Quecksilber

Quecksilber

„Ein schönes Buch hast du mir da angetan … soviel Unterhaltung habe ich noch nie pro Zeile in einem Buch vor die Augen bekommen! Amélie Nothomb hat mich bisher mit allen Belangen der Kunst des Schreibens begeistert und beeindruckt, wenngleich ich erst 2/3 gelesen habe. Müsste ich nicht noch verdammt viel lernen, hätte mich dieses Buch wohl bis zum Schluss gefesselt! Witz (obgleich mir französischer Humor etwas sonderbar erscheint), Liebe, Krimi, grauenvolle Surrealität, Roman, Thriller … dieses Buch in ein Genre zu zwängen ist mir auch mit größter Anstrengung nicht gelungen. Unglaublich, mit wie viel Witz eine solch surreal ernste Thematik erzählt werden kann … du kannst mir glauben, ich habe mir schon das nächste Buch „Die Reinheit des Mörders“ bestellt. Nur irgendwie ist mir das Buch mit seinem Drang zur feministischen Bevormundung etwas ungewohnt.“

So oder so ähnlich habe ich reagiert, als ich das erste Mal wieder mit der Person gesprochen habe, die mir dieses Buch empfohlen hat. Es ließ sich natürlich nicht vermeiden, ein wenig Enthusiasmus mitschwingen zu lassen – dafür war ich zu sehr beeindruckt! Auch nachdem ich ein wenig Abstand zu dem Buch gewonnen hatte, hat sich meine Meinung nur Geringfügig verändert. Die Reaktion bezog sich auf das Werk „Quecksilber“ – „Die Reinheit des Mörder“ und „Die Metaphysik der Röhren“ habe ich mir danach sofort zu Gemüte geführt. Alle drei Romane (so untertitelt Diogenes die Bücher) dürften in Deutschland eher unbekannt sein, die Autorin selbst dürfte ebenfalls nur bestimmten Kreisen in Deutschland ein Begriff sein. Oder eben mir (und jetzt auch euch!), denn zugegeben hat mir lediglich ein kleiner Zufall diesen Floh ins Ohr gesetzt.

Zur Autorin: Die Belgierin Amélie Nothomb, 1967 in Kobe geboren, hat ihre Kindheit auf Grund des Berufes ihres Vaters in China und Japan verbracht. In Frankreich erstürmt sie seit Erscheinen ihres Erstlings „Die Reinheit des Mörders“ mit jedem neuen Buch die Bestsellerlisten. Momentan lebt sie in Paris und wurde durch „Mit Staunen und Zittern“ mit dem Preis ausgezeichnet. Insgesamt sind von ihr schon 6 Werke in Deutschland erschienen. Aber Schluss mit der mageren statistischen Biografie – beschäftigen wir uns etwas mit den Büchern!

Für mehr als drei Bücher hatte ich bisher noch keine Zeit (obgleich ich alle in kürzester Zeit verschlungen habe), dennoch versuche ich, auch euch einen Eindruck von dem zugänglich zu machen, was mich so begeistert hat. Erst einmal möchte ich ausgiebiges Lob aussprechen. An stilistischem Genie mangelt es Frau Nothomb auf jeden Fall nicht, was mitunter zur Kurzweile ihrer Bücher beiträgt. Das ganze Werk über fühlt man sich eingebunden und gefesselt in die Handlung und vergisst nicht selten die Zeit. Ja, leider sind die Romane ein sehr zeitloses Erlebnis, was nicht nur daran liegt, dass jeder der Romane nur mit Mühe über die 200 Seiten kommt. Aber diese 200 Seiten triefend vor Genialität sind keines Falls zu verachten! Doch nicht nur das haben „Die Reinheit des Mörder“, „Quecksilber“ und „Die Metaphysik der Röhren“ gemeinsam. Wirr, chaotisch – und eben genial, so befasst sich Nothomb durchweg mit Problemen im und durch das Leben und dessen Fragen. Diese werden elegant und nüchtern beantwort. Und zwar verpackt in eine Handlung – manchmal eine grausame, manchmal eine auf den ersten Blick schillernd schöne.
Beispiel „Quecksilber“: „Ein Blendwerk, glänzend wie Quecksilber, das uns in die Falle lockt mit seiner trügerischen Einfachheit. Fast ein Geschichte für Kinder, nur ein wenig grausamer. Dieses Buch ist ein Plädoyer für alle, die von der Schönheit besessen sind. Ein Freispruch für jede List aus Leidenschaft. Und eine Einladung zur Sinnlichkeit.“ So beschreibt es die „Lire“ und „Le Magazine littéraire“. Das Buch handelt von der Krankenschwester Francoise, die die angebliche Tochter Hazel des Kapitäns Loncours auf der einsamen Insel Mortes-Frontières pflegen soll. Dieser hat jedoch ein grausames Geheimnis zu Verbergen, auf das Francoise im Laufe des Romans trifft, jedoch durch ihre Nachforschungen selbst Opfer Loncours wird. Ein phantastischer philosophischer Thriller über Freundschaft, Liebe und deren Grenzen.

Ein absolutes Gegenstück zu „Quecksilber“ ist „Die Reinheit des Mörder“. Fast schon ein Lehrbuch für Zyniker – und absolut grausam. Der geniale Autor Prétextat Tach erfährt von seinem plötzlichen Tod in 2 Wochen – und lockt sofort die bedeutendsten Journalisten in sein Haus, um ihn zu interviewen. Unvorbereitete treten die Journalisten einer nach dem anderen ins Fettnäpfchen und kassieren ihre gerechte Strafe. In den geistreichsten Dialogen, die ich je gelesen habe, verschleißt Tach jeden einzelnen der vier Journalisten in einem atemberaubenden Verhör. Doch dann die Wende: die letzte und fünfte Journalistin betritt Tachs Raum. Ein intelligenter, überragender verbaler Schlagabtausch beginnt, in dem ein Mord aufgeklärt wird und schließlich ein unverhofftes Ende nimmt. „Wie herrlich kann Bosheit sein, wenn sie in guter Prosa daherkommt! Amélie Nothomb: eine prächtige Ladung Vitriol in die gepflegte Visage unserer Literatur. Eine Entdeckung!“, so empfindet es „Le Nouvel Observateur“. Tatsächlich, ein Roman, der überrascht, beunruhigt und verändert. Persönlich ist dieser Roman meiner bisher liebster unter den genannten drei. Zwar besteht „Die Reinheit des Mörders“ fast nur aus einem einzigen Dialog, was jedoch nichts daran verändert, dass dieser Roman inspiriert, anregt zum Nachdenken und Hinterfragen. Nachdem ich die letzte Seite umgeschlagen hatte, habe ich sogar bedauert, dass dieser wirklich brillante Autor Tach nicht real existiert, denn sonst würden seine 22 Bücher sicher alle samt meine Bücherregale füllen.
Wer jedoch Amélie Nothomb einmal lesen will, der sollte mit „Die Metaphysik der Röhren“ den Anfang machen. Zugegeben kein zugkräftiger Name, betrachtet man das Buch auf den ersten Blick. Nichtsdestotrotz beschreibt es treffend den Inhalt dieses Buches. Über diesen möchte ich nichts verraten – ihr sollt euch überraschen lassen! Doch eines kann man zu diesem Werk, in der Ich-Perspektive geschrieben, sagen: Nothomb behandelt die Frage des Lebens und dessen Sinn und schreibt von dem Verlust naiv-göttlicher Glückseligkeit, Beziehungen, Identität und Herkunft. Nichts anderes könnte diesen Roman besser beschreiben als folgende drei Worte: traurig, zuckersüß-ironisch und überragend-intelligent. Jedes weitere Wort über den Inhalt würde das Buch entzaubern und das eigentümlich-geniale Vergnügen zerstören, das Nothomb ihren Lesern ein weiteres Mal meisterhaft bereitet.

Leider sind mir auch einige Tatsachen negativ aufgestoßen, die sich auf alle drei Romane beziehen lassen können. Die eigentümliche Surrealität ist höchst gewöhnungsbedürftig – und lässt ungeübte Leser mit Nothomb die Enden als eine ungewöhnliche Erfahrung erleben lassen. Ja, sie sind alle höchst ungewöhnlich und fordern den Leser zur einen gewissen Freiheit auf. Besteht diese nicht, lässt das den ganzen Roman im Nachhinein verkommen, was den Gesamteindruck erheblich negativ beeinflusst. Auch der französische Humor ist nicht für alle gleich erkenntlich – man gewöhnt sich jedoch im Laufe der Zeit daran! An Diogenes möchte ich noch bemängeln, dass sie einiges an Fehlern (zumindest in Quecksilber) abgedruckt haben – das darf wirklich nicht sein!

Trotzdem kann ich die Autorin und deren Bücher ungeschränkt empfehlen. Sie sind wirklich einmalig – hätte ich nicht schon alle möglichen Adjektive verbraten, würde ich hier sicherlich noch ein paar aufzählen! Lasst euch aber bitte daran nicht stören – ihr verpasst was! Unglaublich, dass Amélie Nothomb weitaus unbekannt in Deutschland ist, betrachtet man doch die Werke, die sie bisher vollbracht hat. Ich danke der Person, die mir diese Autorin näher gebracht hat! Ich hätte etwas verpasst.

Die Metaphysik der Röhren: ISBN: 3257062990, Diogenes
Die Reinheit des Mörders: ISBN: 3257228279, Diogenes
Quecksilber: ISBN: 3257062885, Diogenes
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