Browsed by
Schlagwort: Nazivergangenheit

Mirna Funk: Winter Nähe

Mirna Funk: Winter Nähe

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Findet man sein Ich in einer von der Nachkriegs- und Nazischuld geprägten Gesellschaft?

Weit ausholend schildert Mirna Funk das Leben von Lola in Deutschland und Israel.

Lola ist etwa 34 Jahre alt ist.

Sie lebt und arbeitet in Berlin und fühlt sich als Jüdin. Doch sie ist keine! Bekanntlich wird die Religionszugehörigkeit der Juden über die mütterliche Linie weiter gegeben. Ihre jüdischen Großeltern väterlicherseits haben sie aufgezogen. Sie lebt und liebt, ganz, wie es der Tag bringt. Ihre Arbeit als Fotografin im IT Bereich spielt keine große Rolle in dieser Geschichte. Man erfährt mehr über Lolas Liebschaften und ihr Innenleben als über ihre Arbeit.

Einst lernte sie Shlomo kennen, einen Israeli, den sie wirklich liebt. Doch er kehrt nach einer kurzen und glücklichen Zeit nach Israel zurück. Lola trauert ihm nach, so wie in der Vergangenheit ihrem Vater, der schon früh aus Ostberlin geflohen und im australischen Busch gelandet ist. Ihre Mutter hat sich noch früher aus dem Staub gemacht.

Das ständige Dilemma zwischen Schuld, Opfer und Vergänglichkeit in der Berliner Gegenwart begleitet Lolas Leben, und macht sie zuweilen wütend. Schuldangst nennt sie das, was die Menschen noch so viele Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs umtreibt. „Der christliche Wunsch, dass Jesus für die Sünden aller Menschen gestorben wäre, repräsentiert die tiefe Schuldangst der vom Christentum geprägten Gesellschaft.“(S.86)

Wer aber ist Lola, und zu wem darf sie sich zugehörig fühlen? Antisemiten und ehemalige Nazis kreuzen ihren Weg und machen ihr die Ichfindung schwer.

Man findet sie zu Zeiten in Israel und in Thailand, und immer scheint sie auf der Suche zu sein.

Mehr und mehr zieht sich die Geschichte Lolas zu einem allgemeinen Bericht über die Lage der Juden und ihrer Verlorenheit in der Welt zusammen.

Verkappter Antisemitismus mischt sich mit berechtigter Kritik an der Politik Israels im Palästinakonflikt.

Der Roman besticht durch die Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit. Immer wieder reichen die Erfahrungen während des Holocausts bis in die Gegenwart. Sie zeigen die Suche und die Heimatlosigkeit, der sich Juden seither ausgesetzt sehen. Palästina war englisches Mandatsgebiet, als Juden zu tausenden nach dem Krieg dorthin flüchteten. Bis in die heutige Zeit wissen wir von den Streitigkeiten um den Anspruch auf Heimat, der Palästinenser und Juden zu Feinden macht. Jeder in diesen beiden Lagern fühlt sich im Recht. Und Menschen auf beiden Seiten werden zu Opfern und Tätern.

Der Autorin ist ein markantes Werk gelungen, das zahlreiche Aspekte dieses konfliktträchtigen Geschehens tiefenscharf erfasst und heraus arbeitet.

Es ist ein differenziert angelegtes Werk, dem man sich mit zunehmender Spannung überlässt. Mirna Funk hat gerade den Uwe Johnson Förderpreis für das beste deutschsprachige Debüt der letzten zwei Jahre erhalten.

Mirna Funk
Winter Nähe
352 Seiten, gebunden
FISCHER; Auflage, Juli 2015
ISBN-10: 3100024192
ISBN-13: 978-3100024190
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen