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Korrekturen

Korrekturen

Dieses Buch, über das schon so viel geschrieben und gesprochen worden ist, gehört zu den großartigsten, die in letzter Zeit zu entdecken waren.

Das Leben von Al und Enid bilden den Kern der Erzählung. Wir erleben sie im kleinbürgerlichen Milieu des Mittelwestens der Vereinigten Staaten.
Ihre Kinder Gary, Chip und Denise, 60 ziger Jahre Kids, Banker der eine , verkrachter Professor der andere und Edelrestaurantköchin die Tochter, geben die Umrahmung für eine Schilderung, in der die amerikanische Familie und damit die Gesellschaft mit der Lupe seziert wird.
Es geht nicht immer gut zu in dieser Gesellschaft, beileibe nicht!
Garys Ehe mit Caroline kriselt, Chip wird aus seiner Lehrtätigkeit gefeuert, weil er eine Affäre mit einer Studentin hatte, und Denise ist mal in eine hetero-und mal in eine homoerotische Beziehung mit den Partnern eines miteinander verheirateten Paars verwickelt.
Enid redet viel und gerne unnützes Zeug, Al leidet an beginnender Altersdemenz, was bei seiner lebenslänglichen mürrischen Starrsinnigkeit zunächst gar nicht so groß auffällt.
Enids größter Wunsch ist , noch einmal ein gemeinsames Weihnachtsfest mit ihren Kindern und Enkelkindern zu feiern. Dieses Ziel hält die Rahmenhandlung zusammen, in der es auch um Old und New Ökonomie geht und in der die Verwerfungen aller traditionellen Bindungen ihre Offenbarung erleben.
Man kann unsere heutige Gesellschaft, nicht nur die amerikanische, in allen Zügen wiedererkennen. Ob es die Paarbeziehungen, die Eltern-Kindbeziehung oder Geschwisterrivalitäten sind,–der Leser wird bei genauem Hinsehen immer auch Stücke des eigenen Lebens in diesem Roman wiederfinden.
Das Buch ist humorvoll und traurig zugleich, denn es entlarvt einen gesellschaftlichen Zustand, in dem jeder nur an sich selber denkt, in dem es keine wirklichen Verpflichtungen gibt, in der die Familie ohne die traditionellen Bindungen und Zwänge eine totale Vereinsamung des Einzelnen erkennen läßt.
Der langsam in Demenz versinkende Vater, die um ihr selbständiges Leben ringende Enid sind traurige Beispiele für den Preis, den wir für unseren Fortschritt zahlen und für den nicht aufhaltbaren Zerfall familiärer Strukturen. Chip und Denise sind um die Eltern bemüht. Sie sehen aber mit Grauen, was da alles geschieht.
Schonunglos und offen sehen wir unsere Wirklichkeit.
Tenor des Inhalts ist das Bemühen aller Figuren, „Korrekturen“ an den eigenen Lebensentwürfen vorzunehmen. Daß das nicht gelingen kann, sondern daß jeder “ nur ein Leben und einen
Tod “ hat, ist die schlußendliche Weisheit, die man aus diesem Buch mitnehmen kann. Ein zugleich tröstliches und auch resignierend anmutendes Ende.
Abgesehen von gelegentlichen Längen finde ich das Buch großartig, packend , erschütternd und zuweilen erheiternd zugleich.
Unbedingt empfehlenswert!
Claudine Borries

Jonathan Franzen
Korrekturen
Ein mit kritischen Blick geschriebener Gesellschaftsroman
ISBN:3498020862
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