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Schlagwort: Trennung

Fabio Andina: Davonkommen

Fabio Andina: Davonkommen

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Fabio Andina schreibt Bücher, die in ihrer Sprache von großer Eleganz, Stille und Melancholie erfüllt sind.

Der Icherzähler monologisiert unentwegt und teilt einem imaginären Zuhörer seine Gedanken mit.
Worum geht es eigentlich?
Nun, ein Mann fühlt sich schlecht, er sucht einen Psychiater und findet nur sehr schwer jemanden, der Zeit für ihn hat.
Schließlich gelingt es ihm. Ein Arzt verschreibt ihm Beruhigungs-und Schlafmittel. Er braucht sie dringend, denn seine Frau will sich trennen, und er erträgt den Gedanken kaum, sich damit auch von seinem kleinen Sohn trennen zu müssen.

Es folgen zahlreiche Episoden, die sich alle immer gleichen: es schneit, es ist sonnig, er musste in eine Hütte in den Bergen ziehen, weil er in der Stadt keine Wohnung fand. Er telefoniert täglich mit seinem Sohn, muss sich aber auch mit den Schikanen seiner Frau herumschlagen, die den Kontakt zum Sohn oftmals verhindert, mindestens aber stört.
Er liebt diesen Sohn sehr! In Gedanken spricht er mit ihm und sehnt sich nach ihm.
Arbeitslos und aller Bindungen beraubt, drehen sich seine Gedanken und inneren Monologe um ihn, diesen kleinen geliebten Sohn, der vier Jahre alt ist.

Als Wachdienst verdient der Erzähler mehr schlecht als gut seinen Unterhalt. In seiner Hütte herrscht Chaos.
Sein Leben pendelt unausgefüllt zwischen den Scheidungsanwälten, die inzwischen eingeschaltet wurden, seinem Dienst als Wachmann, seinen geregelten Besuchszeiten mit seinem Sohn, zwischen Bier und Beruhigungspillen. Albträume plagen ihn und spiegeln die Schrecken eines Lebens, dem der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Und doch: was mach den Roman so reizvoll?
Es sind die feinsinnigen Beobachtungen, die immer wieder spürbare Stille und nach und nach eine große Ruhe, die von der Erzählung ausgeht.
Kein spannender Handlungsstrang stört eine Entwicklung, die den Protagonisten zum duldenden Menschen macht. Er scheint sein Leben allmählich zu akzeptieren. Die Liebe zum Sohn bleibt die einzige feste Konstante, die seinem Leben Halt und Ruhe gibt.
Sie kulminiert in der Frage an den Sohn “warum wolltest du denn die gelben Pumas?“ Und die Antwort “sie sind wie die Sonne und die Sonne ist groß……. so groß wie das Leben!“

Ein poetischer, einnehmender Roman über das Leben und den Kampf, es zu bestehen.

Fabio Andina
Davonkommen
Rotpunktverlag, April 2023
200 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3858699764
ISBN-13: 978-3858699763
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Deborah Levy: Was das Leben kostet

Deborah Levy: Was das Leben kostet

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Deborah Levy ist eine gefeierte Schriftstellerin.
In ihrem schon 2019 erschienenen hier vorliegenden Selbstbild beschreibt sie ihren Neuanfang nach dem Ende ihrer Ehe.
Es ist ein nachdenklich stimmendes kleines Werk.
Sie hat zwei erwachsene Töchter, von denen eine schon studiert.

Der Neuanfang beginnt mit dem Umzug in ein kleines Holzhaus, das eher schon einem Schuppen gleicht.
Hier richtet sie sich spartanisch ein. Das Haus ist alt, Spinnweben überall und die Kälte der veralteten Heizung kriecht in alle Knochen.
Sie nimmt am Schreibtisch Platz. Hier ist sie ganz bei sich. Sie beschreibt das „Schreiben“ als einen mühevollen Prozess, in dem sich Erfahrung mit Fantasie und Wirklichkeiten mischen.
Nach ihrer Auffassung ist der Reiz des Schreibens “die Aufforderung, hinter die augenscheinliche Wirklichkeit aller Wesen und Dinge vorzudringen“. (S49)

Sie mischt in ihrer Erzählung Eindrücke ihres momentanen Lebens mit den äußeren Bedingungen und mit Erinnerungen an die frühe Zeit ihrer Ehe. Zu gleicher Zeit stirbt ihre Mutter, und sie entdeckt erst spät deren Qualitäten als Mensch und Mutter.

Die Erzählung bietet einen Reichtum an Assoziationen, der ihre Freundesbeziehungen, die Wahrnehmung von Stimmungen bezüglich des Klimas und der Natur und des Sterbens ihrer Mutter betrifft. Einen roten Faden gibt es nicht.

Sie zitiert Beauvoir, Baldwin und Duras bei ihren Einfällen zu Emanzipation, Freiheit und Männerherrschaft. Was ist Freiheit? Und wie lebt sie sich nach zwanzig Jahren Ehe?
Eine Antwort gibt es nicht. Vielleicht gelegentliche Melancholie und Bedauern, dass so vieles nicht gelungen ist.
Mit ihrer Freiheit muss sie sich noch einrichten, das schimmert bei allen Reflexionen durch.

Die Stille, die Vögel im Garten und das Alleinsein zu ertragen will eingeübt werden. Das alles fällt ja zusammen mit dem Älterwerden, auch dieses ein Prozess, der innerlich und äußerlich bewältigt werden muss.

Die richtigen Worte zu finden, um einzelne sie bewegende Begegnungen und Zustände zu beschreiben, das ist die Kunst von Deborah Levy. Dafür mag man sie loben.
Insgesamt aber fehlt ein Schwung, der die Gescshichte erst anziehend machen könnte.

Deborah Levy
Was das Leben kostet
HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH, Mai 2020
160 Seiten, broschiert
ISBN-10: 3455008925
ISBN-13: 978-3455008920
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Louis Begley: Hugo Gardners neues Leben

Louis Begley: Hugo Gardners neues Leben

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Der neue Roman von Louis Begley führt uns wieder einmal an die Ostküste Amerikas, vornehmlich nach New York und zu den Hamptons. Letztere bieten Erholung und reizvolle Landschaften und Ortschaften, in denen man ein komfortables Leben in den Ferien oder im Alter führen kann. Louis Begley selbst gehört zu den Ostküstenbewohnern, die gebildet und wohlhabend sind. Das war nicht immer so, wie man in seinem ersten Roman “Lügen in Zeiten des Krieges“ nachlesen kann, in dem er autobiographisch seine Flucht als Jude vor den Nazis beschreibt.

Worum geht es hier?

Ein alternder ehemaliger Zeitungskorrespondent und Chefredakteur, der Titelheld Hugo Gardner, erfährt auf wirklich ungewöhnliche Weise von den Scheidungsabsichten seiner Frau. Deren Anwalt wünscht auf Geheiß seiner Mandantin Valerie Gardner Kontakt zu Hugos Anwalt. Hugo ist vollkommen ahnungslos über diese plötzliche Wendung in seiner Ehe. Nach seinem Eindruck führten er und seine Frau seit vierzig Jahren eine gute Ehe. Er ist allerdings zu der Zeit, in der die Geschichte spielt, schon 84 und seine Frau 61 Jahre alt.
Recht lakonisch und genügsam willigt Hugo in die Scheidung ein.

Louis Begley hat die ungewöhnliche Gabe, seinen Figuren Leben einzuhauchen, ohne sie in ihrem Tun und Lassen etwa dramatisierend darzustellen. So lässt sich Hugo auf alles ein und versucht auf seine Weise, sein Leben neu zu formen. Dabei tauchen Freunde und Kollegen auf, er erhält Einladungen, denen er mehr oder weniger gerne Folge leistet. Das Gesellschaftsleben der Ostküstenbewohner mit ihren Allüren wird anschaulich vermittelt. Die Beschreibung der Mentalität seiner Freunde ist leicht ironisch bis mokant. Seine eigenen Kinder sieht er mit großer Distanz und stiller Ironie. Sie kommen immer nur, wenn sie Geld brauchen, das er ihnen großzügig gewährt. Von ihnen erbittet er Auskunft über die Gründe für den Scheidungswunsch seiner Frau, denn er kann ihn sich lange nicht erklären. Seine Tochter ist ruppig und sehr direkt. Sie spiegelt ein abscheuliches Bild seiner selbst: er sei alt, hässlich und langweilig.
Während Hugo erfolgreich und einflussreich war und noch ist, bleibt sein Sohn als Anwalt beruflich im Mittelmaß stecken.

Die Geschichte ist wie so oft bei Louis Begley voller Ironie und Melancholie. Ein alternder Beau begibt sich auf Spuren in die Vergangenheit. Er begegnet Alters- und Studiengenossen, Weggefährten und vor allem längst vergangenen Liebesaffären. Als ehemaliger Chefredakteur und Korrespondent einer angesehenen New Yorker Zeitung pflegt er vorzügliche Verbindungen in alle Welt. Paris, Wien oder die Schweiz waren seine bevorzugten Wirkungsstätten.

Hugo kennt sich aus im guten Leben: er liebt Essen, ausgewählte Weine und harte Drinks, vornehme Wohnsitze und ja, auch in seinem Aller noch, ausgedehnten Sex.

Begleys Held beschäftigt sich auf der Reise in die Vergangenheit u.a. mit den letzten Dingen; sie klingen nüchtern, realistisch und bei allem genussvollen Dasein ein wenig traurig. Einsamkeit ist der Schlüssel für dieses Alterswerk des großen Erzählers.

Man liest den Roman schnell, interessiert und neugierig. Einmal mehr erfahren wir, wie Leben verläuft: Aufbruch, Erfüllung in Beruf und Familie, Zweifel am großen Glück, Frustrationen und zuletzt Hinnahme dessen, was nicht zu ändern ist.

Der eindrückliche Roman unterhält bestens, und ich kann ihn sehr empfehlen.

Louis Begley
Hugo Gardners neues Leben
235 Seiten, gebunden
Suhrkamp Verlag, 18. Juli 2021
ISBN-10: 3518429841
ISBN-13: 978-3518429846
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Taffy Brodesser-Akner: Fleishman steckt in Schwierigkeiten

Taffy Brodesser-Akner: Fleishman steckt in Schwierigkeiten

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Mitten in der Nacht lädt Rachel die Kinder bei Toby ab. So war es nicht abgemacht, auch wenn er natürlich gerne auch nach der Trennung weiter Verantwortung für die Kinder übernimmt. Er ist jedoch nicht mehr so eingespannt. Er genießt seine Freiheit und die Möglichkeiten, die ihm Dating-Apps bieten.

Es ist kein Problem für ihn, sich jetzt umzuorganisieren. Wenn es nicht anders geht, kann er die Kinder sogar mit zur Arbeit nehmen. Sie können im Konferenzraum der Klinik spielen, während er sich in seiner Funktion als Arzt um die Patienten kümmert. Es ist ein Beruf, der ihm gefällt.

Rachel war nie zufrieden mit seinen beruflichen Ambitionen. Nach ihrer Meinung hätte Toby viel mehr erreichen können. Doch er ist immer auf die Bremse getreten, wenn sie ihn vorwärtstreiben wollte. Er hat nicht ihre Ansprüche. Also hat Rachel den größeren Teil zum Einkommen der Familie beigetragen und er hat sich um Haushalt und Kinder gekümmert und sämtliche damit verbundene Pflichten übernommen. Es gab viel Streit deswegen, auch weil sie sich, seiner Meinung nach, zu wenig um die Kinder und um ihn gekümmert hat. Und das hat schließlich zur Trennung geführt.

Mit Erstaunen muss er nun hinnehmen, das Rachel die Kinder nicht wieder abholt. Er kann sie nicht erreichen. Wahrscheinlich arbeitet sie und bringt ihre Karriere weiter voran. Es soll ihm egal sein. Aber was sagt er den Kindern? Zum Glück kann er sie vorerst im Sommer-Camp unterbringen.

Toby steckt in einer emotionalen Krise. Aber er genießt auch sein neues Leben. Frei und ungebunden, kann er ausleben, was ihm scheinbar bisher gefehlt hat. Seine Zerrissenheit wird etwas zu ausführlich dargestellt und auch wie er versucht, sein mangelndes Selbstbewusstsein aufzubügeln. Sein Leben wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, auch aus seiner eigenen. Die Sprünge, auch in der Zeit, ergeben schließlich ein Gesamtbild. Toby macht Rachel allein für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich.

Dann, man erwartet es nicht mehr, kommt im letzten Teil des Buches Rachel zu Wort. Das ganze Kartenhaus aus Tobys Beschuldigungen Rachel gegenüber stürzt mit lautem Krach zusammen und man kommt zu interessanten Erkenntnissen!

Rezension von Heike Rau

Taffy Brodesser-Akner
Fleishman steckt in Schwierigkeiten
Aus dem amerikanischen Englisch von Britta Mümmler
512 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-10: 3423282215
ISBN-13: 978-3423282215
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Tim Parks: In Extremis

Tim Parks: In Extremis

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Thomas Sanders befindet sich auf einem Physiotherapeutenkongress in Holland. Er ist emeritierter Professor für Linguistik, hält Vorträge, schreibt und ist in Madrid glücklich mit einer sehr viel jüngeren Frau liiert, denn von seiner Frau ist er geschieden. Seine vier Kinder aus der Ehe sind erwachsen.

In Holland erreicht ihn die Nachricht, dass seine Mutter im Sterben liegt.

Der Kongress löst einige unangenehme körperliche Beschwerden bei ihm aus, denn es handelt sich beim Thema um Beckenbodenschwäche des Mannes, die mit einer besonderen Methode zu behandeln ist. Er muss nun eilends nach London, wo seine Mutter in einem Hospiz liegt.

Zwischen den Zeilen liest man weit ausholend intime Gedanken zu seinem bisherigen Leben.

Seine Eltern waren fromme Leute, der Vater war Pfarrer. Thomas zählt sich zu den 68-zigern, die sich aufmüpfig gegen ihre Eltern verhalten haben.

Mit der Zeit kommt man dem Protagonisten näher, indem man immer tiefere Einblicke in sein Innenleben erhält. Das ist nicht nur angenehm, denn Thomas wirkt gelegentlich weinerlich, selbstzweifelnd und zeigt sich seiner selbst nicht gewiss. So vieles gibt es zu bereuen in seinem Leben! Man fragt sich, ob er auf seinem Wege trotz beruflicher Anerkennung jemals zufrieden werden könnte.

Z.Zt. unterzieht er sich gerade einer Psychoanalyse.

Nicht nur seine eigene Familienmisere beschäftigt ihn, sondern auch die von seinem Freund David. Dieser hat sich nach langjähriger Beziehung zu Deborah mit zahlreichen gemeinsamen Kindern endlich zu ihrem sechzigsten Geburtstag zur Heirat mit ihr entschlossen Es gibt auch hier Konflikte ganz eigener Art.

Wie immer geht es bei Tim Parks um Ehe, Familie und Beziehungen, die vielfach Ursache und Bindeglied für Kummer, Sorgen, Missempfindungen und Störungen sind. Familiäre Bindungen bieten einerseits Zusammenhalt und Sicherheit, geben aber auch in zahlreichen Fällen Anlass für Fehlentwicklungen und Missverstehen. Tim Parks ist empathisch interessiert an seinen Protagonisten. Man glaubt, die Personen mit ihren Malaisen selbst intensiv kennen zu lernen. Ein bigottes Familienklima hat die Mitglieder unterschiedlich beeinflusst und zu auseinanderstrebenden Entwicklungen geführt.

In Parks Detailgenauigkeit liegt seine Stärke und zuweilen auch Schwäche. Besonders die lange Trauerfeier für Thomas’ Mutter mit all’ ihren christlichen Traditionen, den Texten und Liedern sind zunächst nicht ganz überzeugend. Bis man begreift, dass hier ein letzter Überzeugungsversuch seitens der Mutter gegenüber ihren Söhnen stattfindet, die beide ungläubig sind.

Alles in Allem zeigt die Geschichte, wie tief Tim Parks sich mit seinen Figuren befasst, wie philosophisch-religiöse Sinnfragen die Erzählung mitbestimmen.

Familie, Nähe, Trennung und Zugehörigkeit sind die Pfeiler der Gesellschaft. Hier haben sie in Form eines Romans Gestalt angenommen.

Tim Parks
In Extremis
400 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann, September 2018
ISBN-10: 3956142527
ISBN-13: 978-3956142529
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Angelika Klüssendorf: Jahre später

Angelika Klüssendorf: Jahre später

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In einer fein ziselierten Sprache, hoch sensibel und gleichzeitig distanziert erzählt A. Klüssendorf von einer Ehe, die auf merkwürdige Weise zustande kam.

April, die Hauptprotagonistin, spricht von sich als Suchende und Einsame. Ludwig, ein Chirurg, interessiert sich brennend für sie und lässt nicht nach in seinem Werben. Sie wird schwanger, und sie heiraten.

Während Ludwig als großes Kind erscheint, der allerdings voller Dynamik immer neue Pläne für sie beide schmiedet, lässt sich April treiben. Sie steht den Dingen mit einer gewissen Ambivalenz gegenüber. Aus einer anderen Beziehung hat sie einen 11jährigen Sohn, Julius, der fest in die neue Gemeinschaft eingegliedert wird.

Nachdem sie von Berlin nach Hamburg gezogen sind, wo Ludwig eine neue Stelle in einem Krankenhaus angetreten hat, wird Samuel geboren.

Hier fühlen sich April und Julius nicht zu Hause. Julius ist in der Pubertät und betrachtet seine Mutter und Ludwig kritisch. Als er zu seinem Vater zieht, bleibt die kleine Familie alleine.

Mehr und mehr gerät Ludwig in den Fokus der Erzählung. Durch die Augen von April finden wir einen Getriebenen, der voller Ideen ist und zwischen Ehrgeiz, Eitelkeit und Selbstverherrlichung schwankt. April tut, was sie kann, um seinem bürgerlichen Anspruch zu genügen. Sie kocht, backt und bewirtet seine Kollegen. Doch das ist nicht ihr Leben.

Mit kleinen spitzbübischen Schabernackaktionen versuchen die beiden, ihrer Gemeinschaft etwas Leben einzuflößen.

Mit fortschreitender Erzählung spürt man jedoch, wie aufgesetzt und brüchig die Beziehung zwischen April und Ludwig ist. Man ahnt, dass diese Ehe kein gutes Ende nehmen kann.

Doch noch quält sich das Paar durchs Leben, er unreflektiert und blind für seine eigenen Schwächen, und sie abwartend und bemüht. Doch eine Kälte macht sich breit, die einen erschauern lässt.

Angelika Klüssendorf hat einen empfindsamen Ausdruck für alles, was zwischen Menschen passiert. Ihre kühle, sezierende Sprache, vermittelt uns einen Einblick in das innerpsychische Geschehen, das sich hier zwischen zwei sehr verschiedenen Menschen abspielt. Es kann nicht gehen, wenn eine Frau auf der ständigen Suche nach dem wahren Leben ist, und ihr Mann nur nach Anerkennung, Aufmerksamkeit und Bestätigung sucht.

Geschickt versucht die Autorin uns zu zeigen, wie bemüht beide sind, an ihrer Ehe festzuhalten. Einer aber schafft es nicht: Ludwig kann seine innere Leere im Zusammensein mit seiner Frau nicht überwinden. Er geht, kommt wieder und geht schließlich für immer. April, die literarische Versuche auf dem Weg zur Schriftstellerin unternimmt, bleibt alleine mit einem Sohn, den sie kaum versteht, und zu dem der Zugang immer mehr verloren geht. Reue über den Verlust ihres ersten Sohnes überkommt sie, und sie weiß, alle ihre intensiven Bemühungen um ein ausgewogenes Leben waren umsonst.

Die Sprache und der Ausdruck von A. Klüssendorf zeigen eindrücklich diese einsame, suchende Frau, deren Verlorenheit einen anrührt. Ludwig löst in seiner Selbstsucht eher Abwehr beim Leser aus. Zweitweise bleibt die Empathie auf der Strecke. Zu kalt und sezierend ist die Darstellung der Beziehung.

Der Eindruck einer misslungenen und tragischen Verstrickung zweier Menschen, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft und Wesenszügen nicht zusammenfinden können, bleibt bis zuletzt bestehen. Die lakonischen und kurzen Sätze vermitteln einen Eindruck von dem innerpsychischen Drama, das Mann und Frau einander entfremdet.

Dass Angelika Klüssendorf mit dem verstorbenen Frank Schirrmacher verheiratet war, sei in einem Nebensatz erwähnt. Autobiographische Züge sind in ihre Erfahrungen eingeflossen. Sie betont aber in Interviews, dass ihre Figuren fiktiv sind.

Angelika Klüssendorf
Jahre später
160 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Januar 2018
ISBN-10: 3462047760
ISBN-13: 978-3462047769
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Elly Griffiths: Engelskinder

Elly Griffiths: Engelskinder

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Ein typisch britischer Kriminalroman mit dem ganzen Flair von Ermittlern wie Lynley, Lewis oder Barnaby. Dabei wird ein historischer Kriminalfall ebenso aufgeklärt wie ein aktueller. Doch zunächst zum Geschehen.

Als die forensische Archäologen Dr. Ruth Galloway in einer Burg ein Skelett aus viktorianischer Zeit freilegt, glaubt sie, die Gebeine der berüchtigsten Mörderin Norfolks gefunden zu haben. »Mother Hook« soll zu Lebzeiten Kinder in Pflege genommen und getötet haben. Infolgedessen tritt ein Fernsehteam auf die Bühne, um die Folge einer Mystery-Doku-Serie mit der Archäologin zu drehen.
Parallel dazu knüpft sich DCI Nelson eine junge Mutter vor, der bereits das dritte Kind nur wenige Monate nach dessen Geburt gestorben war. Ein- und derselben Mutter. Nelson glaubt nicht mehr an Zufälle. Er fühlt der Mutter und auch ihrem Ex-Mann auf die Zähne. Doch abgelenkt werden er und sein Team von plötzlich verschwundenen Kindern. Sogar Kinder aus seinem engsten Bekanntenkreis.

Die Ablenkungsmanöver der Autorin sind schon etwas sehr Besonderes. Sie lenken nicht nur die Ermittler ab, sondern auch als Leser ist man beinahe geneigt, den Todesfall des sechs Monate alten Babys komplett zu vergessen, weil zunächst die verschwundenen Kinder im Mittelpunkt stehen.
Die Verflechtung der Toten und verschwundenen Kinder aus dem Hier und Jetzt mit denen aus der viktorianischen Zeit um »Mother Hook« bereitet ein ebenso interessantes Vergnügen. Aufklärung über forensische Arbeit inklusive.
Das durchaus wirre Beziehungskonzept der auftretenden Figuren hinterlässt zunächst etwas Chaos im Kopf des Lesers. Wer von wem der Ex ist und wer der Vater von welcher Figur ist, hätte ein bisschen weniger Verstrickung gut getan.

Dennoch alles in allem ein empfehlenswerter Roman, bei dem streckenweise keine Mordermittlung im Zentrum steht. Außerdem fasziniert er mit dem britischen Charme einer Val McDermid oder eines Simon Beckett. Daumen hoch!

Elly Griffiths
Engelskinder
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Wunderlich Verlag, Hamburg
ISBN 9783805250962

© Detlef Knut, Düsseldorf 2017
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Tim Parks: Thomas & Mary

Tim Parks: Thomas & Mary

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Eine Ehe am Abgrund!

Thomas und Mary geht es nicht gut!

Sie teilen zwar noch Bett und Leben, gehen sich aber weitgehend aus dem Wege. So recht will keine gute Stimmung mehr aufkommen.

Äußerlich scheint alles in Ordnung zu sein: sie sind dreißig Jahre verheiratet, haben zwei Kinder, einen Hund und er hat eine gesicherte Anstellung.

Doch halt: mit Thoms Anstellung ist das so eine Sache. Er hoffte auf Beförderung und muss erleben, wie die Geliebte des Chefs die von ihm avisierte Stellung ergattert. Es ist nicht verwunderlich, dass er unter Frust und Entzugserscheinungen, was den Erfolg betrifft, leidet.

Mary hat sich in die Küche verzogen, er geht abends auf ein Bier in den Pub. Sie geht mit dem Hund spazieren; und wenn sie zu Bett gehen, schläft einer jeweils schon mit dem Gesicht zur Wand.

Wie Tim Parks sich in die Ödnis der letzten Jahre einer Ehe hineinarbeitet, den Alltag beschreibt und sich in die Gefühlswelt der Protagonisten hineindenkt, das ist meisterhaft. Die Erzählperspektiven wechseln; einmal wird der Alltag aus der Sicht von Thomas beschrieben, dann aus der Sicht von Mark, dem gemeinsamen Sohn, dann wieder aus Marys Perspektive. Auch über die Herkunftsfamilien beider Eheleute wird berichtet. Die Tiefenschärfe, mit der die Lebensstadien ergründet werden, ist bemerkenswert. Wie soll man sich eingestehen, dass die Liebe vergangen ist? Dazu gehört Mut und Selbsteinsicht. Da schaut man lieber weg!

Die Therapeutin, mit der Tom sich regelmäßig trifft, gibt ihm keine konkreten Hinweise, wie er sich nun verhalten soll. Das haben Therapeuten so an sich: der Klient muss mit einfachen Fragestellungen seitens des Therapeuten selber zu einer Entscheidung finden.

Es ist mühsam, beim Lesen in das ganze Elend dieser maroden Ehe hineingezogen zu werden! Dabei fing doch alles einmal ganz glücklich an! Oder doch nicht?

Viele Fragen bleiben offen.

Auf diese Weise aber wird das Eheleben zur Qual. Man liest und liest und ist ermüdet von der Unfähigkeit, mit der keiner von beiden zu einer Entscheidung finden kann. Tom hatte zahllose Affären; auch diese aber liefen ins Leere. Mary wird schließlich aktiv. Es kommt zur Scheidung, zu letzten Treffen und zur Trennung der Konten.

T. Parks beschreibt das leere Haus, die Aktivitäten von Mary und die Trostlosigkeit des phlegmatischen Thomas. Der Autor bringt gekonnt herüber, wie diese Ehe erodiert.

Mühsam schaut man dem Treiben zu. Wie die Eheleute sich zerstören, und wie jeder seinen Part am Unglück des anderen hat. Als die Kinder das Haus verlassen, wird alles hohl und traurig. Mark bekommt den Zerfall noch mit, Sally, die Tochter, ist längst aus dem Haus. Es kommt, wie es kommen muss: die Eltern trennen sich und aus der Sicht von Tom ist er nun frei. Doch ist er wirklich glücklich?

Das Buch endet mit Fragezeichen. Wieder einmal beweist Tim Parks wie schon in zahlreichen Romanen zuvor, dass ihn Familienangelegenheiten faszinieren, und wie er sezierend das Gefüge einer Familie auseinander zu nehmen vermag. Darin ist er ein Künstler! Und wer sich für die Dynamik in Paarbeziehungen interessiert und daraus lernen will, der findet hier genügend Gelegenheit, sich in die Psyche verrannter Paare hineinzudenken.

Tim Parks
Thomas & Mary
336 Seiten, gebunden
Kunstmann, Februar 2017
ISBN-10: 3956141644
ISBN-13: 978-3956141645
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Annette Mingels: Was alles war

Annette Mingels: Was alles war

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Familienstrukturen heute: eine Spurensuche.

Annette Mingels lässt ihre Heldin Susanna auf Spurensuche gehen. Mehr oder weniger wurde diese an sie herangetragen, als ihre leibliche Mutter Kontakt zu ihr aufnimmt. Denn Susa, wie sie auch genannt wird, ist ein adoptiertes Kind. Ihre leibliche Mutter, Viola, ist eine exzentrische Person, die überall in der Welt herumreist und Kontakt zu ebenso exotischen Menschen wie sie einer ist, sucht. Es gibt kaum einen Ort, an dem sie noch nicht gewesen ist. Susa ist von liebevollen Ersatzeltern adoptiert worden. Sie ist eine gestandene Wissenschaftlerin, die sich der Meeresbiologie verschrieben hat.

Im Aufbau gekonnt und anregend geschrieben, blättert die Autorin nach und nach die Lebenssituation ihrer Heldin auf. Zu ihren Adoptiveltern hält Susa mit ihrer ebenfalls adoptierten Schwester engen Kontakt. An ihrer leiblichen Mutter oder ihrem Erzeuger zeigt sie wenig Interesse. Sie leben ja alle in so verschiedenen Welten! Doch hat es sich so ergeben, dass sie nun doch Nachforschungen über ihre biologische Herkunft betreibt.

Susa bildet mit ihrem Mann Hendryk eine Patch- Workfamilie, da er zwei Töchter mit in die Ehe brachte. Was das für eine angeheiratete Mutter bedeutet, kann man in schönster Ausführung bei Felicitas von Lovenberg nachlesen, die bei der Hochzeit mit einem geliebten Mann gleich zwei Kinder dazu geheiratet hat. Der Titel ihres Buches lautet „Und plötzlich war ich zu sechst“. Sie entwirft überzeugend das Gebilde an Feingefühl und richtiger Umgangsform mit den beiden Kindern, bis diese sie schließlich als Frau ihres Vaters und „Stiefmutter“ voll akzeptieren.

In der Familienforschung findet man neue Lebensformen und verändertes familiäres Verhalten. Diese sind Ergebnis einer Entwicklung, in denen Lebensmuster und Beziehungen in sehr unterschiedlicher Weise zum Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts gelebt werden. Die so genannte Patch- Workfamilie ist die Lebensform, die mit dieser neuen Gestaltung von Familie einhergeht. Was also hält Familien überhaupt zusammen?

Hier werden Wege aufgezeigt, die sicher verbindlich für viele dieser zusammen gewürfelten Familien sind. Zugehörigkeit, ein Ort der Sicherheit und gemeinsames Erleben und Wachsen hält Familien zusammen. Die Sehnsucht danach bleibt bei aller angestrebter Freiheit erhalten. Doch eigenständige Entwicklungen und ambitionierte Berufswege erfordern ein Gleichgewicht und diplomatisches Austarieren in den Beziehungen, das nicht immer gegeben ist.

Im Roman von Annette Mingels geht es um Erwachsene, die in der Rückschau und Gegenwart ihre Überlegungen zu ihrer Vorstellung von Familie preisgeben. Verwicklungen und menschliche Irrtümer sind dem Leben immanent. Anfechtungen und Zweifel werden in schönster Manier in Mingels Roman abgehandelt. Dass die Liebe über allem steht, bleibt ihr unangefochtenes Bekenntnis am Ende ihrer Geschichte.

Annette Mingels ist selber ein adoptiertes Kind, so dass sie für ihren Roman aus der eigenen Biographie schöpfen konnte.

Man lebt und fühlt mit den Protagonisten und kann sich in deren Gedankenwelt hineinversetzen. Der Roman ist leicht zu lesen und man wird zum Nachdenken angeregt.

Diese gute und nicht zu anspruchsvolle Lektüre eignet sich sehr für verregnete Sommertage oder für den Urlaub.

Annette Mingels
Was alles war
288 Seiten, gebunden
Albrecht Knaus Verlag, März 2017
ISBN-10: 3813507556
ISBN-13: 978-3813507553
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Jonathan Safran Foer: Hier bin ich

Jonathan Safran Foer: Hier bin ich

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Mit einem großen Familienroman tritt der vielfach ausgezeichnete amerikanische Autor J. S. Foer nach langer Pause wieder an die literarische Öffentlichkeit.

Es handelt sich in seinem neuen Roman um eine jüdische Familie, die aus vier Generationen besteht und in Washington D.C. lebt.

Julia und Jacob aus der mittleren Generation sind das Ehepaar, das im Mittelpunkt der Handlung steht. Er ist Schriftsteller und sie Architektin. Sie sind seit 16 Jahren verheiratet und Eltern von drei Söhnen: Sam, Max und Benjy. Diese machen nicht nur Freude, und Julia und Jakob sind sich oft uneins in Fragen der Erziehung.

Von Beginn an stark reflektierend zeigt uns der Autor ein Paar, das die jungen Jahre der Leidenschaft hinter sich gelassen hat.

Natürlich geht es neben anderem auch um Sex und die Veränderung von Sex in der Ehe.

Zwischen Julia und Jacob hat sich mit den Jahren eine gewisse Scheu entwickelt, ihre geheimen Wünsche zu äußern und auszuleben. In Passagen der Rückschau erleben wir die beiden noch neugierig und experimentierfreudig. Doch der Alltag mit Kind und Kegel hat längst die erste Phase der Begegnung und Entdeckung überlagert. Rücksichtnahme auf die Kinder und die Bedürfnisse des anderen haben einen jeden von ihnen in ein Zwangskorsett versetzt.

Gedanken, wie man sich Freiheit und Unabhängigkeit wünscht, sind dem Anfangsstadium der Verliebtheit gewichen.

In meisterhafter Weise handelt J.S.Foer die langsame Entfremdung zwischen den beiden ab. Es ist schwer auszuhalten, wie man sich bemüht, zusammen zu bleiben und sich doch voneinander entfernt.

In langen und endlosen Gesprächen aller Beteiligter quälen sie sich durch ihr Leben. Die Figuren in dem Roman reflektieren und verdrängen zugleich, so dass sich ein tiefer Zwiespalt offenbart: kann man loslassen, und wohin soll das führen?

Heimatlos zu sein ist nicht erstrebenswert. Und doch ist das der tiefere Gehalt der Geschichte: wir alle suchen Zugehörigkeit und müssen diese mit dem Bewusstsein ertragen, dass wir trotz aller Verbundenheit Individuen mit eigenen Gewohnheiten und Wünschen bleiben.

Der Roman umfasst mehr als 600 Seiten. Szenenwechsel erfolgen schnell und unerwartet. Erzählung, Dialoge und unausgesprochene Gedanken wechseln in schnellem Tempo. Die weit verzweigten Familienverbindungen reichen bis nach Israel, in ein Land, dessen Konflikte und Vorgeschichte mit in den Roman einfließen. Traditionen bleiben bestehen, auch wenn man sehr weltlich ausgerichtet lebt. Man feiert die jüdischen Feiertage und bereitet sich auf die Bar Mizwa von Sam, dem ältesten Sohn von Julia und Jacob, vor. Mit dem Fortlauf der Handlung zeigt sich aber die zunehmende Brüchigkeit der Ehe seiner Eltern. Alles läuft auf eine Trennung hinaus.

Der Titel des Romans klingt fast biblisch: Hier bin ich (…und kann nicht anders…) Ja, zu einem langen Leben zu zweit gehört Ausdauer, zuweilen Anstrengung und Durchhaltevermögen. Dazu ist nicht jeder bereit, wenn sich die Wunschvorstellungen von Glück auf Dauer nicht halten lassen.

Autobiographische Erfahrungen haben den Autor J.Safran Foer zum  Entwurf seiner Romanfigur Jacob vermutlich beeinflusst. Er ist wie Jacob Schriftsteller, hat wie dieser Kinder und ist in seiner Ehe gescheitert.

Ein schwieriges, nachdenkliches und anstrengendes Buch mit ausufernder Handlung hat J.Safran Foer geschrieben, das vom Leser Durchhaltevermögen verlangt.

J.S. Foer war mit der ebenfalls herausragenden Schriftstellerin Nicole Krauss („Kommt ein Mann ins Zimmer“) verheiratet und lebt in New York.

Jonathan Safran Foer

Hier bin ich
688 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, November 2016
ISBN-10: 3462048775
ISBN-13: 978-3462048773
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