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Schlagwort: Familie

Silvia Avalone: Ein Sommer aus Stahl

Silvia Avalone: Ein Sommer aus Stahl

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Die 13jährigen Mädchen Anna und Francesca leben in der italienischen Hafenstadt Piombino. Das Leben der heranwachsenden Mädchen spielt sich zwischen dem Strand und der Via Stalingrado ab, hier sind sie umgeben von Stahlarbeitern, Staub und der Sommerhitze. Gerne kokettieren sie mit den älteren Jungs. Und obwohl sich die nur wenige Jahre älteren Mädchen abfällig über die provozierenden Freundinnen unterhalten, müssen Sie sich doch eingestehen, dass sie selbst wenige Jahre zuvor nicht anders waren. Die Väter der beiden Freundinnen sind bzw. waren in dem nahe gelegenen Stahlwerk beschäftigt. Sie sind alles andere als treuliebende Familienväter. Im Gegenteil, Alkohol und Prügel für die Ehefrau als auch für die Kinder stehen auf dem Fahrplan. Da wundert es nicht, dass sich der ältere Bruder von Anna um sie kümmert und auf sie aufpasst. Er hält ein waches Auge auf seine kleine Schwester, damit sie nicht von den Jungs angemacht oder gar geschmälert wird. Anna lässt sich davon trotzdem nicht abhalten, den Jungs schöne Augen zu machen.

Was mich an diesem Roman besonders fasziniert hat, ist die Atmosphäre, die durch die Schriftstellerin und deren Übersetzer Michael von Killisch-Horn, erzeugt wird. Da ist zunächst einmal die Stimmung von Sommer, Sonne, Strand und Ferien. Infolge des nahe befindlichen Stahlwerks kommt aber auch ein Hauch von Dortmund aus den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zum Vorschein. Die Atmosphäre in dem Mietshaus brachte bei mir ein Gefühl von Duisburg, Essen oder Köln-Kalk hervor. Die Brutalität in der Familie erinnert an das dümmliche Klischee von Hartz-IV-Familien. Diese dort herrschende drückende Enge belastet die heranwachsenden Freundinnen. Sie wollen ausbrechen aus diesem System. In noch während Francesca keine großen Chancen sieht, jemals den Duft der großen weiten Welt einatmen zu können, ist Anna ganz anderer Meinung und möchte ihr Leben richtig anpacken. Während sie mit den Jungs auf dem Motorroller die Via Stalingrado auf- und abfahren, träumen sie von der Insel Elba, die sie in der Ferne am Horizont sehen können und die für sie schon ein Stück der großen weiten Welt bedeutet.

Diese Atmosphäre wird durch unterschiedliche Erzählperspektiven geschaffen, mit denen die Autorin Sylvia Avalone experimentiert. Obwohl es im Wesentlichen um eine Liebesgeschichte geht, ist es weitaus mehr als eine solche. Ein ganz großes Thema sind schließlich die sozialen Spannungen die in dieser Region herrschen, welche von der Stahlindustrie geprägt ist. Dennoch scheint alles mit Leichtigkeit erzählt zu sein. Auch wenn das Leben trotz der blauen Flecke auf den Armen so sorglos scheint und der Leser das Gefühl hat, die Mädel würden einfach nur so in den Tag hinein leben.

Obwohl ich anfangs skeptisch war und das Buch in die Ecke der Jugendliteratur stellen wollte, wurde ich eines Besseren belehrt. Mich hat die Geschichte der Mädchen gepackt. Ich habe sie gerne auf dem Weg ins Erwachsensein begleitet und dabei Spaß gehabt. Ein weiteres Mal habe ich festgestellt, dass mich neben der Spannung der Geschichte auch die Atmosphäre einfangen kann. Wenn dann beides stimmt, um besser. Gerne volle Punktzahl.

Avalone, Silvia
Ein Sommer aus Stahl
Aus dem Italineischen von Michael von Killisch-Horn
414 Seiten, gebunden
Klett-Cotta, Stuttgart
ISBN-10: 3608938982
ISBN-13: 9783608938982

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013
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Huntley Fitzpatrick: Mein Sommer nebenan

Huntley Fitzpatrick: Mein Sommer nebenan

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Samantha Reed ist sieben Jahre als, als die neuen Nachbar einziehen. Fünf Kinder haben die Garretts zu diesem Zeitpunkt und die Familie bekommt weiterer Familienzuwachs. Samathas Mutter verbietet den Umgang mit den Nachbarn, die ihr viel zu laut und chaotisch sind und ihre Familienplanung offensichtlich nicht im Griff haben.

Samantha ist allerdings fasziniert. Heimlich beobachtet sie die Garretts vom Dachvorsprung aus. Wann immer sie Zeit hat, klettert sie aus ihrem Fenster hinaus und wird zum stillen Beobachter.

Samantha ist siebzehn, als sie Jase Garrett kennenlernt und sich in ihn verliebt. Samatha wird ein Teil der Nachbarsfamilie, ohne dass ihre Mutter etwas davon ahn. Viel zu sehr ist sie in ihre Arbeit vertieft. Sie strebt die Wiederwahl als Senatorin an. Clay Tucker steht ihr zur Seite und unterstützt ihre Ambitionen. Und auch im privaten Bereich nähern sich die beiden an. Samantha scheint es, dass Clay ihre Mutter viel zu sehr beeinflusst, aber ihre Meinung ist nicht gefragt.

Dass sie recht damit hat, wird zur Gewissheit, als etwas geschieht. Ihre Mutter lässt sich in einer entscheidenden Situation negativ beeinflussen, fällt eine falsche Entscheidung und entzieht sich so der Verantwortung. Ausgerechnet die Garretts haben darunter zu leiden. Samantha gerät zwischen die Fronten und in einen harten Gewissenskonflikt. Und ihre Liebe zu Jase, die gerade erst begonnen hat, scheint dem nicht standzuhalten.

In erster Linie geht es in diesem Buch um eine beginnende Liebe. Alles dreht sich um Samantha und Jase. Was sehr romantisch beginnt, wird irgendwann allerdings langatmig. Über einen Großteil des Buches passiert nicht wirklich etwas, das die Handlung voranbringt.
Erst sehr viel später kommt wieder Tempo in die Geschichte. Dann ist Schluss mit Oberflächlichkeit und das wahre Leben mit seinen unvermeidbaren Schicksalsschlägen beginnt. Oder auch nicht, denn irgendwie wird alles wieder gut. Das wackelt die Glaubwürdigkeit der Geschichte schon ein wenig.

Das Buch ist unterhaltsam. Die Autorin hat einen gut lesbaren Schreibstil. Der Spannungsbogen verläuft allerding nicht perfekt. Das liegt an der Konstruktion der Geschichte, die im Verlauf nicht optimal angepasst scheint.

Rezension von Heike Rau

Huntley Fitzpatrick
Mein Sommer nebenan
Aus dem Amerikanischen von Anja Galić
512 Seiten, gebunden
cbj, München
ISBN-10: 3570155722
ISBN-13: 978-3570155721
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Petra van Laak: Auf eigenen Beinen – Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit

Petra van Laak: Auf eigenen Beinen – Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit

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Petra van Laak hat sich mit einer Textagentur selbständig gemacht und ist heute sehr erfolgreich. Bis dahin war es aber ein langer Weg. Und es war ein Wagnis. Als der Plan in ihr Gestalt annahm, war Frau van Laak 41 Jahr alt und alleinerziehend mit vier schulpflichtigen Kindern. Die Aussicht, einen festen Job zu finden, war gering. Mit Gelegenheitsjobs konnte man aber keine vier Kinder ernähren. Die Unzufriedenheit wuchs. Die Kinder standen und stehen hinter den Plänen ihrer Mutter. Und so wagte Frau van Laak den Neubeginn. Es zeichnete sich schnell ab, dass es ein schwieriger Weg werden würde.

Im Buch berichtet Frau von Laak von ihrer beruflichen Laufbahn. Ihre familiäre Situation stellt sie parallel dazu dar. Das Buch ist also kein Unterhaltungsroman, sondern vielmehr ein Buch für andere Frauen, die sich ebenfalls selbständig machen wollen und andere Meinungen und Rat suchen oder Motivation brauchen. Die Autorin hält nicht hinterm Berg mit ihren Erfahrungen, mit Tipps und Ratschlägen. Sie schreibt, wie schwierig es werden und welche Fehler man vermeiden sollte. Das Buch zeigt, dass es gelingen kann, wie schlecht die Bedingungen auch sind. Eine Chance hat man immer, wenn der Wille dazu besteht.

Dabei ist das Buch in einem lockeren und sehr unterhaltsamen Stil geschrieben. Ernste Szenen wechseln mit witzigen ab. Frau van Laak hat viel erlebt auf dem Weg in die Selbständigkeit und ständig an ihrem Erfolg gebastelt.

Es ist das zweite Buch der Autorin: „1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast) – Wie ich es trotzdem geschafft habe“ erschien 2012. Hier wird die schwierige Situation nach der Firmeninsolvenz ihres Mannes und der Trennung dargestellt und dem Versuch, für sich und die Kinder eine halbwegs erträgliche Lebenssituation zu schaffen. „Auf eigenen Beinen – Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit“ kann man als gelungene Fortsetzung ansehen.

Rezension von Heike Rau

Petra van Laak
Auf eigenen Beinen – Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit
288 Seiten, Klappenbroschur
Droemer
ISBN-10: 3426226359
ISBN-13: 978-3426226353
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Beate und Olaf Hofmann: Lockruf des Lebens – Unser Familiensabbatical in Kanada

Beate und Olaf Hofmann: Lockruf des Lebens – Unser Familiensabbatical in Kanada

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Beate und Olaf Hofmann erfüllen sich mit dem Familiensabbatical in Kanada einen Traum. Dafür gaben sie nach reiflicher Überlegung in Deutschland alles auf. Die Arbeit und das Haus. Aber sie haben Rückhalt durch Familie und Freunde. Und alles ist gut geplant. Aber nicht überplant. Sie sind keine Touristen und wollen genügend Zeit, sich treiben zu lassen, Menschen kennenzulernen oder an Orten zu verweilen, die ihnen gefallen. Mit ihnen kommt die 10-Jährige Tochter Nora, während die älteren Geschwister, die 20-Jährige Janine und der 18-Jährige Florian in Deutschland bleiben. Ganz ungebunden ist man also nicht, denn Nora ist schulpflichtig.

Das Buch ist kein Roman. Vielmehr geht es den Hofmanns darum, zu schildern, wie sich ihr Traum erfüllt hat. Es geht ihnen darum zu zeigen, welche Gründe sie bewogen hat, sich eine Auszeit für ein Jahr zu nehmen, was sie sich davon erhofft haben und was in Erfüllung gegangen ist. Es ist ein langer Prozess, bis das Zeitgefühl und die Wahrnehmung sich verändern. Erlebnisse werden zur Herausforderung und nun ganz anders verarbeitet. Die Schönheit der Landschaft prägt. Begegnungen mit anderen Menschen bieten Austausch und zeigen andere Lebenskonzepte auf.

Das Buch ist mit großer Ehrlichkeit und auch sehr emotional geschrieben. Zweifel stehen an der Tagesordnung und auch Krisen sind zu meistern. Es gelingt erst nach und nach Ruhe zu finden, eigenen Gedanken Raum zu geben oder in Gesprächen aufzuarbeiten, was wichtig scheint. Das teilen die Autoren mit ihren Lesern. Und so bekommt man viele Anstöße, über das eigene Leben nachzudenken und zu bewerten, wo man steht.

Innezuhalten scheint wichtig. Aber viel zu oft, ist man täglichem Stress ausgeliefert und hat keine Zeit. Viele Menschen halten das nicht durch, fühlen sich ausgelaugt und überlastet. Ein Sabbatical scheint eine Möglichkeit zu sein, diesem Kreislauf zu entrinnen. Für die Hofmanns war es der richtige Weg. Sie gehen gestärkt aus der Auszeit hervor, jeder für sich und auch als Familie.

Rezension von Heike Rau

Beate & Olaf Hofmann
Lockruf des Lebens – Unser Familiensabbatical in Kanada
208 Seiten, gebunden
Patmos Verlag
ISBN-10: 3843603286
ISBN-13: 978-3843603287
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Marko Hautala: Schatteninsel

Marko Hautala: Schatteninsel

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Die Einladung zum Familientreffen können Jenni und Aaron schlecht ausschlagen. Also machen sie sich mit ihrem kleinen Sohn Miro auf den Weg nach Spegelö, einer einsamen Insel. Hier lebt Aarons erwachsener Sohn Markus nach einem Unfall. Bei ihm sind seine Mutter, also Aarons Exfrau Lisa, und Jennis Schwester Ina, die die Pflege von Markus übernommen hat und auch so etwas wie seine Geliebte ist. Früher war Jenni mit Markus zusammen, bis sie sich in Aaron verliebt hat.

Markus hat nicht mehr lange zu leben und es gibt noch einige Dinge zu klären. Das ist allerdings nur vorgeschoben. Die Stimmung im Haus ist eiskalt. Jenni sieht sich Lisas Hass ausgeliefert. Furcht und Schuldgefühle machen sich in Jenni breit. Doch Aaron, von dem sie sich eigentlich Hilfe erwartet hätte, hält sich raus. Miro bekommt das natürlich mit. Er verändert sich, läuft sogar weg. Jenni verliert ihren Sohn aus den Augen. Auf der Suche nach ihm, gerät sie in Albtraum.

Die Familien-Konstellation ist kompliziert. Zunächst wird man davon verwirrt, aber nach und nach, wird klar, wie die Familienmitglieder zueinander stehen und das es ein Geheimnis gibt, von dem aber doch mehrere Personen wissen und es für sich auszunutzen gedenken.
Man kann anfangs nicht sagen, wohin die Geschichte führen wird. Aber diese albtraumhafte Stimmung und die zunehmende Dramatik sorgen dafür, dass man weiter liest. Jemand beeinflusst die Situation und manipuliert die Menschen um sich herum. Die wahren Hintergründe erschließen sich aber erst zum Ende hin.

Das Buch darf sich Psychothriller nennen. Tatsächlich steigt die Spannung unaufhörlich. Die Nerven flattern schon ein wenig beim Lesen. Inhaltlich ist das Ganze allerdings etwas fragwürdig, weil nicht alles offengelegt wird. Es geht vielmehr hauptsächlich darum, ob Jenni es schafft, der Verschwörung zu entgehen, ob es ihr gelingt, aus diesem Spinnennetzt aus Beeinflussung, zu entkommen. Und auch, ob sie ihren Sohn retten kann.

Rezension von Heike Rau

Marko Hautala
Schatteninsel
Psychothriller
304 Seiten, broschiert
Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423214260
ISBN-13: 978-3423214261
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Emily Perkins: Die Forrests – Roman einer Familie

Emily Perkins: Die Forrests – Roman einer Familie

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Insgesamt haben die Forrests vier Kinder. Dorothy, Evelyn, Michael und Ruth. Daniel kam in schwierigen Zeiten in die Familie, als Freund Michaels. Die Kinder wachsen ohne Erziehung auf. Sie werden von alleine groß, fühlen sich frei in ihrer Wahlheimat Neuseeland, bis Geldsorgen alles kaputt machen. Als die Eltern Frank und Lee zurück nach Amerika gehen, nehmen sie nur die Jüngste mit.
Dorothy, Evelyn und Michael und natürlich auch Daniel bleiben und beginnen ihr eigenes Leben und überlassen alles dem Selbstlauf. Dorothy und Evelyn sind einander verbunden, aber erst als Evelyn nach einem Unfall und daran anschließender Krankheit verstirbt, beginnt Dorothy, die mittlerweile verheiratet ist und vier Kinder hat, ihr Tun zu hinterfragen.

Das Buch wird von einer traurigen Stimmung getragen. Inhaltlich ist es undurchdringlich und schwer zu erfassen. Die Vergangenheit drückt auf die Gegenwart, die auch nicht besser ist. Unschöne Erinnerungen sind stets präsent, schöne werden davon plattgewalzt. Man begegnet einem Durcheinander von Menschen, vor allem unglücklichen, die alle irgendwie zusammengehören und aus dem Dorothy erst zum Ende des Buches hin als roter Faden hervorgeht. Sie ist die einzige Person, der man ein wenig näher kommt, leider ohne sie zu verstehen.

Das Buch ist zutiefst deprimierend. Die Autorin unterstreicht diese hoffnungslos wirkende Stimmung mit ihrem Schreibstil. Dennoch bleibt es in den Gedanken hängen, setzt sich dort regelrecht fest. Es hat etwas Intensives, etwas Erschütterndes, das man nicht so schnell vergessen kann, auch wenn das eher unangenehm ist. Es ist die tiefe Traurigkeit, die sich einfach nicht abschütteln lässt. Das Buch ist nicht spannend, es gibt keinen Spannungsbogen oder ähnliches, nicht ergreifend und hat trotzdem etwas Fesselndes. Es ist verstörend, dass die Autorin mit ihrem Buch solche zwiespältigen Gefühle hervorrufen kann.

Rezension von Heike Rau

Emily Perkins
Die Forrests – Roman einer Familie
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
400 Seiten, gebunden
Berlin Verlag
ISBN-10: 3827010764
ISBN-13: 978-3827010766
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Brian Deleeuw: Der Andere

Brian Deleeuw: Der Andere

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Um es gleich vorweg zu sagen: Der Klappentext ist das spannendste an dem ganzen Buch. Und er hielt immerhin bis Seite 100 bei mir. Dann ging es nicht mehr, was bei mir schon etwas heißen will. Doch worum geht es in dem Roman?

Der sechsjährige Luke erfindet sich im Geiste einen Freund. Die Scheidung seiner Eltern und die Depressionen seiner Mutter sind nicht ganz unschuldig an der Entstehung dieses Freundes Daniel. Der Leser erfährt das Wachsen einer gespaltenen Persönlichkeit. Als Luke ist er ein braver Junge, wie ihn die Eltern lieben. Als Daniel hingegen wird er zum Fiesling. Das soll laut Klappentext schrecklich sein. Im Roman stachelt Daniel Luke etwa an, seinen Hund zu töten. Aber dieses wirklich Böse geschieht erst jenseits von 75 Seiten. Bis dahin herrschten jede Menge Verwirrung und immer wieder die Fragen: Was soll hier geschehen? Worauf soll der Roman hinauslaufen? Welches Ziel hat der „gute“ Luke? Will er seinen Insider wieder loswerden? Will er ihn pflegen?

Der Erzähler, den der Autor gewählt hat, ist ein Wagnis, ein Experiment. Es hat nicht funktioniert. Die Geschichte wird aus der Sicht der gespaltenen Person Daniel erzählt. Es wirkt eigenartig, wenn Daniel von Luke erzählt, den er dabei beobachtet, wie er etwas macht. Schließlich steckt Daniel in demselben Körper wie Luke. Das klingt dann etwa so: „Ich stieß mit dem Fuß unverhofft gegen das Sofa. Das tat sehr weh. Als Luke auf mich zukam, sah ich, dass er einen geschwollenen, dunkelroten Zeh hatte.“ Das ist sehr ermüdend. Außerdem passiert während alledem nicht viel, sodass auch die Handlung keine Spannung hergibt. Auf Seite 92 beginnt der zweite Teil des Buches, zwölf Jahre später, den ich in der Hoffnung zu lesen begann, dass es jetzt spannend würde. Aber meine Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Schade.

Thriller ist etwas anderes.

Deleeuw, Brian
Der Andere
Übersetzt von Ulrike Clewing
352 Seiten, broschiert
Knaur, München
ISBN-10: 3426503875
ISBN-13: 978-3426503874

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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Jess Jochimsen: Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?

Jess Jochimsen: Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?

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Sehr humorvolle Geschichten eines Vaters im Zusammenleben und bei der Erziehung seines Sohnes Tom. Der größte Teil der Geschichten macht Spaß beim Lesen, wohl jede Mutter oder jeder Vater erkennen viele Szenen aus dem eigenen Leben, es wird kaum jemanden geben, der sich nicht in einer der Geschichten wiedererkennt.

Bedauerlicherweise kippt dieser Spaß im dritten Drittel der Geschichten. Nahezu jede Geschichte muss ab da dafür herhalten, dass der Autor mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland abrechnet. Politiker, Manager und Griechen, alle kriegen ihr Fett ab. Der erhobene Zeigefinger kommt aus seinen Höhen nicht mehr herunter. Die Sprache des Erzählers ist nicht mehr kindgerecht und die Geschichten haben auch nichts mehr mit dem Sohn zu tun, dessen Name nur noch plakativ hingeworfen wird. Der hintere Teil ist leider der verzichtbarste Teil des ansonsten überaus unterhaltsamen Buches.

Zwischendurch tauchen Widersprüche in der Familie des Erzählers auf. Meist durchweg geht man als Leser von einem alleinerziehenden Vater aus. Das wird verstärkt, als er berichtet, mit einer Freundin nicht ins Kino gehen zu können. Anschließend wird dann von Ehefrau und Mutter gesprochen. Hier ist zwischen den Geschichten keine Homogenität gegeben. Die Plausibilität leidet darunter.

Jochimsen, Jess
Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?
160 Seiten, broschiert
dtv, München
ISBN-10: 3423347155
ISBN-13: 9783423347150

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012

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Lionel Shriver: Dieses Leben, das wir haben

Lionel Shriver: Dieses Leben, das wir haben

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Am Scheideweg zum Tod.

Shepherd und Glynis sind ein Paar in der Mitte des Lebens. Er will sich nach dem Verkauf seiner Firma, der einen großen Ertrag brachte, ein gutes Leben machen. Ob seine Frau Glynis, die Kunstschmiedin, das mitmachen will, steht dahin. Denn ehe man an die Veränderungen eines neuen und anderen Lebens denken kann, entdeckt man bei Glynis Krebs, und sie wird schwer krank. All’ das schöne Geld zerrinnt unter den hohen Ausgaben für das amerikanische Gesundheitssystem, und zerrinnen werden auch alle Hoffnungen und Beziehungen, in denen sich das Paar bisher geborgen fühlte.

Neben den eigentlichen Hauptakteuren bilden die Verwandten und Freunde das Umfeld, in dem sich das gesellschaftliche und “normale“ Leben abspielt.

Begleitet von den Kümmernissen und verletzten Lebenshaltungen der Lebenden, stößt Glynis zu der wahren Erkenntnis vor, die ihr niemand mit noch so verlogenen Zurufen nehmen kann: im Angesicht des Todes werden alle irdischen Vorkommnisse in Politik und Gesellschaft nachrangig. Ihre gesunde Reaktion auf die ganz gewöhnlichen Banalitäten des Alltags ist Wut; Wut auch auf ihren Mann, der ihr in seiner aufopferungswilligen Fürsorge fast suspekt erscheint. Sie, die vom Tod gezeichnet ist, erträgt zuweilen seine entsagungsvolle Zuwendung kaum mehr.

Der Durchbruch zur Realität des bevorstehenden Abschieds und seiner Folgen für alle ist die einzige Wahrheit, die in diesem Roman zählt. Sie wird mit harter Konsequenz unsentimental bis zum Ende durchgespielt.

Eine der stärksten Szenen in dem Buch ist der Ausbruch von Glynis, in dem sie die Lügen und den Eigennutz, die Verlogenheit der Tröstungen und die nachlassende Bereitschaft ihrer Freunde und Verwandten, sich ihrer überhaupt noch anzunehmen, herausschreit. Wie aber kann man es denn überhaupt noch jemandem Recht machen, der mit seinem körperlichen und seelischen Zerfallsprozess für die gesamte Umwelt die Grenzen des Erträglichen berührt?

Lionel Shriver hat in ihrem Buch über „Dieses Leben, das wir haben“, kenntnisreich und wissend berichtet. Selten hat man so realistisch, glasklar und hart gelesen, wie es sich anfühlt, zu sterben, wenn um einen herum das Leben weiter geht.

Alle die Eitelkeiten, Sehnsüchte und Pläne, ja selbst das Scheitern anderer Existenzen, sind nur die Begleitmusik zu einem Scheitern ganz anderer Art: nämlich den Tod als unbesiegbar zu erleben.

Lionel Shriver entwirft das Bild einer zerfallenden familiären und freundschaftlichen Gemeinschaft mit allen begleitenden Kalamitäten.

Es ist ein starkes und beeindruckendes Buch, mit dem die Autorin über ein allseits fälliges aber häufig tabuisiertes Thema berichtet.

Sehr empfehlenswert!

Lionel Shriver
Dieses Leben, das wir haben
544 Seiten, broschiert
Piper Taschenbuch, Juni 2012
ISBN-10: 3492274579
ISBN-13: 978-3492274579
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Richard Ford: Kanada

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Von bösen und guten Gelegenheiten zum Scheitern oder zum Überleben.

Dell ist der Held einer Geschichte, in der es um die Abgründe und wechselvollen Schicksale einer kleinen Familie geht.

Mit dem ersten Absatz ist man mitten in einer Erzählung, in der es um einen Banküberfall und um Mord und Totschlag, aber auch um das Leben und die Verirrungen geht, denen ein jeder in seinem Leben anheimfallen kann.

Aus der Sicht des jungen Dell, Zwillingsbruder seiner Schwester Berner, der um 1960 ungefähr fünfzehn Jahre alt ist, schaut man auf seine Eltern, die so gut wie gar nicht zusammenpassen. Man steht im Wahlkampf für John F. Kennedy. Dells Vater ist ganz auf dessen Seite.

Aus einer Zufallsbegegnung ist die Ehe der Eltern zustande gekommen. Von Beginn an ist sie nicht glücklich, denn die beiden passen so gar nicht zusammen. Neeva Parsons ist kopfgesteuert, vernünftig und rational denkend. Bev Parsons aber ist ein Träumer und Schaumschläger, der sein Leben nicht in den Griff bekommt. Er war bei der Air Force und hat vor kurzem seinen Abschied genommen.

Die Familie lebt in einem armseligen Häuschen in Great Falls/Montana.

Wie in einen Strudel zieht Bev seine Frau mit in ein finanzielles Abenteuer, das für beide vernichtend endet.

Nach einem Banküberfall landen die jungen Eltern mit Mitte dreißig im Gefängnis. Berner haut mit ihrem Freund Rudy ins Unbekannte ab. Dell aber gelangt mit Hilfe einer Freundin seiner Mutter nach Kanada. Hier beginnen seine Abenteuer, die ihn durch Einsamkeit, harte Arbeit und dürftige Unterkünfte auf ein Leben vorbereiten, von dem man nicht weiß, wo es ihn hinführen wird.

In Kanada erfährt er Lebensbedingungen, die extrem sind für einen Jungen von 15 Jahren. Er haust in abgelegenen Hütten und ist zwei Männern mit offensichtlich kriminellen Strukturen ausgeliefert. Mit einfachster Arbeit hilft er aus, wo immer er gebraucht wird und geht sein Leben ohne innere Widerstände an. Wunderbare Landschaftsbeschreibungen und atmosphärisch einprägsame Stimmungen begleiten unseren Helden, der seine Unschuld und Offenheit trotz der gravierenden Erlebnisse nicht zu verlieren scheint.

Hervorragend in Konzeption und Aufbau bannt die Geschichte vom ersten Moment an. Dell sieht mit aufmerksamem Blick und feinem Gespür für alles, was von der täglichen Norm abweicht, wie sich um seine Eltern etwas zusammenbraut, das ihn beängstigt. Das große Können Richard Fords lässt uns durch die Augen Dells erfahren, wie es zu den Abwegen und Fehlentwicklungen seiner Eltern kommen konnte, und wie er in seinem eigenen abenteuerlichen Leben in Kanada seinen Weg findet.

Das melancholische und verständnisvolle Ende beleuchtet eine wichtige Erkenntnis, die Dell auf seinem langen Weg zur Normalität gefunden hat. Sie gipfelt in der Einsicht, dass jeder im Leben eine Chance hat, die man nur nutzen muss. Mit Verlusten umgehen und das Gute im Verborgenen finden lernen ist die große Kunst des Lebens.

Man ist fasziniert und hingerissen von den feinen psychologischen Details, mit denen Richard Ford seine Geschichte fort und fort schreibt. Er ist einer der ganz großen Erzähler amerikanischer Herkunft, dessen Erzähltalent ihn in die unendlichen Gefilde ruhmvoller und anerkannter Schriftsteller einreiht.

Richard Ford
Kanada
464 Seiten, gebunden
Hanser Berlin, August 2012
ISBN-10: 3446240268
ISBN-13: 978-3446240261
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