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Autor: Claudine Borries

Klaus Brinkbäumer: Zeit der Abschiede

Klaus Brinkbäumer: Zeit der Abschiede

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Klaus Brinkbäumer begibt sich in seinem vorliegenden Buch auf eine Reise in die eigene Vergangenheit.
Es wird eine Zeit der Reflexionen, des Nachdenkens und der Assoziationen über all‘ das Vergangene werden. Er schont sich nicht und gibt Gefühle aus seinem innersten Seelenleben preis.

Nach New York ist er gezogen, um den ihn sehr erschütternden Abschied, den Tod von seiner Mutter zu bewältigen. So sind die Jahreszahlen auch mit der Anzahl der Jahre des Abschieds beziffert. Seine Frau Samiha und der kleine Sohn Alexej sind bei ihm. Letzterer wurde in New York geboren. In New York hat er schon einmal Zeit verbracht. Es gibt Erinnerungen und gute Freunde.

Ihn quält die Trauer über den Verlust der Mutter sehr. Sie starb, ohne dass er bei ihr sein konnte.
Das verwindet er kaum. Da ersteht die Kindheit und die offensichtlich geliebte Mutter im Verhältnis zum recht stoischen Vater. Urlaube und Kindheitsfreuden, Erinnerungen an den eigenen Lebensweg und immer wieder Trennungen und Veränderungen.

Wie geht es uns als Kinder? Welche Träume und Visionen haben wir, und wie neugierig sind wir, was uns beim Aufbruch in das selbstständige Leben erwartet? Im Laufe des Wachsens verändern sich die Erwartungen und erste Frustrationen werden wahrgenommen. K. Brinkbäumer sinniert über Abschiede und Verluste, die ja zum Leben gehören. Alle Erkundungen führen auf den Weg zurück in Kindheit, Jugend und die herrliche Zeit, als die Zukunft noch unbekannt war.

Brinkbäumer stammte aus einem kleinen Ort in der Nähe von Münster. Die Eltern blieben dort haften, boten offensichtlich eine behütende Kindheit und ließen ihre Kinder in die Welt ziehen. Vergessen hat der Autor sie dort nicht! Die Düfte und Feste des Jahres werden lebendig. Hat er Proust gelesen? Sicher doch, denn er zitiert aus manch‘ anderem Werk, dass sich mit Erinnerungen, Verlusten und Trauer befasst.

Mit wachem Gemüt und leicht melancholischem Blick schaut K. Brinkbäumer auf die langen Jahre, in denen er berufliche Erfolge hatte, in denen er Freundschaften schloss, und auch auf Verluste, die zuweilen recht unerwartet kamen.

Immer wieder tröstlich ist für ihn das Zusammensein mit seinem kleinen Sohn.

K. Brinkbäumer kann sich gut in die Gefühle anderer hineinversetzen, vor allem natürlich in jene von ihm nahestehenden Menschen. In diesem Buch aber kreisen die Gedanken vor allem um vergangenes Erleben, und wie man alles verarbeitet, wo man Trost findet und immer wieder auch, wie man sich abfindet.

Dass K. Brinkbäumer in illustren Kreisen verkehrte, ist ein Nebeneffekt dieser Aufzeichnungen. Immerhin gehörte Paul Auster mit seiner Frau Siri Hustvedt zu den intellektuellen Stars in der New Yorker Literaturszene. Auch ihnen war er begegnet.

Was bleibt von dieser Lektüre?
Dass wir alle uns nicht dem Tod und der Vergänglichkeit entziehen können.

Im Anhang kann man jene Werke aufgeführt finden, aus denen Brinkbäumer zitiert. Es sind viele! So manches dieser zitierten Bücher könnte auch für den Leser von Interesse sein. Denn jeder findet andere Worte im Umgang mit Verlusten und Trauer.

Melancholie schwebt über den Aufzeichnungen und bleibt als Letztes haften; und seine Dankbarkeit den Eltern gegenüber!

Klaus Brinkbäumer lebt mit seiner Frau und dem Sohn in Leipzig. Er ist weiterhin in verschiedenen Medien aktiv.

Klaus Brinkbäumer
Zeit der Abschiede
208 Seiten
C.H.Beck, September 2025
ISBN-10: 3406830005
ISBN-13: ‏378-3406830006
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Barbara Trapido: Fliegender Wechsel

Barbara Trapido: Fliegender Wechsel

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In dem 1982 zum ersten Mal erschienenen Roman von Barbara Trapido geht es hoch her.

Katherine ist die Hauptprotagonistin in einem an Erfahrungen und Wachsen reichen Lebens. Sie ist die Tochter einer armen Vorstadtwitwe in England. Die prüde Mutter muss alleine mit der intelligenten und recht rebellischen Tochter fertig werden.

Katherine zieht es zur Universität. Frech und unbeschwert bemüht sie sich um einen Platz an der philosophischen Fakultät in Oxford.
Wie es der Zufall will, lernt sie den künstlerischen und gutmütigen Philosophieprofessor Jacob Goldmann kennen und findet Eingang in dessen achtköpfige Familie. Jane, Jacobs Frau, bekommt das sechste Kind, während die ältesten gerade ihr eigenes Leben beginnen.

Diese jüdische Mittelschichtfamilie ist offen und bar aller Tabus im verbalen Umgang miteinander. Es sprüht nur so vor sexuellen Anspielungen, gegenseitigen Neckereien und Spötteleien. Jacob ist hingerissen von seiner Frau und liebt seine Kinder je auf seine Weise. Sie beleben das offene Haus, und Jane und Jacob verbreiten eine herzliche und einladende Atmosphäre.

Man ist gebildet aber nicht im herkömmlichen Sinne kultiviert. Das liberale Klima im Haus wird von der Autorin hinreißend geschildert.
Die ältesten Söhne Roger und Jonathan sind begeistert von der hübschen und anziehenden Katherine. Sie wird Rogers große Liebe, die sie zuweilen zu Unterwürfigkeit verleitet. Die Autorin gibt der prickelnden Beziehung die richtigen Worte.

Roger ist intelligent, brilliant und gelegentlich sadistisch zu der noch schüchternen Katherine. Im Roman verfolgt man die Entwicklung der Kinder aus dieser amüsanten und von englischem Humor strotzenden Familie. Ob die Autorin Anleihen an ihre eigene Kindheit genommen hat?
Katherine muss Enttäuschungen verkraften und fasst nach Jahren den Entschluss, nach Rom zu gehen, wo sie zehn Jahre als Deutschlehrerin ihr Brot verdient.
Immer wieder tauchen exzentrische Figuren auf, die das Geschehen mitbestimmen.
Als Katherine nach England zurückkehrt, ist Jacob gealtert und die ganze Kinderschar erwachsen geworden.

Wie es mit Roger, Jonathan und Katherine weitergegangen ist, soll hier nicht verraten werden. Es bleibt spannend und neugierig folgt man diesem Entwicklungsroman der besonderen Art.

Die Autorin hat mit Fantasie und Gespür für das Besondere im menschlichen Charakter eine Familiengeschichte ersonnen, die faszinierend ist. Vielseitig, leicht ironisch, immer amüsant und mit seltener Feinfühligkeit kann sie ihre Charaktere entwickeln. Keine Figur gleicht der anderen, doch alle leben in einem einzigartigen und letztlich auch harmonischen Miteinander. Man wäre gerne dabei!

Barbara Trapido ist in Südafrika geboren und später nach England gezogen. Sie lebt heute in Oxford.

Barbara Trapido
Fliegender Wechsel
Dörlemann, Juli 2025
320 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3038201731
ISBN-13: 978-3038201731
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Tilmann Lahme: Thomas Mann – Ein Leben

Tilmann Lahme: Thomas Mann – Ein Leben

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In dieser opulenten Biographie über Tomas Mann lernen wir ihn von einer
Seite kennen, die bisher öffentlich wenig diskutiert wurde.

Er gilt als DAS literarische Genie des 20. Jahrhunderts. Früh schon mit dem Literaturnobelpreis (1929) ausgezeichnet, zeugen seine Romane und Erzählungen von ausgesprochener Formulierkunst und beeindruckendem Ideenreichtum. Psychologisch ausgefeilt und tiefschürfend spielen in fast allen seinen Werken Familienbeziehungen und die Liebe eine zentrale Rolle. Politik und gesellschaftliche Strömungen bieten das Zeitcolorit.

Angefangen von der Schulzeit über den Weg nach München und sein Werben um Katia Pringsheim erzählt Tilmann Lahme über Manns Leben.
Dass T. Mann ein schlechter Schüler war und nie studiert hat, lassen den Leser umso mehr über sein meisterhaftes Lebenswerk staunen.

Was unterscheidet diese Biographie von all den anderen, die zuvor schon erschienen sind?
Lahme sucht in seinem Werk Parallelen zwischen T. Manns Schriften und den schwierigen und belastenden Aspekten seines Lebens.
Zum ersten Mal wird hier detailliert auf einen lebenslangen Kampf hingewiesen, mit dem T. Mann gegen seine homoerotischen Neigungen angegangen ist. In aller Ausführlichkeit geht Lahme auf die Männer ein, zu denen er sich hingezogen fühlte.

Der Autor muss sich sehr intensiv in die Tagebuchaufzeichnungen T. Manns eingelesen haben. Darin hat Mann seine Qualen beschrieben, mit denen er sich der unbezwingbaren fleischlichen Begierden zu seinen männlichen Liebesobjekten zu erwehren trachtete. Hier offenbart sich ein leidender Mensch, der nach außen ein bürgerliches Ideal lebt, das seiner inneren Zerrissenheit nicht entsprach. Strikte Tageseinteilung und konsequente Arbeitszeiten boten ihm Halt.

Sein einziger wirklicher Freund bleibt lebenslänglich Katia, seine Frau. Sie war ihm sein nächster und wichtigster Gesprächspartner und hat sich seinem Wohl verschrieben, ohne die eigenen seelischen Defizite zu beachten. Häufige psychosomatisch bedingte Aufenthalte in den damals gängigen Sanatorien sind die Folge. Aus den Besuchen bei ihr zieht T. Mann neuen Stoff für seine Romane (z.B. Zauberberg).

Katia hat wie gewünscht eine große Familie bekommen, ohne jedoch sexuelle Erfüllung zu erfahren. Ihr Mann war den Kindern nicht nah außer seinem Lieblingskind Elisabeth, der jüngsten Tochter. Zahlreiche Fotoaufnahmen zeigen Familien- und Freundesbilder.

Thomas Mann war ein ernster Mann. Man kann ihn sich schwer vorstellen als einen heiteren und unbeschwerten Gesprächspartner.

Mit dieser Biographie im Gedenken am Thomas Manns 150. Geburtstag rundet sich das Bild über den genialen Schriftsteller.

Tilmann Lahme ist Literaturhistoriker und hat bereits zahlreiche Biographien über die Familie Mann und einzelne Familienmitglieder geschrieben.

Tilmann Lahme
Thomas Mann – Ein Leben
dtv Verlagsgesellschaft, 4. Auflage Mai 2025
592 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3423284455
ISBN-13: 978-3423284455
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Henning Sussebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt

Henning Sussebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt

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Henning Sussebach widmet sich in seinem vorliegenden Buch dem Gedanken, was eigentlich von uns Menschen nach dem Tod bleibt.

Vorrausschickend beschreibt er, wie es herkömmlich ist: zuerst trauern nahestehende Menschen, vielleicht erstreckt ich das Interesse noch auf die nächste Generation; doch bald ist es vorbei. Dann mögen sich nur noch Menschen mit historischen oder besonderen familiären Interessen der Verstorbenen erinnern.

Am Beispiel seiner Urgroßmutter Anna zeigt er auf, wie deren Leben im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts ausgesehen habe könnte. In eine arme kinderreiche Familie hineingeboren wird sie 1878 auf dem Weg nach Cobberode gesichtet. Sie war nach dem frühen Tod des Vaters mit vielen anderen Katholiken in die Niederlande geschickt worden, wo sie ihre Jugendjahre in einem Kloster verbrachte. Ihr Schicksal führt sie später in das Dorf
Cobbenrode in Westfalen. Dort wird sie als Lehrerin arbeiten.

Punktuell erzählt der Autor, wie man als Frau überhaupt zu der Zeit mit einem Beruf leben konnte. Erziehungsmethoden werden ebenso gestreift wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft.

Anhand jeweiliger Jahreszahlen erzählt Sussebach, was wann wo geschah: Kriege, Gesetze, Entwicklung von Telefon und Autoindustrie, der Beginn der Frauenbewegung, Wahlrecht, gesellschaftlicher Wandel und die Vergabe eines Nobelpreises an Berta von Suttner 1905 spielen dabei eine Rolle. Über das Schicksal der Urgroßmutter entwickelt sich eine Sozialstudie über eine Zeit, in der bekanntermaßen Frauen wenig Rechte hatten und nur untergeordnet leben konnten.

Diese Urgroßmutter hatte allerdings ein besonderes Leben, das keinesfalls den damaligen Normen entsprach. Erst mit 37 Jahren heiratete sie 1903 ihren vier Jahre jüngeren Mann Clemens. 15 Jahre hatten sie heimlich aufeinander gewartet. Clemens‘ Vater wollte die unvermögende Frau nicht akzeptieren. Nach seinem Tod wurde die Heirat möglich.

Clemens starb bei einem Unglück nur 90 Tage nach der Hochzeit. Sechs Monate später bekam Anna einen Sohn, den sie Clemens nannte.
Als Alleinerbin wird sie Großunternehmerin. Sie schmeißt den Gasthof mit Bauernwirtschaft und zahlreichen Angestellten und Arbeitern. Zugleich leitet sie die Postagentur.

Sussebach sucht sich aus Zeitzeugnissen ein Bild zu machen, wie das praktische Leben der Urgroßmutter ausgesehen haben könnte. Er findet schriftliche Spuren in Form von Poesiealben, seltenen Kartengrüßen, Kirchenbucheintragungen etc. Wenige Fotos geben Aufschluss, dass Anna eine selbstbewusste Frau geworden sein muss.
So selbstbewusst, dass sie sechs Jahre nach der ersten Eheschließung noch einmal vor den Traualtar schreitet: niemand anderes als der neue Junglehrer, 19 Jahre jünger als sie, wird ihr zweiter Ehemann. Unerwartet wird sie mit 45 Jahren noch einmal Mutter. Eine Tochter Maria erblickt das Licht der Welt. Der Erste Weltkrieg beginnt, und weiter geht das Leben in den gewohnten Bahnen.

Annas Krankheit und Tod im Jahr 1932 wird ebenfalls genau recherchiert. Der medizinische Standard lag weit unter dem heutigen, so dass Anna sehr leiden musste.

Die Mischung aus sachlicher Information und dazu gedachten Beschreibungen des realen Lebens, geben diesem Buch einen besonderen Status: Zeitgeschichte ist hier vereint mit authentischer Biographie.

Ein sehr zu empfehlender ernsthafter Versuch, Vergangenheit zum Leben zu erwecken.

Henning Sussebach
Anna oder: was von einem Leben bleibt
C.H.Beck, 10. Juli 2025
205 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3406836267
ISBN-13: 978-3406836268
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Kerstin Holzer: Thomas Mann macht Ferien

Kerstin Holzer: Thomas Mann macht Ferien

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Unter der Vielzahl der Neuerscheinungen, Dokumentationen und Kommentare zu Thomas Mann und seiner Familie in diesem Jubiläumsjahr ragt Kerstin Holzer mit ihrem Buch „Thomas Mann macht Ferien“ in besonderer Weise hervor. Versteht sie doch, das Familienleben so bildhaft und authentisch zu gestalten, dass man fast meint, dabei zu sein.

Die Familie zieht im Sommer 1918 in den Sommerferien von München an den Tegernsee. Dass das ein größerer Umzug wird, sieht man gleich. Fünf Kinder, ein Hund und Hauspersonal müssen per Bahn und Schiff in die gemietete Villa transportiert werden. Die 14 jährige Erika wird samt Hauspersonal und Gepäck als Vorhut in die gemieteten Villa geschickt.

Als alle dann versammelt sind, hält die Routine der Ferien Einzug. Wie immer gibt der Pater Familias den Ton an. Spaziergänge, Mahlzeiten, Geselligkeit und Arbeit strukturieren den Tag. Man bekommt als Leser einen spürbaren Eindruck, wie das Leben dort abläuft.

Während Katia im letzten Kriegsjahr 1918 häufig auf der Suche nach Lebensmitteln ist, setzen die Kinder, insbesondere die ältesten Erika und Klaus, ihre eigenen Akzente. Regentage häufen sich. Die Kinder sind voller Aktivität und Kreativität und tragen zur Unterhaltung und zum Amüsement der Eltern bei. Draußen treiben sie ihre eigenen Spiele. Man lässt ihnen volle Freiheit und setzt keine strengen Grenzen. Hier kommt das Künstlerpaar zur Geltung, das ihre Kinder in ihrer Entfaltung nicht einschränken will.

Thomas Mann liebt lange Spaziergänge mit seinem Hund, was die Autorin zu hinreißenden Landschaftsbeschreibungen bewegt. Der Tegernsee übt allgemein einen besonderen Reiz auf Feriengäste aus. Der eine oder andere Freund aus München erscheint zu Besuch. Geselligkeit und Ruhe wechseln sich ab.

Das Verhältnis der Eheleute ist liebe- und respektvoll. Man achtet einander und führt gerne einvernehmliche und anspruchsvolle Gespräche. Ohne auf die Schwierigkeiten dieser Ehe einzugehen, bietet uns die Autorin einen lebhaften Eindruck der Familie zwischen Bürgerlichkeit und Boheme. Sie sind wahrlich nicht unter einer Rubrik einzuordnen.

Die Erzählung strahlt eine große Friedlichkeit, ja fast Heiterkeit, aus, und man ist geneigt, einer heilen Welt zu begegnen. Dass dem nicht so ist, kann man in vielen Dokumentationen und literarischen Biographien über einzelne der Familienmitglieder nachlesen. Hier finden wir einen Ausschnitt unter vielen aus dem Leben der Familie Mann.

Kerstin Holzers Geschichte ist einfach nur zu genießen! Detaillierter und tiefschürfender sind die Ausführungen von Tilmann Lahme mit seiner auch jetzt erschienenen Biographie „Thomas Mann“ ein Leben.

Kerstin Holzer
Thomas Mann macht Ferien
208 Seiten
Kiepenheuer & Witsch, April 2025, 4. Auflage
ISBN-10: 3462006711
ISBN-13: 978-3462006711
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Kristine Bilkau: Halbinsel

Kristine Bilkau: Halbinsel

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Eine Frau und ihre Tochter Linn leben auf einer Halbinsel am Wattenmeer. Schon viele Jahre wohnen sie hier. Annett, Ende 40, war nach dem unerwarteten Tod ihres Mannes aus Kiel in dieses kleine Haus in die Nähe von Husum gezogen. Damals war die Tochter Linn erst fünf Jahre alt. Annett musste sehr plötzlich ihr Leben mit dem kleinen Mädchen alleine in die Hand nehmen.

Jetzt ist die Tochter Mitte 20. Sie hat studiert, in Berlin gelebt und ist Umweltaktivistin. Sie beteiligt sich an der Aufforstung von Wäldern. Nach einem Vortrag ist sie zusammengebrochen und wohnt schon seit einigen Wochen, aus denen Monate werden, wieder bei der Mutter. Was hat Linn aus der Bahn geworfen? Ihre Mutter fühlt sich sehr hilflos.

Das Leben in einer kleinen Gemeinschaft, zu der eine WG im Nachbarhaus gehört, ist gesellig und freundlich. Man grillt zusammen, hilft sich bei Gelegenheit aus und unternimmt kleine Ausflüge zusammen. Annett ist sehr liebevoll zu ihrer Tochter.
Sie hatte einst eine einfühlsame Nachbarin, mit der sie über alles sprechen konnte. Die gibt es nicht mehr. Im Zusammenhang mit der Anwesenheit der Tochter ergeben sich Fragen, die sie ratlos machen. Allmählich schält sich heraus, dass sie mit ihrer Tochter nicht immer offen gesprochen hat. Sie wollte alles besser machen als ihre Mutter und hat die kleine Linn vor allem geschützt, was sie belasten könnte.

K. Bilkau kann ihre Geschichte anregend darlegen. Man spürt die Unsicherheit der Mutter und das trotzige Verharren der Tochter. Es läuft auf eine allmählich sich steigernde Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter hinaus. Warum wurde nie über den Vater gesprochen? Linn findet Sachen von ihm und möchte wissen, wie und wer er war.

Auch kann die Mutter ihre Tochter nicht aus ihren sorgenvollen Gedanken entlassen. Belastet sie diese dadurch unverhältnismäßig?
Bilkau kann sich in ihrer Geschichte auch der Mutter zuwenden, deren innere Einsamkeit unübersehbar ist. Sie hat wenig an sich selber gedacht und ihren Mann über all` die Jahre schmerzlich vermisst!

Die Erzählung ist kurzweilig, anheimelnd und von sprachlicher Schönheit. Das Zwischenmenschliche spielt eine tragende Rolle und wird hervorragend abgehandelt.

Dem Leser wird allmählich klar, dass, egal wie man seine Kinder erzieht, immer Defizite bleiben, die es aufzuarbeiten gilt. Alle Eltern bleiben in irgendeiner Weise unzulänglich in ihrem Handeln und Denken: ganz einfach, weil wir Menschen sind, von unseren Prägungen bestimmt werden und nachfolgende Generationen sich stets verändern.

Das ist das Fazit dieser sehr lebendigen, herzlichen und aufschlussreichen Erzählung für alle, die ähnlich sensible Vorgänge bei sich wahrnehmen! Ein wirklich eindrucksvolles Bild unserer Gesellschaft, wie sie heute ist!

Kristine Bilkau
Halbinsel
Luchterhand Literaturverlag, März 2025
224 Seiten, gebunden
ISBN-10:‎ 3630877303
ISBN-13: 978-3630877303
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Annika Büsing: Wir kommen zurecht

Annika Büsing: Wir kommen zurecht

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Wie in den beiden Vorgängerromanen beschäftigt sich Annika Büsing in ihrem neuen Roman mit der Entwicklung junger Menschen, deren Sorgen, Freuden, Gedanken und Befinden.

Phillip ist die Hauptfigur. Er ist ein stiller, ruhiger Junge von 18 Jahren, der gerade aufs Abitur zusteuert. Sein Vater ist anerkannter Chirurg, die Mutter psychisch krank.

Der Vater hat eine neue Freundin. Philipps Mutter kommt nur schemenhaft vor. Aber sie stört häufig das ruhige häusliche Leben, wenn sie wieder einmal aufkreuzt und alles durcheinander bringt.

Lorenz ist Philipps bester Freund. Sie gehen durch Dick und Dünn, halten zusammen und kennen einander gut!
Philipp ist sensibel und feinfühlig. Er nimmt viel Rücksicht auf den Vater Lothar, der mit Stella einen Neuanfang sucht.
Zuweilen treibt es den nachdenklichen Philipp in die Natur. Das ist aber nur die eine Seite. Natürlich kifft er, trinkt und hat seine kleinen Liebesgeschichten. Wenn er Lorenz nicht hätte, wäre er wohl ein sehr einsamer Junge.

Philipp muss damit fertig werden, dass die Mutter eines Tages wieder einzieht, Stella verschwindet und er zu seiner Großmutter ausweicht. Ist sie wirklich der richtige Platz für ihn? Er sieht ihren Verfall und froh stimmt ihn das nicht.

Die Autorin wechselt abrupt Ort und Zeit in ihrer Erzählung. Die Sprache ist nüchtern und diskret, die Sätze kurz.
In Form von kleinen Episoden erfährt man Einzelheiten aus dem Leben der Figuren.
Durch ihre Erzählweise wird man mitten hinein gezogen in das Geschehen aus täglichen Routineabläufen und kleineren Höhepunkten im Leben der Protagonisten. Lebendig und nahbar wird das Schulleben geschildert.

Die Schüler erscheinen wie häufig im Alter von 18 Jahren: sie öden sich ein wenig, haben keine wirklichen Zukunftspläne, feiern und lernen fürs Abitur. In Gedanken (gelegentlich auch praktisch) beschäftigen sie sich mit Sex. Die Jugendsprache ist ganz im Heute verankert.

Wieder ist Annika Büsing ein kleines Meisterwerk gelungen. Zart und einfühlsam sind ihre Betrachtungen, voller Empathie für das Leben Heranwachsender. Eine leise Melancholie durchzieht das Werk. Erwachsenwerden in unsicheren Zeiten mit familiären Brüchen ist niemals leicht. Ohne gefestigte Zukunftsvision endet der Roman auf skurrile Weise.

Die Autorin ist Lehrerin an einem Gymnasium, wurde schon mit einigen Preisen bedacht und lebt mit ihrer Familie in Bochum.

Annika Büsing
Wir kommen zurecht
228 Seiten, gebunden
Steidl Verlag, März 2025
ISBN-10: 3969994543
ISBN-13: 978-3969994542
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Johann Scheerer: Play

Johann Scheerer: Play

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Johann Scheerer beschreibt in seinem neuen Roman das Leben eines Musikproduzenten zwischen Arbeit, Kunst und Kindern.

Der Icherzähler beginnt schmissig mit einer Fahrt auf dem Fahrrad, Gespräch mit einem Kunden und Lena, seiner Frau, mit der er sich um die Termine bei der Kinderbetreuung streitet. Er ist redegewandt, geduldig, lakonisch und sehr gefordert.

Lange Passagen mit Verhandlungen zwischen seinen Musikerkunden und ihm zeigen einen fantasievollen Unternehmer, der seine exzentrischen und teilweise sehr narzisstischen Kunden zu nehmen weiß. Es geht um Fachgespräche, wie man etwas aufnimmt, wie man es „promotet“, wie man Musiker zusammenführt usw. Zahlreiche Fachausdrücke aus der Musikerszene sind nicht immer für den Laien verständlich.

Es gibt dazwischen tiefe Einblicke in das Familienleben. Früh schon hat der Titelheld drei Kinder. Die Geburt des ersten Sohnes zeugt von rührendem Mitgefühl für seine gebärende Frau. Von Beginn an nimmt er seine Rolle als Vater ernst. Er teilt sich mit seiner Frau die Erziehungs- und Betreuungsarbeit. Den Kindern ist er ein aufmerksamer Vater und spricht mit ihnen auf Augenhöhe. Einerseits werden sie in ihren Bedürfnissen respektiert, andererseits leitet doch er sie durchs Leben. Er ist warmherzig und sehr liebevoll.

Die Ehe geht schief und nach wenigen Jahren gesellt sich Sara zu der kleinen Familie. Aus der Erzählung geht hervor, dass sie eine starke Persönlichkeit ist. Mit ihr bekommt der Held die Tochter Pia. Also gilt es Schule, Kita und Beruf unter einen Hut zu bekommen.

Schließlich muss er einen besonders eigenwilligen, drogensüchtigen Künstler auf einer 8 wöchigen Tournee durch die USA begleiten.
Scheerer versteht es großartig, die Happenings, denen sein Held hier begegnet, zu beschreiben. Die älteren Kinder nimmt er mit auf die Reise, da er anders keine Betreuung für sie findet. Sie schlafen in den Studios, und, ob Tag oder Nacht, zwischen den Rufen „Papa, wo bist du?“ und der Arbeit mit der Musik hetzt David, so heißt der Protagonist, hin und her. Er
behält trotz all‘ des Trubels die Nerven und bleibt sogar immer freundlich und von unendlicher Geduld.

Dieses Buch unterhält auf anspruchsvolle Weise, da es u.a. zwischen dem Wert künstlerischer Arbeit und den anerkannt als „Arbeit“ deklarierten Berufen einen langen Disput zischen David und einem anderen Kitavater gibt.

Wirklich: Scheerer ist gescheit, witzig, klug und humorvoll. Unschwer erkennt man in der Hauptfigur autobiographische Züge von Johann
Scheerer wieder.

Er ist der Sohn von Jan Philipp Reemtsma und hat bereits zwei Romane über häusliche Ereignisse und seine Pubertät geschrieben. Alle seine Bücher sind sehr lesenswert!

Johann Scheerer
Play
Piper, April 2025
320 Seiten, gebunden
IBN-10: 3492073409
ISBN-13: 978-3492073400
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Petra Pellini: Der Bademeister ohne Himmel

Petra Pellini: Der Bademeister ohne Himmel

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Dies ist die hinreißende Beziehungsgeschichte zwischen einer 15 jährigen
und einem 86 jährigen, die beide in ihrem Leben so recht nicht wissen, was
anzufangen!

Linda kümmert sich um Hubert, den pensionierten Bademeister, der langsam in Demenz versinkt. Sie ist feinfühlig, einfallsreich und hat eine sensible
Beobachtungsgabe.
Auch hat sie Kreativität und Humor und weiß mit immer neuen Einfällen Hubert aus seiner Lethargie herauszuholen. Tief sitzt sein Kummer auch nach sieben Jahren noch, da er seine geliebte Rosalie verloren hat. Linda ist willkommen, weil sie ihn erheitert.

Der Lebensgefährte ihrer Mutter ist Bestatter. Die ironischen Blicke und Kommentare von Linda zu diesem Thema zeugen von aufgewecktem Witz.
Es gibt weitere Mitspieler. Ewa ist die liebevolle polnische Hilfskraft, auch sie ein originelles Wesen, die sich um das leibliche aber auch seelische Wohl ihres Pfleglings bemüht.
Kevin, Lindas Schulfreund und Kumpel, ist ebenso wichtig wie „Schmetterling“, die Tochter von Hubert.

Die Erzählung ist zart, zuweilen ausgestattet mit Komik, immer aber auch ein wenig melancholisch. Jeder hat seine kleinen Träume, Beziehungswünsche und Versagungen. Und jedem widmet die Autorin ihr ganzes Herz! Wenn die Geschichte auch gelegentlich nüchtern daherkommt, so merkt man die ganze Zeit, wie viel Gemüt in jeder Person steckt, und wie man sich gegenseitig, sehr verhalten nur, mit Zuhören und kleinen Wohltaten helfen kann.

Petra Pellini ist eine hervorragende Menschenkennerin, die in ihrem Roman zeigt, wie schwierig menschliche Lebenswege sein können. Sie lässt schweigen, wo das angebracht ist, und fasst bei passender Gelegenheit Gefühle unaufdringlich in Worte. Die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Linda und Hubert ist anrührend.

Ich bin entzückt, nach langer Zeit einmal wieder ein wirklich tiefschürfendes Werk kennenzulernen, das nüchtern, klar und mitfühlend über das Leben zu schreiben weiß.
Petra Pellini hat in der Altenpflege gearbeitet und weiß, wovon sie schreibt!

Petra Pellini
Der Bademeister ohne Himmel
Kindler Verlag, 7. Auflage, Juli 2024
320 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3463000687
ISBN-13: 978-3463000688
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Husch Josten: Die Gleichzeitigkeit der Dinge

Husch Josten: Die Gleichzeitigkeit der Dinge

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Lebensgeschichten aus dem Diesseits

Dieser Roman übt eine seltsame Faszination auf den Leser aus.
Ein Deutsch-Franzose mit Namen Sourie verkehrt im Gasthaus eines verkappten Schriftstellers. Er heißt Jean Tobelmann und wohnt in Köln, wo er in dritter Generation ein Restaurant führt.
Sourie ist ein eigenartiger Typ: mit Leidenschaft beschäftigt er sich mit dem Tod. Auf einem Friedhof hat er die 27 Jahre ältere Tessa kennen und lieben gelernt. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne, was sie aber nicht daran hindert, mit Hingabe den jungen Sourie zu lieben.

Die genannten Personen treffen sich immer wieder bei Tobelmann, der sich Souries Freund nennt. Sourie ist studierter Philosoph, arbeitet aber als Pförtner in einem Altenheim.

In langen Gesprächen, auch fast Vorträgen gleich, erklärt Sourie, wie man sich in der Philosophie und Geschichte dem Phänomen des Todes genähert hat. Wie man weiß, ist der Tod das einzige Geschehen im menschliche
Leben, das nicht erforscht ist und nicht zu erforschen sein wird. Niemand kam zurück und könnte berichten.
Das scheint zwar das Hauptthema der Geschichte zu sein, in Wirklichkeit aber geht es um Sourie, um Freundschaft, Liebe, und Tod.

Als Sourie eines Tages unerwartet stirbt, will Johann Tobelmann seine Geschichte aufschreiben. Dabei erfährt er erstaunliche Dinge.

Die Erzählung ist von einem sublimen Humor, wirkt ein wenig skurril und trägt doch Züge des wirklichen Lebens. Man gewinnt den Hauptakteur Sourie lieb, ist neugierig, wie er zu seinem sonderbaren Lebensalltag als Pförtner in einem Altenheim gefunden hat, und wie es zu der Liebe zwischen ihm und Tessa kam. Nicht das Alter oder der Körper bilden die Säulen dieser Liebe, sondern das gegenseitige Interesse für alternde Menschen und deren Hinscheiden. So gehen sie regelmäßig zu Besuch zu alten Menschen, um sie von ihrer Einsamkeit zu befreien und deren Lebensschicksale zu ergründen.

Das Thema Tod und die Unwägbarkeit von Zeit und Stunde, wie und wann der Tod zu einem kommt: das alles ist des Nachdenkens wert. Der Protagonist Sourie zeigt uns, wie das geht. Die Erzählung ist nicht düster, tragisch oder deprimierend. Liebe, Freundschaft und Verstrickungen im Leben können spannend und erheiternd sein. Der Tod aber ist der Begleiter, dem niemand entkommen kann.

Die geschilderte Atmosphäre in Tobelmanns Gaststätte, Erlebnisse auf Friedhöfen in Paris oder die aus der Hand lesende Frau Friedemann: man begegnet interessanten Charakteren, die alleine die Lektüre zu einem Erlebnis machen.

Die Erkenntnis, worauf Souries Todesgedanken beruhen, bringt ein tragisches Ereignis zutage. Der Angriff auf das „Bataclan“ in Paris spielt dabei eine entscheidende Rolle. Einfließende philosophische Betrachtungen geben dem Buch den anspruchsvollen Stil, den es verdient.

Für den interessierten und anspruchsvollen Leser ist die Geschichte ein Muss!

Die Autorin ist vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Köln.

Husch Josten
Die Gleichzeitigkeit der Dinge
Berlin Verlag, 3. Auflage, August 2024
224 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3827015138
ISBN-13: 978-3827015136
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