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Schlagwort: Russland

Olga Grjasnowa: Die juristische Unschärfe einer Ehe

Olga Grjasnowa: Die juristische Unschärfe einer Ehe

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Liebe auf Abwegen…

Drei verlorene Gestalten bieten den Plot zu der vorliegenden Geschichte, in der die Liebe einmal auf ungewöhnliche Weise abgehandelt wird.

Altay, Leyla und Jonoun treffen Mitte der neunziger Jahre in Berlin zusammen. Hierher hat sie ihr Schicksal geführt. Sie sind Mitte zwanzig und kommen aus unterschiedlichen Sphären: Leyla und Altay stammen aus Baku/Aserbaidschan und Jonoun kommt aus Amerika und zuletzt Israel. Ihr Großvater und ihr Urgroßvater waren Rabbiner. Die exzentrischen Eltern boten ihr keine Sicherheit. Der Vater war Israeli, die Mutter führte ein Nomadenleben. Die ersten Jahre verbrachte die kleine Jonoun in einem Kibbuz im Norden Israels. Später wuchs sie bei ihren Großeltern auf. Sie hat zur Zeit der Begegnung mit Leyla und Altay ein Kunststudium und eine Ehe hinter sich. Leyla war Tänzerin am Bolschoi Ballett und hatte hoch fliegende Pläne. Ein Unfall beendete ihre Träume. Altay ist Psychiater. Alle drei jagen der Liebe nach, die sich ihnen nur schwer erschließt. Leyla und Altay leben mit der stillschweigenden Übereinkunft, den Verwandten eine intakte Ehe vorzuführen. In Wirklichkeit geht jeder eigene Wege.

Altay liebt Männer, und Leyla kann sich nur für Frauen erwärmen. Jonoun ist die Neue, die erste Erfahrungen auf dem Gebiet der gleichgeschlechtlichen Liebe sucht.

Wie soll diese Ménage à trois funktionieren?

Olga Grjasnowa spielt mit dem Thema „Liebe“, in dem sie die unterschiedlichsten Menschen zusammenführt. In Berlin trifft man sich in Kneipen und Restaurants. In Baku erlebt man die dortige Gesellschaft mit den Nachfahren der ehemals Regierenden, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in neuer Formation und großem Reichtum zusammengefunden haben. Altay, Leyla und Jonoun befassen sich mit ihren jeweiligen Liebespartnern und lassen sich durch Zeit und Länder treiben. Mental sind sich Leyla und Altay treu ergeben und helfen sich, wenn sie in Not sind. Im übrigen lassen sie sich jede Freiheit.

Die „juristische Unschärfe einer Ehe“ besteht in diesem einerseits und andererseits. Freiheit und Geborgenheit: hier scheint der Widerspruch aufgehoben. Das Paar weiß, dass man sich auf einander verlassen kann, ist sich herzlich zugetan und respektiert sich in Fragen der Liebe. Jonoun bemerkt die Doppelbödigkeit ihrer Beziehung zu Leyla.

Baku, der Kaukasus, Berlin und das Künstlermilieu in diesen Städten und Ländern mit einer morbiden akademisch gebildeten Schicht von Unangepassten bestimmen das Klima in der Geschichte.

Der Roman bietet tiefe Einblicke in das Homosexuellenmilieu in Deutschland und Russland. Wie man einander erkennt, wie man zu einander findet, wie sehr die Sexualität das Leben bestimmt: so haben wir es noch nicht beschrieben gesehen. Exotisch treten die kulturellen Unterschiede zwischen Russen und Deutschen zu Tage. In Baku ist die Sinnenfreude beim Essen, Trinken und Feiern auffällig; die Landschaft mit ihren Reizen, die bunten Einrichtungen und die Gastfreundschaft treten aus dem Schatten der ratlos suchenden Figuren und bieten einen atmosphärisch passenden Rahmen zur Handlung. Ehen und Beziehungen sind hier wie dort nie sehr sicher. In der Erzählung geht es vorwiegend um die jeweilige Befindlichkeit der handelnden Personen und um ihre Orientierungssuche. Der Leser bleibt etwas ratlos zurück, denn das Ende kommt überraschend und lässt viele Fragen offen.

Olga Grjasnowa ist 1984 in Baku/Aserbeidschan geboren und lebt seit 1996 in Deutschland.

Olga Grjasnowa
Die juristische Unschärfe einer Ehe
272 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, August 2014
ISBN-10: 3446245987
ISBN-13: 978-3446245983
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Emmanuel Carrére: Limonow

Emmanuel Carrére: Limonow

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Russland der letzten achtzig Jahre war unter Stalin von krassen politischen Unwägbarkeiten gezeichnet und zeigte nach seinem Tod politische Umbrüche, die immense Anforderungen an alle jene stellten, die in dem System überleben wollten.

Eduard Sawenko war einer dieser Lebenskünstler. Er wurde 1942 geboren. Als Sohn eines KGB Offiziers und einer Historikerin  wuchs er in der ukrainischen Stadt Charkow auf. Aus dem eher verschreckten und ängstlichen Kind wurde ein Heranwachsender, den seine eigene Unbedeutendheit kränkte, so dass er sich früh in Künstlerkreise Eingang verschaffte. Aus einer Laune heraus wechseln die Mitglieder dieser Künstlergemeinschaft eines Tages ihre Namen. Eduard nennt sich beziehungsreich Ed Limonow in Anlehnung an Zitrone und Handgranate. Er lebte seit Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Moskau, wo er sich als Arbeiter und Schneider verdingte. Erst später entdeckte er seine schriftstellerischen Fähigkeiten.

Mit feinem Gespür für die jeweiligen turbulenten politischen Absurditäten im Sowjetsystem weiß Limonow die Gunst der Stunde für sich zu nutzen. Von Charkow und einer eher unansehnlichen Geliebten, mit der er es immerhin sieben Jahre lang ausgehalten hat, findet er in Moskau die richtigen Leute und ergeht sich in einer neuen Liebe, während er die alte nach Charkow abschiebt. Immer auf der Suche nach Abenteuern findet er Menschen, die ihm bei seiner Suche behilflich sind. 1974 wurde er aus Russland ausgewiesen und lebte fortan in New York. Von dort geht es über Frankreich nach der Perestroika zurück nach Russland.

Emmanuel  Carrére ist ein begabter Erzähler, der hier als Icherzähler fungiert. Limonow ist sein kumpelhaftes Gegenüber. Mit seinen kritischen Anmerkungen versehen erlebt man das zerrissene Russland mit den nach Stalins Tod wechselnden politischen Systemen, der Korruption, dem Beziehungsklüngel und der Fantasiewelt, in die sich der eine oder andere flüchtet. Limonow schlägt sich wacker durch, immer auf der richtigen Seite und doch auch gegen sie. Seine politische Haltung wechselte von links bis rechts. Mehrfach saß er im Gefängnis und kämpfte in Jugoslawienkrieg auf der Seite des Kriegsverbrechers Karadzic. Überall lebte er sein vitales und an Abenteuern und verrücktem Liebesleben reiches Dasein.

Sehr konzentriert geht Carrére seine Romanbiographie über den wirklichen Limonow an. Er kennt die Namen einflussreicher Künstler und die Mitglieder dieser Gesellschaft aus Hasardeuren, Angebern, Erfolgreichen und Verfolgten. Man taucht tief ein in das russische Gesellschaftssystem, das zwischen Verfolgung und Bewunderung für den rasanten Lebenskünstler Limonow mit seinen wilden Exzesse und Allüren schwankt.

Carrére endet seine Romanbiographie über Limonow mit der Vision eines friedlichen Lebens mit sicherer Rente und Wohlleben für den aufrührerischen Dichter. Dieser jedoch zöge wohl eher das anonyme, entbehrungsreiche Leben in Zentralasien einem friedlichen Leben in einem schönen Park vor.

Carrére behandelt eine Vielzahl von Erlebnissen, rasanten Perspektivwechseln und immer neuen Lebenseinsichten des russischen Dichters. Man steht verwirrt und ratlos vor dieser Romanbiographie mit überreichen Eindrücken. Ein großartiges und wildes Leben hat in Emmanuel Carrére seinen ausgezeichneten Biographen gefunden.

Emmanuel Carrére
Limonow
414 Seiten, gebunden
Matthes & Seitz, August 2012
ISBN-10: 3882219955
ISBN-13: 978-3882219951
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