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Schlagwort: Einsamkeit

René Freund: Wilde Jagd

René Freund: Wilde Jagd

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Professor Quintus Erlach hat es nicht leicht. Seine Frau hat ihn verlassen und er wohnt nun im Haus seiner verstorbenen Eltern in Stein am Gebirge. Die Tochter mag auch nicht mehr mit ihm reden und auf ihren Hund Machtnix darf er nur aufpassen, weil es nicht anders geht.

Bei einem Spaziergang begegnet er der aus der Slowakei stammenden Evelina, die als Pflegerin für Herwig Zillner arbeitet. Die Pflegerin davor ist spurlos verschwunden. Die junge Frau will herausfinden, was Angelika passiert ist. Es gelingt ihr, Quintus neugierig zu machen, sodass dieser beschließt, ihr zu helfen.

Evelinas hellseherische Fähigkeiten verstören den Professor. Doch lassen sie sich nicht so leicht abtun, denn diese Visionen, so unklar sie scheinen mögen, beinhalten immer ein Detail, das zutrifft. Einmal sensibilisiert, dass ein Verbrechen geschehen sein könnte, fallen Quintus im Dorf Personen auf, die Kontakt zu Angelika gehabt haben könnten und ihm verdächtig erscheinen.

Der Professor sieht sich bald veranlasst, den Dorfpolizisten mit einzubeziehen. Doch Bernhard Ebner macht sich eher unbeliebt, meint er doch, Quintus habe ein paar Bier zu viel gehabt, was gut sein kann. Er weiß, dass er Gedächtnislücken hat, wenn er zu tief ins Glas geschaut hat. Dennoch müssten die Fakten für sich sprechen, auch wenn sie sich im Nachhinein nicht beweisen lassen. Sein Wort sollte doch zählen.

Es sind hier insbesondere zwei Personen, die die Handlung voranbringen. Wobei es schon einigermaßen verwunderlich ist, dass der Professor sich von Evelina in diese Sache hineinziehen und sich quasi vor die Kutsche spannen lässt. Er taugt kein bisschen zum Ermittler. Und so entstehen immer wieder witzige, aber auch absurde Szenen.

Entscheidend ist jedoch, welche Details die beiden ausgraben. Da ist Mut gefragt, aber den hat Quintus auch nicht. Im Philosophieren ist er jedoch gut, was ihn aber auch nicht wirklich weiterbringt, besonders unter Alkoholeinfluss nicht.

Zum Ende hin nimmt die Handlung schließlich eine unerwartete Richtung und wird doch noch zu einem echten Krimi. Wobei man gut und gerne sicher auch noch andere Genre aufzählen könnte, in die das Buch passt. Ich fand es sehr unterhaltsam!

Rezension von Heike Rau

René Freund
Wilde Jagd
288 Seiten, broschiert
Paul Zsolnay Verlag, Juli 2023
ISBN-10: 3552073671
ISBN-13: 978-3552073678
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Fabio Andina: Davonkommen

Fabio Andina: Davonkommen

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Fabio Andina schreibt Bücher, die in ihrer Sprache von großer Eleganz, Stille und Melancholie erfüllt sind.

Der Icherzähler monologisiert unentwegt und teilt einem imaginären Zuhörer seine Gedanken mit.
Worum geht es eigentlich?
Nun, ein Mann fühlt sich schlecht, er sucht einen Psychiater und findet nur sehr schwer jemanden, der Zeit für ihn hat.
Schließlich gelingt es ihm. Ein Arzt verschreibt ihm Beruhigungs-und Schlafmittel. Er braucht sie dringend, denn seine Frau will sich trennen, und er erträgt den Gedanken kaum, sich damit auch von seinem kleinen Sohn trennen zu müssen.

Es folgen zahlreiche Episoden, die sich alle immer gleichen: es schneit, es ist sonnig, er musste in eine Hütte in den Bergen ziehen, weil er in der Stadt keine Wohnung fand. Er telefoniert täglich mit seinem Sohn, muss sich aber auch mit den Schikanen seiner Frau herumschlagen, die den Kontakt zum Sohn oftmals verhindert, mindestens aber stört.
Er liebt diesen Sohn sehr! In Gedanken spricht er mit ihm und sehnt sich nach ihm.
Arbeitslos und aller Bindungen beraubt, drehen sich seine Gedanken und inneren Monologe um ihn, diesen kleinen geliebten Sohn, der vier Jahre alt ist.

Als Wachdienst verdient der Erzähler mehr schlecht als gut seinen Unterhalt. In seiner Hütte herrscht Chaos.
Sein Leben pendelt unausgefüllt zwischen den Scheidungsanwälten, die inzwischen eingeschaltet wurden, seinem Dienst als Wachmann, seinen geregelten Besuchszeiten mit seinem Sohn, zwischen Bier und Beruhigungspillen. Albträume plagen ihn und spiegeln die Schrecken eines Lebens, dem der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Und doch: was mach den Roman so reizvoll?
Es sind die feinsinnigen Beobachtungen, die immer wieder spürbare Stille und nach und nach eine große Ruhe, die von der Erzählung ausgeht.
Kein spannender Handlungsstrang stört eine Entwicklung, die den Protagonisten zum duldenden Menschen macht. Er scheint sein Leben allmählich zu akzeptieren. Die Liebe zum Sohn bleibt die einzige feste Konstante, die seinem Leben Halt und Ruhe gibt.
Sie kulminiert in der Frage an den Sohn “warum wolltest du denn die gelben Pumas?“ Und die Antwort “sie sind wie die Sonne und die Sonne ist groß……. so groß wie das Leben!“

Ein poetischer, einnehmender Roman über das Leben und den Kampf, es zu bestehen.

Fabio Andina
Davonkommen
Rotpunktverlag, April 2023
200 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3858699764
ISBN-13: 978-3858699763
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Fabio Geda: Ein Sonntag mit Elena

Fabio Geda: Ein Sonntag mit Elena

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In diesem wunderbaren Roman findet man sein Glück beim Lesen!
Leicht elegisch, von stillem Glück, vom Alter und der Einsamkeit handelt dieser kleine Roman.

Ernesto hat seine Frau verloren. Er ist 67 Jahre alt und lebt in einer ruhigen, beschaulichen Straße am Fluss im Turin.
Seine Kinder sind fern, nur Sonja, die Älteste, lebt mit ihren Kindern in Rom. Eines Sonntags hat er sie mit ihren beiden Kindern zum Essen eingeladen. Doch eine ihrer Töchter fällt vom Baum, und sie können nicht kommen.

So erleben wir Ernesto, wie er mit seinem fertigen Essen und der Einsamkeit fertig zu werden trachtet.
Er geht in den Park und lernt Elena mit ihrem Sohn dort kennen. Ohne tiefgründige Absicht lädt er die beiden zum Essen ein.
Gaston, der Junge, ist begeistert von den Bastelkünsten des alten Herren, und die drei verleben einen behaglichen Sonntag. Es ist der einzige Hinweis auf den Titel des Romans. Denn es geht um mehr!

In stillen und ruhigen Passagen beschreibt uns der Autor Fabio Geda das gegenwärtige und vergangene Leben von Ernesto. Es sind beschauliche Augenblicke und Ausblicke, die das Familienleben geprägt haben. Die Kinder und seine Frau sind das Glück von Ernesto. Er war als Ingenieur viel verreist, denn er baute große Brücken überall in der Welt.
Nicht immer verlief das Leben reibungslos.

Giulia ist die Erzählerin in diesem Werk. Sie spinnt das feine Netz von Begegnungen, erzählt vom Liebesleben der Eltern und ihren gemeinsamen Familienjahren. Konflikte blieben lange unausgesprochen.

Wie in allen Familien gab es nicht nur das reine Glück! Giulia und der Vater haben sich entfremdet. Als die Kinder alle in ihren Berufen gefestigt waren, und die Töchter Kinder bekamen, fanden sie wieder zusammen. „Es ging nicht darum, zu begraben und zu vergessen: sondern zu verzeihen!“( S. 218) Dieser Satz ist charakteristisch für den Stil des ganzen Romans. Man ist erfüllt von der Stimmung aus Liebe, Großzügigkeit und Altersweisheit.

Als Ernesto schließlich alt und krank ist, begegnet ihm im Krankenhaus Elena wieder. Auch sie ist zur Zeit ihrer Begegnung vor so vielen Jahren eine verlorene Seele gewesen, die mit ihrem Leben nichts mehr anfangen konnte. Sie war von Ernesto ermutigt worden, ihr Leben nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes in die Hand zu nehmen. Nun hat sie es geschafft und ist Krankenschwester geworden.

Mehr gibt es zu dem Roman nicht zu sagen. Man lese ihn! Er ist rund und gelungen in seinen poetisch reizvollen kurzen Lebensstimmungen und den Schicksalen, von denen man hört.

Fabio Geda
Ein Sonntag mit Elena
240 Seiten, gebunden
hanserblau, 2. Auflage, August 2020
ISBN-10: 3446267956
ISBN-13: 978-3446267954O
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Gabrielle Filteau-Chiba: Bis der Fluss taut – Tagebuch aus der Wildnis

Gabrielle Filteau-Chiba: Bis der Fluss taut – Tagebuch aus der Wildnis

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Anouk hat Montreal den Rücken gekehrt, um in einer einfachen Hütte in der Wildnis von Kamouraska zu leben. Um in dieser eisigen Kälte überleben zu können, muss sie sich jeden Tag bei durch den Schnee kämpfen, um Holz zu holen, damit der kleine Ofen, er ist ihre einzige Wärmequelle, nicht ausgeht. Bald friert der Fluss zu und gibt kein Wasser mehr her, sodass ihr nichts anderes übrig bleibt, als Schnee zu schmelzen. Von der Zivilisation hört sie nur den Zug, der ihr eine zeitliche Orientierung gibt und für eine gewisse Struktur im Alltag sorgt. Doch eines Tages fährt er nicht mehr.

Zurück will Anouk keinesfalls, denn das zivilisierte Leben hat ihr noch viel weniger zu bieten. Sie zieht die Einsamkeit vor, doch wäre ihr Zweisamkeit lieber. Die junge Frau denkt viel nach, träumt und beschäftigt sich mit dem Schreiben in den wenigen hellen Stunden und in der Dunkelheit bei Kerzenschein. Sie versucht, mit ihren Ängsten klarzukommen und sich auf das Wesentliche hier draußen zu konzentrieren, denn auch ernste Gefahren hält die Natur bereit, wie sie bald feststellen muss. Anouk ist froh, als eines Tages ein Kater kommt und ihr Gesellschaft leistet. Nach Wärme und Nähe sehnt sich sehr. Er soll nicht der einzige Überraschungsgast bleiben.

Die Autorin bedient sich einer tiefgehenden Sprache und schafft eine besondere Atmosphäre. Sie malt mit Worten faszinierende Naturbilder, die einen Gegensatz zur Enge in der einfachen Hütte bilden.

Viel ist in diesem Buch leider nicht über Anouk zu erfahren. Dazu ist es viel zu kurz. Ihre Motivation stellt sich vor allem in ihrer engen Naturverbundenheit dar. Sie sieht das Ökosystem bedroht und ist damit nicht allein. Was wird wohl aus ihr werden? Was wird sie tun nach dieser Kältewelle und nach diesem Winter? Wir erfahren es nicht, aber es ist auf den letzten Seiten ihres Tagebuchs von Hoffnung zu lesen und einem großen Vorhaben, das sie angehen will.

Rezension von Heike Rau

Gabrielle Filteau-Chiba
Bis der Fluss taut
Tagebuch aus der Wildnis
Aus dem Quebecfranzösischen von Katrin Segerer
112 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, Dezember 2022
ISBN-10: 3423290277
ISBN-13: 978-3423290272
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Alex Schulman: Die Überlebenden

Alex Schulman: Die Überlebenden

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Drei erwachsen gewordene Brüder begegnen sich nach zwanzig Jahren im Sommerhaus der Eltern, um die Asche der Mutter zu verstreuen. Es ist ein altes Haus, morsch z.T., in einer idyllisch gelegenen Gegend an einem See nicht weit von Stockholm entfernt. In wechselnden Szenen erlebt man die Geschwister einmal in ihrer Kindheit und dann wieder im Heute mit der Urne der Mutter.

Der Autor Alex Schulmann malt ein düsteres Bild sowohl von heute als auch von damals.
Die Atmosphäre ist beklemmend. Die Eltern sitzen und trinken, sie trinken sehr viel, sie essen und schlafen.
Dazwischen wechseln die Brüder vom Spielen oder Schwimmen in die Nähe der Eltern oder in den nahegelegenen Wald.

Ganz unmerklich schälen sich die Charaktere heraus.
Nils ist der Älteste. Er ist klug und steht innerlich und äußerlich oft abseits.
Benjamin ist 9 und Pierre 7 Jahre alt.
Benjamin scheint sensibel und still beobachtend. Man ahnt, wie intensiv er Stimmungen und laute Unstimmigkeiten registriert. Aus seinen Beobachtungen wird die Erzählung gespeist.
Pierre wirkt in der Darstellung ängstlich, klein und eher verzagt.
Glücklich wirkt die Kindheit dieser drei Brüder nicht.
Man spürt, dass in diesem Elternhaus vieles ungesagt bleibt und ein eisernes Schweigen herrscht.
Benjamin, der Sensible, neigt zu Vorstellungen, in denen er die Wirklichkeit nicht mit der Einbildung vereinbaren kann.

Man erfährt nichts über den Alltag der einzelnen Familienmitglieder und von ihrem Leben in Stockholm. An einer Stelle wird vermerkt, dass die Kinder in einem „Oberklassenhaushalt“ aufgewachsen sind. Dass sie am Rande des Existenzminimums lebten, an einer anderen. Für die akademische Ausbildung scheint kein großer Aufwand getrieben worden zu sein. Der Leser*in merkt, dass über der Familie ein unbekanntes Unheil schwelt.

Alex Schulman konstruiert seine Geschichte so ausgefeilt, dass eine schwer zu ertragende Spannung entsteht. Warum machen die Eltern einen recht verwahrlosten Eindruck? Welche Dynamik besteht zwischen der äußeren Lebensform und der inneren seelischen Unausgeglichenheit?

Langsam und unmerklich nähert man sich einem Ereignis, dass ungeahnte Folgen für alle hatte. Alex Schulman hält uns ganz lange im Ungewissen, bis wir uns dem eigentlichen tragischen Geschehen nähern.

Es handelt sich in diesem Roman um die Sozialstudie einer Familie, deren Regeln ungeordnet und fahrlässig von den Eltern bestimmt werden, und die die Kinder in Einsamkeit und Verlustgefühle treiben. Angst und Unbehagen ist aus allen Handlungen zu spüren immer im Wechsel mit dem Bemühen, Liebe und Zuwendung von den Eltern zu erfahren.

Der Stil der Erzählung schwankt zwischen fast protokollartigen Berichten bis zu unregelmäßigen Gefühlsausbrüchen der Mutter und unverhofft auftretenden Wutausbrüchen des Vaters. Ein jeder lässt hier jeden allein.
Zusammenhalt zwischen den Brüdern gibt es, wenn dieser auch zerbrechlich ist.
Am Ende sind sie im Unglück vereint.

Die raue Natur, die Schönheit der Bäume, Pflanzen und der See bilden einen wunderbaren Hintergrund zu dem Familiendrama. Es ist ein lesenswerter Roman, voller Tiefe und intensiver Innenbetrachtung eines zerrütteten Familienlebens mit einem überraschenden Ende.

Alex Schulman
Die Überlenden
dtv Verlagsgesellschaft, August 2021
304 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3423282932
ISBN-13: 978-3423282932
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Leila Slimani: Das Land der Anderen

Leila Slimani: Das Land der Anderen

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Mathilde lebt mit ihrer Familie Ende des Zweiten Weltkriegs im Elsass. Hier begegnet sie 1947 einem Marokkaner, der als Offizier in der französischen Armee gekämpft hat.

Das triste Nachkriegsleben macht anfällig für Neuaufbrüche. Mathilde ist jung und heftig verliebt in den nur wenige Jahre älteren Amine Belhaj. Sie folgt ihm voller Enthusiasmus in seine Heimat Marokko.

Ihre Erwartungen entpuppen sich sehr bald schon als große Illusion.
Am Fuße des Atlasgebirges in Meknès hat Amine ein wenig Land von seinem Vater geerbt.
Es ist ein karges Stück Erde mit einem primitiven Haus, in dem sich in der Folge das Leben der beiden Liebenden abspielt.

Mathilde war nach ihrem ersten Eindruck entsetzt und bleibt unzufrieden. Kann sie doch ihrer Familie in Frankreich keinesfalls erzählen, wie primitiv und entbehrungsreich ihr Leben hier ist.
Ihre zwei Kinder zieht sie unter den einfachen Bedingungen ihres neuen Lebens groß. Sie arbeitet viel und kräftezehrend.

Die Einsamkeit ohne Freunde und Familie macht Mathilde sehr zu schaffen. Amine schuftet bis zum Umfallen, um aus dem kargen Boden fruchtbares Land zu machen. Immerhin gibt es noch ärmere Menschen, die sich in Diensten der kleinen Familie befinden. Zuweilen ist sogar vom „Gutsbesitzer“ die Rede. So ganz kann man es sich nicht vorstellen.

Leila Slimani beschreibt schnörkellos und ehrlich, wie es den Menschen in ihrem Roman geht.
Die Hitze, der Schmutz und Staub und das zuweilen von gegenseitigen Unvereinbarkeiten geprägte Paar ist gut zu erkennen.
Gefühle sind stark besetzt von der körperlichen Leidenschaft zwischen den beiden.

Man kann der Atmosphäre in der Medina, des Geschäftsviertels mit seinen typischen Verkaufsständen und Gerüchen, nachspüren. Hier gibt es Szenen voller Poesie und Andacht beim Betrachten der Blumen, die Mathilde in ruhigen Minuten erlebt.

Wie beschreibt Slimani das Aufeinanderprallen zweier verschiedener Kulturen und Religionen?
Es herrscht ein stark patriarchalisch orientiertes Gesellschaftssystem.

Familiäre Bindungen zwischen Mathilde und Amines Angehörigen sind schwierig. Amine wird als unabhängiger Geist mit Verantwortungsgefühl für alle seine Angehörigen beschrieben.

Mitte der fünfziger Jahre kommt es vermehrt zu Unruhen zwischen den immer noch unter französischem Protektorat lebenden Marokkanern und Franzosen, die hier leben. Die Lage wirkt zunehmend bedrohlich und die Sorgen vor Übergriffen wächst. Das kann die Autorin geschickt und spannend in ihre Erzählung einbringen.
Erst 1956 erlangte Marokko seine Unabhängigkeit

Leila Slimani schreibt nüchtern, sezierend und gut beobachtend. Das zeigte sie auch in ihrem Roman „Dann schlaf auch du“.
Der jetzt vorliegende Roman ist in Anlehnung an das Leben ihrer Großeltern entstanden.
Sie ist eine großartige Erzählerin, die mit der Klarheit ihrer Beobachtungen beeindruckt.
Ihre Bücher sind internationale Bestseller, wie es auf dem Einband heißt.

Leila Slimani
Das Land der Anderen
Luchterhand Literaturverlag, Mai 2021
384 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630876463
ISBN-13: 978-3630876467
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Fabio Andina: Tage mit Felice

Fabio Andina: Tage mit Felice

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Es handelt sich hier um eine wunderschöne Erzählung aus den Tessiner Alpen.

Ein Icherzähler berichtet, wie die Tage in diesem Dorf vergehen. Langsam! Das darf man schon sagen!

Der namenlose Erzähler begleitet den 90 jährigen Felice eine Woche lang in seinem Alltag. Es ist November und der Winter kündigt sich mit Kälte und Schnee an. Der Alltag von Felice besteht aus fast immer gleichen Handlungen. Er fährt mit seinem Auto über die umliegenden Dörfer. Morgens früh läuft er den Berg hinauf, wo er in einem Flussloch, einem so genannten Gumpen, ein Bad nimmt. Im Winter muss zuerst eine Eisschicht durchstoßen werden. Das ist wahrlich ein entbehrungsreiches Einsiedlerdasein!

Das Leben um das Dorf Leontica herum ist karg und einsam. Zahlreiche Einwohner begegnen sich bei unterschiedlichen Gelegenheiten. Man trinkt zusammen einen Schoppen und schwätzt über dies und das und erzählt sich die Neuigkeiten der Dorfbewohner. So ist man immer auf dem Laufenden.

Die Menschen sind genügsam in ihrer Armut. Es gibt die kleinen Läden, Restaurants und Bars, in denen sich die Dorfbewohner treffen. Doch auch der Schwatz über die Straße reicht häufig zum Gedankenaustausch.

Mehrheitlich sind die Bewohner alt, d.h. um die 70 bis 80 Jahre. Es tut sich nicht viel, und es gibt in diesem kurzen Roman keinen Handlungsstrang. Allerdings sind die Figuren in ihren Eigenheiten charakterlich meisterhaft gezeichnet. Sie sind skurril und zuweilen auch witzig.

Zentrale Figur bleibt Felice, auch er ein armer Kauz, der doch Zufriedenheit ausstrahlt.

Er fährt mit seinem alten Auto die Dörfer ab, und unser erzählender Begleiter erlebt ihn und seine Welt mit staunender Bewunderung.

Gekocht wird, was die Natur hergibt. Viele Male wird aus den geernteten Kräutern ein Sud gekocht, der als Tee herhalten muss. Das Feuer im Kamin muss als Heizung reichen.

In langen Schilderungen der Natur bei Schnee, Regen und Sonnenschein taucht man ganz in die Stimmung aus Kälte, Einsamkeit und Kargheit ein.

Dieses Buch liest man mit Beschaulichkeit und hingegeben an die Atmosphäre einer hinreißenden Landschaft. Die Ruhe überträgt sich auf den Leser und man meint fast, selber die herrliche Luft und das Bergpanorama zu erleben. Ein paar Tiere, Kinder und wenige jüngere Bewohner bereichern das Bild von einem Ort der Stille.

Man weiß nicht, was den Icherzähler dazu angeregt hat, sich mit Felice und dem Leben dort zu befassen.

Im SFR Literaturclub wurde das Buch empfohlen als Möglichkeit, sich zu entschleunigen. So sehe ich es auch: man kommt zur Ruhe! Die poetischen Beschreibungen der Naturereignisse bieten so viel Abwechslung, dass man immer wieder hineinversetzt wird in diese ruhige Bergwelt mit ihren grünen Oasen, kleinen Wasserquellen und vielseitigen Früchten.

Das Buch ist etwas für Liebhaber ruhiger Lebenseindrücke. So geht es zu in den abgelegenen Dörfern der Schweizer Bergwelt! Da gibt es keine Hetze und kein Jagen nach immer neuen Events und Abwechslung.

Der Roman verlangt dem Leser einiges an Geduld und Ausdauer ab. Er wird belohnt mit der Sichtweise eines beschaulichen und reizvollen Lebens fern aller sonst allenthalben zu beobachtenden Hektik und Unruhe. Felice, der Glückliche, macht es einem vor, wie es sich auf diese Weise lebt!

Fabio Andina
Tage mit Felice
224 Seiten, gebunden
Rotpunktverlag, März 2020
ISBN-10: 3858698636
ISBN-13: 978-3858698636
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Dror Mishani: Drei

Dror Mishani: Drei

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Dieser Krimi führt über verschiedene Stränge zum Ziel der Aufklärung.
Der Handlungsort ist Tel Aviv in Israel.

Wir sehen Orna, eine junge Frau, die frisch geschieden ist und mit ihrem Sohn Eran in enger Verbundenheit lebt.
Weiter gibt es Emilia, eine osteuropäische Altenpflegerin. Sie ist einsam, verloren und ein wenig ratlos, weil es mit den Arbeitsstellen nicht so richtig klappt.
Auf unterschiedlichen Wegen geraten die Frauen an Gil, einen Rechtsanwalt. Er macht der ersten seiner Bekanntschaften vor, er sei geschieden. Der Zweiten versucht er aus einer Patsche zu helfen. Und was ist mit der Dritten? Man wird sehen.

Es gibt Dates, Gespräche und Annäherungen. Die Frauen bleiben leicht distanziert und wissen nicht so recht, was sie von Gil halten sollen. Sie lassen sich aber immer wieder auf Treffen mit ihm ein, so auch auf kurze Reisen.

Das Leben der weiblichen Protagonisten wird mit allen den Unbilden, die das Leben für sie bereithält, aufgeblättert.

Als sich Ornas Exmann mit neuer Frau und zusammen vier Kindern bei ihr zu Besuch anmeldet, bekommt sie schreckliche Angst, dass er ihr Eran wegnehmen könnte.

Sie versucht tapfer, auch diese schwierige Situation zu meistern.

Gil ist im Hintergrund und versucht mit allerlei Tricks, die Frauen hinzuhalten, um sie dann wieder umso heftiger an sich zu ziehen.

Oran und Emilia werden eines Tages tot aufsgefunden. Suizid oder Mord? Das ist hier die Frage!

Der Roman ist so aufgebaut, das man hin und hergerissen wird zwischen dem Mitleid für das traurige Leben der Protagonistinnen und Sorgen, was dieser undurchsichtige Mann im Schilde führen könnte. Man ahnt Schlimmes und kann sich nicht von der Lektüre lösen.

Nun aber kommt eine dritte Frau ins Spiel. Sie ist Polizistin, ambitioniert und spielt eine besondere Rolle in diesem Drama.

Der Roman ist schmissig geschrieben, ereignisreich und mit ausgeprägten Charakterisierungen der handelnden Personen. Schnelle Schnitte von einem Ereignis zum nächsten erhöhen die Spannung. Die Geschichte ist perfide, psychologisch hintergründig und könnte durchaus dem wahren Leben abgeschaut sein. Die „Drei“ Frauen fügen sich gut zusammen zu einem Ganzen.

Ein Krimi, der Lust auf mehr in dieser Art macht.

Dror Mishani lebt in Israel. Mit diesem Roman gelang ihm der internationale Durchbruch.

Dror Mishani
Drei
336 Seiten, gebunden
Diogenes, August 2019
ISBN-10: 3257070845
ISBN-13: 978-3257070842
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Philippe Blondel: Ein Winter in Paris

Philippe Blondel: Ein Winter in Paris

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Der Held der Geschichte heißt Victor und berichtet in der Ichform. Er stammt aus der Provinz und studiert an einem berühmten Lycée in Paris, wo er die Zulassung zum Studium erlangen will. Die Bedingungen des Studiums sind schwer. Man schuftet und schaut nicht rechts noch links, doch der Preis ist die Einsamkeit. Victor ist scheu, zurückhaltend und kommt nur einem Mitschüler näher: Mathieu, der eine Klasse unter ihm ist.

Eines Tages in einer Kurzschlusshandlung bringt Mathieu sich um! Er stürzt sich die Treppe im Lycée hinunter.
Die Schüler und Lehrer und der Rektor der Schule sind aufgewühlt und ratlos! Wie konnte das passieren?

Blondel erzählt einfühlsam und eindrücklich, wie das Klima in diesen Lernbetrieben ist.
Die Lehrer erscheinen entrückt und unnahbar.

Wenn man nicht in Paris zu Hause ist und nicht aus begütertem Elternhaus stammt, tut man sich schwer, Anschluss zu finden. Diese Einsamkeit durchströmt die ganze Erzählung. Atmosphärisch dicht und nachvollziehbar sieht man die Studenten in ihrem Treiben, ihren zaghaften Annäherungsversuchen und in ihrem Scheitern.

Victor erfährt nach dem Suizid von Mathieu eine ungewohnte Aufwertung als Mitglied der Schulgemeinschaft. Man erhofft sich von ihm Aufschluss über die Gründe für den Suizid.

Er erfährt ein ungewohnt hohes Interesse, denn man möchte mehr über ihn und über Mathieu erfahren. Ein schwuler Mitschüler ist besonders an allen Vorgängen interessiert.

Die Geschichte handelt vom Aufbruch aus der Kindheit und Jugend zur Erwachsenenwelt, zur Befreiung von elterlicher Gängelei und ungewohnter Freiheit und von den Erfahrungen mit ersten sexuellen Begegnungen.
Blondel erzählt aber auch von Eltern und Kindern, von den Gefühlswallungen in der Jugend, von Trennungen, Abschieden und von den stillen Stunden des Alleinseins, in denen man die Gedanken ordnet und von den Versuchen, im Leben Fuß zu fassen.

Victor wird zum Dreh- und Angelpunkt einer menschlichen Tragödie. Nachdem er sich gefangen hat, beginnt sein eigenes Leben. Er wird Schriftsteller. Diese vorliegende Erzählung, geschrieben wie eine fiktive Biographie, führt ihn nochmal zurück in seine Jugendjahre und in die Aufbruchszeiten seines eigenen Lebens.

Der Roman ist leicht melancholisch und tief einprägsam: zeigt er doch die Bewegungen, die das Wachsen und Gedeihen mit sich bringt. Sie können sich zum Guten wenden oder durch die Klippen des Lebens traurig enden.

Sehr lesenswert!

Philippe Blondel
Ein Winter in Paris
192 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag, September 2018
ISBN-10: 3552063773
ISBN-13: 978-3552063778
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Mathijs Deen: Unter den Menschen

Mathijs Deen: Unter den Menschen

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Jan wohnt allein auf einem abgelegenen Bauernhof an der Nordsee. Seine Eltern hatten ihm dem Hof übergeben und waren ins Dorf gezogen. Aus ihren Reiseplänen ist nichts geworden. Sie sind bei einem Unfall ums Leben gekommen. Von seiner Mutter ist ihm ein tägliches Mittagessen geblieben. Die Gefriertruhen sind voll davon. Das Essen hilft allerdings nicht gegen die Einsamkeit, schon gar nicht im Winter, wenn es nichts zu tun gibt auf dem Hof. Wie gerne hätte er eine Frau! Tatenlos ist er nicht, der Bauernsohn gibt eine Anzeige auf.

So kommt Wil auf seinen Hof. Jan weiß nicht, dass sie keinen Mann und keine Liebe sucht. Sie will ihre Ruhe und in einem Haus am Meer leben. Sie ist bereit, sich ein Stück weit anzupassen. Sie hat sich eine Identität verpasst, die Jan gefallen muss. Und was ihm gefällt, so glaubt sie, hat sie erkannt. Ohne dass er es weiß, hat sie ihn auf die Probe gestellt.

Von Anfang an besteht eine große Distanz zwischen den Figuren. Das stellt der Autor gut dar. Wil und Jan reden nicht viel. Jeder hat seine eigenen Probleme. Wil hat nicht vor sich auf Jan einzulassen, und Jan merkt, dass er vorsichtig mit ihr umgehen muss. Er ist ein gutmütiger Mensch, der viel verzeihen kann. Dennoch ist es ein seltsames Miteinander. Und man kommt nicht umhin, darüber nachzudenken, was eine gute Beziehung eigentlich ausmacht.

Der Schreibstil wirkt recht nüchtern. Die Handlung ist auf Wesentliches begrenzt. So scheint das Buch wie seltsames Experiment. Und trotzdem geht die Geschichte zu Herzen. Jan und Wil tun sich schwer damit, aber sie nähern sich, aus Mangel an besseren Möglichkeiten, auf eine subtile Weise aneinander an. Es ist faszinierend, das zu beobachten und sich auszumalen, wie es weitergeht. Es ist kaum vorstellbar, dass die beiden zusammenbleiben. Aber die Alternative ist ja, wieder in das alte Leben zurückzukehren und das will auch keiner. Die merkwürdige Beziehung entwickelt sich also fort. Und wie es so ist, keine Entscheidung zu treffen, ist auch eine Entscheidung.

Rezension von Heike Rau

Mathijs Deen
Unter den Menschen
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
192 Seiten, gebunden
Mareverlag
ISBN-10: 3866482809
ISBN-13: 978-3866482807
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