Web-Soziologin, begrüßte die Anwesenden über die Web-Cam. Sabrina arbeitete im Home-Office und war schon über zwei Jahre im Team.
„Thomas muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse über den Glastisch zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater..."
Walter Schienbacher war ein typischer Vertreter der Unterschicht. Kurz nach der Jahrtausendwende geboren und in sozialen Brennpunkten aufgewachsen, erwarteten ihn nach der kurzen Schulzeit Jobs als Tagelöhner. Schließlich eine Festanstellung als Gebäudereiniger und die Heirat einer Marokkanerin: Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
"Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“ beendete Julia den kurzen Bericht.
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der junge Systemprogrammierer, zu bedenken. Er saß am nächsten Schreibtisch und hatte bisher nur zugehört.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus."
Jonathan rief die Mails ab und überflog kurz das Dossier. Sabrina hatte sämtliche Möglichkeiten genutzt, um Karims Lebenslauf mit sozialen Meilensteinen zu füllen. Zum Glück war die Datenerfassung nie ganz hundertprozentig, und viele Daten hatten nur eine begrenzte Lebensdauer. Das geübte Auge konnte diese Lücken und Schlupflöcher erkennen, und dort schuf Sabrina neue Fakten.
"Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“ erklärte Sabrina über das Terminal, nachdem Jonathan den Bericht gelesen hatte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales. Noch etwas –Terrensdorf ist eine Trabantenstadt – Plattenbau, sozialer Brennpunkt. Durchsucht das Netz nach Wirtschaftsgrößen, die Karims getuntem Profil ähneln, besonders im Hinblick auf die Herkunft. Fasst die Ergebnisse dann in einem Dossier zusammen und macht es den Suchmaschinen schmackhaft.“
„Autor des Dossiers?“
„Mindestens die „Financial Weekend“ – das Übliche – legt Spuren und Zitate des Artikels ins Netz und dann den Zeitungsbericht frei zugänglich auf einen unserer Datenserver.
Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina. Jonathan packte gerade zusammen und die meisten Computer waren schon heruntergefahren..
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“ Er schaltete das Terminal ab.
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

Esah

Mitglied
Ich hab jetzt diesen Text

„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus. In der Grundschule Karim Schienbachers gab es im Jahr 2031 einen Datenverlust – ich konnte ihn nachträglich als Klassensprecher eintragen. Da nebenschulische Vereinstätigkeiten erst ab 2037 protokolliert werden, habe ich ihn zudem von 2033 bis `37 für vier Jahre in sportlichen und intellektuellen Mitgliedslisten eingetragen. Für die restliche Zeit habe ich auf drei Vereinslisten unserer Dummy-Vereine zugegriffen, die wir schon bei früheren Fällen benutzt haben. Karim ist seit kurzem – ich meine natürlich seit fünf Jahren – Mitglied namhafter Vereine wie dem „Schwarz-Weiß-Schach e.V.“, dem „Ball-Läufer e.V.“ und sogar Kassenwart im „Globalen Heimatverein".
Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“
„Reicht das?“ wollte Jonathan wissen.
„Für ein Stipendium wohl noch nicht. Aber ich konnte aus dem Jahr 2040 einen „Jugend forscht 2.0“-Beitrag finden, der nur eine sehr vage Teilnehmerdefinition aufweist. Mithilfe zwei weiterer fingierter Verweise haben wir eine Spur zu Karim gelegt. Kurz: Er hat mit anderen Jugendlichen den 4. Platz bei Jugend forscht 2.0 belegt.“ Sabrina lächelte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“


durch diesen Text

„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus."
Jonathan rief die Mails ab und überflog kurz das Dossier. Sabrina hatte sämtliche Möglichkeiten genutzt, um Karims Lebenslauf mit sozialen Meilensteinen zu füllen. Zum Glück war die Datenerfassung nie ganz hundertprozentig, und viele Daten hatten nur eine begrenzte Lebensdauer. Das geübte Auge konnte diese Lücken und Schlupflöcher erkennen, und dort schuf Sabrina neue Fakten in Form von Vereinsmitgliedschaften und Ehrenämtern.
"Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“ erklärte Sabrina über das Terminal, nachdem Jonathan den Bericht gelesen hatte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
ersetzt.
Weggefallen sind ettliche Jahreszahlen, ein paar (humorvoll gedachte, aber Ziel verfehlende) Vereinsnamen (braucht glaub ich niemand). Dafür ein Text, mit dem der Leser mehr anfangen kann als mit Daten + Namen.

So, in etwa?

Zudem den Part, wo Julia (die Assistentin) die Fakten über Walter Schienbacher erzählt - von der wörtlichen Rede befreit. Auch hier sind ein paar (unwichtige) Jahreszahlen und Fakten weggefallen. Wörtliche Rede erscheint mir für größere Abschnitte einfach zu anstrengend zu sein.

Ich hoffe, ich bewege mich da in die richtige Richtung. Mir scheint, der Text gewinnt immer mehr dazu. Bin noch guter Dinge, dass daraus mal was wird.

Vielen Dank für die tollen Tipps.

Lieben Gruß
Esah
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Jonathan zog die weiße Chipkarte durch den Scanner und die silbernen Türflügel glitten lautlos auseinander. Ohne lange zu zögern betrat er das Büro der "Profila Nova AG".
„Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros. Der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft – ein Zeichen, dass der Kantinenautomat wieder funktionierte.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben. Ein weiterer Bildschirm flackerte kurz, und Sabrina, die Web-Soziologin, begrüßte die Anwesenden über die Web-Cam. Sabrina arbeitete im Home-Office und war schon über zwei Jahre im Team.
„Thomas muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse über den Glastisch zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater..."
Walter Schienbacher war ein typischer Vertreter der Unterschicht. Kurz nach der Jahrtausendwende geboren und in sozialen Brennpunkten aufgewachsen, erwarteten ihn nach der kurzen Schulzeit Jobs als Tagelöhner. Schließlich eine Festanstellung als Gebäudereiniger und die Heirat einer Marokkanerin: Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
"Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“ beendete Julia den kurzen Bericht.
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der junge Systemprogrammierer, zu bedenken. Er saß am nächsten Schreibtisch und hatte bisher nur zugehört.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus."
Jonathan rief die Mails ab und überflog kurz das Dossier. Sabrina hatte sämtliche Möglichkeiten genutzt, um Karims Lebenslauf mit sozialen Meilensteinen zu füllen. Zum Glück war die Datenerfassung nie ganz hundertprozentig, und viele Daten hatten nur eine begrenzte Lebensdauer. Das geübte Auge konnte diese Lücken und Schlupflöcher erkennen, und dort schuf Sabrina neue Fakten in Form von Vereinsmitgliedschaften und Ehrenämtern.
"Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“ erklärte Sabrina über das Terminal, nachdem Jonathan den Bericht gelesen hatte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales."
Jonathan und sein Team arbeiteten fieberhaft. Die Zeit war knapp, und schon am nächsten Tag musste das neue Profil im Netzt stehen. Sie fingierten Artikel, Webseiten, Blogs, Forenbeiträge - der Vielfalt waren keine Grenzen gesetzt.
In Ihren Studien war selbst die Trabantenstadt Terrensdorf ideale Grundlage für kompetente Betriebsleiter. Wer prüfte schon die Authentizität eines Zeitungsberichtes, wenn mehr als zwei Verweise im Web auf diesen verlinkten?
"Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina. Jonathan packte gerade zusammen und die meisten Computer waren schon heruntergefahren..
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“ Er schaltete das Terminal ab.
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Jonathan zog die weiße Chipkarte durch den Scanner und die silbernen Türflügel glitten lautlos auseinander. Ohne lange zu zögern betrat er das Büro der "Profila Nova AG".
„Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros. Der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft – ein Zeichen, dass der Kantinenautomat wieder funktionierte.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben. Ein weiterer Bildschirm flackerte kurz, und Sabrina, die Web-Soziologin, begrüßte die Anwesenden über die Web-Cam. Sabrina arbeitete im Home-Office und war schon über zwei Jahre im Team.
„Thomas muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse über den Glastisch zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater..."
Walter Schienbacher war ein typischer Vertreter der Unterschicht. Kurz nach der Jahrtausendwende geboren und in sozialen Brennpunkten aufgewachsen, erwarteten ihn nach der kurzen Schulzeit Jobs als Tagelöhner. Schließlich eine Festanstellung als Gebäudereiniger und die Heirat einer Marokkanerin: Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
"Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“ beendete Julia den kurzen Bericht.
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der junge Systemprogrammierer, zu bedenken. Er saß am nächsten Schreibtisch und hatte bisher nur zugehört.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus."
Jonathan rief die Mails ab und überflog kurz das Dossier. Sabrina hatte sämtliche Möglichkeiten genutzt, um Karims Lebenslauf mit sozialen Meilensteinen zu füllen. Zum Glück war die Datenerfassung nie ganz hundertprozentig, und viele Daten hatten nur eine begrenzte Lebensdauer. Das geübte Auge konnte diese Lücken und Schlupflöcher erkennen, und dort schuf Sabrina neue Fakten in Form von Vereinsmitgliedschaften und Ehrenämtern.
"Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“ erklärte Sabrina über das Terminal, nachdem Jonathan den Bericht gelesen hatte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Jetzt zu Nuheila Schienbacher, seiner Mutter – stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten auf marokkanische Webseiten, die auf die Mutter zurückführen. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales."
Jonathan und sein Team arbeiteten fieberhaft. Die Zeit war knapp, und schon am nächsten Tag musste das neue Profil im Netzt stehen. Sie änderten und erstellten Artikel, Webseiten, Blogs, Forenbeiträge - der Vielfalt waren keine Grenzen gesetzt.
In ihren Studien war selbst die Trabantenstadt Terrensdorf ideale Grundlage für kompetente Betriebsleiter. Wer prüfte schon die Authentizität eines Zeitungsberichtes, wenn mehr als zwei Verweise im Web auf diesen verlinkten?
"Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina. Jonathan packte gerade zusammen und die meisten Computer waren schon heruntergefahren..
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“ Er schaltete das Terminal ab.
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 

Esah

Mitglied
Weg des Lebens

Jonathan zog die weiße Chipkarte durch den Scanner und die silbernen Türflügel glitten lautlos auseinander. Ohne lange zu zögern betrat er das Büro der "Profila Nova AG".
„Morgen zusammen“, begrüßte er seine Kollegen, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
„Morgen, Jonathan“ ... „Morgen, Jo“...“Hi, Jonathan“, erklang es aus den verschiedenen Ecken des modern eingerichteten Büros. Der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft – ein Zeichen, dass der Kantinenautomat wieder funktionierte.
„Was gibt’s heute?“ fragte Jonathan und ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder. Er berührte kurz sein Datapad, und der Rechner erwachte leise surrend zum Leben. Ein weiterer Bildschirm flackerte kurz, und Sabrina, die Web-Soziologin, begrüßte die Anwesenden über die Web-Cam. Sabrina arbeitete im Home-Office und war schon über zwei Jahre im Team.
„Thomas muss heute etwas früher gehen. Ansonsten steht der Fall ‚Schienbacher gegen Global-Investment-Company’ an“, informierte ihn Julia, seine Assistentin.
„Fakten?“ erkundigte sich Jonathan. „Und Kaffee – ich brauche Kaffee.“
„Kommt sofort.“ Julia lächelte. „Hier, Chef.“ Sie goss ihm seine Bürotasse voll mit lebensnotwendigem Koffein und schob ihm die Tasse über den Glastisch zu.
„Nun zu den Fakten. Erst einmal der Vater..."
Walter Schienbacher war ein typischer Vertreter der Unterschicht. Kurz nach der Jahrtausendwende geboren und in sozialen Brennpunkten aufgewachsen, erwarteten ihn nach der kurzen Schulzeit Jobs als Tagelöhner. Schließlich eine Festanstellung als Gebäudereiniger und die Heirat einer Marokkanerin: Nuheila Jahem – mittlerweile Nuheila Schienbacher.
"Geburt des gemeinsamen Sohnes Karim im September 2024. Jetzt, achtzehn Jahre später, steht Karim vor dem Abschluss der Staatsschule. Wohnhaft in Terrensdorf.“ beendete Julia den kurzen Bericht.
„Gute Noten?“
„Mittelmaß. Er wird aller Voraussicht nach kein Stipendium und somit auch keine Chance für ein Studium bekommen, wenn sein Vater nicht etwas Geld gespart hätte. Es reicht nicht für ein komplettes Studium an einer Elite-Uni – aber es reicht für uns.“ Julia lächelte „Global-Investment-Company hat morgen einen Profiling-Lauf. Es werden sieben Kandidaten für ein Stipendium ausgewählt.“
"Und natürlich wird unser Kandidat dabei sein!" Jonathan war guter Dinge.
"Falls wir Erfolg haben. 24-Stunden sind ein sehr enger Zeitrahmen." gab Markus, der junge Systemprogrammierer, zu bedenken. Er saß am nächsten Schreibtisch und hatte bisher nur zugehört.
"Es wäre nicht das Erste mal, dass wir so knapp ein Profil umgesetzt bekommen." Sabrina schien sehr zuversichtlich.
"Nun, auf uns wartet viel Arbeit. Schauen wir uns als erstes die G-I-C an. Welche Profiling-Software?“ Die Frage richtete sich an Markus. Die großen Unternehmen fällten Personalentscheidungen nur noch mit Profiling-Software und deren Fähigkeit, das Netz nach relevanten Fakten zu durchsuchen.
„Recog Vers. 3.4 – also die neueste Version von New-Public-Soft“, erklärte Markus. Alle kannten sie die neue Software. Norman Trunt, Firmenleiter von New-Public-Soft, bewarb das Produkt mit etlichen Videoclips im Netz.
„Haben wir die Parameter?“ fragte Jonathan.
„Gescanned und ausgewertet“, antwortete Markus.
„Gut, schieß los.“ Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Als erstes haben wir eine Genüberprüfung. Diese basiert auf den Genprofilen aller Bundesbürger und den entsprechenden Erbmerkmalen. Ich habe Karims Genprofil mal gecheckt – keine Katastrophen – aber auch nicht besonders top.“
„Ansatzpunkte?“
„Es gibt natürlich ein paar einzigartige Genkombinationen, wie bei jedem Menschen. Ich habe vier Studien vorbereitet, die sich auf diese Genfaktoren beziehen, teilweise hilfreich war die eher untypische Kombination Deutschland-Marokko. Unterschrieben habe ich die Studien mit gehackten Uni-ID`s. Allesamt attestieren Karim eine überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Sozialwesen und perfekte Lebenserwartung. Die Studien liegen schon auf unseren Stand-By-Servern und wurden bereits von den Bots der Suchmaschinen erfasst. Damit bekommt Karim bei der Genüberprüfung Bestnoten.“
„Gute Arbeit. Welche Parameter gibt es sonst noch?“
„Zum größten Teil die üblichen. Bisherige Tätigkeiten fließen in die Bewertung mit ein. Aber das ist Sabrinas Fach.“
„Ja, bin auch schon fast fertig.“ Sabrina lächelte in die Web-Cam. “Die Berichte sind vorhin schon als Mail zu dir raus."
Jonathan rief seine Mails ab und überflog kurz das Dossier. Sabrina hatte sämtliche Möglichkeiten genutzt, um Karims Lebenslauf mit sozialen Meilensteinen zu füllen. Zum Glück war die Datenerfassung nie ganz hundertprozentig, und viele Daten hatten im Web nur eine begrenzte Lebensdauer. Mit etwas Übung konnte man diese Lücken und Schlupflöcher erkennen, und dort schuf Sabrina neue Fakten in Form von Vereinsmitgliedschaften und Ehrenämtern.
"Soziale Online Kompetenz beweist Karim neuerdings über seine Moderatoren-Tätigkeit im Forum einer Clan-Seite. Durch E-Sports zeigt er Aufgeschlossenheit, schnelle Auffassungsgabe und moderne Lebenseinstellung.“ erklärte Sabrina über das Terminal, nachdem Jonathan den Bericht gelesen hatte.
„Gut, soweit zu seinem außerschulischen Engagement. Was gibt es sonst noch an Kriterien?“
„Das Einkaufsverhalten. Moment ich rufe die Daten ab.“ Markus betätigte sein Datapad und eine lange Liste scrollte auf seinem Bildschirm.
„Verdammt.“ entfuhr es ihm.
„Was ist?“ Jonathan versuchte, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
„Das sind nur Videospiele – und Jeans, Hemden, Schuhe – Karim hat in den letzten Jahren fast nur Schuhe und Videogames gekauft.“
„Wie biegen wir das jetzt hin?.“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn. Er nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Beim zweiten Schluck hatte er eine Idee. „Wir haben doch bereits mit diesem Kinderheim zusammengearbeitet – die schulden uns noch etwas. Ruft da mal an. Die sollen eine nachträgliche Sachspendeninformation noch heute beim Finanzamt einreichen – Spende: sämtliche Videospiele, die Karim in der Vergangenheit erworben hat, datiert auf die letzten Jahre – Spender ist natürlich Karim Schienbacher.“
„Wird gemacht. Was ist mit den Mode-Artikeln? Auch spenden?“
„Nein, das kauft uns die Software nicht ab. Da hilft uns unsere gute alte Website „Sozio-Line.info“. Thomas, kümmer’ dich bitte um die Veröffentlichung einer Kurzstudie, nach der Jugendliche mit Modebewusstsein allgemein – speziell mit Karims Modegeschmack – hervorragende Betriebsleiter abgeben.“
„Hm?“ Thomas war der älteste des Teams und wirkte noch nicht ganz wach.
„Bring’ die Studie in den Suchmaschinen nach oben. Das hat jetzt höchste Priorität. Schmeiß’ deine Backlink-Generatoren an und optimier’ den Text der Studie für Search-Bots, insbesondere für die vorgegebenen Suchwörter der Recog Software – morgen muss die Studie in den Top-Ten der Ergebnisse stehen.“ Jonathan nahm noch einen Schluck Kaffee, während Thomas sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen seinem Computer zuwandte.
„Gibt es sonst noch Parameter?“ erkundigte sich Jonathan.
„Tja – die Schulnoten.“
„Einfluss in Prozent?“
„Ca. 22 % der Auswahl.“
„Das gibt uns reichlich Raum für Gegenanalysen. Dennoch möchte ich auf Nummer Sicher gehen. Stellt ein paar Notenspiegel-Listen ins Netz, bei denen Karim eindeutig gut abschneidet.“
„Kein Problem. Allerdings macht mir die neue Profiling-Software noch ein wenig Sorgen. Es gibt einen sogenannten `Social-Check` für Lehrkörper.“
„Davon stand neulich was in der Zeitschrift „Search“. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht den Blog eines Lehrers, der Karim als besonders fleißigen Schüler in Erinnerung hat. Blogs lassen sich leicht datieren und liefern viel Textmaterial an die Scannsoftware“
„Gute Idee“, meinte Jonathan „Am besten legst du den Blog so bald wie möglich an. Ehe ich es vergesse: stellt auch ein paar Gedichte und Kurzgeschichten von Nuheila Schienbacher, seiner Mutter, auf marokkanische Webseiten. Ein intellektueller Elternteil sollte reichen. Können wir die marokkanischen Noten fingieren?“
„Ja, zu der Zeit, als Nuheila noch in Marokko lebte, war die Datenerfassung des Landes noch lückenhaft.“
„Sehr schön. Wie gesagt – intellektueller Background – aber nichts Radikales."
Jonathan und sein Team arbeiteten fieberhaft. Die Zeit war knapp, und schon am nächsten Tag musste das neue Profil im Netzt stehen. Sie änderten und erstellten Artikel, Webseiten, Blogs, Forenbeiträge - der Vielfalt waren keine Grenzen gesetzt.
In ihren Studien war selbst die Trabantenstadt Terrensdorf ideale Grundlage für kompetente Betriebsleiter. Wer prüfte schon die Authentizität eines Zeitungsberichtes, wenn mehr als zwei Verweise im Web auf diesen verlinkten?
"Thomas – wenn du mit der Studie soweit bist, optimiere noch die restlichen Dokumente für das neue Recog – wir wollen doch, dass unsere „Wahrheiten“ auch an erster Stelle gelesen werden.
Ich wette, morgen findet die Global-Investment-Company einen neuen Kandidaten für ein Stipendium an einer Elite-Universität“, lächelnd rieb sich Jonathan die Hände.

„Chef, wir haben ein Problem“ aufgeregt starrte Markus auf seinen Flatscreen. Es war spät am Abend, Thomas war schon gegangen und sie waren nur noch zu viert im Büro.
„Stimmt was mit den Suchmaschinen-Platzierungen nicht?“ wollte Jonathan wissen.
„Keine Ahnung. Wir haben eben alles fertiggestellt und ich hab` einen Probelauf mit unserer Kopie der Recog V 3.4 gemacht, und diese Ergebnisliste bekommen.“ Markus zeigte auf seinen Bildschirm. Dort standen eine Reihe von Namen, fein säuberlich untereinander.
„Karim Schienbacher ist auf Position 16!“
„16? Auf Position 16? Wie kann das...Wieso?“ Jonathan war sprachlos.
„Ich hab keine Ahnung...ich hab alles geprüft, Parameter, Dokumente, Suchmaschinenplatzierung...“
„Gibt’s versteckte Parameter? Etwas, dass wir übersehen haben“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe.
„Es gibt eine Subroutine – ein Unterscript der Recog 3.4 wird mit den Daten der Vorüberprüfung gefüttert und hat ebenfalls Zugriff aufs Netz. Augenblick, ich checke mal den Datenfluss.“ Markus gab Daten über das Datapad ein.
„Da haben wir es! Die Subroutine zieht sich aus dem Netz...Grafikdaten“ Markus klang verblüfft.
„Grafikdaten? Was für Grafikdaten?“ Jonathan war bis ans äußerste gespannt.
„Augenblick...da...Fotos, von den Kandidaten. Profilbilder...“ ließ Markus wissen.
„Die Gesichter der Kandidaten? Warum?“ rief Jonathan.
Markus war in seinem Element. Er rief verschiedene Seiten auf. Blitzschnell bauten sich Programme auf, spuckten Analysen aus, öffneten sich Unterprogramme als auch weitere Fenster und wurden wieder geschlossen.
„Die machen eine Gesichtsanalyse!“ verblüfft scrollte Markus durch die Bildschirmanzeige.
Mittlerweile war auch Sabrina dazugekommen.
„Eine Gesichtsanalyse? Was muss ich mir darunter vorstellen?“ fragte die junge Frau.
„Die scannen den Abstand der Augenbrauen, Form der Nase, Mundwinkel, Wangenknochen, Stirn...einfach das ganze Gesicht – und dann...“
„Ja?“
„Dann gleichen sie das mit ihren Datenservern von Gesichtsprofilen ab. Anscheinend gibt es da verlässliche Werte.“
„Du meinst, Karim ist der Software unsympathisch vom äußeren Eindruck her?“ spottete Sabrina.
„So ähnlich, ja.“
Jonathan kaute nun mechanisch an seiner Unterlippe. „Gut, zieh die Gesichtsparameter des Scripts aus der Analyse und schieb sie mir auf den Rechner. Julia, komm mal bitte“ rief Jonathan seine Assitentin.
„Komme sofort“ rief Julia von der anderen Seite des Raumes, wo sie gerade Dokumente eingescanned hatte. Julia kam zu den dreien herüber und blickte fragend.
„Du hast doch auch eine Ausbildung als Grafikerin gemacht.“
„Ja, aber das ist schon lange her...“
„Egal. Du musst uns helfen. Hier – das ist ein Foto von Karim Schienbacher - von seiner Webpage. Kannst du mit einem Grafikprogramm folgende Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen....“

Als sie mitten in der Nacht fertig waren, luden sie das neue Bild ins Web. Nicht nur auf Karims Webpage, sondern noch in etlichen anderen Artikeln und Fotoseiten erschien „der neue Karim“, wie sie ihn nannten.
„So!“ frohlockte Markus schließlich. „Die neuen Ergebnisse unseres letzten Probelaufs sind da. Karim steht...an Platz Nummer Eins!“
Seufzer der Erleichterung gingen durch das Team.
„Mein Gott. Er sieht auf den Bildern jetzt wirklich aus wie...“ Jonathan rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend...“ staunte Julia.
„Aber fällt das nicht auf – ich meine, das Bild sieht aus wie... und Karim sieht eben ganz anders aus.“ zweifelte Sabrina.
„Das guckt sich nur die Software an, keine Sorge.“ beruhigte Jonathan
Jonathan blickte auf das Foto, welches sie ausgedruckt hatten. Es zeigte „den neuen Karim“.
Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der beinahe aufs Haar dem Firmenchef von New-Public-Soft glich. Der „neue Karim“ hätte ein Sohn von Norman Trunt sein können.
„Ich schätze, da ist ein gutes Maß an Firmenpolitik im Spiel.“ vermutete Jonathan. „Na, Hauptsache, unsere Ergebnisse stimmen.“

„Ich frage mich nur, ob die ‚Auserwählten’ danach ihren Mann stehen...“ überlegte Sabrina. Jonathan packte gerade zusammen und die meisten Computer waren schon heruntergefahren..
„Wie meinst du das?“
„Na, wir fingieren die Auswahl – sind die Leute, die wir auf den Thron setzen, ihren künftigen Aufgaben überhaupt gewachsen?“
„Keine Sorge, da fragt später niemand mehr nach. Wir kleiden die Menschen im Prinzip doch nur neu ein. Lügt ein Schneider? Ein Friseur? Wir schaffen ein Daten-Outfit für die Welt da draußen – etwas, dass die Welt gern sehen will. Wir verhelfen Menschen zu einer neuen, einer besseren Existenz. Das Leben sucht sich seinen Weg, selbst wenn es ein digitaler ist.“
„Aber hast du nie Zweifel, dass unsere Kandidaten versagen?“
Jonathan lächelte. „Mach’ dir keine Sorgen. Sabrina – mit einem guten Profil stehen einem alle Türen offen – der Rest ist ein Kinderspiel.“ Er schaltete das Terminal ab.
Nein, er machte sich keine Sorgen – er selbst hatte schließlich nie versagt. Trotz seiner zwei Vorstrafen wegen Betruges und einem – ehemals - äußerst fragwürdigen Lebenslauf war er seit drei Jahren Abteilungsleiter bei der „Profila Nova AG“ und alles lief wie am Schnürchen. Sein – zugegebenermaßen nicht preiswertes - Profil hatte damals alle weiteren Bewerber auf diesen Spitzenjob in den Schatten gestellt – er konnte stolz auf sich sein.
 



 
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