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Autor: Claudine Borries

Adriana Altaras: Doitscha

Adriana Altaras: Doitscha

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Familienchaos…

Ariana Altaras hat nach dem großen Erfolg von „Titos Brille“ eine neue unterhaltsame Geschichte über ihre gegenwärtige Familie, mit der sie in Berlin lebt, geschrieben. Es gelingt ihr, in Gestalt ihrer drei „Männer“ eine realistische Show zu illustrieren. Ihr Mann George, der kleine Sohn Sammy und der Ausbund an Rebellion David bieten genügend Erzählstoff, dass daraus eine lustige Familiengeschichte werden kann. Adriana Altaras hält mit gekonntem Sprachwitz und einem Humor, der sie auch in anstrengenden Situationen nie verlässt, diese Familienbande zusammen.

Zentrale Figur wird notgedrungen David, der sich in der Pubertät befindet und zu andauernden aufsässigen Zumutungen neigt. Seine Auseinandersetzungen mit dem Vater sind Legende, und der Sohn nennt ihn verächtlich „doitscha“, weil er kein Jude ist. Adriana bedient sich in ihrer Familienerzählung der Alltagssprache heutiger kunterbunter Jugendgangs. Dass dabei leider ein wenig ruppig mit der Sprache umgegangen wird, ist wohl unumgänglich. Neben dem Alltag spielen die jüdischen Verwandten wie immer eine tragende Rolle.

Die temperamentvolle Mutter Adriana setzt sich mit ihren Kindern und den Verwandten permanent auseinander. Es ist der liebevolle und mitreißende Humor, der dieser Geschichte ihren Rang zuweist. Schnodderig und schnell fließen die Sätze aus dem Mund der Mutter, und man hat seine liebe Not, mitzuhalten. Aus der wechselnden Sicht eines jeden Protagonisten werden die Episoden erzählt. Auf diese Weise ist eine muntere Bestandsaufnahme entstanden.

So ganz reicht diese Geschichte nicht an „Titos Brille“ heran. Vielleicht sind manche Episoden gar nicht so unbedingt „jüdisch“. Gibt es doch auch unter den „doitschen“ Familien heute so manche Mär von Rabaukentum und pubertärer Aufsässigkeit zu berichten, an denen der eine oder andere Elternteil verzweifeln mag. Was bleibt, ist Altaras augenzwinkernde Gutmütigkeit, mit der sie das Familienschiff durch so manche Stürme zu begleiten versucht.

Adriana Altaras
Doitscha
272 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, November 2014
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3462047094
ISBN-13: 978-3462047097
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Rachel Joyce: Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry

Rachel Joyce: Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry

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Liebesgeschichte aus besonderer Perspektive…

Der vorliegende Roman lässt keine Wünsche offen, was Unterhaltung und stilvolles Ambiente zu bieten hat. Worum geht es? Queenie Hennessy ist krank, so krank, dass sie bald sterben wird.

Sie begibt sich in ein Hospiz, wo sie ihre letzten Tage verbringen will. Da erreicht sie ein Brief von ihrem ehemaligen Kollegen Harold Fry, in dem er sie dringend auffordert, auf ihn zu warten! Doch er tritt seine Reise in den äußersten Norden Englands vom Süden her zu Fuss an. Wer weiß, ob er noch rechtzeitig bei Queenie eintreffen wird? Und warum will er sie unbedingt noch lebend sehen?

Queenie macht sich inzwischen an die Arbeit. Sie schreibt ihrer geheimen Liebe Harold einen langen Brief, in dem sie ihm verborgene Wahrheiten über sich selbst erzählen wird.

Queenie und Harold haben gemeinsam in einer Brauerei gearbeitet. Dabei sind sie sich näher gekommen. Doch Queenie ist die treibende Kraft der Liebe, die sie ihm nie offenbart hat. Harold ist verheiratet und hat einen Sohn, der keine ganz unbedeutende Rolle in dieser Geschichte spielt. Wie nicht anders zu erwarten breitet Queenie in ihrem Brief ihre Gedanken und Gefühle weit vor uns aus.

Begleitet von melancholischen und gelegentlich witzigen Beobachtungen berichtet sie über ihren Hospizalltag und über die Menschen, die dort, wie sie selbst, auf ihren Tod warten. Schließlich folgen in zahlreichen Einschüben Erinnerungen an das Verhältnis zwischen ihr und Harold. In ihren Aufzeichnungen holt sie alles hervor, was so lange in ihr geschlummert hat. Da ist von Schuld und Sühne ebenso die Rede wie von der gemeinsam verbrachten Arbeitszeit und ihrer stillen Zuneigung zu Harold.

Entstanden ist auf diese Weise ein Liebesroman ganz eigener Prägung. Unerwiderte Liebe, geheime Beobachtung des anderen und Zeiten des Glücks allein durch das Beisammensein machen den Roman zu einer stillen und zarten Liebesgeschichte. Rachel Joyce versteht es vorbildlich, Atmosphäre und Stimmungen auf leichte und poetische Weise einzufangen. Die Liebesgeschichte nimmt einen in ihrer rührenden Selbstlosigkeit und Verhaltenheit gefangen.

Rachel Joyce bietet keine harten Schnitte. Sie behält einen ruhigen und gemäßigten Gesprächsfluss bei. Der anheimelnde und gemütlich zu lesende Roman bietet Gelegenheit, sich bei der Lektüre entspannt zurückzulehnen und sich ganz den Bildern aus Natur, Träumerei und stiller Hoffnung und nicht zuletzt des Abschieds hinzugeben.

Rachel Joyce
Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry
400 Seiten, gebunden
FISCHER Krüger, Oktober 2014
ISBN-10: 3810521981
ISBN-13: 978-3810521989
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Pierre Lemaitre: Wir sehen uns dort oben

Pierre Lemaitre: Wir sehen uns dort oben

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Im Krieg und im Frieden.

Wir befinden uns im Jahr 1918 auf den Feldern des Ersten Weltkriegs in Frankreich.

Die Soldaten der geschundenen Armee sehnen das Ende des Krieges herbei. Doch bevor es so weit ist, werden noch viele von ihnen ihr Leben lassen.

Einen unter ihnen, Albert, hätte es fast noch erwischt. Aber nicht der Feind wird ihm zum Schicksal sondern Leutnant Pradelle. Er hat Machtgelüste und schikaniert seine Untergebenen unmenschlich und sadistisch. So gerät Albert mit einem Schubs in ein tiefes Loch, aus dem es bei dem Matsch und der Rutschgefahr kein Entkommen gibt.

Sein Kumpel Édouard befreit ihn aus seiner desolaten Lage. Dieser verliert dabei durch einen Schuss seinen Unterkiefer und sieht sich schwerstem Leiden ausgesetzt. Trostlos und verlassen leben die Verwundeten auf ihre Entlassung zu immer in Erwartung eines wie immer gearteten Endes aus ihrer verlorenen Lage.

Albert steht nach dem Ende des Krieges seinem Retter Édouard überall bei. So verhilft er ihm zu einer falschen Identität, denn Édouard möchte seiner Familie in seinem Zustand nie mehr begegnen. Die beiden Kumpel werden zu einer eingeschworenen Schicksalsgemeinschaft. Sie gründen eine betrügerische Denkmalfirma. Die Lust am Betrug wird für die beiden zum Lebenselixier. Edouard ist die geschundene Kreatur, die ohne Gesicht nur noch mit Masken zu leben versteht.

Nach dem ein Jahr vergangen ist, kommt auch Pradelle wieder ins Spiel. Er betreibt in großem Rahmen ebenfalls mit betrügerischer Absicht Geschäfte mit der Umbettung der im Krieg Gefallenen. Die Wege der beiden Antipoden kreuzen sich hierbei erneut.

Pierre Lemaitre hat ein Kriegsbuch geschrieben, in dem die ganze Grausamkeit und die Abgründe menschlicher Charaktereigenschaften erfahrbar werden.

In seinem rasant geschriebenen Roman lehrt uns Lemaitre, wie als Folge des Krieges alle Vorstellungen von Moral verloren gehen können. Korruption, Betrügerei und unlautere Geschäfte feiern fröhlich Urständ.

Als Schelmenroman wird die Geschichte kolportiert. Doch dazu ist sie zu traurig.

Lemaitre ist Kriminalbuchautor. Das merkt man bei diesem Roman ganz deutlich. Es wimmelt nur so von geheimnisvollen Erzählsträngen, in denen Albert und Édouard auf der einen Seite und Pradelle auf der anderen ihr betrügerisches Unwesen treiben. Auf diese Weise rächen sie sich für ihr durch den Krieg verpatztes Leben. Allerhand verwandtschaftliche Verbindungen machen den Roman zu einem trickreichen Verwirrspiel, in denen die guten und die schlechten Charaktere je ihren Platz finden. Spannend und vielschichtig geht Lemaitre bei der Verfolgung der einzelnen Tätergeschichten vor. Atmosphärisch gekonnt fühlt man sich in den Sog der Handlung hineingezogen.

Man liest den Roman mit angehaltenem Atem immer in der Erwartung dessen, was da nun wieder kommen mag!

Pierre Lemaitre
Wir sehen uns dort oben
521 Seiten, gebunden
Klett-Cotta, Oktober 20143
ISBN-10: 3608980164
ISBN-13: 978-3608980165
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Walter Bauer: Die Stimme

Walter Bauer: Die Stimme

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Die Geschichte „Die Stimme“ ist eine, die von Abschied, Heimatlosigkeit, Neubeginn und vielem mehr handelt.

Die Stimme aus dem off klingt einsam, melancholisch und betrüblich. Sie handelt von Vergänglichkeit und wirkt ein wenig hoffnungslos, so als sei alle Mühe auf Erden vergeblich, das Glück zu finden.

Ein Professor aus Toronto erzählt einem imaginären Gegenüber hier seine eigene Geschichte. Aufgewachsen ist er in Deutschland. Gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg und der Gefangenschaft in Russland kehrt er 1952 Deutschland den Rücken und wandert nach Kanada aus. Seine erste Station ist Toronto.

Seine zweite Ehe ist gerade gescheitert. Die Eltern sind tot, so dass es keine tiefen Bindungen mehr zum Land der eigenen Herkunft gibt.

Das Gefühl des „Fremdseins“ ist unüberhörbar. Der Erzähler verdingt sich zunächst als Packer und Lagerarbeiter. Er wohnt in einer kargen Gegend in einem einzelnen Zimmer. Jeder Anflug von Geborgenheit erstickt hier in seinen Anfängen im fremden Land mit fremder Sprache. Und doch ist die Geschichte, wie sie hier erzählt wird, von eigenartigem Reiz und poetischer Schönheit. Wie wohl alles ein wenig trostlos wirken könnte, spürt man doch die Wärme des Erzählers, mit der er das, was fehlt im Leben, als stille Hoffnung in sich trägt.

In einer Kaskade schönster, tiefsinnigster und poetischer Sprachgewandtheit erzählt Walter Bauer in Gestalt des Icherzählers von der Landschaft, von seinen Stimmungen, Erinnerungen und Erfahrungen des Augenblicks. Das Herbstlaub im Indian Summer wirkt so präsent wie die Schilderung der Lebensumstände und die fast resignierend beschworene Suche nach dem Glück. Dieses Glück begegnet dem Icherzähler in Gestalt der Schauspielerin Diana. Durch ihre Stimme, die sie für Lesungen zur Verfügung stellt, findet Richard einen Weg zur neuen, fremden Sprache im freiwillig gewähltem Exil.

Fortan wird in der Erzählung die Begegnung der beiden Menschen in einer Art zarter Annäherung beschrieben. Werden sie das Glück bei einander finden?

Der Lilienfeld Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, kleine literarische Kostbarkeiten aus dem Beginn und Verlauf des 20. Jahrhunderts aufzufinden und neu herauszugeben. Man arbeitet sorgfältig in dem Verlag, in dem man in einem Nachwort von Jürgen Jankofsky sowohl über den Lebensweg von Walter Bauer berichtet als auch in einer Tabelle die wichtigsten Lebensdaten aufführt.

Walter Bauer lebte von 1904 bis 1976. Seine Erzählung trägt durchaus biographische Züge. In der Aufmachung ist das Buch „Die Stimme“ ein kleines bibliophiles Meisterwerk, das sich bestens für Mußestunden oder als kleines Geschenk eignet.

Walter Bauer

Die Stimme
128 Seiten, gebunden
Lilienfeld Verlag, Oktober 2014
ISBN-10: 394035743X
ISBN-13: 978-3940357434
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Edward Gorey: Die Wasserblüte

Edward Gorey: Die Wasserblüte

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Victorianische Reminiszenzen…

Wie schon in seiner früheren Zeichengeschichte „Ein fragwürdiger Gast“ gelingt es Edward Gorey, eine skurrile, abstrakte und, ja fast surreale Geschichte in Bilderform zu erzählen.

Worum geht es?

Eine altmodisch gekleidete Dame, sie könnte aus dem 19. Jahrhundert stammen, beschließt, ein Buch zu lesen. Das Buch wird minutiös beschrieben. Ein Kanapee ist das einzige Mobiliar, auf dem sich die Dame mit Namen Jane niederlässt. Das nächste Bild: ein Fenster mit Schneeflocken dahinter. Jane lässt sich nicht ablenken; zu sehr scheint der Roman sie in ihren Bann zu schlagen. Irgendwann muss sie sich um das Abendessen kümmern, aber der Schnee liegt hoch. Charles, – wer ist das schon wieder? – erkundigt sich nach dem Abendessen. Cracker mit Soße soll es geben! Mal ist diese zu dünn, dann wieder zu dick. Pelzverbrämte Gestalten sitzen um den Tisch. Die Zeichnungen sind schwarz auf weiß gestrichelt.

Ach ja, und plötzlich stirbt Henry. Wir können nur ahnen, wer er ist. Sind die anderen Gestalten alle Geschwister? Es gibt schwarzen Weihnachtsschmuck und schwarze Kerzen zum Zeichen der Trauer.

Langer Rede kurzer Sinn: die Geschichte erblüht zu einer reinen Nonsensgeschichte. Die schwarz gestrichelten Zeichnungen auf weißem Hintergrund tun sich als eine Leere auf, mit der man sich unversehens konfrontiert sieht, und die einen in Bann ziehen. Die Gestalten sind übergroß in die Höhe gezogen, womit das makabere Geschehen noch betont wird.

Unsinnig scheinen alle Handlungen, und unsinnig ist die ganze Geschichte. Doch das scheint die Absicht des Graphikers Edward Gorey zu sein: surreale, leere Begebenheiten, die so wie sie kommen im Nichts enden. Alex Stern hat die kurzen Sätze passend zu den Szenen aus dem Amerikanischen übersetzt. Wer Sinn für schwarzen Humor hat und sich unter den makaberen Gestalten mit Fantasie etwas vorstellen kann, der wird an dieser kleinen Bildergeschichte seine helle Freude haben.

Edward Gorey
Die Wasserblüte
64 Seiten, gebunden
Lilienfeld Verlag, November 2013
ISBN-10: 3940357340
ISBN-13: 978-3940357342
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James Salter: Jäger

James Salter: Jäger

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Krieg und Frieden…

Der Autor James Salter hat 12 Jahre lang in der amerikanischen Armee als Kampflieger gedient. 1957 beendete er seine Karriere beim Militär und legte seinen ersten Roman vor. „Jäger“ ist der Abgesang auf ein Leben, dass ihn in unterschiedlichen Formationen zu seinen Flügen im Koreakrieg (1950-1958) gezwungen hatte.

Nord und Südkorea waren in einen verlustreichen Stellungskrieg verstrickt. Chinesen halfen dem Norden, Amerika dem Süden bei der kriegerischen Auseinandersetzung um die Grenzfestlegung. Bis heute gibt es die strengen Grenzen, die Korea in zwei unterschiedliche Staaten in Nord und Süd aufteilt.

James Salter hat seine Erlebnisse in diesem Krieg zu seinem ersten Roman verarbeitet. Es ist ein Kriegsroman, in dem es vorwiegend um die Gemeinschaft, den Sieg und die Niederlage im Luftkrieg geht.

Kameradschaft, Kampfgeist und die Abschussrate bieten die eine Seite seiner Erfahrungen. Das Nachdenken und die Einsamkeit der Krieger die andere.

Man startet in Gruppenflügen, um den Gegner zur Strecke zu bringen. Zu Helden werden jene, die am häufigsten gegnerische
Kampflieger abschießen. Man bangt mit den gemeinsamen Kameraden, denn natürlich gab es zahlreiche Verluste in der Mannschaft zu beklagen.

Wer James Salter aus anderen Büchern bereits kennt, ist nicht erstaunt darüber, wie detailliert er hier über den Krieg, die Kampfeinsätze, den Ehrgeiz, das Lob und die Abneigung unter einander berichtet. Es müssen einschneidende Erfahrungen gewesen sein, denen die Flieger bei ihren Einsätzen ausgeliefert waren.

Angst und Mut, Treue und Entsetzen: von allem findet man hier etwas. Gelegentlich bieten einzelne Kämpfer mit ihren Sorgen und Nöten den Erzählstoff. Das Leben im Krieg und im Kampf an vorderster Front ist entbehrungsreich und zuweilen sehr einsam. Die Pflicht, sich um den Kameraden zu kümmern und daneben zahlreiche Abschüsse zu erreichen, kann den einzelnen zermürben.

Einfühlsam wie immer berichtet James Salter über die Empfindungen, die jeden nach seiner Art ereilen. Traurig ist jeder Verlust unter den Freunden. Man wächst zusammen unter den dramatischen Bedingungen, die der Krieg mit sich bringt. Die Trauer und gelegentliche Melancholie neben den Draufgängern und Abenteurern machen den Roman zu einem besonderen. Charaktere verändern sich und fast jeder sehnt zuletzt das Ende der Dienstzeit herbei. Krieg ist kein lustvolles Erleben. Das wird so manchem schon nach den ersten Einsätzen klar. Der Sieg wird schal im Angesicht so vieler Verluste von liebenswerten Menschen und Kriegsteilnehmern. James Salter hat in sensibler und eindringlicher Form über den Krieg geschrieben.

Nicht für jeden mag die Lektüre geeignet sein. Krieg ist nie gut. Aber Menschen in Extremsituationen reagieren überall unterschiedlich. Dafür ist Salter der beste Zeuge.

James Salter

Jäger
304 Seiten, gebunden
Berlin Verlag, Oktober 2014
ISBN-10: 382701235X
ISBN-13: 978-3827012357
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Giovanni di Lorenzo: Vom Aufstieg und anderen Niederlagen

Giovanni di Lorenzo: Vom Aufstieg und anderen Niederlagen

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Schon der Titel des Buchs von Giovanni di Lorenzo weist uns in seiner Widersprüchlichkeit auf Gespräche hin, die in ihrer Offenheit sowohl Erfolge als auch Niederlagen einer Reihe angesehener Persönlichkeiten des öffentlichen und privaten Lebens offenbaren.

In den zahlreichen Interviews, die GdL in 33 Jahren seiner Karriere als Journalist geführt hat, erfahren wir einiges über Menschen, die uns im täglichen Leben als Regisseure oder Politiker, als Schauspieler, Sportler oder in diversen anderen öffentlichen Rollen aller Art begegnet sind.

Gelungen ist G. di Lorenzo eine Innenansicht der Interviewten, die man so nicht kannte. Mit einfühlsamen und gezielten Fragen öffnen sich die Herzen, die uns Einblicke in die persönliche Erfahrungswelt dieser Erfolgreichen und weniger Erfolgreichen gestatten.

Ob es sich um den Bundespräsidenten Gauck handelt oder um den Schauspieler Armin Mueller-Stahl, um den Regisseur Helmut Dietl, die Geigerin Anne Sophie Mutter oder alle die anderen, die ich hier nicht alle aufzählen kann: ihm gelingt mit seinen Fragen, dass die Betreffenden sich öffnen und uns den Blick in ihr Inneres gewähren. Es sind Menschen, die wir bewundern, ablehnen oder sonst wie bemerkenswert finden.

Auffallend ist die Sichtweise derjenigen, die ein langes Leben hinter sich haben. Von zuversichtlich Hoffenden geht der Blick doch auch in eine Richtung, in der sich im Alter Lebensklugheit mit Enttäuschung paart, ja, gelegentlich auch Resignation anklingen lässt.

Und wie beruhigend ist es, zu wissen, dass wir so wie die Interviewten alle nur Menschen sind, mit kleinen oder großen Sorgen, mit Eitelkeiten, Empfindlichkeiten, Vorlieben, Abneigung und sogar Hass!

Die feine Sensibilität, mit der Giovanni di Lorenzo seinen Partnern im Gespräch begegnet, seine Fähigkeit, gut zuhören zu können, sich selber ganz zurückzunehmen und durch seine klugen Fragen dem Gegenüber die Möglichkeit einer sorgfältigen Entfaltung zu bieten, macht diese Sammlung von Gesprächen zu einem wichtigen Zeitdokument. Es ist zugleich ein „who is who“ in der Bundesrepublik Deutschland.
Man liest die Aufzeichnungen neugierig, ein wenig voyeuristisch und alles in allem mit Gewinn.

Giovanni di Lorenzo
Vom Aufstieg und anderen Niederlagen
352 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Oktober
ISBN-10: 3462047108
ISBN-13: 978-3462047103
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Hugo Hamilton: Jede einzelne Minute

Hugo Hamilton: Jede einzelne Minute

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Reise in die Vergangenheit…

Eine alternde und kranke irische Schriftstellerin begibt sich mit ihrem viel jüngeren Freund auf eine Abschiedsreise. Sie möchte nach Berlin, um die ihr lieben Orte noch einmal zu sehen und sich von guten Freunden zu verabschieden. Zu den Orten gehört der Botanische Garten, das Pergamonmuseum, die Staatsoper Berlin, Café Einstein, die Paris Bar, alles bekannte und dem Berlinbesucher vertraute Plätze.

Sie wohnt mit ihrem Freund im Adlon unter den Linden. Mehr noch als die Besichtigungen liebt sie die Gespräche mit ihrem Freund, hier Liam genannt. Alte Erinnerungen heraufzubeschwören genießt sie fast ebenso wie die Stadt Berlin, in der sie gute und schöne Augenblicke erlebt hat.

Unter dem Pseudonym Úna verbirgt sich die irische Schriftstellerin Nuala O’Faolein und Liam ist Hugo Hamilton persönlich!

Wie geht es einem, wenn man vor dem kurz bevorstehenden Tod noch einmal eine Reise in die Vergangenheit unternimmt?

Da fließen gute und schlechte Erinnerungen ein, doch überwiegend ist es eine Art Lebensbilanz, die man hier vorfindet.

Über Kindheit, das Menschsein, über Geben und Nehmen, über Geheimnisse und Gewalt in Familien, über Selbstverwirklichung in der Rolle als Frau oder Mutter reflektiert Úna unermüdlich, ja, ihre Überlegungen gipfeln in dem Gedanken, dass Menschsein Geschichten an sich bedeuten. Über nichts als das, was das eigene Erleben an Erkenntnissen schafft, kann man erzählen, egal, in welcher Verkleidung man seine Impressionen und Erfahrungen des Lebens wieder gibt.

Der große Altersunterschied zwischen den Protagonisten lässt an eine Mutter-Kind-Beziehung denken; doch eigene Kinder waren der Autorin versagt. So bleibt die Erzählung in sporadischen Erinnerungsaugenblicken stecken. Das ganze Leben ist eine Geschichte; so wird es von Úna empfunden, und so gibt es Hugo Hamilton weiter.

Zitat aus einer Schrift von Nuala O’Faolain aus dem Nachwort von Elke Heidenreich: „Das Beste, das ich von meiner Kindheit mitbekam, ist das Lesen“ und “Wenn es auch sonst nichts gäbe — für das Lesen lohnte sich das Leben schon“. Ein schöneres Plädoyer für die Literatur lässt sich nicht denken!

Dieses Buch ist beschaulich und bei aller Endzeitstimmung eine ruhige und freundliche Rekapitulation eines langen Lebens. Ein wenig Nostalgie und Melancholie verleihen der Geschichte Glanz und Farbe.

Man liest den Roman mit Anteilnahme und lässt sich auf die sporadischen Erinnerungsgeschichten gerne ein.

Hugo Hamilton
Jede einzelne Minute
352 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, September 2014
ISBN-10: 3630874258
ISBN-13: 978-3630874258
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Thomas Hettche: Pfaueninsel

Thomas Hettche: Pfaueninsel

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Ausflug in die Geschichte einer längst vergangenen Welt…

Wer dieses Buch zur Hand nimmt, wird entzückt sein von der feinen Aufmachung und dem auf edlem Papier geschriebenen Roman. Schon bei den ersten Seiten überkommen einen Erinnerungen an Fontane mit seinen herrlichen Beschreibungen der Mark Brandenburg. Die Pfaueninsel liegt inmitten einer naturnahen Havellandschaft umgeben vom Wasser der Havel. Fauna und Flora nehmen breiten Raum in der Schilderung ein, denn es raschelt vom Schilf, das tief in den See hineinzuwachsen scheint, vom Gezwitscher der Vögel, dem Rauschen der Blätter und dem Wechsel der Jahreszeiten.

Man ahnt die Pracht und Herrlichkeit einer zu Beginn des 19.Jahrhunderts noch wundersamen Beschaulichkeit.

In diesem Gelände blühen neben den realen geschichtlichen Ereignissen mythische Figuren und Erlebnisse.

Preußenkönige haben sich hier einen Landsitz geschaffen, zu dem entsprechendes Personal gehört. Gärtner haben das Gelände urbanisiert und pflegen und hegen die königlichen Gebäude und Gärten. Marie und ihr Bruder Christian sind die hervorgehobenen Figuren, die sich in dieser Landschaft mit ihren bäuerlichen Gewohnheiten wohlfühlen. Beide sind zwergwüchsig und in ihrer Anomalie anziehend für die Leute des Personals und schockierend für die Königin Louise, die Marie als Monster bezeichnet. Gustav verliebt sich in das Schlossfräulein Marie, und sie schaut scheu auf ihn, den groß gewachsenen Gärtnersohn. Sie beherrscht mit ihrem Charme, ihrer besonderen Beobachtungsgabe und teils heiterer und teils melancholischer Gelassenheit das weitere Geschehen.

Die Insel entwickelte sich zu einem Zoo exzotischer Tiere und Planzen, zu denen die kleinwüchsiger Menschen oder Riesen ihren Beitrag leisteten

Mit den Figuren umspielt Th. Hettche seinen Roman über die Geschichte der Pfaueninsel, die uns weit in den Beginn des 19.Jahrhunderts zurückführt. Zwischen Befreiungskriegen und damit einhergehend politischen Umbrüchen aller Art, Gartenkunst und Schlossherrlichkeit erfährt man allerlei Wissenswertes über die Geschichte der Insel und ihrer Herrschaft. Bekannte Namen der Gartenkunst und der Architektur von Schinkel bis zu Lenné tauchen auf und zeigen uns die Baukunst und die Denkmalpflege in ihrer damaligen Pracht. Die Nähe zur Natur und die Verwirrung um die Protagonisten vermitteln uns den Eindruck einer entrückten Welt. Th. Hettche findet jedoch immer wieder auf den Boden der realen Geschichte zurück. Die wahre Geschichte der Pfaueninsel mit ihrer Entstehung und Verwendung bis zu ihrem Untergang wird uns in ästhetischen Bildern nahe gebracht. Poetische Ausflüge in die Naturgegebenheiten sind es, die uns mitreißen!

Diesen wunderschönen Roman kann man uneingeschränkt empfehlen!

Thomas Hettche
Pfauensinsel
352 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, August 2014
ISBN-10: 3462045997
ISBN-13: 978-3462045994
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Olga Grjasnowa: Die juristische Unschärfe einer Ehe

Olga Grjasnowa: Die juristische Unschärfe einer Ehe

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Liebe auf Abwegen…

Drei verlorene Gestalten bieten den Plot zu der vorliegenden Geschichte, in der die Liebe einmal auf ungewöhnliche Weise abgehandelt wird.

Altay, Leyla und Jonoun treffen Mitte der neunziger Jahre in Berlin zusammen. Hierher hat sie ihr Schicksal geführt. Sie sind Mitte zwanzig und kommen aus unterschiedlichen Sphären: Leyla und Altay stammen aus Baku/Aserbaidschan und Jonoun kommt aus Amerika und zuletzt Israel. Ihr Großvater und ihr Urgroßvater waren Rabbiner. Die exzentrischen Eltern boten ihr keine Sicherheit. Der Vater war Israeli, die Mutter führte ein Nomadenleben. Die ersten Jahre verbrachte die kleine Jonoun in einem Kibbuz im Norden Israels. Später wuchs sie bei ihren Großeltern auf. Sie hat zur Zeit der Begegnung mit Leyla und Altay ein Kunststudium und eine Ehe hinter sich. Leyla war Tänzerin am Bolschoi Ballett und hatte hoch fliegende Pläne. Ein Unfall beendete ihre Träume. Altay ist Psychiater. Alle drei jagen der Liebe nach, die sich ihnen nur schwer erschließt. Leyla und Altay leben mit der stillschweigenden Übereinkunft, den Verwandten eine intakte Ehe vorzuführen. In Wirklichkeit geht jeder eigene Wege.

Altay liebt Männer, und Leyla kann sich nur für Frauen erwärmen. Jonoun ist die Neue, die erste Erfahrungen auf dem Gebiet der gleichgeschlechtlichen Liebe sucht.

Wie soll diese Ménage à trois funktionieren?

Olga Grjasnowa spielt mit dem Thema „Liebe“, in dem sie die unterschiedlichsten Menschen zusammenführt. In Berlin trifft man sich in Kneipen und Restaurants. In Baku erlebt man die dortige Gesellschaft mit den Nachfahren der ehemals Regierenden, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in neuer Formation und großem Reichtum zusammengefunden haben. Altay, Leyla und Jonoun befassen sich mit ihren jeweiligen Liebespartnern und lassen sich durch Zeit und Länder treiben. Mental sind sich Leyla und Altay treu ergeben und helfen sich, wenn sie in Not sind. Im übrigen lassen sie sich jede Freiheit.

Die „juristische Unschärfe einer Ehe“ besteht in diesem einerseits und andererseits. Freiheit und Geborgenheit: hier scheint der Widerspruch aufgehoben. Das Paar weiß, dass man sich auf einander verlassen kann, ist sich herzlich zugetan und respektiert sich in Fragen der Liebe. Jonoun bemerkt die Doppelbödigkeit ihrer Beziehung zu Leyla.

Baku, der Kaukasus, Berlin und das Künstlermilieu in diesen Städten und Ländern mit einer morbiden akademisch gebildeten Schicht von Unangepassten bestimmen das Klima in der Geschichte.

Der Roman bietet tiefe Einblicke in das Homosexuellenmilieu in Deutschland und Russland. Wie man einander erkennt, wie man zu einander findet, wie sehr die Sexualität das Leben bestimmt: so haben wir es noch nicht beschrieben gesehen. Exotisch treten die kulturellen Unterschiede zwischen Russen und Deutschen zu Tage. In Baku ist die Sinnenfreude beim Essen, Trinken und Feiern auffällig; die Landschaft mit ihren Reizen, die bunten Einrichtungen und die Gastfreundschaft treten aus dem Schatten der ratlos suchenden Figuren und bieten einen atmosphärisch passenden Rahmen zur Handlung. Ehen und Beziehungen sind hier wie dort nie sehr sicher. In der Erzählung geht es vorwiegend um die jeweilige Befindlichkeit der handelnden Personen und um ihre Orientierungssuche. Der Leser bleibt etwas ratlos zurück, denn das Ende kommt überraschend und lässt viele Fragen offen.

Olga Grjasnowa ist 1984 in Baku/Aserbeidschan geboren und lebt seit 1996 in Deutschland.

Olga Grjasnowa
Die juristische Unschärfe einer Ehe
272 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, August 2014
ISBN-10: 3446245987
ISBN-13: 978-3446245983
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