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Schlagwort: Niedergang

Bernard MacLaverty: Schnee in Amsterdam

Bernard MacLaverty: Schnee in Amsterdam

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Ein schon älteres Ehepaar macht sich von Glasgow aus auf eine Reise nach Amsterdam.

Stella ist gläubige und praktizierende Katholikin und war Lehrerin. Gerry ist Architekt mit einer Professur an der Universität in Glasgow. Er steht Religion und Kirche eher distanziert gegenüber. Sie hat ihm die Reise zu Weihnachten geschenkt.

Minutiös wird die Reise in ihrer Planung und zu Beginn des Aufenthalts beschrieben. Jedes kleine Detail in den Hotels, in den Straßen, Plätzen, Pubs und mit den Menschen in ihrem Umfeld findet Erwähnung. Die beiden sind wirklich lange verheiratet, denn man spürt die langjährige Vertrautheit und unterschwellige Öde, die das Leben der beiden bestimmt.

Was als Abwechslung aus dem etwas abgestandenem Ehealltag gedacht war, entpuppt sich als Bilanz der Vergangenheit und schmerzhafte Erkenntnis über ein zunehmend unbefriedigendes Leben. Besonders Stella, Gerrys Ehefrau, sucht einen neuen Sinn im Leben, nachdem der einzige Sohn mit seiner Familie in Kanada lebt.

Durch Stellas Reflexionen erfährt der Leser, wie belastend sie ihre momentane Lebenssituation empfindet. Im Alter neue Perspektiven zu suchen und zu entwickeln, ist kein leichtes Unterfangen.

Auf ihren Wegen und Erlebnissen in Amsterdam entspinnt sich in kleinen Einschüben ihr früheres Leben, das einen normalen und genügsamen Alltag bildete. Ein Ereignis zu Beginn ihrer Ehe spielte allerdings eine gravierende Rolle für das weitere Leben der beiden. Es hat mit den kriegerischen Auseinandersetzungen in Irland zu tun.

Mit fein gesponnenen Erinnerungen besinnen sie sich an Ereignisse ihrer Vergangenheit.

Bernard MacLaverty hat eine sensible und feine Ehestudie entwickelt. Seine Diktion zeugt von hoher Bildung und Feingefühl für die Tücken und Stolpersteine des Lebens.

Gerry wird mehr und mehr zum Trinker, der mit allerlei Tricks seinem Alkoholkonsum frönt und ihn gleichzeitig zu verstecken trachtet. Diese und ähnliche Malaisen führen zu Überdruss und Abneigung bei Stella. Blendend und faszinierend berichtet der Autor, wie gut die Ehe zu sein scheint. Zuletzt sieht es eher nach einem Ende der Geneinsamkeit aus! Das vermeintliche Liebesgeflüster und die Eintracht zwischen beiden wird unterminiert von Stellas stiller Abkehr von ihrem Mann.

MacLaverty holt nicht weit aus, sondern setzt die Erinnerungseinschübe und Gegenwartserlebnisse einem Mosaik gleich aneinander. Auf diese Weise entsteht eine tiefe und profunde Studie einer Ehe, die sich im Niedergang befindet.

Sprachlich vollkommen und zuweilen der biblischen Sprache gleich, geht er den Weg des Paares auf ihrer Reise nach, die synonym für ihr ganzes Leben steht.

„Gerry nickte und sagte: Und sie kehrten unter einem anderen Himmel heim als dem, der Zeuge ihres Aufbruchs war.“(S.282) Das Ende der Geschichte ist weise, klug und einsichtig.

Ein überzeugender und sehr anrührender Roman ist dem anerkannten Autor Bernard MacLaverty gelungen. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und lebt mit seiner Familie in Glasgow.

Bernard Laverty
Schnee in Amsterdam
288 Seiten, gebunden
C.H.Beck, August 2018
ISBN-10: 340672700X
ISBN-13: 978-3406727009
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Joel Dicker: Die Geschiche der Baltimores

Joel Dicker: Die Geschiche der Baltimores

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Familiengeschichte aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt.

„Ich bin der Schriftsteller……“

So beginnt dieser unvergleichliche Roman von Joel Dicker über eine amerikanische Familie jüdischer Herkunft.

Marcus, der Icherzähler und Schriftsteller im Roman, erzählt seine Familiengeschichte. Sie beginnt 1994 und endet 2012 wird jedoch in wechselnden Jahresphasen erzählt.

Nathan und Saul Goldman sind Brüder. Der eine gehört zum amerikanischen Mittelstand, der andere ist ein reicher Anwalt in Baltimore. In New Jersey leben die „Montclairs“, Saul aber lebt mit seiner Familie in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland in besten Verhältnissen. Beide Familien haben fast gleichaltrige Söhne. Marcus aus „Montclair“ beneidet seinen Vetter Hillel glühend, dessen Herkommen aus dem begüterten Elternhaus ihm so manche Freiheit gewährt. Er ist intelligent aber zart und schmächtig.

Durch diverse Zufälle gerät zu den „Baltimores“ noch ein verlorenes Heimkind Woody, der in der Schule zum Beschützer des zarten Hillel wird.

In einem breit angelegten Epos erzählt uns Joel Dicker die Geschichte der drei Jungen, deren Jugend durch ihre innige Freundschaft zu einer glorreichen und glücklichen Zeit wird. Sie schwören sich ewige Freundschaft.

Familiengeschichten haben ihre eigene Dynamik und immer auch Geheimnisse, die schwer zu entschlüsseln sind.

Äußerlich wirken alle harmonisch miteinander. Sauls Frau Anita ist eine besonders anziehende, gütige und liebevolle Person. Doch unterschwellig gibt es Neid und Eifersucht, die sich durch unausgesprochene Kämpfe und langes Schweigen bemerkbar machen.

Im Aufbau zeigt der Autor in zwei Ebenen, die der Eltern und deren Kindern, wie Menschen aus der unbeschwerten Jugendzeit zu Heranwachsenden werden. Mit Beginn des Studiums und mit der Liebe werden neue Akzente gesetzt. Hier erst zeigen sich die kleinen Eifersüchteleien, die Furcht vor Bevorzugung, der Ehrgeiz und die Konkurrenz, die so manches Erwachsenenleben beschweren. Vieles bleibt zwischen Eltern, Kindern und unter Freunden unausgesprochen. Auf diese Weise erwachsen Misstrauen, Kränkungen und Verletzungen aller Art. Da der Autor im Buch mit Hinweisen auf zukünftige Veränderungen und Katastrophen arbeitet, entsteht eine ungemeine Spannung, die sich steigert. Eltern und Söhne, Nachbarfamilien und mehr oder weniger kleine und große Lieben oder ihr Vergehen begleiten uns während der Erzählung und steigern die Spannung. Es kommt zu vollkommen unerwarteten Ereignissen, die Unglück über die Familien bringen. Dramatisch bis zuletzt gibt es aber auch ein gutes Ende.

Das Leben IST spannend, und Joel Dicker zeigt uns in seiner Geschichte, wie die Wirklichkeit aussehen kann. Es ist, als habe diese Familie wirklich so, wie sie beschrieben wird, gelebt. Obendrein bietet Dicker in seinem Roman Einblicke in amerikanisches Familienleben mit Aufstieg und Fall, Armut oder Reichtum und Niedergang. Dazu die Weite des Landes, in der man schnell von einem Staat in den anderen, von Nord nach Süd oder Osten komm.

Man möchte schließlich das Ende wissen und gleichzeitig soll die Lektüre nie enden!

Für Fans von Familiengeschichten ein MUSS!

Joel Dicker
Die Geschichte der Baltimores
512 Seiten, gebunden
Piper, Mai 2016
ISBN-10: 3492057640
ISBN-13: 978-3492057646
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Ayana Mathis: Zwölf Leben

Ayana Mathis: Zwölf Leben

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Vom vergeblichem Aufwärtsstreben und Niedergang…

Mit dem hier vorliegenden Roman gilt es, eine begabte amerikanische Erzählerin zu entdecken!

Die Geschichte handelt von einer farbigen Familie, die sich aus bitterer Armut aus den Südstaaten der USA in der Hoffnung auf ein besseres Leben in den Norden begibt.

Aus Georgia zieht es Hattie mit Mutter und zwei Schwestern nach Philadelphia. Hattie ist erst 15 Jahre alt, und die Jahreszahl 1925 steht über dem ersten Kapitel. Die Zeit des großen Aufbruchs farbiger Afroamerikaner aus dem Süden der USA in die Nordstaaten von Amerika war in vollem Gange. Dort im Norden hoffte man auf bessere Lebensbedingungen. Die Bürgerrechtsbewegung mit dem Ziel der Gleichstellung von Farbigen zog sich von 1910 bis 1970 hin und ist bis heute im Land der großen Freiheit nicht überall gelungen.

In Philadelphia beginnt Hattie ihr Leben als Familienmutter mit zahlreichen Kindern.

Doch das Glück ist ihr nicht hold. Ihre ersten beiden Kinder, ein Zwillingspärchen mit den hoffnungsvollen Namen Philadelphia und Jubilee, sterben an einer Lungenentzündung. Ihre weiteren Kinder gehen nach Jahren der Armut in die Welt, um ihr Glück zu versuchen. Hattie bleibt als immer währender Hort der Stärke für alle zurück. Liebe und Zärtlichkeit waren nicht ihre besten Seiten. Dazu musste sie sich zu sehr plagen, um alle zu kleiden und zu ernähren.

Die Geschichten ihrer Kinder sind voller Widersprüche. Ihre Lebenskreise ziehen sich durch das ganze 20. Jahrhundert und bieten ein Stück amerikanischer Zeitgeschichte, die aufschlussreich ist.

Wenn auch das Unglück überwiegt, so ist die Darstellung von Ayana Mathis’ atmosphärischen Geschichten so geartet, dass man sich mit den Menschen verbunden fühlt und an ihren Schicksalen Anteil nimmt. In weitem Bogen umspannt die Autorin von den frühen bis zu den späten Lebensjahren das Ergehen von Hattie mit ihren Sorgen und gelegentlichem Versagen, von ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem einzigen Liebhaber.

Farbig und belebend sind die Schilderungen der Milieus, in denen die Kinder ihr Leben gestalten. Man spürt die Kälte im Winter und die Hitze im Sommer. Und man erfährt einiges über die Lage der Schwarzen, die noch lange nicht rosig aussieht. Arbeitslosigkeit, Trunksucht und die Spielleidenschaft der Männer lassen in zahlreichen Familien ihre Mitglieder auf der Strecke. Die Liebe zwischen Hattie und ihrem Mann August verliert sich in Küchendunst, im Hunger und in der Not der Kinder. Hattie sieht die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage, und alle Ausweichmanöver misslingen. Sie bleibt stolz und unbeugsam in den wenigen glücklichen Augenblicken und im Unglück. Doch sie kann auch böse, bitter und zornig sein.

Ayana Mathis zeigt herausragendes Erzähltalent bei den Schilderungen dieses großen Familienromans.

Ihre Figuren sind aus Fleisch und Blut. Man kann sie spüren mit allen ihren Emotionen und auf ihren verwinkelten Lebenswegen.

Ayana Mathis wird in der Nachfolge von Toni Morrison gehandelt, die 1993 als einzige Amerikanerin in langen Jahren den Literaturnobelpreis erhalten hat. Ayana Mathis neuer Roman ist ein absolutes Muss für die Freunde gehobener Literaturgattungen.

Ayana Mathis
Zwölf Leben
368 Seiten, gebunden
Deutscher Taschenbuch Verlag, Mai 2014
ISBN-10: 342328028X
ISBN-13: 978-3423280280
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Emma Straub: Die Tage der Kirschgärten

Emma Straub: Die Tage der Kirschgärten

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Hollywood; eine Erzählung aus der Welt der Träume und Schäume.

Erzählt wird in dem vorliegenden Roman von Emma Straub die Geschichte von Elsa Emerson, die in Hollywood zu einem allseits bewunderten und mit einem Oscar gekrönten Filmstar aufsteigt.

Beginnend mit ihrer Herkunft aus Wisconsin im Jahr 1929, wo ihre Eltern ein kleines Dorftheater inmitten eines Kirschgartens betreiben, geht Elsa mit ihrem ersten Mann, einem unbedeutenden Schauspieler, nach Kalifornien, bekommt zwei Kinder und ahnt nicht, dass sie erst hier ihr wahres Glück finden wird.

Mit Staunen folgt man ihrer Wandlung von der kleinen Elsa Emerson zur hoch geachteten Schauspielerin Laura Lamont. Den Künstlernamen hat Irving Green für sie ausgesucht, den sie auf einem der zahlreichen Feste in Hollywood kennen gelernt hat.

Mit ihr besetzt er die Hauptrolle in einem seiner nächsten Filme und führt sie damit zu Ruhm und Ehre.

Irving Green gehört als einer der Chefs zu den Studios der Gardner Brothers. Die Produzenten sind reich und haben Einfluss auf die Geschicke der nachwachsenden Schauspieler. Bei ihnen findet auch Elsa/Laura ihr Glück und gelangt zu achtbarer Bekanntheit. Irving wird nach der Scheidung von Gordon ihr geliebter Mann, nach dessen frühem Tod sie ganz die Orientierung in der Welt zu verlieren droht.

Drogen, Alkohol und Geldnot bringen sie fast an den Rand ihres Lebens.

Hollywood und seine Filmstars, Aufstieg und Niedergang in der Filmbranche machen den Reiz des Romans aus. Glück, Reichtum und Verfall stehen nahe beieinander, und es gilt zu lernen, dem Schein und Flitter nicht aufzusitzen. Die Autorin Emma Straub scheint ganz in die Haut ihrer Protagonistin Elsa/Laura geschlüpft zu sein, denn ihr Roman wirkt lebensecht und überzeugend. Laura Lamont ist ein Star, der über die Höhen und Niederungen des Ruhms die Nähe und Erinnerung an ihre Heimat in Wisconsin nicht verloren gibt. Ruhm und Armut wechseln in schneller Folge, und vielleicht ist alles nur ein Traum?

Der Roman liest sich leicht und bewegend. Das Leben in Hollywood bietet alle Mal Stoff genug, um sich mit dem Glamour und der schillernden Welt im Filmgeschäft vertraut zu machen. Uns begegnet hier die leichte Muse, die jedoch nicht oberflächlich ist.

Emma Straub
Die Tage der Kirschgärten
368 Seiten, gebunden
Berlin Verlag, August 2013
ISBN-10: 3827010691
ISBN-13: 978-3827010698
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J.M.G. Le Clézio: Lied vom Hunger

J.M.G. Le Clézio: Lied vom Hunger

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Kriegsschicksale in Frankreich: eine Familienstudie.

Vor dem zweiten Weltkrieg versammelten sich in Paris zahlreiche russische Adeligen, die nach der Revolution von 1917 ihre russische Heimat verlassen mussten. Mitte der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts wohnt auch Ethel mit ihren Eltern, die aus Mauritius stammen, in der Stadt.

Ethel freundet sich mit Xenia an, einer russischen Fürstentochter, die schon etwas älter, leicht raffiniert und ein wenig berechnend ist. Doch Ethel bewundert sie, weil sie zu Hause unter den Spannungen zwischen ihrem leichfertigen Vater und der streitenden Mutter leidet. Sie hätte so gerne ein Geschwisterkind und sucht in Xenia einen Ersatz dafür.

Ein in jungen Jahren von einem Onkel ererbtes  größeres Vermögen bringt Ethels Vater Alexandre als Vormund an sich. Er bringt alles Geld dann auch ganz schnell durch, so dass die Familie sehr bald dank der unseriösen Geschäftspraktiken des Vaters mittellos dasteht.

Früh schon taucht Laurent Feld im Kreise geselliger Abende bei Ethels Eltern auf. Ethel mag ihn, vertraut ihm und wünschte sich aufs sehnlichste einen Bruder wie ihn! Wie sich das Schicksal der beiden erfüllen wird, das erfahren wir später!

Durchsichtig und leicht spinnt Clézio seine Geschichte aus, in der es um Flüchtlinge in Paris, um Reichtum, Armut, um Rivalität, große Geselligkeiten und amouröse Abenteuer geht.

Die Atmosphäre der Vorkriegs – und Kriegszeit bestimmt die Gefühlslage in den Familien. Dass Alexandre ein schwadronierender Angeber ist, der seine Frau betrügt und die Familie in den Ruin führt, zeigt die eine Seite des damaligen Lebens. Die andere zeigt eine entschlossene junge Frau, die das Schicksal der Familie in die Hand nimmt und den traurigen Niedergang zu Ende führen muss. Die Familie hungert im Süden Frankreichs dem Kriegsende entgegen.

Ethel ist die Heldin dieses Stücks Zeitgeschichte, in der durch den Krieg und familiäre Umstände ihr Glück und ihre Zukunft nur noch durch eigene Kraft zu bewältigen sein wird. Ethel beeindruckt durch ihre sensible und scharfe Beobachtungsgabe, mit der sie ihr persönliches Unglück realisiert. Fein gezeichnet erlebt man eine dekadente Gesellschaft, die in den letzten Zügen liegt. Dass Esther ihr Leben und das ihrer Familie zu meistern versteht, bildet den Plot der Geschichte. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes ihre „eigene Schmiedin des Glücks!“

Die Naziherrschaft und die Judenverfolgung in Frankreich sind Themen, denen sich Clézio schon in anderen Werken( Fliehender Stern) angenommen hat.

Nachvollziehbar, lebhaft und glaubwürdig zeigt Clézio  als Meister der Poesie erneut, dass er den Nobelpreis 2008 verdient hat!

J.M.G. Le Clézio
Das Lied vom Hunger
Gebundene Ausgabe: 217 Seiten
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 3462041363
ISBN-13: 978-3462041361